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sten Beispiele für diese Loslösung sehen wir dort, wo die Rangverhältnisse der Bevölkerung am längsten homogen geblieben sind, d. h. in OberUngarn, in den Comitaten Liptó, Turócz, Zólyom u. s. w., hier datiert der Adel und zwar auch nur der locale Servituts-Adel aus dem XIII. Jahrhundert und ist mit geringen Ausnahmen aus dem eingeborenen BauernStande hervorgegangen. Wenn a'so ein solcher Adeliger geschaffen wird, wird das von ihm bis dahin benützte Grundstück aus der Dorfgemeinschaft ausgeschieden, in ein Stück commassiert, mit Marksteinen versehen und so mit dem Besitzthum des Betreffenden zusammen von der Gemeinde getrennt. Doch finden wir ja im allgemeinen während des ganzen XIII. Jahrhunderts, sozusagen die ganze Nation, die verschiedensten gesellschaftlichen Klassen und Stände des Landes in den Banden der auf Feldgenossenschaft fußenden Gemeinden bunt durcheinander gewürfelt. Magnaten, Kleinadel, sämmtliche kirchliche Corporationen entweder selbst, oder in der Person ihrer Lehnsleute mit dem Hofgesinde und den verschiedensten Würdenträgern und Dienstleuten: Kämmerern, Waffenträgern, Küchenmeistern, Stallknechten, Fischern, Köchen, Jägern, Falknern, Sauhirten, Spielleuten u. s. w. oder mit den Burgleuten und Burgknechten und diese wieder untereinander gruppieren sich in den verschiedensten Stellungen und Rangklassen nach Dorfgemeinschaften, ihre Besitzungen mitinbegriffen, natürlich ohne individuelles Eigenthum zu kennen und die Gemarkung gemeinschaftlich benützend. Daher kommt es, dass die Könige Andreas II. und besonders Béla IV. bemüht waren, wenigstens dem Königthume eigene Besitzungen und Burggebiete auszuscheiden. Darum wurden in alle Gegenden des Landes königliche Commissäre entsendet, die in erster Linie die Besitzungen der Privatleute von jenen der Burg- und königlichen Bediensteten, sowie die Güter dieser nach Rang und Stellung jedes Einzelnen absonderten, die unter dem Schutze der Feldgemeinschaft usurpierten oder verdunkelten Besitzrechte untersuchten und die entsprechenden Besitzantheile mit Grenz-Zeichen versehen commassierten, oder über dieselben, wenn der Betreffende mit seinen bisherigen Genossen die Feldgemeinschaft aufrecht zu erhalten wünschte, ihm zum immerwährenden Zeugnisse seines Rechtes eine Urkunde ausstellten. Diese Arbeit der königlichen Commissäre nahm fast ein halbes Jahrhundert in Anspruch. Sie haben nicht der Feldgemeinschaft, sondern dem Zusammensein der heterogenen Elemente ein Ende gemacht, aber auch das nur sehr im allgemeinen, da sie dieses an vielen Orten weiter zu belassen gezwungen waren. Die Burgleute, sowie die des Königs, waren so sehr an die gemeinschaftliche Benützung der ganzen Gemarkungen gewöhnt, dass sie, falls größere Partien so klagten sie den Commissären bleibend ausgeschieden werden sollten, allesammt zu Grunde gehen müssten.

