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Zentralkörper als freischwebender Ring und aus dem Ring wurde durch Zerreißung ein selbständiger Körper. Dieser Prozeß wiederholte sich und so entstand das System der um die Sonne als Zentralkörper rotierenden Planeten. Einer dieser Planeten ist unsere Erde. Ursprünglich ein glutflüssiger Tropfen kosmischer Materie, kühlte sie sich all-mählich so weit ab, daß sich eine feste Rinde bildete und der Wasserdampf sich zu Wasser verdichtete. Jeßt erst konnte organisches Leben entstehen; in primitivster Gestalt, in winzigen Protoplasmaklümpchen, / trat es zuerst auf; allmählich gewannen diese Körperchen innere Struktur, es entstanden Zellen mit Hülle und Kern und der Fähigkeit, sich durch Teilung zu vermehren und zu einem komplizierten System zusammenzuordnen. Mit der fortschreitenden Differenzierung der Teile, ihrer Umbildung zu ungleichartigen Organen, schritt zugleich die äußere Differenzierung fort, die Entwickelung mannigfaltiger Formen der Lebewesen. Endlich erhob sich aus einem Zweig des vielgestaltigen Tierreichs der Mensch und erlangte ein erst langsam, dann immer rascher wachsendes Übergewicht über die anderen Glieder, so daß ihm als er anfing, über seine Herkunft sich zu besinnen, eine Verwandtschaft mit der niederen Welt völlig unglaublich vorkam und er sich eine vornehmere Abkunft aussann. Die Naturwissenschaft hat diesen Traum zerstört; sie zeigt, daß er nicht als Göttersohn in vollendeter Gestalt in die fertige und seiner wartende Schöpfung eingetreten ist, sondern als ein armer Staubgeborener, mühsam mit Gleichgeborenen um die Eristenz kämpfend, sich emporgerungen hat. Unzählige Generationen, von denen keine Geschichte berichtet, sind dahingesunken, bis endlich im Kampf ums Dasein die ganze Organisation und besonders sein Gehirn soweit sich entwickelte, daß es zum Träger eines geistiggeschichtlichen Lebens werden konnte.

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Das ist die Vergangenheit des Geistes auf Erden, des einzigen, von dem wir wissen. Und die Zukunft?

Die kosmische Physik, so sagt man, läßt uns nicht im Zweifel, daß das Leben und mit ihm der Geist, wie sie einen Anfang gehabt haben, so auch ein Ende nehmen werden. Es wird die Zeit kommen, wo es keine Sonne am Himmel mehr geben wird. Ihre Wärmemenge ist nicht unendlich groß; da sie beständig ausgiebt ohne entsprechenden Ersaß, so muß sie sich erschöpfen. Längst ehe es geschehen

sein wird, ist die Erde erstarrt. Die Quelle aller Bewegung und alles Lebens auf ihrer Oberfläche ist die Sonnenwärme; eine verhältnismäßig geringe Verminderung der Wärmezufuhr ist ausreichend, zunächst das organische Leben verschwinden zu machen; zuleßt wird der ganze Erdkörper regungsloser, eisiger Erstarrung amheimfallen.

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Solche Ausführungen sind wohl geeignet, /einen überwältigenden Eindruck von der Kleinheit und Geringfügigkeit des Lebens zu geben. Wie ein Laib Brot sich mit einem Schimmelüberzug, einer Welt lebender Pflanzen, bedeckt, so bedeckt sich die Erde/in einem Moment ihrer langen Entwickelung mit einer Welt lebender Organismen, darunter auch, als eine Spielart dieser Bildungen, der Mensch. Nach kurzem Aufblühen sinkt diese Welt wieder in Nichts zurück, aus dem sie kam; Eines allein bleibt: die ewige Materie und die Geseze ihrer Bewegung. Zwischen der unendlichen Vergangenheit, in der es kein Leben gab, und der unendlichen Zukunft, in der es kein Leben geben wird, taucht der Augenblick der Gegenwart und des Lebens auf, ein Augenblick, wenn wir ihn auch mit Jahrmillionen messen und nicht ausmessen; und in diesem Augenblick zeigt ein kleiner Teil der unendlichen Materie jenes wunderliche Phänomen des Phosphoreszierens gleichsam, das wir Selbstbewußtsein oder geistiges Leben nennen ein kurzes zwischenspiel, das, so groß und wichtig es uns vorkommen mag, für das große Universum ein schlechthin unerhebliches Accidenz ist. Die Materie und die Bewegung ist das Wirkliche, und jene seltsame Verkleidung, in der die Bewegung einen Augenblick auftritt, bedeutet für das Universum so viel wie nichts - „das kurze Spiel einer Eintagsfliege, schwebend über dem Meer der Ewigkeit und Unendlichkeit.“*)

