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Bildung, und wer unter den jungen Franken damals Lust und Fähigkeit zu lernen hatte, seine Gelehrsamkeit verdankte? Er bildet gewissermaßen den Mittelpunkt des aufgeregten Bestrebens dieser Zeit, nicht weil er der Eins zige war, der sich durch wissenschaftliche Bildung auszeich= nete, sondern weil er alle Richtungen verfolgt hatte, die damals dem menschlichen Geiste offen standen. Glänzende Thaten, auffallende Schicksale und Anderes der Art, was die Neugier reizt und unterhält, zeichnen zwar das Leben Alcuins nicht vor dem eines gewöhnlichen Mannes aus, ich müßte denn seine Kämpfe mit dem Teufel und seine Wunder aus der Legende in die Historie übertragen, — seine erfolgreiche Wirksamkeit aber wird den Vertrauten und Lehrer Karls des Großen dem denkenden Geschichtsfreunde mehr empfehlen, als Andere, die berühmter sind, ihre schimmerndsten Thaten. Wenn es die Hauptaufgabe der Geschichte ist, die Entwicklung des menschlichen Geistes in seinen verschiedenen Manifestationen zu erforschen, so wird sich unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Persönlichkeis ten richten müssen, die eine oder die andre Richtung ihrer Zeit mit dem größten Eifer und Glück verfolgt haben. Ihr Einfluß auf ihre Zeit wird um so größer feyn, je le= bendiger sie erfassen, was in Allen lebt, je mehr sie in sich vereinigen, was einzelne einzeln besigen, und es so vollkommen ausbilden, daß sie den Uebergang zu einer neuen Entwicklungsstufe machen. Bei einem so fernen und an vielfachen und verwickelten Interessen eben sowohl als an umfassenden Nachrichten armen Zeitalter, wie das Karls des Großen ist, muß es uns genügen, neben dem Könige selbst, als dem Repråsentanten der politischen und militărischen Bildung, noch eine andre Persönlichkeit auftreten lassen zu können, welche die literarische und religiöse Seite jener Zeit repräsentirt. Von diesem Standpunkte aus

habe ich Alcuins Leben und Wirken untersucht und darges stellt. Ich werde daher zuerst den damaligen Zustand der angelsächsischen Cultur schildern, um Alcuins geistige Ausbildung zu erklären. Dann werden wir denselben auf ei nen größern und interessantern Schauplah begleiten, wo er, obgleich ohne äußere hohe Würde, die seine Beschei denheit verschmähte, doch Jahre lang mehr gewirkt hat, als alle Prälaten mit den glänzendsten Titeln.

Er ster Abschnitt.

Alcuins Erziehung und Verhältnisse bis zu seinem ersten Auftreten am fränkischen Hofe.

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Das achte Jahrhundert nach Chrifti Geburt eröffnete sich unter Umstånden, die für die Künste und Wissenschaf= ten der westlichen Welt nicht ungünstiger seyn konnten. Der siegreiche Einfall der Arabér in Spanien drångte die chriftliche Bildung in die Berge von Asturien und Biscaya zurück; in dem nördlichen Italien verscheuchte die beståns dige Fehde zwischen den Langobarden und Griechen die friedlichen Musen, und bei den durch die Schwäche der Merovinger in Rohheit und innern Zwiespalt versunkenen Franken fanden sie keine Aufnahme. Deutschland und der scandinavische Norden aber war noch dem Heidenthum ers geben. Nur die Reiche der Angelsachsen boten ihnen einen Zufluchtsort dar. Die Angelsachsen waren unmittelbar von Rom aus zum Christenthum bekehrt worden, und deswes gen mehr, als irgend eine andre der abendländischen Kirchen, mit dem römischen Stuhle in Verbindung getreten. Als im Jahre 668 der Erzbischof von Canterbury, welcher

