Page images
PDF
EPUB

1

aus dieser Zeit herleiten, so sollte man erwarten, keine Periode der Geschichte so gründlich erforscht und so ausführlich dargestellt zu sehen, wie diese; denn sie hat den Vorzug, nicht das Interesse eines einzigen Landes, sondern der Hauptlånder von Europa in Anspruch zu nehmen, und also das Recht, von den Geschichtschreibern derselben gleiche Aufmerksamkeit zu verlangen. Welche Resultate für die Aufklärung und Darstellung dieser Zeit ließen sich daher von den verei nigten Anstrengungen und dem gemeinschaftlichen Wetts eifer der historischen Talente in den gebildetsten Låndern Europa's erwarten! Vergleicht man aber mit dieser großen, aber nichts weniger als unbilligen Erz wartung die einzelnen Leistungen, so findet man, daß ihr zum Nachtheile gereicht hat, was ihr Vortheil håtte seyn sollen. Die Verbindung des Einzelnen mit dem Ganzen in einem solchen Verhältniß, daß ohne zu große Weitläufigkeit die Geschichte jedes einzelnen Staats, zugleich die Bewegung des ganzen Staatskörpers, von dem er ein Glied bildet, enthielte, scheinen mit wenigen Ausnahmen die Geschichtschreiber als einen Stru del betrachtet zu haben, durch welchen man nicht rasch genug hindurch kommen könne. Sie haben daher alle

Segel aufgespannt und alle Nuder in Bewegung ge seht, um diese gefährliche Stelle so bald als möglich hinter sich zu lassen, und in das ruhigere Fahrwasser eines Stromarmes einzulenken, in dem sich die Interes sen ihres besonderen Landes von den allgemeinen trens nen und gemächlich für sich dahin fließen.

Eine allgemeine Geschichte der karolingischen Zeit, so ausführlich, als es ihre Bedeutung verdient, und so gründlich, als es nur immer der sorgfältigste Fleiß vermag, ist daher ein Bedürfniß, das jeder, der die Geschichte der abendländischen Christenheit zu studieren angefangen, entweder für sich selbst zu befriedigen ges sucht, oder wenn ihm Neigung, Gelegenheit oder Talent dazu fehlten, doch wenigstens gefühlt hat. Seit dem Anfange meiner historischen Studien habe ich mich in dieser Region des historischen Gebiets lange genug verweilt, um andern meine Dienste als Führer durch dieselbe anbieten zu dürfen. Allein ich kenne die Pflicht eines Führers gegen den Fremden, welchem er eine Gegend zeigen will, zu gut, um voreilig mit meinem Wegweiser hervorzutreten. Er muß dem, welcher sich seiner Führung anvertraut, die Mühseligkeiten und Ver

**

[ocr errors]

irrungen ersparen, die es ihn gekostet hat, um sich) selbst zu orientiren; er muß ihn auf gebahnten Wegen nach den Punkten bringen, welche die schönsté und am meisten charakteristische Aussicht darbieten, und wohin er selbst erst auf Umwegen und nach Ueberwindung von Schwierigkeiten aller Art gelangt ist. Der Geschichtforscher muß, um és mit andern Worten auszudrücken, fertig seyn, ehe der Geschichtschreiber auch nur die Feder ansehen darf. Da ich also noch einige Jahre mit meiner ausführlichen Geschichte des karolingischen Zeitalters zurückhalten werde, um ihr die größte Vollståndigkeit zu geben, so würde es keine geringe Ermunterung für mich seyn, wenn das kleine Werk, welches ich hier dem Publikum vorlege, von demselben seiner Aufmerksamkeit gewürdigt und als eine Legitimation für die Bearbeitung der ganzen karolingischen Periode betrachtet würde. Was ich in einer kleinen akademischen Gelegenheitsschrift: De Carolo literarum fautore, (Hal. 1828.) ange deutet, habe ich hier weiter ausgeführt, nämlich den Gedanken eines großen Monarchen im achten und neunten Jahrhundert, die Macht und Festigkeit seines Staats auf eine Vermehrung der Intel

magno,

ligenz zu gründen, und die religiöse und wissenschaftliche Bildung mit den Staatsprincipien in Ueber: einstimmung zu bringen. Die Ausführung dieses Gedankens hing von der. Wirksamkeit und den Ansichten der Männer ab, welche durch Karls Vertrauen dazu berufen und durch Geist und Bildung dazu berechtigt waren, und unter diesen hat keiner dem Monarchen so nahe gestanden und einen so großen Einfluß auf ihn ausgeübt, als Aleuin.

An seine Geschichte läßt sich daher am besten anlehnen, was sich auf die wissenschaftliche Richtung dieser Zeit bezieht, und seine Schriften über fast alle Fächer der damaligen Gelehrsamkeit sind die beste Quelle dafür. Der Einfluß, den er außerdem als Rathgeber Karls des Großen auf Staatsbegebenheiten und Kirchenangelegenheiten ausgeübt hat, vermehrt noch die Wichtigkeit, die er in seiner Zeit hatte, und die ihn würdig macht, der Gegenstand einer besondern Biographie zu werden. Ueber die Form und Behandlungsart der selben habe ich mich, um das Urtheil des Lesers weder für noch gegen mich im voraus einzunehmen,

erst am Ende ausgesprochen, und ich wünschte nichts mehr, als daß das Urtheil, welches sich der Leser

im Laufe der Lectüre bildet, mit den Ansichten übereinstimmen möchte, welche ich im Anfange des fünften Abschnittes entwickelt habe.

Halle, den 20. Juli 1829.

Fr. Lorenz.

« PreviousContinue »