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befannt war. Nach einer Unterredung, in welcher der König wahrscheinlich seinen Vorsag der Veredlung seines Volkes durch Wissenschaft und seine Verlegenheit wegen tüchtiger Männer aussprach, und Alcuin bat, der Schdpfer aller Anstalten zu werden, die er im Frankenreiche zu errichten gedachte, versprach Alcuin, wenn es seine Obes ren erlaubten, des Königs Wünschen zu willfahren, und nach Vollendung seines Geschäfts zu ihm zurückzukehren. Bei seiner Rückkehr nach York erhielt er die gesuchte Erlaubniß leicht, und nahm einige seiner Schüler als Géhilfen mit. Zu diesen gehörte Wizo mit dem Beinamen Candidus, Fredegifus oder Fridugisus mit dem Beinamen Nathanael, und Sigulfus, von denen allen noch öfter die Rede seyn wird, und die durch ihre treue ihm geleistete Hilfe sein Vertrauen verdienten und genoffen. Ofulf das gegen, der ihm ebenfalls folgte, war nicht fest genug, um sinnlichen Lockungen zu widerstehen, und versank in ein Leben, das keinem Gelehrten und noch weniger einem Geistlichen anstand. Alcuin versuchte Alles, ihn auf den rechten Pfad zurückzubringen. Er schrieb drei Briefe an ihn 12), in welchen die Sprache stark und eindringlich ist, und das Rednerische mit dem Gefühlvollen abwechselt. „Warum,“ ruft er an einer Stelle dem verlornen Sohne zu,,, warum hast du deinen Vater verlassen, der dich von Kindheit an gebildet, der dich in freien Wissenschaften unterrichtet, in edeln Sitten erzogen, und mit den Lehren des ewigen Lebens ausgerüstet hat? warum dich angeschlos

Jahre 768 zur Regierung. Wenn jene Stelle Glauben und Berücksichtigung verdient, so bezieht sie sich auf eine Sendung Alcuins an Karl als König in irgend einer uns unbekannten geistlichen oder weltlichen Angelegenheit.

12) Epp. 157. 158. 159. p. 217-220.

fen an eine Schaar Buhlerinnen, an die Gelage der Tring fer, an die Eitelkeit der Hoffårtigen? Bist du jener Jüngling, der in aller Munde lobenswürdig, in aller Au-gen liebenswürdig, in aller Ohren empfehlungswürdig war? Ach! ach! nun bist du in aller Munde des Tadels, in aller Augen des Abscheus, in aller Ohren des Verfludens werth." Er mahlt ihm die Qualen der Hölle und die Freuden des Himmels in den stärksten Farben der das maligen Zeit vor; dann sucht er auf sein Ehrgefühl zu wirs fin, und stellt ihm seinen Mitschüler Eanbald von York als Beispiel hin. Allein weder die Furcht und Hoffnung eines dunkeln Jenseits, noch der Ehrgeiz hatte bei ihm den Einfluß, welchen Alcuin hervorzubringen wünschte.

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Mit diesen Schülern als Gehilfen in seinem neuen großen Berufe kam er im Jahre 782 in das Frankenreich.

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1. Der Culturzustand des fränkischen Reiches.

Bei der Eroberung Galliens durch die Franken waren die Eingebornen ihren Besiegern an intellectueller Bildung bei weitem überlegen. Die Festsehung der Franken in Gallien hatte aber durchaus keinen Einfluß auf die Verfeinerung ihrer Sitten, und die Annahme der christlichen Religion trug weniger zur Verdrängung ihrer Rohheit, als zur Vermehrung ihres Aberglaubens bei. Statt den Siegern ihre Bildung mitzutheilen, gingen die Eingebornen vielmehr in die ihrer Ueberwinder über, oder nahmen wenigstens mehr davon an, als die andern von deutschen Stämmen unterworfenen Römer. In einer Zeit, wo die Religion das einzige geistige Interesse bildet, sind auch die Priester diejenigen, nach deren Zustand sich die ganze Cultur bestimmen läßt. Seit die Franken hohe Kirchenwürs den gesucht, war aber unter der obern Geistlichkeit ein solches Sittenverderbniß eingerissen, daß wir die vielen von Geistlichen verübten Schandthaten und Rohheiten kaum glaublich finden würden, erzählte sie nicht der heis

