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und Folge, sequi causari. Hume zeigt, daß dies ein Irrtum ist; an der Hand des Kausalgesezes folgern ist etwas ganz anderes, als an der Hand des logischen Geseßes vom Widerspruch schließen. Das Verhältnis von Ursache und Wirkung ist überhaupt kein logisches, durch reines Denken erfaßbares. Ursache und Wirkung werden in der Physik und Psychologie Erscheinungen genannt, die in dem Verhältnis konstanter Aufeinanderfolge in der Zeit stehen. Die Wahrnehmung der zeitlichen Aufeinanderfolge ist das Einzige, was hier wirklich beobachtet wird; eine innere Verknüpfung der Erscheinungen, eine Notwendigkeit, welche sie verbindet, ist mindestens nicht Gegenstand der Beobachtung. Ich nehme wahr, daß auf diesen Vorgang ein anderer folgt, ich erwarte, daß das nächstemal auf denselben Vorgang derselbe folgen wird; das ist der Anfang der kausalen Auffassung. So finden wir es bei den Tieren; auch sie werden durch Erfahrung klüger; es geschieht in der angedeuteten Weise: der Wahrnehmung einer bestimmten Aufeinanderfolge von Ereignissen folgt bei dem Wiedervorkommen des ersten Ereignisses die Erwartung oder Voraussicht des zweiten. Beim Menschen ist dies Verhalten weiter ausgebildet, nicht jede wahrgenommene Aufeinanderfolge bestimmt uns zur Erwartung ihrer Wiederkehr, wir lernen allmählich die konstanten Folgeverhältnisse der Erscheinungen aus den zufälligen und löslichen ausscheiden; aber die leßte Grundlage bleibt dieselbe. Auf keine Weise ist es möglich, durch logisches Schließen aus dem Begriff der Ursache die Wirkung herauszubringen. Man nehme das einfachste Beispiel: die Bewegung eines Körpers in diesem Zeitraum ist die Ursache der gleichen Bewegung im nächsten Zeitraum; auf keine Weise kann ich das durch einen logischen Schluß herausbringen. Aus dem Sat: dieser Körper bewegt sich in dieser Sekunde mit solcher Geschwindigkeit und Richtung, folgt logisch überhaupt gar nichts, außer der Unwahrheit des Gegenteils, aber gar nichts darüber, was in der folgenden Sekunde geschehen wird. Ich erwarte, auf Grund bisheriger Beobachtung, daß dieser Körper im folgenden Zeitraum mit gleicher Geschwindigkeit und in gleicher Richtung einen gleich großen Raum durchmessen wird. Aber diese Erwartung hat keine Denknotwendigkeit, wie ein mathematischer Sat. Ich kann auch denken, daß die Bewegung, sei es plöglich, sei

es allmählich, von selber aufhört, oder in eine beliebige Richtung um= biegt. Die bisherige Erfahrung hat regelmäßig jenes Verhalten erkennen lassen, das wir in dem Trägheitsgeset formulieren; aber es ist keine logische Notwendigkeit, daß die Zukunft der Vergangenheit gleichen muß. Überhaupt, sagt Hume, und das ist die allgemeinste Formel seiner Betrachtung: es giebt schlechterdings keine Thatsache, deren Nichtsein nicht denkbar oder logisch möglich wäre. Das Nichtsein jedes Körpers, das Nichtgelten jedes Naturgefeßes ist denkbar, denn das Nichtsein der Welt überhaupt ist denkbar.

