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Drittes Buch.

Das klassische Zeitalter der deutschen

Literatur.

3 weite Abtheilung.

Zweiter Abschnitt.

Das Ideal der Humanität.

Erstes Kapitel.

Kant.

1.

Es waren stolze Worte, mit welchen sich Kant als zweiundzwanzigjähriger Jüngling in die deutsche Wissenschaft eingeführt hatte. Wer etwas erreichen wolle, sagte er in seiner ersten Schrift, müsse ein gewisses edles Vertrauen in seine Kräfte sehen; solche Zuversicht belebe alle unsere Bemühungen und ertheile ihnen einen Schwung, der der Untersuchung der Wahrheit sehr förderlich sei. Er seinerseits habe sich die Bahn, welche er halten wolle, schon vorgezeichnet; er werde seinen Lauf an= treten und nichts solle ihn hindern, denselben fortzusetzen.

Kant hat diese kühne Forderung an seine Zukunft großartig eingelöst.

Indem er die herrschende Aufklärungsbildung über sich selbst aufklårte und die philosophischen Lehrmeinungen mit festem und scharfem Sinn zwang, ihm über ihre Herkunft und Daseinsberechtigung

rückhaltslos Rede zu stehen, ist er der Begründer einer neuen Anschauungsweise geworden, die bis auf den heutigen Tag noch lebendig fortwirkt, ja deren unzerstörliche Triebkraft, wie Kant siegesgewiß voraussagte, sich erst in Jahrhunderten in ihrer vollen und ganzen Herrlichkeit entfalten wird.

Bisher war die Philosophie eine lediglich dogmatische ge= wesen; d. h. sie hatte, gleichviel unter welcher Gestalt sie auftrat, für ihre Behauptungen immer den Werth vollgiltiger Münze beansprucht, ohne jemals die Nothwendigkeit zu fühlen, daß das Organ der Philosophie, das menschliche Erkenntnißvermögen, vor Allem sich selbst erst über seine Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit ausweisen müsse. Und auch Hume, welcher vor Kurzem die Menschheit aus dem dogmatischen Schlummer geweckt und der gedankenlosen Zuversicht in die Allgewalt des menschlichen Denkens die gewichtigsten Zweifel entgegengestellt hatte, war doch nur auf halbem Wege stehen geblieben; er hatte, nach Kant's Ausdruck, kein Licht in diese Art von Erkenntniß gebracht, sondern nur einen Funken geschlagen, bei welchem man wohl ein Licht håtte anzünden können, wenn er einen empfånglichen Zunder getroffen håtte. Die entscheidende That Kant's war, daß durch ihn die dogmatische Philosophie kritische Philosophie ward. Durch seine tiefgehenden Untersuchungen über die Quellen, den Umfang und die Grenzen der menschlichen Erkenntnißfähigkeit, wurde die philosophirende Vernunft eines großen Theils ihrer hochfliegenden und anmaßlichen Ansprüche entsetzt und auf das bescheidenere, aber, richtig verstanden, der menschlichen Entwicklung nur um so förderlichere Maß ihrer wirklichen Machtverhältnisse zurückgeführt.

Schon früh hatten sich in Kant die Keime dieser großen That geregt. Die wuchtvollen Einwürfe Hume's hatten ihm in die tiefste Seele gegriffen. Schritt vor Schritt (vgl. Literaturgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, Bd. 3, Buch 2, Kap. 2)

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