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bisher hat noch niemand die Grenze dessen gefunden, was der Körper als solcher leisten könne. Er weist auf die Nachtwandler hin, die/ohne Bewußtsein und Gedanken die kompliziertesten Bewegungen ausführen. Heute hätte er vielleicht/ auf die hypnotischen Vorgänge hingewiesen, etwa auf die posthypnotische Wirkung der Suggestion. Einer Person wird im hypnotischen Schlaf der Auftrag gegeben, morgen Mittag um zwölf Uhr in ein bestimmtes Haus zu gehen/ und mit dem Taschentuch zum Fenster hinaus zu winken. Sie weiß nichts von dem Auftrag, fie hat keine Erinnerung an das, was/ im hypnotischen Zustand mit ihr vorging, aber wenn die Stunde da ist, macht sie sich auf den Weg und vollzieht den Auftrag. Wie anders läßt sich der Vorgang konstruieren, als daß man annimmt, die Worte des Hypnotiseurs haben dem Gehirn eine bestimmte Disposition gegeben, und nun/wird durd) den Glockenschlag die Reihe von Bewegungen ausgelöst, nicht anders wie die Bewegungen der Weckeruhr, wenn der Zeiger die eingestellte Stunde überschreitet. Daß unendlich viel kompliziertere Auslösungen stattfinden können, als wir mit unseren Maschinen erreichen, ist nicht überraschend. Mit den fünfhundert oder tausend Millionen Zellen der Hirnrinde, die alle wieder aus ungezählten, überaus komplizierten und verschiedenartigen chemischen Molekülen zusammengesezt und durch zahllose Leitungsbahnen mit einander verbunden sind, /wird sich ja etwas ganz anderes machen lassen, als mit den paar Rädern und Hebeln unserer Maschinen, und wenn in Wirklichkeit unsere Physiologen damit noch so gut wie gar nichts machen können, so ist doch der Phantasie damit ein grenzenloser Spielraum eröffnet. Das muß man übrigens auf alle Fälle sich deutlich machen: wenn die Seele bei jenen Vorgängen als Ursache beteiligt ist, so ist sie es doch nicht durch ihre Erkenntnis; sie bewirkt die Bewegungen, z. B. der Finger des Schreibenden, sicherlich nicht durch eine Einsicht in die Natur und Lage der Nerven und Muskeln, sondern auf eine absolut geheimnisvolle Weise. Die Seele bewegt die Glieder, das heißt demnach im Grunde nur mit anderen Worten sagen: ich weiß nicht, wie der Körper bewegt wird. Auf keine Weise kann die Zweckmäßigkeit der Bewegungen durch bewußte, von Erkenntnis der Mittel geleitete Zweckthätigkeit der Seele erklärt werden.

Damit wäre also der Naturforschung die ganze Körperwelt ohne

Einschränkung zur unbedingten Verfügung gestellt. Sie mag nun sagen: für mich ist das Wirkliche nichts als Körper, alle Vorgänge in der Natur sind mit meinen Mitteln, find ausschließlich aus Bewegungen und Bewegkräften der materiellen Elemente zu erklären; die Hypothese einer Seele, eines Geistes, eines Gottes, mit denen früher die Physik operierte, habe ich nicht nötig; nirgends führt mich die Kausalreihe auf etwas, was nicht der physischen Welt angehörte ; ja, würden mir solche Dinge von anderswoher zur Verfügung gestellt, so würde ich doch gar keinen Gebrauch von ihnen machen wollen und fönnen.

Das wäre die eine Seite der Sache. Ich denke, auch der Materialismus hat Ursache, damit zufrieden zu sein.

Wir wenden uns nun zu der anderen Seite, zu dem zweiten Saz, der oben als Konsequenz der parallelistischen Theorie bezeichnet, wurde: psychische Vorgänge sind nicht Wirkungen physischer Vorgänge." Er ist nur die Kehrseite des ersten Saßes, genau so begründet, so ein leuchtend als jener: könnte ein Gedanke Wirkung von Bewegungen sein, so ist schlechterdings nicht abzusehen, warum eine Bewegung nicht Wirkung eines Gedankens sein sollte. Sehen wir zu, was für Folgerungen aus ihm sich ergeben. Ich fürchte, sie werden nicht bloß den Metaphysikern des Materialismus,' sondern auch den Physiologen etwas schwer eingehen. Ich sehe aber nicht wie darum herum zukommen ist.

