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Zuerst ein Wort über Sinn und Bedeutung der Frage. Man hat gesagt, der Phänomenalismus, wie ihn Kant lehrt, sei eigentlich ein trostloser Skeptizismus; was bleibt für Erkenntnis, wenn ich nicht einmal mein Selbst erkenne, wie es an sich ist? Kants Kritik hebe eigentlich das Wissen überhaupt auf. Man hat sogar Faust's Kummer: ich sehe, daß wir nichts wissen können, das will mir schier das Herz verbrennen, mit Kants Kritik in Zusammenhang bringen wollen.

Solche Klagen und Vorwürfe sind ganz grundlos. Vor allem ist zu sagen: keine Theorie der Erkenntnis ändert an dem Bestand und Wert unserer Erkenntnis das mindeste. Die Wissenschaften bleiben nach wie vor, was sie sind; von einer Aufhebung oder Zerstörung des Wissens durch eine theoretische Reflexion über das Wissen kann nicht die Rede sein. Und auch die Bedeutung der Wissenschaften für uns bleibt dieselbe, weder ihr praktischer noch ihr theoretischer Wert wird durch die Kritik vermindert. Unsere Astronomie, Physik, Psychologie, Geschichte, sind uns, was sie sind, und leisten uns, was sie leisten, ganz ohne alle Rücksicht auf den Ausfall einer nachträglichen erkenntnistheoretischen Überlegung, wie sie denn auch in der geschichtlichen Entwickelung von ihr auf keine Weise als abhängig erscheinen.

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Vielleicht hängt das Mißverständnis mit einem schiefen Ausdruck zusammen. Man faßt wohl Kants Ansicht in die Formel: wir erkennen nur die Erscheinung, aber in das innere Wesen der Dinge vermögen wir nicht einzudringen. Damit scheint denn ein bestimmter Mangel unserer Erkenntnis, der angegeben und beseitigt werden könnte, wenn nur unser Verstand erweitert und erhellt würde, angedeutet zu sein. Wenn wir sagen: das Wesen des Nordlichts oder der Elektrizität ist noch unerkannt; oder: ich bin mir über das Wesen dieses Mannes nicht klar, so wird damit ein Mangel bezeichnet; wir kennen einstweilen nur die äußere Erscheinung, aber nicht die leßten Ursachen; oder: ich weiß, wie der Mann aussieht, welche Stellung er in der Gesellschaft einnimmt, aber sein Charakter, seine Grundsäße, seine Anschauungen sind mir nicht bekannt, ich weiß daher nicht, wessen ich mich von ihm versehen soll. Weiß ich dies alles, kenne ich ihn aus langem, freundschaftlichem Verkehr, bin ich gewiß, wie er im gegebenen Fall handeln und urteilen wird, dann sage ich: sein Wesen ist mir wohl bekannt.

Ganz etwas anderes dagegen bedeutet die Unterscheidung von

Erscheinung und Ding an sich in der Erkenntnistheorie. Die allervollkommenste Erkenntnis des Naturells, des Charakters, des Vorlebens eines Mannes, so daß ich sein Verhalten mit der Sicherheit voraussagen könnte, wie eine Mondfinsternis, wäre nach der Kantischen Betrachtung doch nichts als Erkenntnis der Erscheinungen; von der Seele selbst, ihrem An-sich, ihrem Was oder Wesen käme nichts darin vor.

Wie steht es nun mit dieser Behauptung, daß wir die Dinge nur wie sie erscheinen, nicht wie sie an sich sind, erkennen? Ist fie begründet? Gehen wir zunächst auf die Erkenntnis des eigenen Innenlebens ein. Auch hier, so wird behauptet, müsse zwischen Erscheinung und Ding an sich unterschieden werden. Das Jch erkennt auch sich selbst nicht, wie es an sich ist, sondern nur wie es sich er: scheint. Das An-sich der Seele, die in den Bewußtseinsvorgängen erscheint, bleibt der Erkenntnis so undurchdringlich, wie das An-sich der Dinge, die als bewegte Körperwelt im Bewußtsein vorkommen. Ist diese Behauptung begründet?

