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brifchen Thane ward (788)*). ́ Alchreds Sohn Osred bes mächtigte sich nun des erledigten Thrones und besaß ihn noch, als Alçuin in York ankam; es hatte sich aber schon eine starke Partei gegen ihn gebildet, welche den vor zwölf Jahren vertriebenen Ethelred aus seiner Verbannung zurückrief (790). Alcuin war Zeuge von dem Siege deffelben und von der Wuth und Rachsucht, mit welcher er frůhere Beleidigungen zu bestrafen und die künftige Sicherheit feiner Herrschaft zu begründen suchte. Doch dauerte es noch zwei Jahre, ehe die inneren Unruhen mit der Gefangennehmung und der Hinrichtung Osreds eine Zeitlang aufhörten. Diese Umstånde verwickelten Alcuin von neuem in Geschäfte, denen er in York hatte entfliehen wollen, und machten ihn zur Rückkehr an den frånkischen Hof ge= neigter, wo die höchste Staatsgewalt in der Hand eines kräftigen Mannes die Aristokratie niederdrückte, statt ihr Spielwerk zu seyn; als sich dieselbe Scene bald darauf noch einmal ereignete, verleidete sie ihm sein Vaterland so, daß er die Ruhe und Vorzüge von York im Frankenreiche suchte und auch endlich in der Abtei von Tours fand. Dringende Briefe Karls des Großen riefen ihn zugleich auf das feste Land zurück. Denn der König bedurfte Alcuins Rath und Gelehrsamkeit, ùm auf der einen Seite eine religiöse Lehre zu prüfen und zu unterdrücken, welche in seinem eignen Reiche aufgekommen war, und eine gefährliche Spaltung drohte, und um auf der andern Seite der Anmaßung des byzantinischen Hofes entgegenzutreten, der den auf seine Veranlassung gefaßten Beschlüssen des pseudo-dkumenischen Conciliums zu Nicåa über die Verehrung der Bilder ohne Weiteres auch für das Abendland eine rechtliche Gültigkeir

i) Lingard Gesch. von England. deutsche Uebers. von C. A. v. Salis. Bd. 17 S. 135. fg.

beilegte. Beide Punkte waren für die Religion sowohl in ihrer theoretischen Lehre als in ihrem praktischen Cultus zu wichtig und selbst für die Ruhe des Staates zu bedeutend, als daß Alcuin gleichgültig bleiben konnte; in beiden entwickelte er daher die größte und rühmlichßte Thätigkeit und nicht ohne glücklichen Erfolg für die Erhaltung der orthodoyen Lehre und der öffentlichen Ruhe. Der erste Punkt hetraf eine neue Ansicht von dem Verhålṭnisse Jesu zu Gott als Bater.

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1. Entstehung und Ausbildung des Adoptiga nismus.

Das Christenthum war kaum durch seine Erhebung zur herrschenden Staatsreligion gegen äußere Verfolgung gen gesichert, als es dem Staate, der es in sich aufgenom men, durch seine Meinungs- und Lehrstreitigkeiten gefåhrlich ward. Aus der Beilegung einer Streitfache entwickels ten sich immer wieder neue, weil keine Sprache Ausdrücke und keine Phantasie Bilder hatte, um das, was der Gea genstand dieser Streitigkeiten war, deutlich und scharf zu bezeichnen oder darzustellen. Der weltlichen Staatsgewalt aber, die während des Heidenthums die geistlichen Angelegenheiten regulirt hatte, fehlte es an Macht zu einer fråfs tigen Einschreitung, seit mit dem Christenthum ein schon ausgebildeter geistlicher Stand sich in die politische Vers fassung eingedrångt hatte, und allein auf die Bestimmung der Lehrsäge Anspruch machte. Sie konnte sich daher in diese Streitigkeiten nicht einmischen, ohne als Partei zu erscheinen, welche die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe bloß als einen Vorwand benußen wolle, um der von ihr gebilligten Meinung den Sieg und eine feste Begründung zu verschaffen. Es trat ihr also jedesmal eine Oppos fitjon entgegen, die ohne Rücksicht auf das Bestehende und

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felbst auf die Gefahr hin, Thron und Altar zu zertrůmmern, für den Triumph ihrer Ueberzeugungen fåmpfte. Die Berufung eines ökumenischen Conciliums war in dies sem Falle das einzige Heilmittel für die Ruhe des Staats; allein wenn eine solche Versammlung nach vielen Schwies rigkeiten zu Stande und nach heftigen Debatten zu einer Entscheidung kam, so ward die Entscheidung selbst gewöhn lich der fruchtbaré Keim, aus dem grausame Verfolgun= gen und neue noch heftigere und gefährlichere Streitigkeis ten hervorwuchsen. Spätere Zeiten, die andere Interes sen hatten, und kältere Geister, denen kirchliche Sagungen gleichgültig waren oder abgeschmackt vorkamen, haben in diesen Streitigkeiten Verirrungen des Verstandes gesehen, und sie als traurige Ausgeburten des Aberglaubens und der Verfinsterung beklagt; eine solche Beurtheilung ist aber zu einseitig und trivial, um wahr zu seyn. Die Regsams: keit des Geistes ist vielmehr, unter welcher Gestalt sie sich auch zeigen mag, immer erfreulich, und es kommt dabei weniger auf den Stoff an, als auf die Masse von intellectueller Anstrengung, die zu seiner Bearbeitung in Bewes gung gesezt wird. Es ist eine der größten Seiten des Christenthums, daß es zu einer Zeit, wo im ganzen Umfange des römischen Reiches die politische Freiheit unter dem, eis fernen Joche des Despotismus seufzte, dem Geiste neue Bahnen öffnete, die Trägheit mit Leidenschaften belebte und dem Menschen Muth und Kraft einflößte, seine Uebers zeugungen auch einem Tyrannen gegenüber geltend zu machen oder für dieselben zu sterben. Die Freiheit und Regs samkeit des Geistes flüchtete sich aus der Politik auf das Gebiet der Religion, und die Kämpfe über die Trinitåt oder über die Naturen Christi haben für die Geschichte des menschlichen Geistes dieselbe Bedeutung, wenn auch nicht denselben praktischen Nußen, wie die Streitigkeiten, über

