Page images
PDF
EPUB
[blocks in formation]
[blocks in formation]

Beiträge zur Erklärung des Gedichtes Aetna.

Das lateinische Lehrgedicht Aetna, seit Jahrhunderten das corpus vile für die Versuche einer schrankenlosen Konjekturalkritik, ist endlich in eine neue, bessere Zeit eingetreten. Früher rechnete man den Text zu den heillos verderbten, und auch die ganz hervorragende Leistung Munros vermochte dies Dogma nicht wesentlich zu erschüttern. Unter diesen Umständen durfte ich, als ich vor drei Jahren eine von der herrschenden abweichende Ansicht zu begründen versuchte (Philol. LVI 97 ff.), keinesfalls hoffen, meine Grundsätze so bald und so erfreulich bestätigt zu sehen, wie es durch die Bearbeitung von Sudhaus geschehen ist. Diese Ausgabe leitet eine neue Epoche für die Kritik des Gedichtes ein: sie bietet einen gereinigten Text und dazu einen Kommentar, der die Kunst der Erklärung auf bewundernswerter Höhe zeigt. Seitdem ist das Interesse für den entlegenen und schwierigen Stoff lebhafter geworden: von verschiedenen Seiten her hat man in manchen dunkelen Winkel hineingeleuchtet, alte Zweifel behoben, neue, fruchtbringende angeregt. Im nachstehenden soll einmal auf die stilistische Eigenart des Gedichtes eingegangen werden, allerdings, wie es der karg bemessene Raum vorschreibt, unter Beschränkung auf wenige Gesichtspunkte.

Den Ausgang nehmen wir von der ganz verschieden beurteilten Stelle 18 f. quis non Argolico deflevit Pergamon igni | inpositam: Franke (Res metrica Aetnae carminis p. 48) findet in diesen Worten eine Enallage1), so dass Pergamo ignem inpositum verstanden werden müsste, und verweist auf Claud. Paneg. Theod. 13 reducem notis imponit habenis d. i. notas habenas reduci imponit. Dürfen wir dem Verfasser der Aetna eine so weitgehende Kühnheit des Ausdruckes zutrauen? Diese Frage muss beantwortet werden, ehe wir ein Urteil über die vorgeschlagene Erklärung abgeben können. Von der Enallage leichtester Art, wie sie überall vorkommt, finden sich folgende Beispiele: 12 annua sed saturae complerent horrea messes: nicht die Scheuern sollen als jährlich wiederkehrend bezeichnet werden, sondern díe saturae messes 'Vollernten'; im goldenen Zeitalter gab es noch keine Mittel- oder Missernten. 17 ultima quis tacuit iuvenum certamina Colchos?: eigentlich sind die Colcher selbst ultimi wie die Britanni (Hor. C. I 35, 29 f.) oder die Morini (Plin. N. H. XIX S), da sie ultimas oras (Hor. C. III 3, 45 f. Liv. XXI 10, 12) bewohnen (mit anderer Enallage Lucr. I 969 siquis procurrat ad oras ultimus extremas). 54 dextramque coruscam | armatus flamma (Hor. C. I 2, 2 rubente |

1) Diese Bezeichnung wende ich an, da Hypallage auch für Metonymie (Cic. Or. 93. Quint. VIII 6,23), Eririunois (Rhet. gr. 1II 40 Sp. u. ö.) oder ȧlloiwois (Carm. de fig. 172) gesagt wird.

