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scheidet. Man pflegt auf Hume als Vertreter des Skeptizismus hinzuweisen. Hume spielt allerdings mit dem Ausdruck, er ist durch die Mißverständnisse seiner Auffassung hinlänglich dafür gestraft worden; es ist ihm aber nie eingefallen zu behaupten, es gebe keine Wissenschaft. Er hat nur behauptet einerseits, daß die natürliche Theologie mit ihren Beweisen des Daseins Gottes und der Unsterblichkeit der Seele keine Wissenschaft sei; andererseits, daß es unmöglich sei von Thatsachen anders als durch Erfahrung zu wissen und daß es eben darum keine allgemeine und notwendige Erkenntnis von Thatsachen geben könne. Es ist Kant, der Hume zum Skeptiker gestempelt hat, gegen den er die Wissenschaften oder die Möglichkeit der Metaphysik, der Physik und selbst der Mathematik retten müsse. Was die reine Mathematik anlangt, so beruht Kants Urteil über Hume's Skeptizismus auf reinem Mißverständnis; was die Metaphysik anlangt, so verwirft er nicht minder als Hume die rationale Theologie, Kosmologie und Psychologie. Es bleibt die Physik; hier geben beide zu, es giebt eine solche Wissenschaft; verschieden ist nur ihre Ansicht über die Form und die Natur der Gewißheit ihrer Säße; Kant meint, es seien darunter absolut allgemeine und notwendige Säße (synthetische Urteile a priori), während Hume auch die Grundsäge nur als auf Erfahrung ruhende, präsumtiv allgemeine Säße gelten lassen will; ein Unterschied der Ansichten, der nicht zweckmäßig durch den Ausdruck bezeichnet wird: Hume leugne die Möglichkeit der Physik überhaupt.

So viel ich sehe, steht es mit den übrigen sogenannten Skeptikern ähnlich; sie leugnen nicht die Möglichkeit oder das Dasein der Wissenschaften, sondern betonen nur die Beschränktheit und Ungewißheit menschlicher Wissenschaft, verglichen mit einem möglichen Ideal der Erkenntnis, wie es in einem göttlichen Geist Wirklichkeit haben mag. Der Skeptizismus innerhalb der modernen Philosophie richtet sich überall eigentlich gegen die Anmaßungen der transcendenten Spekulation ; er zeigt ein doppeltes Gesicht, sofern er entweder den religiösen Glauben oder die empirische Forschung gegen die Übergriffe der Spekulation verteidigt.

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Erstes Kapitel.

Das Problem des Wesens oder das Verhältnis der Erkenntnis zur Wirklichkeit.

1. Die idealistische Gedankenreihe.

Zum Ausgangspunkt nehmen wir auch hier die gemeine Vorstellung. Ihr Standpunkt ist ein naiver Realismus. Sie ist überzeugt, daß unsere Vorstellungen den Dingen gleichen, wie Kopien den Originalen, nämlich die wahren; die falschen sind eben darum falsch, daß sie nicht treue Abbilder des Wirklichen sind. Es befinden und bewegen sich also draußen im Raum Körper, sie sind ausgedehnt, undurchdringlich, haben Gestalt, Farbe, Geschmack, Geruch u. s. w.; alles das sind absolute Eigenschaften, die sie durch die Sinne unserer Vorstellung gleichsam eindrücken.

