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nes Reiches der erste sey 32). Es wird Niemanden mehr wundern, wie bei solchen Ansichten in dieser Zeit die Decretalen des falschen Isidorus geschmiedet roerden, und Glauben finden konnten. Wenn auch der grobe Betrug sich schon durch die äußere Form verrieth, so war doch der Inhalt nicht neu und unerhört, sondern aus schon vorhan= denen Elementen zum Theil entlehnt, zum Theil weiter daraus gefolgert. Die ganze spätere Entwicklung der rômischen Hierarchie war schon in dieser Zeit gegeben, und wenn auch durch nachherige ungünstige Verhältnisse aufgehalten doch reif genug, um bei der ersten Gelegenheit und unter der Leitung eines großen und unerschrockenen Geistes in ihrer ganzen imposanten Größe hervorzutreten.

Alcuins Ansichten über den Krieg Karls des Großen mit den Sachsen, verdienen ebenfalls eine Berücksichtigung, obgleich sie auf den Gang der Dinge selbst keinen Einfluß gewannen. Ihm konnte das Bestreben des Königs, die christliche Religion bei den Sachsen einzuführen, nur löblich scheinen; dagegen die Art, wie Karl seinen Willen durchzusehen suchte, hatte nicht seinen Beifall. Ein Mann von Karls Energie ist gewohnt, seine Plane in ihrem ganzen Umfange auszuführen, und jede Abweichung davon aus Rücksicht auf äußere Umstände für Schwäche zu halten. Den Sachsen war aber die Annahme des Christenthums, wie sie Karl verlangte, nicht bloß eine Aenderung der Res ligion, sondern auch der darauf beruhenden bürgerlichen 32) Ep. 80, p. 117: Tres personae in mundo hucusque altissi mae fuerunt: Apostolica Sublimitas, quae Beati Petri, principis Apostolorum, fedem vicario munere regere folet. Alia est Imperialis dignitas, et secundae Romae fecularis potentia. Tertia est Regalis dignitas, in qua Vos Domini nostri Jesu Christi dispensatio rectorem populi christiani disposuit, ceteris praefatis dignitatibus potentia excellentiorem, fapientia clariorem, regni dignitate fublimiorem.

Verfassung; die priesterlichen Edelinge, deren ganzer Vorrang auf ihre religiöse Stellung gegründet war, kämpften daher weniger für ihre Götter, als für ihren Rang und für ihre politische Existenz. Alcuin kannte die Art, wie seine heidnischen Vorfahren, die Stamm- und Religions verwandten der Sachsen, zum Christenthum befehrt wors den waren, nåmlich nicht durch åußere Gewalt, sondern durch Ueberredung des Königs und der Edeln, die dem priesterlichen Einflusse freiwillig entsagten, da ihnen die neue Religion durch die Bischofsstühle und die Abteien einen ähnlichen Einfluß sicherte; er glaubte daher, dem Könige ein gleiches Verfahren empfehlen zu müssen. Er rieth ihm, den Sachsen das Christenthum von seiner schönen Seite zu zeigen, und ihnen anfangs die damit verknüpften Lasten so wenig als möglich fühlbar zu machen. Vor allen Dins gen warnte er den König vor unmittelbarer Einführung des Zehnten. Denn diese aus dem alten Testamente ents lehnte Abgabe hatte die christliche Geistlichkeit der Schlauheit zu verdanken, mit der sie die Stellung der jüdischen Priester in Anspruch zu nehmen, und die Vortheile dersel ben auf sich zu übertragen gewußt hatte. Die Gründe, Alcuins machen seinem Herzen und seinem Verstande Ehre, da sie von nichts weniger, als von blindem Pfaffeneifer zeus gen: er bezweifelt nämlich zuerst, ob der Zehnte eine nothwendige Last des Christenthums sey, da sich wohl schwerlich ein Beispiel auffinden ließe, daß die Apostel diese Abgabe eingefordert, oder ihren Nachfolgern eine Berechtigung das zu hinterlassen håtten; wolle indessen Karl auf dem Zehnten. bestehen, so solle er doch wenigstens bedenken, daß eine Abgabe, zu deren Entrichtung sich kaum die alten Christen verstånden 33), das Herz der Neubekehrten von einer Lehre

33) Kärl stellte in den Capitularien über den Zehnten den Grund,

abwendig machen müsse, die sich sogleich als eine drückende ankündige; erst wenn das Christenthum von den Sachsen als ein heilbringendes erkannt, und ihnen so werth gewors den sey, daß ihnen keine damit verbundene Last zu schwer scheinen werde, möchte die Einführung des Zehnten rathfam seyn. Er dringt daher auf die Absendung von solchen Geistlichen, die mehr den Nugen der Kirche, als ihren eigenen berücksichtigen würden, und deren Persönlichkeit ges eignet wäre, ihren Lehren einen größeren Nachdruck zu geben. Zum Schlusse nennt er besonders drei Lehren, die man der Taufe vorausschicken müsse: zuerst die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele mit einer Schilderung von den Freuden, die den Guten im Himmel, und von den Qualen, die den Bösen in der Hölle erwarten; sodann von der Heis ligen Trinitåt, und endlich das wichtigste, die Lehre von der Erlösung des Menschengeschlechts durch Jesum Chriftum 34). Karl befolgte diese heilsamen Rathschläge nicht; feine Hartnäckigkeit war Schuld, daß er den sächsischen Krieg noch Jahre lang fortseßen mußte, und ihn erst bes endigen konnte, nachdem er seine Hauptgegner zum Theil hingerichtet, zum Theil vertrieben oder durch Lehengüter gewonnen hatte.