=

dextera; I 35, 18 manu ... aena). 132 praccipiti... terra, kaum noch als Figur empfunden. 145 occultamque fidem 'Beweis für das, was den Augen verborgen ist', demnach soviel wie occulti fidem (umgekehrt 174 antiqui faciem antiquam faciem; 276 occulto terrae; 381 oppositi moles = oppositas moles3)). 221 iners quae causa silenti: nicht die causa, die etwas bewirkt, ist iners, sondern das silentium, das sie bewirkt. Liest man silendi, das nach Alzinger (Blätter f. d. Gymnasial-Schulw. XXXV 273) auch im Pithoeus angemerkt ist, so muss iners aktiv gefasst werden (iners frigus, somnus; Plin. N. H. XVI 227 aequalitate inerti); an ein Oxymoron wird doch kaum zu denken sein (s. Loewe, de nonnull. fig. quib. poet. lat. utuntur p. 10). 460 sollicitat ... vicina incendia saxum. 469 atra sonant examina harenae. 587 Philomela canoris | evocat in silvis: die von Vogelstimmen klingenden Wälder muten unser Sprachgefühl gar nicht fremdartig an, doch vermag ich bis jetzt nur ein Beispiel mitzuteilen, Plin. N. H. IV 31 Penius... canorus avium concentu. Vergil hat nur den eigentlichen Ausdruck: G. II 328 resonant avibus virgulta canoris. Unserem Dichter mag hier (wie 298 canit) Lucr. I 256 frondiferasque novis avibus canere undique silvas vorgeschwebt haben. 589 solis Tereus ferus exulat agris: diese Enallage ist seit Plautus (s. Schulze, Qu. epic. p. 251 adn.) häufig und auch der Prosa nicht fremd (Vorbilder vielleicht Verg. G. III 249 solis erratur in agris. A. V 613 in sola . . . acta. XI 545 solorum nemorum. 569 solis . . . montibus). 617 stulta cervice. Diesen Beispielen reiht sich an 282 unde reperta quies et multo foedere pax est: Tac. H. I 77. III 71 in multa pace. IV 35 multa pace, demnach foedere facto multa pax est: dem weithin herrschenden Frieden steht die auf dem ganzen Ausbruchsgebiete (201. 329 tota ... Aetna) eintretende Thätigkeit gegenüber. Der Enallage verwandt scheint 7 in nova Pierio properent a fonte sorores | vota: neu ist eigentlich das Ziel, auf das sich die Gelübde beziehen (s. Kiessling zu Hor. S. II 6, 1). 204 dagegen kann kaum noch als Figur gelten: neve sepulta novi surgant in bella gigantes; ein Spielen mit dem Begriffe sepelire lässt sich allerdings nicht verkennen. Nur angemerkt zu werden braucht der Ersatz eines attributiven Genetives durch ein Adjektiv: 260 aurea vena. 280 caelestis . . . minas3). 536 venae . . . molari.

2) Zu oppositi moles führen weder Alzinger noch Sudhaus oder Walter (Bl. f. d. Gymn.-Schulw. XXXV 588) eine Parallelstelle an, vgl. aber aggeribus ruptis cum spumeus amnis | exit oppositasque evicit gurgite moles. Das steht freilich in der Aeneis (II 496 f.), und die will Sudhaus (S. 83) ganz aus dem Spiele gelassen wissen. Er selbst nennt aber doch 299 subremigat unda eine rein äusserliche Entlehnung aus A. X 227. Es ist eine bewusste Anspielung, und dieser Umstand entschuldigt den nicht ganz sachgemässen Gebrauch der Wendung (richtiger Plin. N. H. IX 88); der Dichter muss angenommen haben, dass seine Leser das Citat als solches empfinden würden. Hierher rechne ich auch 587 Erigone, sedes vestra est, denn so muss doch wohl verbunden werden, nicht sedes vestra est: Philomela canoris | evocat in silvis; diese Form der Anrede kann des Vokatives füglich nicht entbehren (8. Belege und Litteratur bei Forbiger zu A. I 140. IX 525). Der Name Erigone ruft dem Dichter zugleich die mit ihr eng verbundenen Gestalten, den Vater Ikarios und die treue Maira, ins Gedächtnis. Diese figura per personas (Rhet. lat. min. p. 56.) ist allerdings homerisch und findet sich auch sonst in Dichtung und Prosa; zunächst fühle ich mich aber immer an vestras, Eure, domos (I 140) oder vos, o Calliope, precor (IX 525) erinnert. 260 quaeritur argenti semen, nunc aurea vena hat sein Vorbild in A. V 830 f., wie auch Franke (p. 54) bemerkt; die humida nubes (335ff.) kann ebenso gut aus A. II 605 f., wie aus Ov. M. VIII 2 f. stammen. 337 receptus hätte man im Hinblicke auf A. XI 527 nicht so leichthin preisgeben sollen; Sudhaus setzt es mit Recht wieder ein. 441 f. erinnert ebenso an A. XI 527, wie an I 3. Bei solcher Frage verdienen auch Kleinigkeiten Beachtung, z. B. die Messung Symaethi (508), die nur noch in der Aeneis (IX 584; vgl. Anth. Gr. VI 203, 6) vorkommt. Das sprachliche Verhältnis der Aetna zur Aeneis bedarf einer sorgfältigen Prüfung.

3) Mit subter | caelestis migrasse minas vgl. Plin. N. H. II 214 qui negent subtermeare sidera. Auch migrare in diesem Sinne hat Plinius oft, z. B. XVII 66. XXXI 3 in caelum migrare aquas.