Hieraus ergiebt sich denn die Folge: in den gegenständlichen Wissenschaften, wie Physik und Psychologie, giebt es keine im strengen Sinn allgemeinen und notwendigen Wahrheiten. Es giebt hier nur präsumtiv allgemeine Säße, jeder gilt mit dem selbstverständlichen Zusaß: vorbehaltlich der Berichtigung durch nachfolgende Erfahrung. Die Säße der Mathematik sind absolut allgemein und notwendig; durch keine Beobachtung kann der Sat, daß die Summe der Winkel im ebenen Dreiec zwei Rechte beträgt, erschüttert oder verändert werden; er ist mit den Begriffen selbst als logisch notwendige Folge gesezt. Dagegen giebt es keinen Saß in der Physik oder Psychologie, der diese Notwendigkeit besäße. Auch das Kausalgeset selbst macht hiervon keine Ausnahme; es ist nur ein präsumtiv gültiger Saß, daß strenge Regelmäßigkeit in der Aufeinanderfolge der Naturerscheinungen herrscht. Denkbar, logisch möglich ist auch, daß Erscheinungen, die völlig beziehungslos zu allen vorangehenden und nachfolgenden sind, eintreten. Solche Erscheinungen würden wir Wunder neunen. Wunder sind demnach ohne Zweifel möglich, für unser Denken gerade so möglich, wie Thatsachen, die sich nach unseren Naturgesehen erklären, d. h. dem Naturzusammenhang nach Regeln einordnen laffen. Die Frage ist nicht eine Frage der Möglichkeit, sondern der Wirklichkeit: sind Thatsachen, die als Wunder betrachtet werden müßten, wirklich beobachtet worden? Hume sezt dieser Behauptung sehr entschiedenen Zweifel entgegen; nach seinem Dafürhalten hat die Annahme, daß die angeblichen Wunder wenn nicht eine physikalische, so doch eine psychologische Erklärung zulassen, so große Wahrscheinlichkeit, daß sie praktisch der Gewißheit gleichgestellt werden kann. Die Erfahrung, daß menschliche Zeugnisse auf Täuschung,

willkürlicher oder unwillkürlicher, beruhen, haben wir so oft gemacht, daß es uns viel möglicher vorkommt, ein behauptetes Wunder hierauf zurückzuführen, als die Grundvorausseßung aller unserer Nachforschung, die Gesezmäßigkeit des Naturzusammenhangs, aufzugeben. Diese Vorausseßung ist freilich nicht logisch notwendig, aber sie ist so vielfach durch die Thatsachen bestätigt, sie hat sich so oft bei genauerer Beobachtung auch angeblichen Wundern gegenüber bestätigt, daß wir ein Recht haben, neuen Wundern gegenüber a priori ungläubig zu sein.

Das ist die Erkenntnistheorie des Empirismus. Jhr gegenüber unternimmt es Kant, den Rationalismus, allerdings in bedingter und beschränkter Form, wieder herzustellen.

3. Der formalistische Rationalismus Kants.

Die Frage, um die es sich in dem Streit zwischen Nationalismus und Empirismus handelt, ist nach dem Obigen die: giebt es Erkenntnis von Gegenständen a priori oder aus reiner Vernunft? Der Rationalismus bejahte die Behauptung: durch reines Denken gewinnen wir eine absolute Erkenntnis der Dinge, die durch die Sinne nicht möglich ist. Der Empirismus verneinte die Frage: Erkenntnis von Gegenständen haben wir lediglich durch Wahrnehmung, womit denn gegeben ist, daß wir keine absolute Erkenntnis haben.

Rants Stellung ist dadurch gegeben, daß er von jeder der beiden entgegengesetten Theorien die nach seiner Ansicht wahre Hälfte nimmt und diese beiden Hälften zu einer neuen Theorie vereinigt: gegen Hume's Empirismus stellt er das alte Dogma des Rationalismus wieder her: es giebt Erkenntnis von Gegenständen a priori; gegen den Rationalismus des Leibniz- Wolffischen Systems fügt er hinzu: aber Erkenntnis der Dinge nur wie sie erscheinen, nicht wie sie an sich sind. Die Verbindung des Phänomenalismus oder Idealismus mit dem Rationalismus ist der eigentlich charakte ristische Zug der Kantischen Erkenntnistheorie, bisher war der Rationalismus immer realistisch gewesen, während der Empirismus bei Berkeley und Hume idealistisch geworden war.

Die erste Hälfte der Kritik der reinen Vernunft, die Ästhetik

und Analytik, ist dem Versuch gewidmet, auf dieser Grundlage ein neues erkenntnistheoretisches System zu entwickeln. Die zweite Hälfte, die Dialektik, entwickelt ausführlich das Verhältnis der neuen Philosophie zu der alten Metaphysik: sie zeigt die Unmöglichkeit der rein rationalen Psychologie, Kosmologie und Theologie, die Unmöglichkeit, wenn man so will, eines realistischen Rationalismus, nachdem die erste Hälfte die Möglichkeit eines phänomenalistischen Rationalismus entwickelt hat. Wir haben es hier zunächst nur mit der ersten Hälfte, der bedingten Wiederherstellung des Rationalismus, zu thun.