persönlich die påbstliche Bestätigung suchte, in Rom starb, beschloß der Pabst Vitalianus die Stelle desselben durch eigne Wahl zu besehen. Der von ihm ernannte Adrianus, ein Africaner, schlug aber die ihm angebotene Würde aus, und empfahl einen Mönch in Rom, Namens Theodorus, einen Eingebornen von Tarsus in Cilicien, den er zugleich auf dessen Verlangen zu begleiten versprach. Theodorus nahm seine Ernennung an, ohne daß von angelsächsischer Seite ein Widerspruch gegen diese Anmaßung des Pabstes erfolgte, und reiste darauf in einem Alter von sechs und sechzig Jahren mit seinem Freunde Adrianus nach England ab 1). Beide, in der lateinischen und griechischen Litera= tur wohl bewandert und mit beiden Sprachen gleich vers traut, erregten unter den Angelsachsen einen großen Lern eifer, und zogen eine Menge von Schülern an, unter denen Manche solche Fortschritte machten, daß sie, wie Beda sagt, des Griechischen und Lateinischen so kundig waren, wie ihrer eignen Muttersprache 2). Nach ein und zwanzig Jahren feiner_erzbischöflichen Verwaltung / starb Theodorus, sein Freund Adrianus aber überlebte ihn noch beinahe achtzehn Jahre. ` Ihre Schüler verbreiteten nach allen Gegenden Englands, ihre Lehren, und errichte ten in jedem Kloster eine Schule, sowohl zur Bildung der Geistlichen, als solcher aus dem weltlichen Stande, die ihre Neigung zu den Wissenschaften zog. Es fehlte nur an Büchern. Theodorus hatte einen Josephus und die Ges fange Homers und vielleicht noch manches Andre, was uns minder bekannt geworden ist, mitgebracht, allein doch immer zu wenig für die angeregte Wißbegier. Daher unters nahmen Manche Reisen nach Rom, um aus den dortigen

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Büchersammlungen die ihrige zu vermehren, und eine Bibliothek fing an, der Stolz und die Zierde der Klöster zu werden. So zeichnete sich Benedict, der Stifter der Abtei zu Weremouth, aus, der mehrere Reisen nach Rom dazu benutte, viele in seinem Vaterlande noch ganz unbekannte Bücher dahin zu verpflanzen. Aus seiner Schule ging einer der einflußreichsten Gelehrten des früheren Mittelal ters hervor, Beda der Ehrwürdige, dessen Gelehrsamkeit und Schriften die verschiedensten Zweige des Wissens umfaßten, und gleich denen der früheren Kirchenvåter geehrt wurden. Nicht weniger waren zu derselben Zeit Aldhelm und Winfred3) berühmt, jener durch seine Gelehrsamkeit in den Schul- und Klosterwissenschaften, dieser durch den uns ermüdlichen Eifer, mit welchem er den heidnischen Völkern Deutschlands das Christenthum predigte. Das Verdienst dieser Månner besteht weniger in neuen Entdeckungen auf dem Gebiete der Wissenschaften, als vielmehr in Erhaltung und Weiterverbreitung dessen, was die frühere Zeit hervorgebracht hatte. Sie sezten der drohenden Barbarei einen Damm entgegen, und pflegten in der Stille der Klöster unberührt von den Stürmen, welche die Welt erschütterten, die herrliche Blume der Geistesbildung, bis bef= sere Zeiten sie wiederum ans Licht hervorriefen, und jene Klöster unnüg machten, deren Zweck nun erfüllt war, und die jest wieder zum Behufe der geistigen Ausbildung herzustellen ein erfolgloser Rückschritt in die Vergangenheit ist. Unter den auf diese Weise gestifteten Schulen in den angelsächsischen Reichen gewann die zu York den größs ten Ruf, seit Egbert Erzbischof von York und Vorsteher der Schule geworden war (712). Junge Leute aus den edelsten Geschlechtern wurden hier in den Regeln der Gram

3) Der erste starb im J. 709, der andere 755.

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