=

Das waren durchaus leichte Fälle, und wer Beispiele dafür sucht, findet sie bei allen Dichtern (Sammlungen von Elster, Comm. de Hypallage. Pgr. Helmstedt. 1845. Schmitt, Über Prolepsis. und Enallage. Pgr. Amberg. 1858). Kühner sind schon die folgenden Wendungen: 292 praecipiti... sono = praeceps sonansque. Das ist vergleichbar mit 169 densaque premit . ruina densus) premit <ventus> ruensque und 171 saevo quassat hiatusaevus quassat hiansque). 297 carmineque irriguo magnis cortina theatris: die Theaterorgel wird durch Wasser getrieben, konnte demnach mit dichterischer Freiheit selbst vielleicht irrigua genannt werden; die Übertragung auf das carmen jedoch ergiebt eine schwer übersetzbare Verbindung; viel natürlicher erscheint uns 28 ignibus irriguis. 524 seu forte madentes | effluit in flammas sc. lapis molaris übersetzt Sudhaus: ob er in Flammenbäche zerfliesst'; was heisst aber madentes flammas? Mich erinnert der Ausdruck an Hor. C. I 37, 6 dum Capitolio | regina dementis ruinas | funus et imperio parabat. Wie hier die Vorstellung des Wahnsinnes, für unser Gefühl, untrennbar an der Königin haftet, so erwarten wir dort lapis madens effluit in flammas: 'der Stein schmilzt und ergiesst sich in Flammenbäche'. Schon Jacob verwies auf Claud. Rapt. I 242 nec flumine tanto | incoctum maduit lassa cervice metallum. Vom Schnee (Ov. Her. 13, 52 nivis... sole madentis) wird das Wort leicht auf das schmelzende Metall übertragen. Eine uns fremde Vorstellung scheint v. 597 zum Ausdrucke zu bringen: nunc tristes circa subiecta altaria cervae - wir würden circa cervam altaribus impositam erwarten, brauchen aber doch nicht anzunehmen, dass der Dichter, etwa unter dem Zwange der Versnot, kurzweg den Gedanken. auf den Kopf gestellt hat. Sudhaus verweist auf das pompejanische Wandgemälde im Museo nazionale zu Neapel (Baumeister, Denkmäler I 755), wo die Hirschkuh über dem Altare schwebt. Um die Vorstellung dieses Schwebens im Leser zu erwecken, mag die für uns auffallende Form des Ausdruckes gewählt sein). Am schwersten von allen will uns aber doch v. 578 eingehen: nunc gemina ex uno fumantia sacra vapore (sacra Scal. für saxa, das leicht aus 577 einschleichen konnte). Die Sage, die hier berührt wird, kennen auch andere: Hygin. Fab. 71b Eteocles et Polynices inter se pugnantes alius alium interfecerunt. His inferiae communes cum fiunt Thebis, fumus separatur 68 His cum Thebis parenta[re]tur etsi ventus vehemens es[se]t, tamen fumus se nunquam in unam partem convertit, sed alius alio seducitur. Paus. ΙΧ 18, 3 Εξῆς δέ ἐστι τῶν Οἰδίποδος παίδων μνήματα, τὰ δ ̓ ἐπ' αὐτοῖς δρώμενα οὐ θεασάμενος πιστὰ ὅμως ὑπείληφα εἶναι. φασὶ γὰρ καὶ ἄλλοις οἱ Θηβαῖοι τῶν καλουμένων

4) densa weist auf 150 contenta, 153 densus ... spiritus zurück. Ich sehe noch immer keinen Grund, das einstimmig überlieferte est am Ende von 170 zu tilgen: nunc Euri Boreaeque Notus, nunc huius uterque est· der Vers besteht zu Recht und stützt zugleich die Lesart von G densaque premit, die schon durch die Enallage empfohlen wird. Das Semikolon nach ruina muss demnach bleiben; im übrigen s. Philol. LVI 102.

5) Wie ein gefangenes Raubtier, das in furchtbarer Wut, den Rachen weit aufreissend, mit den Tatzen an das Käfiggitter schlägt, so rüttelt die in der Erde eingeschlossene Luft an den Schranken ihres Kerkers. Das kraftvolle Bild erinnert an Lucr. VI 197 ff. <venti) magno indignantur murmure clausi | nubibus, in caveisque ferarum more minantur, | nunc hinc nunc illinc fremitus per nubila mittunt, | quaerentesque viam circumversantur. quassat gewinnt an Wucht, wenn wir es ohne Objekt lassen (168 turbanti, 169 premit, 304 turbant, 588 evocat, 624 pascunt, 553 sufferre (?); vgl. Birt, Philol. LVII 608), also: hinc venti rabies, hinc saevo quassat hiatu, | fundamenta soli trepidant urbesque caducae | inde, neque est aliud, si fas est credere, mundo | venturam antiqui faciem veracius omen. Hinc-inde stehen ebenso wenig im Gegensatze, wie 80 f. hi-illi, 271 f. illae-haec. Die Satzpause nach dem ersten Trochäus findet sich wiederholt.

*) Ähnliche Künsteleien bei Vollmer zu Stat. Silv. III 2, 68. 130.

« PreviousContinue »