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*) Ludwig Büchner, Kraft und Stoff; 16. Aufl. (1888) S. 239. Dieses Werk kann man immer noch als typische Darstellung der materialistischen Weltanschauung in unserer Popularphilosophie ansehen, obwohl der Verfasser selbst die Bezeichnung des Materialismus für seinen Standpunkt ablehnt; nicht mit Unrecht, denn die Grundbegriffe find so unbestimmt und vielfältig, daß man sie beinahe unter jede metaphysische Kategorie bringen kann. Als feste Punkte treten allein hervor: es giebt keinen Gott und keine Zwecke in der Natur, und es giebt keine besondere Seelensubstanz mit Unsterblichkeit und Freiheit. Man mag das Buch

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in philosophischer Hinsicht geringwertig, man mag seine Behandlungsweise und feinen Stil unerfreulich, sein Ungeschick im begrifflichen Denken unerträglich finden, so bleibt doch die Thatsache, daß es seit 1855 in 16 Auflagen von dem deutschen

3. Über die praktischen Konsequenzen des Materialismus. Einer Prüfung des theoretischen Werts der soeben dargelegten Ansicht schicke ich ein paar allgemeine Bemerkungen vorauf.

Zuerst ein Wort über die Neigung des Materialismus, das Geistige herabzuseßen und mit einer gewissen Geringschäßung als einen unerheblichen und unwesentlichen Nebenerfolg des Naturlaufs anzusehen.

Ich meine, wie groß oder wie klein die Rolle sein mag, die das, was wir Geist nennen, im Weltall spielt, so bleibt es für uns Menschen unter allen Umständen das Einzige, das für uns unmittelbar Wert und Bedeutung hat; fehlte es, so würde die ganze Welt uns bedeutungslos und gleichgültig. Denken wir uns eine Welt, ohne Leben und Seele, ohne Empfindung und Denken, ohne Geist und Geschichte, es sei von ihr nichts zu sagen, als das, was Astronomie und Physik von ihr zu sagen wissen. Und nun trete ein Mensch hinein, von nichts wissend, aber mit einem vollkommenen Verstande ausgerüstet, Publikum gekauft und gelesen, auch in 13 fremde Sprachen überseßt und hier wiederum in zahlreichen Auflagen gekauft und gelesen worden ist. Es kann hiernach jedenfalls den Anspruch erheben, zu den für die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts charakteristischen Erscheinungen gerechnet zu werden; denn eine Zeit wird mehr durch die Bücher gekennzeichnet, die sie liest, als die sie schreibt. In seiner Jugend hatte das Buch seinen eigentlichen Verbreitungsbezirk in dem gebildeten, mit der Kirche und ihrem Bekenntnis zerfallenen Mittelstande; jezt ist es längst in die niederen Gesellschaftsschichten gedrungen, es gehört jezt zum Handwerkszeug sozialdemokratischer Wanderprediger. Fragt man sich, welchen Vorzügen das Buch seine große Verbreitung und Wirksamkeit verdankt, so wird man auf zwei Stücke kommen: es bietet erstens eine Menge in populärer Form mitgeteilter naturwissenschaftlicher Kenntnisse, zweitens Verachtung der Kirche, der Theologie und des Bekenntnisses. Für jene ist der Leser, wie billig, dankbar, und diese erwirbt dem Verfasser Vertrauen und Sympathie: er erscheint als Vorkämpfer der ehrlichen Leute in dem guten Kampf gegen Lüge, Verdummung, Unfreiheit und Unrecht. Eine höchst nachdenkliche Thatsache für jedermann, er mag nun selbst zur Kirche und Religion stehen wie er will. In derselben Absicht ist ein jüngeres, nicht minder erfolgreiches Werk geeignet, das Nachdenken zu erregen: Mar Nordau, Die konventionellen Lügen der Kulturmenschheit (13. Aufl. 1889). Auch dies Buch ist weder nach Inhalt noch Form irgendwie hervorragend; sein Inhalt ist nichts als die hundertmal wiederholte Versicherung, daß unser ganzes Leben und Denken Lüge ist. Aber gerade dieser Umstand wird es einmal einer hoffentlich glücklicheren Zukunft so rätselhaft machen; woher denn seine Anziehungskraft? Drückte es wirklich das Selbstbewußtsein dieser Zeit aus?

