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wie sie damals gelehrt wurde, hatte daher Bedeutung als ein Mittel für die Befreiung des Geistes von den Fesseln des Aberglaubens und eines bloß äußerlichen Zwanges. Ihre Ausdehnung auf alle Stånde, wie sie Karl der GroBe beabsichtigte, würde der Entwicklung des Mittelalters eine entschieden andere Richtung gegeben haben; da sich aber der weltliche Stand bald wieder als eine bloße physische Kraft der Geistlichkeit entgegenstellte, so fiel dieser der Vors theil der Geistesbildung, und bei einem jeden Conflicte über ein tieferes Interesse auch ganz natürlich der Sieg zu.

Die vier Disciplinen der Physik waren praktischerer Art; sie ließen sich auf Zwecke des gewöhnlichen Lebens anwenden. Obgleich Alcuin seine Ansichten nicht in Handbüchern systematisch entwickelt hat, so finden sich doch in dem Briefwechsel mit Karl dem Großen Stellen genug, die seine Mes thode andeuten, und des Königs Theilnahme an diesen Wissenschaften beweisen. Ihn interessirte die Astronomie am meisten. Diese Wissenschaft giebt dem noch nicht zum vollen Bewußtseyn seiner selbst gelangten Geiste einen åußern Gegenstand, an dem er sich erheben und durch den er einen Maßstab für seinen Werth gewinnen kann; denn es liegt etwas Großartiges in dem Gedanken, daß die Gesetze der Natur, denen unser materielles Daseyn huldigen muß, unferm geistigen Wesen untergeordnet seyen. Der König suchte sie zugleich zu einer genauen Bestimmung der Zeits rechnung und zu der einem geordneten Staats- und Kire chenleben so wichtigen Einführung eines festen Calenders zu benutzen. Er ließ sich von Alcuin das Mondjahr und das Sonnenjahr berechnen 19), und aus astronomischen Beobachtungen erklären, woher die bei jedem Monate überschüssigen eilfthalb Stunden fåmen, durch welche das

19) Alcuin, epp. N. 79, p. 99 — 102.

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Jahr fünf Tage sechs Stunden, und aus den leztern alle vier Jahr einen Schalttag gewånne 20). Als im Jahre 797 die Vollendung des neunzehnjährigen Cyclus die Einschaltung eines Tages nöthig machte, um eine Unordnung im Calender zu verhüten, rieth Alcuin, den Monat November zu ein und dreißig Tagen zu rechnen. Damals hatte sich aber in der Hofschule gegen seinen Willen eine neue Methode eingeschlichen, die alexandrinische Calenderberechnung, und es entstand ein Streit über die Bestimmung des Jahresanfangs. Die neue Methode wollte das Jahr mit der herbstlichen Tag und Nachtgleiche, wo das Licht der Tage kürzer, und die Finsterniß der Nächte långer wird, angefangen wissen, während Alcuin den Anfang des zunehmenden Lichts, die Winterfonnenwende, die zugleich mit der Feier von Christi Geburt zufammenfiel, für eine passendere Zeit zum Anfange des Jahrs hielt. Er spottet über seine Gegner mit einer geistreichen Bitterkeit: für die Aegypter, meint er, möchte die Finsterniß passen, er aber freue sich, mit Moses derselben entflohen zu seyn, und im gelobten Lande des Lichts zu stehen und zu bleiben; auf keinen Fall werde er, und auch der König solle nicht, in die Finsterniß Aegypti zurückkehren 21). Karl war ein fo fleißiger Beobachter des Himmels, daß nichts Auffallendes an demselben vorging, ohne seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und sein Nachdenken zu erregen. Als vom Juli 798 bis zu demselben Monat des folgenden Jahrs der Planet Mars nirgends am Himmel zu sehen war 22), frag

20) Ep. 68, p. 93.

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21) Ep. 67, p. 90. cf. 61, p. 81.

22) Dieses Phänomen wird von den meisten Chroniken unter einem der angegebenen Jahre erwähnt. So sagt der monach. Egolism. ad a. 799: Sydus Martis a fuperioris anni Julio usque ad hujus anni Julium nusquam in toto coelo videri potuit.

te der König, der den Planeten im Zeichen des Krebses dergebens gesucht hatte, bei Alcuin an, ob er durch seinen natürlichen Lauf, oder durch die Kraft der Sonne, oder durch ein Wunder den Augen entzogen würde? 23) Diese einzelnen Thatsachen sprechen hinreichend für Karls Jn= teresse an der Astronomie, und beweisen Einhards hingeworfene Bemerkung, daß der König auf die Astronomie am meisten Zeit und Mühe verwendet habe 2+). Es scheint, als habe er selbst einen deutschen Volkscalender ausarbeiten wollen; wenigstens rührt von ihm die Einführung der deutschen Monatsnamen her, die zum Theil aus dem Angelsächsischen entlehnt, zum Theil von ihm gebildet wurden. Den Januar nannte er Wintarmanoth, den Februar Hornung oder Horning 25), den März Lenzinmanoth, den April Ostarmanoth, den Mai Wunnimas noth (Wonnemond), den Juni Brachmanoth, den Juli Hewimanoth (Heumond), den August Aranmas noth (Erndtemond), den September Witum anoth (Wiesenmond), den October Windunmanoth, den November Herbist- oder Herwistimanoth, den Dez cember Heilugmanoth.