Die erwachende Reflexion führt zu allerlei Zweifeln. Die Sinne täuschen, wenigstens zuweilen, der Stab im Wasser erscheint dem Auge gebrochen. Hier korrigiert der Tastsinn die Täuschung. Wer kontrolliert aber den Tastsinn? Der Fieberkranke sieht und hört Dinge, die nicht sind, aber ihm sind die Halluzinationen Wahrnehmungen. Der Träumende glaubt an die Wirklichkeit dessen, was der Traum ihm vorgaukelt. Wo ist das Kriterium, an dem man Halluzinationen und Träume von wirklichen Wahrnehmungen unterscheiden kann? Der Fieberkranke hält sich ja nicht für krank und der Träumende weiß nichts davon, daß er träumt; ja es geschieht wohl, daß man träumt: diesmal ist's aber doch kein Traum, daß ich fliege oder einen Schat finde, sondern wirkliche Wirklichkeit. Oder das begriffliche Denken lehnt sich, um sein besseres Recht darzuthun, gegen die sinnliche Wahrnehmung auf die Bewegung ist nicht denkbar, argumentiert 3 eno, also kann sie auch nicht wirklich sein; es müßte ein Körper denn zugleich an einem Orte sein und auch nicht sein können. Also täuschen uns

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die Sinne, die uns die Vorstellung der Bewegung geben. Und Plato nimmt das Argument auf: als werdend und vergehend stellt die Wahrnehmung die Wirklichkeit dar, d. h. als zugleich seiend und nicht seiend. Da das nicht gedacht werden kann, kann es auch nicht wirklich sein; folglich ist die ganze sinnliche Ansicht der Dinge eine große Täuschung. Wahrheit ist nur im begrifflichen Denken, das es mit unveränderlichen Dingen zu thun hat, wie die Mathematik.

In der Neuzeit sind an die Stelle solcher Verirfragen und dialektischen Argumente die auf Sinnesphysiologie beruhenden Erwägungen über den Charakter der normalen Wahrnehmung getreten. Sie haben den naiven Realismus vollständig zerstört. Man kann sie etwa so schematisieren. Wir nennen eine Nahrung gesund, eine Frucht wohlschmeckend. Was heißt das? Ist die Gesundheit in der Nahrung oder der Wohlgeschmack im Apfel? Offenbar nicht, das sieht auch der gesunde Menschenverstand, sondern in dem, der ihn ißt; in dem Apfel ist nur etwa eine Kraft, den Geschmackssinn so zu affizieren. Wir nennen den Zucker süß; liegt die Sache hier anders? Vielleicht wird die gemeine Vorstellung hier bedenklich: der Zucker ist doch wirklich selber füß. Freilich ist er; aber was bedeutet das? Wenn ihr genauer zuseht, doch nichts anderes als: wenn er auf die Zunge kommt, schmeckt er süß. Wenn er nicht süß schmeckte, würdet ihr nicht sagen, er sei süß. Das Schmecken aber ist doch wieder nicht in dem Zucker, sondern in euch; in ihm mag eine Kraft, eine Beschaffenheit sein, welche macht, daß ihr diesen Geschmack habt. Gäbe es überhaupt keine Zunge, so schmeckte auch nichts weder süß noch bitter, so gäbe es Süßigkeit und Bitterkeit überhaupt nicht auf der Welt. Und dasselbe wird nun auch von den Qualitäten gelten, welche Auge und Ohr wahrnehmen. Gäbe es kein Ohr, so gäbe es keine Töne, wäre kein Auge, so wären Licht und Farben nicht. Den Dingen kann man nur eine Beschaffenheit oder eine Kraft zuschreiben, die Sinnesorgane so zu erregen, daß in dem Bewußtsein diese Empfindungen entstehen. Und diese Kraft hat ja die moderne Naturwissenschaft ermittelt: wir wissen, das, was die Tonempfindung hervorruft, ist eine wellenförmige Bewegung der Luft oder eines andern elastischen Mediums; das, was die Lichtempfindung erregt, ist die oszillatorische Bewegung des Äthers.

