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gebenheiten selbst Theil genommen hatten, schrieben nas türlich anders, als ein Mönch, der nicht weit über die Mauern seines Klosters hinaus gekommen war. Wenn auch im Allgemeinen die Chronikenform als die gewöhnlichste und bequemste Art beibehalten wurde, so ist doch der Styl selbst in den Chroniken dieser und der folgenden Zeit reiner und die Darstellung ausführlicher und geschmackvoller. Alcuin scheint mir indessen am wenigsten zu einem Geschichtschreiber gepaßt zu haben. Sein gezierter und oft schwülstiger Styl würde sich mit der Einfachheit der historischen Schreibart eben so wenig vertragen haben, als seine Tendenz zum Moralisiren und zu Änwendungen für einen bestimmten Zweck des praktischen Lebens mit der Wahrheit oder wenigstens mit der Genauigkeit der Geschichte. Die historische Schilderung würde in seiner Hand ein Mittel zu einem moralischen Zweck gewesen seyn, wie man aus den Stellen seiner Briefe sieht, wo er gleichzeis tige Begebenheiten in declamatorischem Tone vortrågt und mit grellen Farben ausmahlt, um abzuschrecken oder zu ers mahnen. Unter Alcuins historischen Schriften hat man ehmals eine verloren gegangene Lebensbeschreibung Karls des Großen aufgeführt, nicht ohne die Hoffnung, daß sich vielleicht dieses Werk noch auffinden ließe. Die Quelle für diese Vermuthung und Hoffnung war die in einer Handschrift der Einhardischen Lebensbeschreibung befindliche Notiz, daß die ausführlichere Darstellung von Karls Thaten in der von Alcuin verfaßten Biographie zu finden sey 6o). Wenn anders eine solche wirklich vorhanden war, so ist zwar ihr Verlust nicht genug zu beklagen, weil an einer Persönlichkeit, wie Karl der Große, alles bedeutend ist,

69) Diese Handschrift befand sich ehmals in der Thuanischen Bibliothek. Vergl, hist, liter. de la France, T. IV, p. 339..

und man von einer Zeit, die in der abendländischen Chris stenheit eine große Umwälzung der Dinge zum Theil herbeis führte, zum Theil vollendete, nicht zu viel wissen kann; allein ich glaube, daß wir an Alcuins Biographie nichts anderes gehabt hätten, als einen Panegyricus. Wenn es überhaupt schwer ist, die Geschichte eines gleichzeitigen großen Mannes weder als Gegner noch als Bewunderer zu behandeln, also weder eine Schmähschrift noch eine Lobrede daraus zu machen, so war es für Alcuin doppelt schwer, da Karls Leben nicht abgeschlossen vor ihm dalag, und da er ihm zu nahe stand und zu eingenommen für ihn war, um sich nicht von den Bewegungen seines Gemüthes fortreis ßen zu lassen. Die ganze Annahme scheint indessen auf einer Verwechselung mit der von Einhard geschriebenen Biographie zu beruhen, da aus derselben Stellen unter Alcuins Namen citirt werden.

Die noch vorhandenen historischen Schriften Alcuins gehören dagegen einer Gattung an, die zu seiner Manier und Gesinnung paßte. Es sind Lebensbeschreibungen von Heiligen, also von Männern, die sich durch ihren Eifer für die Ausbreitung des Christenthums oder durch ihre geistliche Tugenden Verdienste und das Recht erworben hatten, får andre als ein Muster aufgestellt zu werden. Bei der Beschreibung ihres Lebens kam es daher weniger auf die historische Darstellung ihrer Thaten und Gesinnuns gen, als auf die Benußung derselben an, um dadurch die lebende Generation anzuregen; nicht allein was sie geleistet hatten, sondern auch, was sie noch leisten konnten, ist der Gesichtspunkt ihres Lebensbeschreibers. Man möchte diese Biographien Predigten nennen, denen das Leben der Heiligen als Text zu Grunde gelegt ist. Da es zur größten ihrer Stifter oder

Zierde der Klöster gehörte, das Leben

großer denselben angehöriger Bekenner gutgeschrieben zu

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besigen, so war es natürlich, daß Alcuin, als der berühmteste und ausgezeichnetste Schriftsteller dieser Zeit, seinem Kloster diesen Ruhm verschaffte. Er arbeitete ein schon vorhandenes Leben des heiligen Martinus um, und fügte, da es bestimmt war, am Todestage des Heiligen vorgelesen zu werden, die gehörige Nuzanwendung hinzu. Bald wurde er von mehrern Seiten her mit Bitten bes stürmt, auch für andre Klößter zu thun, was er für das seinige gethan hatte. Auf die Bitte des Abts Rado arbeis tete er das Leben des heiligen Vedastus um 7°), und hångte eine Aufforderung zur Nachahmung der Tugenden dieses Heiligen an. Auch der Abt von Centula, Angilbert, ersuchte ihn um eine gleiche Gefälligkeit. Auf Veranlassung desselben beschrieb Alcuin das Leben des heiligen Richas rius nach einem åltern etwas rohen Buche geschmackvoller und der Zeit gemåßer; selbst Karl der Große interessirte sich dafür so sehr, daß er dem Verfasser zu verstehen gab, er möchte es so abfaffen, als ob es für ihn bestimmt wåre 7). Nichts beweist mehr Alcuins großen literarischen Ruf, als daß ein Mann, wie Angilbert, der gewiß der historischen Schreibart mächtig war, eine Arbeit von Alcuins Hand für die größte Zierde seines Klosters hielt, und daß Karl an