Die eigentlich wissenschaftliche Seite der Astronomie war, wie bei den andern Theilen der Physik nach Alcuins

23) Ep. 70, p. 101.

24) Einhard sagt in der Lebensbeschreibung Karls des Großen: praecipue astronomiae ediscendae plurimum et temporis et laboris impendit.

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25) Man hat diesen Namen verschieden erklärt, von den Trinkhör. nern, von dem Umstande, daß in diesem Monat die Hirsche ihr Geweih ablegen sollen, von dem Worte Gor, das soviel als Koth bedeutet. Anton (Gesch. der deutschen Landwirthsch. Th. 1, S. 44) leitet ihn von Horn, Frost, ab, und hålt Horning als ein Diminutivum für den kleinen Froßk monat im Gegensage gegen den Január.

Ansicht eine theologische. Sie sollte dem zweifelnden Gemüthe des Daseyn eines Schöpfers auf das überzeugendste beweisen, und das gläubige zur Bewunderung der göttlichen Weisheit hinreißen und in seinem Glauben bestårs fen 26). Auch der Arithmetik gab erst die Anwendung auf die Theologie ihre wissenschaftliche Weihe. Die Zahlen in der heiligen Schrift konnten nämlich den mystischen Auslegungen, welche damals Sitte waren, und zur Rechtglåus. bigkeit gehörten, nicht entgehen; es lag ein tieferer Sinn in ihnen verborgen, zu dessen Entråthselung die Arithme- tik beitrug. Alcuins Methode und sein Scharfsinn bei Verfolgung einer Richtung, die, so verkehrt sie auch scheinen mag, doch nicht ohne eine geistreiche Seite war, wird am besten aus einem Briefe zu ersehen seyn, den ich in einer wörtlichen Uebersegung mittheilen will. Dieser Brief ist an einen seiner Schüler, Namens Onias oder Daphnis, geschrieben 27), und erklärt die Stelle im hohen Liede Salomonis, wo es heißt 28):,, Sechszig sind der Könis ginnen und achtzig der Kebsweiber, und der Jungfrauen ist keine Zahl." Alcuin schreibt dars über folgendermaßen;, „Wir lesen in der scharfsinnigsten Behandlung der Zahlen, daß einige gerade, andre ungerade sind, und von den geraden Zahlen einige vollkommen, andre unvollkommen, ferner von den unvollkommenen die einen die Mehr, die andern die Minderzahl. Ungleich find alle Zahlen, welche sich nicht in zwei gleiche theilen

26) So schreibt Alcuin an den König, ep. 68, p. 93: Quid aliud in Sole et Luna et Sideribus consideramus et miramur, nisi fapientiam Creatoris et cursus illorum naturales?

27) Man findet dieses Schreiben nicht in Alcuins Briefsammlung, sondern hinter seinem Commentar über das Canticum Canticorum, tom. 1, p. 408.

28) Kap. 6, v. 7.

lassen, wie 7 oder 9; denn theilt man diese, so wird man keine zwei gleiche Theile darin finden. Jedoch auch von den gleichen Zahlen sind einige vollkommen, andre unvolls kommen. Eine Zahl ist vollkommen, wenn sie von ihren Theilen ganz ausgefüllt, und weder bei ihrer Zerlegung in dieselben gebrochen wird, noch bei ihrer Wiederzusammensehung einen Ueberschuß erhält, wie z. B. die Zahl 6; denn diese hat zu ihrer Hälfte 3, zu ihrem Drittheile 2, zu ihs rem Sechstheile 1, und verbindet man diese zusammen, so gehen sie in die Zahl 6 auf. Sie wird nicht durch Verminderung gebrochen, noch bei der Vermehrung zu groß, und darum hat der vollkommene Schöpfer, der alles sehr gut schuf, in dieser Zahl die Wesen der Welt geschaffen, um anzuzeigen, daß alles, was er geschaffen, in seiner Art vollkommen sey. — Wenn man dagegen die Zahl 8 in ihre Theile zerlegt, findet man, daß sie kleiner ist; denn zu ihrer Hälfte hat sie 4, zu ihrem Viertheile 2 und zu ihrem Achttheile 1, welche zusammengezogen nicht die Zahl 8 ausfüllen, sondern die Zahl 7; 1+2 + 4 macht 7, nicht 8, und deswegen geht der zweite Ursprung des Menschengeschlechts von der Zahl 8 aus. Wir lesen nämlich, daß in Noå Arche acht Seelen gewesen, von welchen das ganze Menschengeschlecht abstammt, um zu zeigen, der zweite Ursprung sey unvollkommener als der erste, welcher nach der Sechszahl erschaffen wurde. So ist auch unser Erlöser, der Wiederhersteller der ersten Vollkommenheit, wie Adam amì sechsten Tage aus der Jungfrau Erde geschaffen wurde, im sechsten Alter von der Jungfrau Maria als Mensch geboren worden, um die Vollkommenheit der Zahl 6, die er bei der Schöpfung des ersten Menschen gezeigt hatte, durch feine Ankunft wieder zu verkündigen. Ferner sehen wir die Progression der Zahlen in gewissen bestimmten Formen bis ins Unendliche wachsen. Die erste Progreffion der Zah

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