Ich glaube nicht, daß wir Ursache haben, dies anzuerkennen. Zweierlei wird hier behauptet: erstens, daß es außer oder hinter den Bewußtseinsvorgängen, als den Erscheinungen des Seelenlebens, nun noch die Seele selbst als Ding an sich gebe; zweitens, daß wir dieses Ding an sich nicht erkennen. Dies Zweite ist ohne Zweifel wahr: was wir von unserem Selbst erkennen, sind in der That immer jene Vorgänge des Empfindens, Vorstellens, Fühlens, Strebens; niemals aber kommt in unserem Selbstbewußtsein ein Ding Seele oder Ich Aber, so ist nun gleich hinzufügen: die erste Behauptung ist grundlos; ein besonderes Ding Seele" giebt es überhaupt nicht in der Wirklichkeit; der Begriff einer Seele, die als Ding an sich, ab: gesehen von dem Seelenleben, ich weiß nicht welche Wirklichkeit hätte, ist ein leerer Begriff. Die Seele selbst ist nichts anderes, als die Einheit des Seelenlebens; ihr Dasein geht auf in ihren Erscheinungen“, einen dunklen, dem Erkennen undurchdringlichen Realitätsrückstand giebt's überhaupt nicht.

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Es ist das ein so entscheidender Punkt für die Erkenntnistheorie und Metaphysik, daß ich hierauf, nachdem schon oben (S. 133 ff.) diese Auffassung eingeführt worden ist, nochmals in etwas ausführlicherer Betrachtung darauf zurückkomme. Wer überhaupt zu einer gesunden

Philosophie kommen will, der muß einmal diesem Gespenst einer „Seele an sich" zu Leibe gehen.

Nach der Vorstellung der gemeinen Meinung hat die Wirklichkeit etwa folgende Struktur. Es giebt drei Arten oder Stufen des Wirklichen: 1) Wirkliches erster Ordnung, das sind die Dinge oder Substanzen; 2) Wirkliches zweiter Ordnung, das sind die Eigenschaften oder Kräfte; 3) Wirkliches dritter Ordnung, das sind die Thätigkeiten, Ereignisse, Beziehungen.

Am wenigsten Selbständigkeit hat das Wirkliche dritter Ordnung; Thätigkeiten oder Ereignisse bedürfen zum Wirklichwerden eines Andern, durch das sie vorübergehend ins Dasein eingeführt werden, das sind die Kräfte. Aber auch die Kräfte oder Eigenschaften können nicht für sich existieren, sie bedürfen wieder eines Andern, an dem sie find, das sind die Substanzen. Diese allein ruhen auf sich selbst und bedürfen keines Andern zum Dasein; sie sind daher das eigentlich Wirkliche. Unter den Substanzen pflegt die Vulgärmetaphysik wieder, dem Cartefius folgend, zwei Arten zu unterscheiden: körperliche oder ausgedehnte, und geistige oder denkende, die unausgedehnt sind. Der Verschiedenheit ihres Wesens entsprechen verschiedene Kräfte. Al= gemeine Kräfte oder Eigenschaften des Körpers find Undurchdringlichkeit, Schwere, chemische Affinitäten, kurz Attraktions- und Repulsionskräfte; als Kräfte der Seele dagegen wären Empfindungsvermögen, Gedächtnis, Einbildungskraft, Begehrungsvermögen, Gefühlsvermögen, Wille anzusehen.

Ist das eine haltbare Vorstellung von der inneren Konstitution der Wirklichkeit? Richten wir zunächst auf das zweite Glied der Reihe die Aufmerksamkeit auf die Eigenschaften oder Kräfte. Sind fie wirklich ein an sich, abgesehen von der Erscheinung oder Bethätigung, seiendes Element der Wirklichkeit? Nehmen wir einen beliebigen Körper, ein Stück Kreide. Es hat eine Menge von Kräften oder Eigenschaften. Da ist zuerst die Eigenschaft der Undurchdringlichkeit oder die Kraft, andere Körper von dem Eindringen in den Raum, den es einnimmt, abzuhalten; da ist die Eigenschaft der Weiße oder die Kraft, auffallendes Licht auf bestimmte Weise zu reflektieren; ferner die Eigenschaft der Schwere oder die Kraft, auf seine Unterlage einen Druck auszuüben, oder, wenn die Unterstüßung entfernt wird, eine bestimmte