und zu ihm gesellte sich ein höchst vollkommener Astronom und finge an, ihm die ganze Welt zu demonstrieren, die einzelnen Weltkörper, ihre Maffe und ihre Bewegungen, auch die physikalischen und meteorologischen Vorgänge auf allen bis ins einzelste darlegend, so möchte er vielleicht eine Weile mit Interesse zuhören und zusehen. Wenn aber jener immer neue Weltsysteme vornähme und sie auf die gleiche Weise durchginge, dann würde der Zuhörer endlich ungeduldig werden und fragen: Und wozu nun dies alles? Was bedeutet es? Und wenn ihm dann geantwortet würde: zu nichts, das ist die Wirklichkeit selbst und weiter ist von ihr nichts zu sagen; so würde er sich verwirrt und getäuscht abwenden und sagen: nun, wenn das wirklich alles ist, was von der Welt zu berichten ist, so habe ich genug und danke für weitere Bemühung. Auch ein materialistischer Philosoph würde sich nicht anders verhalten. Auch sein Interesse an der Welt hängt schießlich daran, daß in ihr jene Gehirnphänomene mit ihrem subjektiven Refler sich finden und zu dem erstaunlichen Vorgang zusammenschließen, den wir geschichtliches Leben nennen. In praxi natürlich durchaus, auch er betrachtet praktisch alle Dinge als Werkzeuge und Darstellungsmittel des Geistes; auch ihm ist der Leib Organ und Symbol der Seele; auch ihm liegen alle Zwecke im geistig-geschichtlichen Leben. ‹ Aber auch rein theoretisch ist ihm der Geist der Mittelpunkt der Dinge; er mag demonstrieren, daß/das Auftauchen des Geistes/ein verschwindendes Moment in der kosmischen Entwickelung ist; fehlte dieses Moment, so wären auch ihm die Weltkörper nicht wichtiger, als die Sandkörner, mit denen/am Strande des Meeres Wind und Wellen ihr Spiel treiben.

Wie sehr der Geist dem Geist das Interessante an der Welt ist, das tritt in der Verteilung der wissenschaftlichen Arbeit an die beiden Seiten der Wirklichkeit, die Natur und die Geschichte, greifbar zu Tage. Wenn man aus unsern großen Bibliotheken alles aussonderte, was sich auf das geistig-geschichtliche Leben des Menschen bezieht, alles was zur Geschichte und Philologie, zur Politik und Moral, zur Theologie und Philosophie, zur Gesellschafts- und Rechtswissenschaft, zur Medizin und Technik gehört, es würde ein sehr bescheidener Rest bleiben. Oder man streiche aus unsern großen vielbändigen Encyklopädien und Konversationslericis dieselben Artikel und behalte nur, was sich auf Astronomie und Physik, Chemie und Mineralogie bezieht:

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der Rest wird in ein dünnes Bändchen gehen. Und schwerlich wird hierin jemals eine Änderung eintreten. Dem Menschengeist wird immer der Menschengeist das unmittelbar Bedeutende an der Wirklichfeit bleiben.

Eine zweite Bemerkung widme ich der Frage nach den Folgen des Materialismus für Moral und Lebensführung. Es ist eine weit verbreitete Ansicht, daß der Materialismus3 moralisch ge= fährliche Folgen habe. Mit der Religion zerstöre er auch die Sittlichkeit und den Glauben an Ideale. Seine praktische Konsequenz sei? die Tugend ist ein leerer Wahn, das Gewissen eine Grille, und das Sittengeset eine Erfindung der Pfaffen; die wahre Lebensweisheit ist: das Leben genießen und an sich bringen, was man kriegen kann. ×

Ich glaube nicht, daß man dieser Ansicht beitreten kann, wenigstens nicht in dieser Form. Die Lebensführung eines Mannes wird nicht/ durch metaphysische Vorstellungen über die Natur des Wirklichen, sondern wesentlich durch Naturtriebe und Temperament, Erziehung und Lebenslage bestimmt. Besteht dennoch ein Zusammenhang zwischen dem theoretischen und dem, was man praktischen Materialismus nennt, so wird er nicht dadurch zustande kommen, daß die Metaphysik/das Leben, sondern dadurch, daß das Leben die Metaphysik bestimmt. Ein leeres und gemeines Leben hat die Tendenz, zunächst eine nihilistische Lebensanschauung hervorzubringen; ihre Züge sind: niedrige Schäßung des Lebens und seiner Bestimmung, Verkennung und Verspottung der edleren Seiten der Menschennatur, Verlust der Ehrfurcht vor sittlicher und geistiger Größe, Unglaube und Hohn für alle idealen Bestrebungen. Und eine solche nihilistische Auffassung des Lebens hat dann allerdings eine natürliche Hinneigung zu einer materialistischen Weltanschauung; sie wird sich gern an das „Ergebnis der Wissenschaft“ anlehnen, daß die Welt, wie die Geschichte, ein Spiel finnlosen Zufalls sei; blinde Kräfte führten die Atome zusammen, um sie im nächsten Augenblick ebenso gleichgültig wieder zu zerstreuen. Umgekehrt hat ein tüchtiges und rechtschaffenes, ein gutes und großes Leben eine natürliche Hinneigung zu einer idealistischen Metaphysik; es findet Erhebung und Ruhe in einer Weltanschauung, welche seine höchsten Ziele und Ideale als die Kräfte darstellt, in denen die Wirklichkeit selbst gegründet ist. Die Vermittelung geht auch hier durch das geistig-geschichtliche Leben :

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