Es ist dies nicht zu verwundern, wenn man bedenkt, dass bei der

schütteren Bevölkerung von damals und dem Mangel an Capital die Felder nur mit gemeinsamen Kräften konnten bearbeitet werden, die Früchte der Arbeit, wie die Personen selbst, nur von der Gemeinde Schutz zu erwarten hatten. Solche Gemeinden waren eigentlich nichts anderes, als Gesellschaften, welche sich aus den verschiedensten Elementen zur gemeinschaftlichen Ausnützung der Felder gebildet hatten und darum lateinisch consortium» oder «societas» hießen. Zur Zeit der Tartaren-Invasion z. B. haben sich drei adelige Grundherren des Comitates Zala, die ihrer geringen Anzahl wegen Bedenken hegten, sammt ihren Feldern den Grenzern von Karka angeschlossen und mit ihnen lange Zeit in Gemeinschaft gelebt. In Zsörk (Com. Veszprém) haben die adeligen Grundherrn 1284 einen Städter unter sich aufgenommen und mit ihm derart Gemeinschaft gepflegt, dass sie ihm von drei Gütern den sechsten, von einem aber den vierten Theil käuflich überließen und diese Gemarkungen dann gemeinschaftlich bestellten. Darum ist auch zum Eintritte eines neuen Mitgliedes immer die Zustimmung der ganzen Gemeinde nöthig. Als z. B. 1271 ein Probst zu Veszprém seine dortige Curie mit 100 Joch Feld einem Verwandten schenkte, erschien zur Uebergabe die gesammte Bevölkerung der Stadt und erkannte den Betreffenden feierlich als Mitglied der Gemeinde und als Genossen an. Doch fehlte es auch an Schattenseiten nicht. Die überwiegende Mehrheit der Daten zeigt deutlich, dass sehr bald vollkommene Unsicherheit der persönlichen Freiheit und ein bodenloses Chaos der Eigenthumsrechte eingetreten sind. Das Regestrum von Várad aus der Zeit Andreas II. wimmelt von solchen Fällen. Da nämlich in solchen Gesellschaften, welche in Feldgemeinschaft lebten, niemand ein Eigenthum hatte, sondern nur das Recht auf ein Grundstück von gewisser Größe, dieses Recht aber nicht urkundlich war, sondern nur im Bewußtsein der Gemeindemitglieder lebte, ist es natürlich, dass die Gesellschaft, wenn sie sich eines Unbequemen entledigen wollte, ihm einfach nur aufzudisputieren brauchte, dass er nicht hierher gehöre. Ein solcher hieß Extorris» («ohne Land»), sicherlich vom lateinischen «terra», denn das Gegentheil war «conterraneus», d. h. welcher mit anderen von Rechts wegen in Feldgemeinschaft lebt. Umgekehrt war es nicht selten, dass die Bauern einer Gemeinde, wenn sie fremde Güter zu den ihrigen scharren wollten, nur zu behaupten brauchten, dass der adelige Besitzer jener Güter derselben Herkunft sei wie sie, und der betreffende hatte kaum ein Rechtsmittel zu seiner Vertheidigung; die Richter selbst mussten wohl das Gottesgericht anrufen.

Doch kann dieses Bild des socialen Lebens nur die Entwicklung einer späteren Zeit, es musste die Entartung der ursprünglichen Form gewesen sein, sonst hätte es sich ja in diesem Zustande so lange nicht erhalten können. Die Gemeinden des XIII. Jahrhunderts stellen sich uns als Organisation zur gemeinschaftlichen Nutznießung der Felder dar, doch das Feld

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selbst erscheint erst viel später als Bindeglied unter den Gemeindemitgliedern. Es gab eine Zeit, wo nicht Grund und Grundbesitz an sich, sondern nur die darauf lebenden Menschen einen Wert repräsentierten. Darum schenken unsere Könige in den Stiftungsurkunden und Schenkungsbriefen des XII. und XI. Jahrhunderts immer nur meistens auch namentlich angeführte, Knechte. Was denn sonst noch? Genügte es doch damals, den Namen des Dorfes und des Knechtes zu kennen, Felder gab die Gemeinde her. Oder wenn auch bei solchen Schenkungen hie und da ein Besitz vorkommt, so ist dieser entweder ein «predium», d. h. in damaligem Sinne ein Dorf, welches sammt seiner ganzen Gemarkung verschenkt wurde, so dass es später mit den Leuten eines anderen Grundherrn in Feldgemeinschaft überhaupt nicht mehr treten konnte; oder ist es nur ein Stück Land von 1-2-3 etc. Pflugen, also offenbar ein Besitzantheil: der «Pfeil» des betreffenden Knechtes. Und in welchem Maße damals das Besitzrecht nicht auf dem Grundbesitz, sondern auf der Person beruhte, dafür bietet die Besitz-Bestätigungs-Urkunde (literæ confirmatoriæ) des Arader Capitels pro 1197 einen interessanten Beleg. In dieser Urkunde werden die kirchlichen Lehensleute bei jedem Dorfe ebenfalls namentlich angeführt, doch nach den Namenslisten heißt es: «Jeder einzelne von diesen hat mit den Bauern des Dorfes gemeinsam ein Los, und wenn ihre Zahl vermehrt wird, müssen auch die Losen entsprechend vermehrt werden» (Unusquisque istorum sortem habet cum villanis et si numerus ipsorum creverit, crescunt et sortes). Das Schicksal der kirchlichen Güter hieng also davon ab, ob die Anzahl der Knechte auf einem Orte zunahm oder nicht, dennwenn ein Knecht ohne Nachkommen starb, so verlor die Kirche in dem betreffenden Orte auch ihren Besitz. So giengen viele Kirchengüter verloren, denn eine große Anzahl der in den Stiftungsbriefen angeführten Dörfer findet sich späterhin nicht mehr unter den Besitzungen der betreffenden Kirche.