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lige Gregorius felbst. Unmäßigkeit im Trinken *), Meins eid 2), Hurerei und Ehebruch 3) und die abscheulichsten Grausamkeiten waren bei Bischöfen eben so gewöhnlich, wie bei den übrigen Franken. Von ihnen verbreitete sich die. Sittenlosigkeit bis in den niedern Clerus, und hätten nicht Einige dem verführerischen Beispiele der Uebrigen, widers ständen, und sich durch ein um so strengeres Leben ausges zeichnet, je tiefer die Andern gesunken waren, oder wåre nicht überhaupt die Rohheit und Unwissenheit der Zeit so groß gewesen, daß der lächerlichste Aberglauben Beifall fand, so wäre es uns unbegreiflich, wie eine Religion in Achtung bleiben konnte, deren Diener, statt in Tugenden, in Lastern den Weltlichen vorangingen. Bei dem Mangel einer Oberaufsicht über das Leben der Geistlichkeit in der ganzen christlichen Welt versank dieselbe in den unruhigen und fries gerischen Zeiten des Ueberganges der Herrschaft von den entarteten Merovingern auf den kräftigeren Stamm der Karolinger immer mehr. Daher war ein System, wie es sich anfangs im Pabstthum entwickelte, für das Mittelalter eine wahre Wohlthat. Bei der Heftigkeit, mit welcher das Pabstthum sowohl angegriffen als vertheidigt wird, bergißt man nur zu oft, daß es eben sowohl eine Zelt ges geben hat, wo dasselbe eine Wohlthat für die Menschheit war, als wo es durch den Misbrauch seiner Macht ausartete, und einem durch die Erfüllung seiner Zwecke bedings

1) Gregor. Tur. hist. ecclesiast. lib. IV, cap. 12.

2) Die Franken waren wegen ihrer Meineide verrufen; statt aber die Wichtigkeit des Eidschwurs zu heben, folgten die Bischöfe der Ansicht aller übrigen Franken. Der König Guntram wirft einem Bischofe vor, Gregor. VIII, 2: Tertio mihi, quod de episcopo dici iniquum est, pejerasti. cf. ibid. cap. 9. 3) Gregor. V, 28. und an vielen andern Stellen.

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ten Untergange entgegenreifte, Jede menschliche Einric≤ tung gestaltet sich nur durch die Nothwendigkeit der Ver= hältnisse, und verliert, wenn diese aufgehört hat, ihre Bedeutung, ohne sie jemals durch künstliche Mittel wieder zw= rückrufen zu können. Mag sich daher auch jezt die rómźsche Hierarchie mit einem Heere von Jesuiten umgeben, 'fo brauchen wir uns doch nicht mehr vor den Donnern des Vaticans zu fürchten. Wie nothwendig aber damals eine äußere von der weltlichen Macht getrennte Oberaufsicht über das Leben der Geistlichkeit war, bewies die Sittenlos sigkeit des fränkischen Clerus, und wir werden hernach bei der durchgreifenden Reform, welche Karl der Große vor= nahm, sehen, daß er bei der Begünstigung der Hierarchie sich von der Ueberzeugung jener Nothwendigkeit leiten ließ.

Karl Martell hatte wie die übrigen Lehengüter so auch die der Kirche mit Kriegsdiensten belegt, und den Geistlichen die Wahl gelassen, entweder ihren weltlichen Besigungen zu entsagen, oder die darauf ruhenden Verpflichtun= gen zu erfüllen. Die Meisten zogen eine ihrer unwürdige Lebensart dem Verluste ihrer Güter vor. Auch belohnte Karl Martell viele seiner Anhänger für die ihm im Kriege geleisteten Dienste mit Gütern und Aemtern der Kirche, und seşte Bischöfe ein, die weder Fähigkeit zu ihrem Amte, noch überhaupt einen Begriff von der Würde desselben hat ́ten *). Wenn auch durch den Eifer des h. Bonifacius un

4) Gwielieb, Bischof von Mainz, welcher bei der von Karlmann mit Hilfe des h. Bonifacius versuchten Reform im J. 745 abs gesekt wurde, mag als Beispiel dienen, wie man damals bei Besehung von Bisthümern verfuhr, und wie sich die Geistli chen selber betrugen. Der Bischof Gerold war auf einem Zuge Karlmanns gegen die Sachsen im J. 743 erschlagen worden, und fein Sohn Gwielieb pro sedando patris dolore ward Bischof an seiner Statt. Bei dem nächsten Feldzuge rächte er

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