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Ich höre die Schläge einer Glocke. Das ist die Wirkung, sagt die gewöhnliche Betrachtung, der Erzitterung der Luft; die Erregung des Gehörsnerven ist Ursache der Empfindung. Das ist unmöglich, sagt unsere Theorie; eine Empfindung ist ein psychischer Vorgang, kann also nicht Wirkung einer Bewegung sein. Aber wovon ist sie denn die Wirkung? Denn daß sie eine Wirkung, nicht ein isolierter dem Gesez der Kausalität nicht unterliegender Vorgang ist, nehmen doch alle an; auch diejenigen, die an Willensfreiheit glauben, betrachten Empfindungen als verursacht. Wodurch also ist die Empfindung verursacht? Von einem in der Seele des Hörers vorhergehenden Bewußtseinsvorgang? Aber offenbar nicht, denn sie tritt in zeitlicher Folge auf jeden beliebigen Bewußtseinsvorgang ein. Es muß also die Ursache außerhalb der eigenen Bewußtseinszustände gesucht werden.

Also doch die Schallwellen, welche von der angeschlagenen Glocke ausgehen? Oder giebt es noch eine andere Möglichkeit ?

In der That, es giebt noch eine andere Möglichkeit; es ist die Hypothese Spinozas und Fechners, die Hypothese des universellen Parallelismus: kein psychischer Vorgang ohne begleitende Bewegung, kein Bewegungsvorgang ohne begleitenden psychischen Vorgang. Wenn wir diese Hypothese annehmen, dann ist einleuchtend, daß wir um jene Schwierigkeit herumkommen; dann werden wir sagen: die Bewegungen, die von der Glocke ausgehen, haben lediglich Nervenerregungen und Gehirnvorgänge zur Wirkung; die Empfindung dagegen ist die Wirkung der jene Erzitterungen der Moleküle begleitenden inneren Vorgänge.

wir/uns

Ich beeile mich hinzuzufügen: wir kennen diese inneren Vorgänge nicht, gegeben sind uns die Bewegungen, nicht ihre psychischen Begleiterscheinungen. Die sind uns bloß an einem Punkt gegeben, im Selbst= bewußtsein, dessen Vorgänge wir als Begleiterscheinungen der Vorgänge im Nervensystem unseres Leibes konstruieren. Dagegen ist uns die Außenwelt nur von der physischen Seite, als bewegte Körperwelt gegeben; die Innenseite denken wir hinzu. Praktisch wird daher an unserer Konstruktion der Vorgänge durch jene Hypothese nichts ge ändert; wir werden nach wie vor sagen: die Schallwellen verursachen Tonempfindungen, der Nadelstich verursacht Schmerz.' 'Nur in einer legten Überlegung werden wir uns ein für alle Mal sagen: jene Formeln sind im Grunde ungenaue Ausdrücke; eigentlich müßte es heißen: die uns nicht gegebenen Vorgänge, deren physisches Äquivalent/ jene physikalischen oder chemischen Vorgänge find,/ find die Ursachen dieser psychischen Vorgänge. Es steht damit, um/einen oft gebrauchten Vergleich zu wiederholen, wie mit der Kopernikanischen Theorie; wir machen uns ein für alle Mal das Verhältnis klar, und fahren dann ruhig fort, in der alten Weise von Sonnenaufgang und Untergang zu reden. So hier: zwei Seiten der Wirklichkeit sind gleich ausgedehnt, jedem Moment der einen entspricht ein Moment der andern Seite, den physischen Vorgängen a, b, c entsprechen die psychischen Vorgänge a, ß, 7. Ein kausales Verhältnis findet an sich nur zwischen Gliedern derselben Reihe' statt; da uns aber nicht die Glieder beider Reihen lückenlos gegeben sind, sondern bald auf der

einen, bald auf der andern Seite Glieder ausfallen, so substituieren wir dafür Glieder der anderen Reihe.

Also praktisch wird unsere Auffassung der Vorgänge durch jene Hypothese eigentlich nicht verändert. Dagegen ist leicht zu sehen, daß fie für unsere Weltanschauung allerdings sehr bedeutsame Folgen hätte. Wir wären damit auf den Boden einer idealistischen Welt= anschauung übergetreten. Denn das liegt auf der Hand, sind die physische und die psychische Seite der Wirklichkeit gleich ausgedehnt, dann werden wir sagen: die psychische Seite ist die Darstellung der Wirklichkeit, wie sie selbst für sich selber ist, die physische Seite sinkt dagegen zur äußeren Erscheinung herab. Der Fortschritt von Spinoza zu Leibniz ist in dieser Absicht unvermeidlich.