Bewegung auszuführen; es hat ferner die Eigenschaft eines Schreibmaterials oder die Kraft auf einer Tafel weiße Striche zu machen. Was bedeutet das? Sigen alle diese Eigenschaften oder Kräfte als besondere Wirklichkeiten in der Kreide drin, kann man sie darin sehen oder sonstwie beobachten? Sißt da die Kraft des Strichemachens, oder genauer, die Kraft, weiße Striche auf eine schwarze Tafel zu machen, als ein eigentümliches, stets gegenwärtiges, beharrliches Wirklichkeitselement in der Kreide? Und natürlich in der Tafel eine entsprechende Kraft oder Fähigkeit, bestrichen zu werden. Und sigt ebenso in der Hand neben tausend anderen Kräften auch die Schreibkraft und zwar in vielfacher Gestalt: als Kreide-, Griffel-, Federschreibkraft? als deutsche, lateinische, griechische Buchstaben-Schreibkraft? Das meint doch niemand; sondern, die Kreide hat die Kraft, Striche zu machen, das heißt nichts als: wenn sie über eine rauhe Oberfläche hingeführt wird, dann lösen sich Teilchen los und bleiben an der Tafel hängen, die Spur der Bewegung zeigend. Die Striche sind nicht in der Kreide und ebenso wenig sist eine Strichkraft drin, sondern wir sehen voraus, was unter gewissen Umständen geschehen wird; diese vorausgesehenen Ereignisse, wir nennen sie mögliche, fassen wir zusammen, substantivieren sie und legen sie der Kreide als permanenten Besiß bei. Und ebenso steht es mit den übrigen Kräften; wir sehen voraus, daß die Kreide unter solchen Umständen so sich verhalten, in einem bestimmten Maß sich bewegen, drücken, oder einem andern Körper Beschleunigung zufügen wird. Diese vorausgenommenen Vorgänge substantivieren wir und legen sie dem Körper als Schwerkraft bei. Und nicht anders verhält es sich mit der lebendigen Kraft des bewegten Körpers; die Arbeitsleistung, die wir von ihm erwarten, legen wir als Kraft in ihn hinein. Kraft ist also nicht ein besonderes, existierendes Wirkliches, sondern eine Denkform, durch die wir den Zusammenhang der Erscheinungen vorstellen. Definiert wird eine Kraft durch ihre mögliche Wirkung oder Arbeitsleistung; ihren vollkommenen Ausdruck findet die Erklärung in einem Naturgefeß, das die Größe der möglichen Beschleunigung einer bestimmten Masse aussagt.*)

*) S. die Erörterung des Begriffs der Kraft bei Fechner, Physik. und philos. Atomenlehre 117 ff., und bei Wundt, System der Philos. 297 ff. Vergl. auch Helmholz, Populäre wissenschaftliche Vorträge, 2. Heft S. 190.

Ebenso verhält es sich mit den Kräften der geistigen Substanzen. Hier ist die Sache noch einleuchtender. Wir sprechen von moralischen Kräften, einer Kraft der Selbstbeherrschung, der Tapferkeit. Alles was wir damit sagen, ist, daß wir von einem Manne ein bestimmtes Verhalten in der Gefahr, in der Versuchung erwarten. Wir meinen nicht, daß die Selbstbeherrschung als ein eigentümliches, dingartiges Etwas in der Seele size. Nicht anders steht es mit Gedächtnis, Verstand, Wille und den übrigen Seelenvermögen. Die Psychologie hat das längst gesehen; unter den Deutschen hat besonders Herbart diesen Punkt betont: die Seelenvermögen sind nicht besondere Wirklichfeitselemente, aus denen als Ursachen erklärt werden kann, sondern das Wirkliche sind Vorstellungen, Begehrungen, Gefühle, und die Aufgabe der Wissenschaft besteht darin, die gesetzmäßigen Beziehungen dieser Vorgänge darzustellen. Sollte jemand noch von den Kräften als be= sonderen, den Substanzen inhärierenden Wirklichkeitselementen sich nicht trennen können, der mag denn an der Lösung von allerlei Verirfragen sich versuchen: wirkt die Kraft immer? was macht sie, wenn sie nicht wirkt? find die Kräfte durch den ganzen Raum verbreitet, den der Körper einnimmt? und wie sind in den unausgedehnten Substanzen die Kräfte untergebracht oder mit ihr verbunden?

Fällt das Mittelglied der Kräfte aus, so bleiben für die Konstruktion der Wirklichkeit die Substanzen und die Ereignisse. Wie steht es nun mit den Substanzen? Sind sie ein besonderes Wirkliches neben den Accidenzen?

Bleiben wir zunächst bei der Seelensubstanz. Man meint: außer den Empfindungen, Vorstellungen, Gefühlen, Bestrebungen bestehe nun noch als ein besonderes Wirkliches oder, mit dem Herbartischen Ausdruck, ein Reale, die Seele selber; die Bewußtseinsvorgänge seien nur Bethätigungen der Seele, nicht aber die Seele selbst; sie möchten kommen oder gehen, sie könnten auch, wenigstens zeitweilig, ganz ausfallen; die Seelensubstanz bleibe dabei in unveränderter und unverminderter Wirklichkeit bestehen.

Es scheint mir völlig unmöglich, an dieser Vorstellung festzuhalten. Die Seelensubstanzen sind ganz dasselbe, was die Seelenkräfte sind, Hypostasierungen von Vorgängen, sie sind gleichsam Hypostasierungen in zweiter Potenz; die Seelensubstanz ist das Vermögen

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