An welchen andern politischen Verhandlunger Alcuin während seines ersten achtjährigen Aufenthaltes am från

fak auf, diese Abgabe müßte fecundum mandatum Dei ents richtet werden. Obgleich er selbst mit einem guten Beispiele voranging, und die Domänen der Decimation unterwarf, (Baluz. Capit. T. I, p. 332) so hielt es doch schwer, fie allgemein einzuführen. Auf der Synode zu Frankfurt am Main im J. 794 wurde der Zehnte noch einmal eingeschärft, und der Mißwachs dieses Jahres als eine Strafe für die nicht richtige und prompte Bezahlung jener Abgabe dargestellt. Baluz. 1. c. p. 267.

34) Ep. 28, p. 37. sq.

kischen Hofe noch Theil genommen habe, ist uns unbekannt, da die von seiner ausgebreiteten Correspondenz uns erhalte nen Briefe nur die spåteren Jahre berühren; seine Haupts thätigkeit war jedoch mehr eine wissenschaftliche. Nicht bloß der König, auch die, Söhne und Töchter desselben wurs den von ihm unterrichtet. Denn je mehr Karl den Werth einer wissenschaftlichen Bildung erkannte, desto eifriger war er darauf bedacht, seinen Kindern eine sorgfältige Erziehung geben zu lassen, um nicht von ihnen denselben Vorwurf hören zu müssen, den er vielleicht im Stillen seis nem Vater machen mochte. In solchen Fällen nimmt aber die Erziehung leicht eine verkehrte Richtung; indem sie nämlich eine in der Zeit vernachlässigte und nur von wenigen anerkannte Bildung besonders zu befördern sucht, reißt sie ihren Zögling gewissermaßen aus allem Zusammenhange mit seinen Zeitgenossen heraus. Während ihm diese als Barbaren vorkommen, ist er in ihren Augen ein Weichling, und die Folge ist eine gegenseitige geistige Trennung, die auf den Staat verderblich wirken muß. Ein Beispiel dieser Art gibt die Erziehung und die daraus hervorgegan gène phantastische Richtung des deutschen Königs und rómischen Kaisers, Otto's III. Karl dagegen war weise genug, zur Vermeidung eines solchen Fehlgriffes die fränkische Nationalerziehung mit geistiger Ausbildung zu verbinden. Die schöne Einfachheit dieser Zeit spiegelt sich in dem Bilde ab, das Einhard von Karls des Großen häuslichem Leben entz worfen hat: während die Söhne in körperlichen Uebungen sich vervollkommnen, und mit dem Vater auf die Jagd reiten oder in den Krieg ziehen, um die einem fränkischen Fürsten nöthige Gewandtheir im Gebrauche der Waffen unter seinen Augen zu erlangen, bleiben die Töchter zu Hause am Webstuhle oder sind mit Rocken und Spindel be schäftigt; der Mittag vereinigt die ganze Familie an einem

Tische; auf Reisen reitet der König in der Mitte seiner Söhne, und hinter ihm folgen ebenfalls auf Pferden seine Töchter nach. Beide ließ er in allen Wissenschaften der das maligen Zeit von Alcuin unterrichten 35). Eine kleine Schrift in Alcuins Werken, die eine Unterredung desselben mit Karls zweitem Sohne, mit Pippin, zu ihrem Inhalte hat 36), gibt eine Vorstellung von der Art, wie er den Scharfsinn zu wecken, und Gewandtheit im mündlichen Ausdrucke zu befördern suchte. Pippin fragt nämlich nach einzelnen Worten, und Alcuin gibt ihm nicht eine Erklä rung des darin enthaltenen Begriffes, sondern eine Ums schreibung durch andere Worte, öder er fegt einen poëtis schen Ausdruck an die Stelle des gewöhnlichen. Manche Antworten sind treffend und pikant genug, um zum Nachdenken zu reizen. So fragt z. B. der Prinz, was die Freis heit des Menschen sey, und erhålt zur Antwort: die Unschuld! -Wenn dagegen auf Pippins Frage: was ist der Mond? Alcuin erwiedert:,, das Auge der Nacht, der Spender des Thaues, der Verkündiger von Stürmen," — fo sind dies bloß Prådicate in poetischem Gewande, die von Eigenschaften oder Wirkungen des Mondes abstrahirt sind. Am Ende wechseln Beide die Rollen, und Alcuin legt seiz nem Schüler Räthsel zur Auflösung und Fragen zur Beantwortung vor, die geeignet sind, den Geist än schnelle Auffassung und an Leichtigkeit in der Auffindnug der jeder Vorstellung entsprechendsten Ausdrücke zu gewöhnen. Aus Alcuins Briefen sehen wir, daß auch noch später die königli

35) Einhard sagt von Karl dem Großen: liberos fuos ita censuit instituendos, ut tam filii quam filiae primo liberalibus ftudiis, quibus et ipse operam dabat, erudirentur.

36) Disputatio regalis et nobilissimi juvenis Pippini cum Albino Scholastico. Opp. tom. II, p. 352 — 354.

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