politische Rechte und über die beste Einrichtung eines Staats. Ueberzeugungen find nur für den Frrthümer, der sie nicht theilt; so lange sie die geistige Thätigkeit des Menschen beleben, sind sie ehrenwerth, und wenn spåtere Zeiten sie abgeschmackt und geringfügig finden, so vergessen sie das Schicksal aller menschlichen Bestrebungen, welche mit vers änderten Interessen aufhören interessant zu seyn.

Der mystische Theil in der Geschichte des Stifters der chriftlichen Religion war für die Streitlüft der ersten Kirche ein unermeßlicher Tummelplaß und eine unerschöpfliche Rüstz kammer. Das Verhältniß Jesu zu seinem himmlischen Vater und zu der dritten Person in dem geheimnißvollen Bunde der Trinität hatte Jahre lang die christliche Welt bewegt; endlich, nach vielen stürmischen Versammlungen, nachdem sich die Leidenschaften in Verfolgungen erschöpft hatten, drang die Entscheidung des ersten ökumenischen Conciliums zu Nicâa durch, und die Gottheit Christi so wie seine Ident titåt mit dem Vater und dem heiligen Geiste ward ein Gründgefeß der rechtgläubigen Kirche. Den Arianismus, auf dessen Untergang das orthodoxe System gegründet ward, råchten bald die bedenklichen Folgen, die sich aus demselben ziehen ließen; aus dem Streite über die Trinis tåt entwickelte sich daher der noch heftigere über die eins fache oder doppelte Natur in Christo. Die rechtgläubige Lehre von der Verbindung des göttlichen Geistes mit einer menschlichen Seele und einem menschlichen Leibe und von der Einheit dieser beiden Naturen konnte um so weniger genügen, je unbegreiflicher die Art der Verbindung war, und je mehr die Verweisung auf den Glauben in den Zweis feln des Verstandes einen Widerspruch fand. Eine Bereis nigung beider war nicht möglich ohne neue folglich ohne neue Secten und Streitigkeiten. Einige nahs men einen bloß scheinbaren Körper an, um die Würde des

Lehren und

göttlichen Geistes nicht durch eine grobe Vermischung mit der Materie zu entehren; andre suchten dem Gedanken, daß Gott sich in dem Leibe einer Frau haben einschließen laffen, um auf dem gewöhnlichen Wege der menschlichen Geburt sich zu offenbaren, dadurch auszuweichen, daß sie in Jesus bloß einen vollkommenen Menschen sahen, der erst bei seiner Taufe mit dem Logos oder göttlichen Geiste erfüllt worden sey. Diese und ähnliche Ansichten vermochten indeffen das Dogma so wenig zu verdrången, daß man vielmehr allgemein anfing, in der Jungfrau Maria eine Mutter Gottes zu verehren. Eine solche in der heiligen Schrift nicht begründete Benennung war dem Patriarchen Nestorius von Constantinopel anstößig; sein Aerger darüber führte ihn zu heftigen Predigten dagegen und von einer Behauptung zur andern, bis er eine scharfe Trennung der beiden Naturen Christi in dem Glaubenssaße aussprach, daß zwar Gott und Mensch in Christo vereinigt seyen, daß man aber alles Hohe und Große nur der göttlichen Natur beilegen könne, während man alles Niedrige und Gemeine von der menschlichen Natur behaupten müsse. Bei der hohen Stellung des Patriarchen machte seine Lehre das größte Aufsehen, und fand Anhånger, aber noch zahlreis chere und heftigere Gegner, und dem Eifer derselben ges lang es nach mehreren stürmischen Synoden den keherischen Patriarchen von seinem Stuhle in die Verbannung zu stoßen und seine Anhänger der Verfolgung Preis zu geben. Das Concilium zu Chalcedon (451) fegte endlich auf die Auctoritat des römischen Pabstes Leo den noch bis auf den heutigen Tag in der katholischen wie in der protestantischen Kirche gültigen Glaubensfag fest, daß in Christo nur eine Person aber zwei Naturen seyen.

Diese Entscheidung gab den Controversen statt einer glücklichen Beendigung nur eine andere Richtung, und die

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