Und in dieser Zeit hatte niemand das Recht, an die Stelle der verstorbenen Hüfnern andere anzusiedeln, da die Vereinigung zu Gemeinden noch immer nach der Abstammung von einem gemeinschaftlichen Ahne geschah. Da konnte dann Freiheit, Rang, Stellung, Besitzrecht des Individuums bequem durch die Gemeinde von Generation zu Generation in Evidenz gehalten werden. Der Documente bedurfte man nicht, denn ebenso, wie in der Familie, hat auch in der Gemeinde das Bindeglied zwischen den Gemeindemitgliedern nicht der Grundbesitz, sondern die Blutsverwandtschaft gebildet. Dahin ist auch der Ursprung der Feldgemeinschaft selbst zurechtzuführen, denn erst nach endgiltiger Ansiedelung konnte die Wich

* Noch unediert. Ung. Staatsarchiv Dl. 28867.

GESCHICHTE DER FELDGEMEINSCHAFT IN UNGARN.

tigkeit des Bodens hervortreten,* bei uns aber war damals noch die Noma. den-Feldgemeinschaft in ihrer Urform üblich, wo nämlich der Feldbau in den ungeheueren Gemarkungen mit sammt der ganzen Dorfbewohnerschaft von Stelle zu Stelle wanderte, denn dies ist der Sinn des Gesetzes, durch welches Ladislaus d. Heil. verfügte, dass die Dörfer sich nicht zu sehr von ihren Kirchen entfernen.

Somit war der Boden nichts, der Mensch alles, aber nicht das Individuum, sondern die compact geschlossene Körperschaft der von einem Ahn Abstammenden. Hat sich doch selbst der König lange Zeit hindurch nicht König von Ungarn, sondern nur König der Ungarn (nicht Magyarország királya, sondern a magyarok királya) genannt.** Denn was das Reich » (ung. ország) damals war, zeigt uns recht deutlich der ursprüngliche Sinn des Wortes. Es ist bereits erwiesen, dass ország = úrság ist.*** Das Wort ist aber auch ins polnische übergegangen u. z. in einem Sinne, welcher uns ein noch klareres Bild von der ursprünglichen Function des Wortes giebt. Dort bedeutet es «Begleitung, Gefolge» (Miklosich, Etym. Wörterb. d. slav. Sprachen, 1886. p. 226), mithin war das «Reich» ursprünglich nichts anderes, als das Gefolge des Herrn, des Königs. Und thatsächlich finden wir unsere Könige des XII. und XI. Jahrhunderts von ihren Comes, Gespänen, sozusagen von ihrem Gesinde umgeben. Aus diesem ständigen Gefolge erwuchsen später die obersten Reichswürden: der Reichspalatin, Iudex Curiæ u. s. w.