70) Alcuin fagt in der Dedication an den Abt Rado, Opp. tom. II, P. 163: vitam fancti Vedasti, patris vestri et intercessoris nostri, emendare ftudui. Ueber die ältere Lebensbeschreibung, welche Alcuin, wie er sagt, emendirt, aber in der That völlig und zu einem ganz neuen Werke umgearbeitet hat, vergl. hist. liter. de la France, T. III, P. 409.

71) In der Vorrede zu dieser Biographie ad Carolum Imp. heißt es, P. 175: Dumque in iis, quae rogabant, praenotandis jam jamque animos applicarem, repente Vestrae pietatis nuntio fum praeventus, uti ea, quae tractabam, fic notarem, ficut revera fapientiae Vestrae auribus inferenda.

allem, was Alcuin schrieb, den größten Antheil nahm, und auf die Erscheinung desselben so gespannt war, wie kaum jezt das Publicum auf die literarischen Productionen der beliebtesten Modeschriftsteller. Das Leben seines Lands mannes und Verwandten, des heiligen Willibrord, schrieb Alcuin für den Erzbischof Beornrad, nicht, wie die ebengenannten, nach einer schon vorhandenen älteren Bearbeitung, sondern aus dem Gedächtnisse und nach der Tradition. Er verfaßte es zugleich in prosaischer und poe tischer Form, die erste zum Vorlesen am Tage des Heilis gen, die andre zum Privatgebrauche des Erzbischofs be: stimmt 72).

6. Ueber Alcuins poetische Schriften.

Wenn eine Sprache bis auf einen gewissen Grad ausgebildet ist, und sowohl ihre prosaische Formen als ihre Eigenschaften für dichterische Darstellungen entwickelt hat, verfällt ein nur einigermaßen sprachgewandtes Talent leicht in den Irrthum, die poetische Form für Poesie zu. halten. Die alltäglichsten Gedanken und die gemeinsten Empfindungen verbergen ihre Blöße hinter dem Rhythmus und stolzieren mit gemessenen Schritten in das Gebiet der › Poesie ein, wo man ihnen freilich nur die Verkleidung auss zuziehen brauchte, um den Efel unter dem Löwenfelle oder die Krähe unter den Pfauenfedern zu entdecken. Die hochs klingenden Tône, auf ihren eigentlichen Inhalt reducirt, würden aus Scham über ihre Leerheit verstummen. Wie auf die Masse von Dichtungen, mit denen heutzutage die deutsche poetische Literatur überfüllt ist, so paßt diese Cha rakteristik auch auf die poetischen Versuche des karolins

72) Diese Biographien stehen in Alcuins gesammelten Werken, T. II, p. 158, fqq.

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gischen Zeitalters. Die ausgebildete lateinische Sprache gibt ihre Formen her, um damit ganz gewöhnliche Gedanken herauszupugen, und alle damals bekannte Dichter des Alterthums, besonders der wohllautende Virgilius, wers den geplündert, um eine poetische Geburt des achten Jahrhunderts zu bekleiden. Es ist fast kein Schriftsteller diefer Zeit, der sich nicht auch in Versen versucht hätte, und selbst die Abschreiber schließen ihre Arbeit selten, ohne ein Paar Verse hinzuzufügen. Diese Versmacherei war um so leich ter, da man es mit der Prosodie eben so wenig genau nahm, als heutzutage mit den Reimen. Auch Alcuin hat sich in vielen Gattungen der Poesie versucht, ohne sich über die Fehler zu erheben, die fast allen Gedichten dieses Zeits alters ankleben. Selten stößt man unter den vielen kalten Spielereien des Wiges oder der Form und unter dem Schwalle von gedankenleeren hohlen Phrasen auf eine Stelle, die durch ihren Inhalt anzieht, ohne durch ihre Eins kleidung abzustoßen. Gewöhnlich sind es prosaische Gedan fen im Kleide der Poesie; sie bewegen sich in dieser ungewohnten Tracht mit Steifheit, und spielen eine lächerliche oder, wenn man lieber will, eine klägliche Figur, weil sie sich in einer für sie nicht passenden Sphäre nicht heimisch fühlen.

Alcuins Dichtungen bestehen in Inschriften, Grabschriften, Episteln, Räthseln, Fabeln, moralischen und religiösen Betrachtungen und historischen Darstellungen. Der Hexameter allein oder mit dem Pentameter abwechselnd bildet bei den meisten das Versmaß; einige sind im adonischen Metrum geschrieben, andre bewegen sich in einer freieren Form mit Reimen. Spielereien der Versification, deren die Mönchspoesie später eine Menge zu Tage förderte, kommen schon bei ihm vor; eine der gewöhnlichsten ist, den Pentameter mit der ersten Hälfte des dazu gehöri

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