Wie steht es nun aber mit dieser Vorstellung? Ist sie mehr als ein bloßes Auskunftsmittel, um) jener Schwierigkeit der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele zu entgehen? Ist sie wirklich eine glaubliche Ansicht von der Natur der Dinge? kann man mit der Vorstellung Ernst machen, daß nicht bloß einigen vereinzelten, sondern allen körperlichen Vorgängen irgend welche inneren Vorgänge parallel gehen? Offenbar ist das die Kardinalfrage der Ontologie. Die Antwort auf die Frage nach der Ausdehnung der Beseelung ist der Punkt, an dem die metaphysischen Weltansichten eigentlich auseinander gehen.

Die gemeine Vorstellung (und ihr folgend die in den Kreisen der Physiker herrschende Anschauung) ist mit der Frage nach der Ausdehnung des Seelenlebens schnell fertig: Bewußtseinsvorgänge find Begleiterscheinungen von Gehirnvorgängen; Tierkörper sind die einzigen Träger seelischen Lebens; alle übrigen Körper sind bloß Körper.

Es liegt auf der Hand, daß wir mit dieser Antwort auf dem Boden einer materialistischen Weltanschauung stehen bleiben. Die Be: wußtseinsvorgänge bleiben dann vereinzelte Nebenvorgänge des Naturlaufs; sie sind für den Naturforscher wunderliche Anomalien, mit denen er nichts Rechtes zu beginnen weiß. Er kann sie nicht los werden, ihre Wirklichkeit ist ja unbestreitbar; aber sie verursachen ihm Unbehagen; ohne sie wäre das System bewegter Körper, das er Welt oder Natur nennt, ganz durchsichtig und rational; sie nötigen ihn zu jenem fatalen ignorabimus. Das einzig Tröstliche dabei ist, daß es mit ihnen doch

nicht viel auf sich hat; sie stören den Naturlauf wenigstens nicht)und große Bedeutung ist diesen vereinzelten, in der Masse verschwindenden Vorgängen vom kosmischen Standpunkt aus offenbar nicht beizulegen.

Ist damit die Sache erledigt, dann behält der Materialismus auch bei der parallelistischen Ansicht im wesentlichen Recht.

Die Philosophen haben nun bei dieser Erledigung der Sache sich niemals beruhigen wollen. Bei ihnen ist von jeher eine Neigung bemerklich, jenen Vorgängen eine größere Bedeutung beizulegen. Von den Anfängen der griechischen Philosophie bis auf unsere Tage hat die philosophische, das heißt die universelle Betrachtung der Wirklichkeit über die physikalisch-astronomische Ansicht hinausgeführt und dem Wirklichen im Ganzen wie im Einzelnen ein inneres, ideelles, geistiges Prinzip zuzugesellen für notwendig erachtet. Plato und Aristoteles, Spinoza und Leibniz, Schelling und Schopenhauer, Loße und Fechner, soweit ihre Gedanken im übrigen auseinander gehen, darin kommen sie alle überein, daß das Geistige nicht jene Rolle eines vereinzelten Nebenvorgangs in der Welt spielt, daß vielmehr alles Körperliche Hinweisung ist auf ein Anderes, ein Inneres, Intelligibles, für sich Seiendes, das dem verwandt ist, was wir im eigenen Innern erleben. Wer diese Auffassung teilt, daß dem Geistigen die Bedeutung eines universellen und kosmischen Wirklichkeitsprinzips zukommt, der steht, wie er im übrigen die Sache sich zurechtlegen mag, auf Seiten des Idealismus.

Ich will im folgenden nicht einen Beweis für die Wahrheit dieser Anschauung versuchen, es ist mit dem Beweisen auf dem Boden der Metaphysik eine mißliche Sache, aber ein paar Betrachtungen vorlegen, die auf einen solchen Abschluß unsrer Weltanschauung hinzudrängen scheinen. Sie mögen, wenn sie weiter nichts bedeuten, als rationes dubitandi gegenüber dem harten Dogmatismus der 'gemeinen Meinung und der physikalischen Weltansicht gelten.*)

*) Ich möchte den Leser hier auf eine kleine Schrift Fechners aufmerksam machen: „Über die Seelenfrage“ (1861). Fechner nennt das Schriftchen auf dem Titel: einen Gang durch die sichtbare Welt, die unsichtbare zu finden. Dieser oft angetretene Gang ist nie mit größerer Sicherheit vollendet worden. In erstaunlicher Weise vereinigt Fechner die Besonnenheit des Naturforschers mit der allseitigen Umsicht des Philosophen und der beweglichen Phantasie des Dichters. Die Ausdehnung Paulsen, Einleitung. 2. Aufl. 7

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