Und wo war damals die Nation (ung. nemzet)? Schon der Ursprung des Wortes zeigt, dass es damals nur Geschlechter (nemzetség) gegeben hat: die Nachkommen der Eroberer des Landes, die ihrer gemeinsamen Herkunft entsprechend in kleinere und größere, geschlossene Gruppen getrennt waren. Dass diese in Feldgemeinschaft lebten, hat man bei uns schon früher anerkannt, doch mit der Rolle derselben wollen wir uns bei anderer Gelegenheit, nämlich bei der Untersuchung der Feldgemeinschaft unter den Geschlechtern u. z. im Zusammenhange mit dem ursprünglichen Volksrechte der Magyaren befassen.

In unserem Vaterlande ist aber die Institution der Feldgemeinschaft

* Vgl. die brillante Behandlung dieses Gedankens bei Summer Maine «Early History of Institutions». London, 1875. Cap. III.

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** In England war König Johann der erste, der sich am Ende des XII. Jahr hunderts König von England nannte. S. Summer Maine, 1. c. S. 73. Es ist mir wohlbekannt, dass auf authentischen, aber nicht Original-Urkunden Rex Hungaria» vorkommt, doch halte ich dies für eine Entstellung des ursprünglichen «Rex Hun garorum, denn auf Siegeln begegnen wir ausschließlich dieser Bezeichnung. Vgl. Fejérpataky Kálmán király oklevelei und besonders seine Studie in Turul, 1892. p. 133-8.

*** Vgl. Bernhard Munkácsi in «Ethnographia», 1893. 7-8. Heft.

*

noch älter, als die Landnahme, nachdem die Ungarn hier Slaven vorgefunden haben und es von allen slavischen Völkern erwiesen ist, dass sie anfangs in Feldgemeinschaft gelebt haben. Hyginus, der römische Nationalakonom, erwähnt dass Kaiser Trajan den Veteranen des römischen Heeres in Pannonien auch Felder gegeben hat, wofür jochweise ein gewisser PachtZins entrichtet wurde. Der bereits citierte englische Agrarhistoriker Seebohm aber hat nachgewiesen,** dass die Veteranen auf all diesen Pachtgütern in Feldgemeinschaft gelebt haben. Dasselbe wissen wir auch von den, den Römern unterworfenen Barbarenvölkern; von den in unserem Vaterlande an der Donau sesshaften Geten *** singt schon Horatius (Od. III. 23.):

Et rigidi Getae

Immetata quibus jugera liberas
Fruges et cererem ferunt;
Nec cultura placet longior annua
Defunctusque laboribus

Aequali recreat sorte vicarius.

Die markenlosen Feldstücke mit dem Jahr für Jahr wechselnden Landbau sind ein klarer Hinweis auf die Nomaden-Feldgemeinschaft der Geten.

Weiter reichen unsere Daten nicht zurück, doch haben wir unseren Zweck erreicht, in dem Glauben, dass es uns gelungen ist, für unser Vaterland von den ältesten Zeiten bis in die Neuzeit die Continuität der Feldgemeinschaft nachzuweisen.

KARL TAGÁNYI.

KURZE SITZUNGSBERICHTE.

Ungarische Akademie. Vortragssitzung der I. Classe am 7. Jänner. Den Vorsitz führte Classenpräses Anton Zichy. Den ersten Vortrag hielt das ordentliche Mitglied Siegmund Simonyi unter dem Titel: «Mondattani vázlatok» (Syntaktische Skizzen). Vortragender sprach von den unvollständigen Sätzen, in welchen das Subject oder Prädicat fehlt. In den wirklich unvollständigen, oder mit einem anderen Worte ungegliederten Sätzen unterscheidet unser Sprachgefühl überhaupt nicht Subject und Prädicat. Einige derselben sind ursprüngliche, primitive Ausdrucksweisen, z. B. «Villámlik!» (Es blitzt!), «Jaj!» (Weh!), «Gyerekek! (Kinder! Anrufung). Andere sind nur mit der Zeit entstanden; vor

Vgl. Pervolf: «Slavjane, ich vzaimnija otnosenija i svjazi.» Warschau. 1886. I. 111–125. S. und Kovalevskij, «Pervobitnoje Pravo.» Moskau. 1886. I. p. 1–89. ** L. c. P.

272-289.

*** Laveley 1. c. p. 87.

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