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Nach Hume soll es über Thatsachen überhaupt keine allgemeinen und notwendigen Urteile geben; allen unseren Naturgeseßen, den Gesezen der Mechanik, wie denen der Chemie und Physiologie, ja dem Kausalgeset selbst soll nur präsumtive Allgemeingültigkeit zu= kommen. Das ist, sagt Kant, vollständiger Skeptizismus; dann giebt es überhaupt kein eigentliches Wissen mehr; denn dem Wissen ist, im Unterschied von den Associationen, wie sie auch das Tier hat, Allgemeinheit und Notwendigkeit eigen. Ja, Hume's Skeptizismus bleibt nicht auf Physik und Metaphysik eingeschränkt, er erstreckt sich notwendig auch auf die Mathematik. Damit führt er sich selbst ad absurdum; das thatsächliche Dasein dieser Wissenschaft zeigt, daß die Prinzipien des Empirismus unzulänglich sind. Es handelt sich also eigentlich nur darum zu zeigen, wie diese Wissenschaften möglich sind? Wie ist reine Mathematik, wie ist reine Naturwissenschaft, wie ist Metaphysik möglich? Oder, die Frage in allgemeiner Formel ge= stellt: wie sind synthetische Urteile a priori möglich? Das heißt, erkenntnistheoretisch, nicht psychologisch möglich; mit anderer Formel: wie kann Säßen, die nicht aus Erfahrung stammen, (Urteilen a priori) und die auch nicht logische Folgerungen (nicht analytische Urteile) find, das Recht und der Wert objektiver Erkenntnis (synthetischer Urteile) zukommen?

Das ist Kants Problem. Seine Antwort ist: objektive Gültigkeit kann solchen Säßen nur dadurch zukommen, daß der Verstand die Objekte, von denen er sie aussagt, selbst hervorbringt; er erkennt die Gegenstände a priori, soweit er sie selber hervorbringt. Das thut er in der Mathematik; hier sind die Objekte nach Begriffen Paulsen, Einleitung. 2. Aufl.

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konstruierte reine Anschauungen. Die Beschaffenheiten und Beziehungen von Linien, Winkeln, Dreiecken und Kreisen kann der Geometer in synthetischen Urteilen a priori darlegen, weil er die Objekte selbst hervorbringt. In gewissem Sinne gilt aber dasselbe auch von der Physik. Die Gegenstände des Physikers find Naturerscheinungen; Erscheinungen aber sind auf gewisse Weise Produkte des Subjekts, dem sie erscheinen, und als solche werden sie ihrer allgemeinen Form nach durch die Natur und Bethätigungsweise des Subjekts bedingt sein. Sofern wir also unter Natur den Inbegriff von Erscheinungen verstehen, und die Physik hat es nur mit Natur in diesem Sinn zu thun, kann es auch eine apriorische Erkenntnis der Natur und aller Naturgegenstände geben, nämlich nach Seiten der allgemeinen Form ihrer Erscheinbarkeit. Dagegen kann es eine Erkenntnis a priori der Natur nicht geben, wenn man unter Natur versteht eine absolut und ohne alle Beziehung zum erkennenden Subjekt existierende Wirklichkeit. Von den Dingen, wie sie an sich selbst sind, unabhängig vom Subjekt, kann der Verstand natürlich nichts a priori wissen. Freilich kann er von ihnen auch nichts a posteriori erfahren, denn um von ihnen etwas zu erfahren, müßten sie ja in unsere Vorstellung eingehen, also Erscheinungen werden. Und also ist Metaphysik, wenn man darunter, wie herkömmlich, die Erkenntnis der Dinge an sich versteht, überhaupt nicht möglich. Möglich ist sie nur, wenn man darunter nichts versteht als „reine Naturwissenschaft“, d. h. eine allgemeine Phänomenologie der Natur.

Das ist der Gedankengang des Kantischen Rationalismus, wie er am präzisesten in den Prolegomenen zu einer jeden künftigen Metaphysik, der Erläuterungs- und Vertheidigungsschrift, die er der Kritik der reinen Vernunft folgen ließ, zur Dar stellung kommt. Auf gewisse Weise zeigt diese Schrift die Tendenz des Kantischen Denkens am deutlichsten, sie läßt den Gegensatz gegen Hume am schärfften hervortreten. Es ist die Wirkung der Aufnahme, welche die Kritik der reinen Vernunft bei den deutschen Zeitgenossen gefunden hatte; ihnen waren vor allem die idealistischen und skeptischen Züge aufgefallen, die rationalistische Seite hatten sie übersehen. Sie bemerkten nur den Gegensaß gegen ihre eigenen Gedanken, gegen die herrschende Schulphilosophie, nicht den Gegensaß gegen Hume's

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