Hier pflegt die erkenntnistheoretische Reflexion zunächst Halt zu machen, wir hätten dann folgende Vorstellung. Draußen im Raum find Körper, fie sind ausgedehnt, undurchdringlich, beweglich, mit allerlei Kräften ausgestattet. Nicht aber gehören ihnen die Qualitäten der Sinnesempfindung als Eigenschaften an, vielmehr sind diese allein im Subjekt, in den Dingen sind nur die Kräfte, sie zu erregen. Und zwar findet zwischen diesen Kräften und den Wirkungen durchaus keine Ähnlichkeit statt. Der Ton gleicht nicht den Schwingungen der Luft, welche den Gehörsnerven erregen; und so ist das Licht den Ätherwellen nicht ähnlich; auch ist das Grün nicht ein Abbild der Konstitution des Körpers, der grünes Licht reflektiert. Die Empfindungsqualitäten find lediglich Symbole des Wirklichen, nicht anders, wie Buchstaben Symbole der Laute, Wörter Symbole der Vorstellungen sind, aber nicht ähnliche Abbildungen.

Es ist dies der Standpunkt, auf dem die erkenntnistheoretische Reflexion des siebzehnten Jahrhunderts stehen blieb. Descartes, Hobbes, Spinoza, Locke kommen hierin überein: die sinnlichen Qualitäten sind nur im Bewußtsein des Subjekts, draußen aber sind bewegte Körper, wodurch sie erregt werden. Locke hat diese Anschauung in der Unterscheidung der primären und sekundären Qualitäten formuliert. Die primären Qualitäten sind Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Teilbarkeit, Bewegung, sie kommen dem Körper an und für sich zu, wie schon daraus hervorgeht, daß sie allen Körpern, auch den kleinsten Teilen, und unter allen Umständen zukommen. Die sekundären Qualitäten, wie Farbe, Geschmack, Geruch und ähnliches, kommen den Körpern nicht an und für sich selbst, sondern nur in Beziehung auf unsere Sinnlichkeit zu. - Auf demselben Standpunkt verharren auch heute noch viele Physiologen und Philosophen.

Ich glaube nicht, daß es möglich ist, hier stehen zu bleiben. Die Unterscheidung primärer und sekundärer Qualitäten läßt sich nicht halten; Ausdehnung, Solidität, Bewegung sind ebenso wenig absolute Bestimmungen der Dinge als Farben und Töne. Dieselbe Betrachtung, die uns dahin führt, die sekundären Qualitäten in das Subjekt zu verlegen, nötigt uns auch, die Subjektivität der sogenannten primären Qualitäten anzunehmen.

Zuerst, wir kommen zu ihrer Vorstellung auf demselben Wege,

durch Wahrnehmung, oder wenigstens nicht ohne Wahrnehmung. Ohne Gesichtssinn und Tastsinn würde von Ausdehnung und Solidität so wenig die Rede sein, als ohne Gehör von Tönen. Fingieren wir einen Menschen, dem außer dem Gesichtssinn auch die Taft- und Bewegungsempfindung von Anfang an völlig fehlte, der nie die Bewegung der eigenen Glieder und ihre Hemmung durch die Umgebung gefühlt hätte, so würde es ebenso unmöglich sein, ihm deutlich zu machen, was ein Körper, als einem Blinden, was rot oder blau sei. Also Körperlichkeit ist Wahrnehmungsinhalt.

Sodann gilt auch hier, ebenso wie bei den sekundären Qualitäten: die Wahrnehmung entnimmt nicht ihren Inhalt passiv aus der Außenwelt, fie bringt ihn vielmehr spontan hervor. Die gewöhnliche Meinung wird geneigt sein die Sache so anzusehen: die Ausdehnung wird unmittelbar rezipiert, das Auge nimmt flächenhafte Bilder der ausgedehnten Körper auf, die allgemeine Raumanschauung aber wird durch Abstraktion von den ausgedehnten Wahrnehmungsbildern gewonnen.

Einige Besinnung an der Hand der Physiologie zeigt das Irrige dieser Vorstellung. Auf der Nezhaut wird allerdings ein ausgedehntes Bild des Gegenstandes entworfen, aber dieses Bild ist nicht die Wahrnehmung. Eine solche kommt erst zustande, wenn die Erregungen, welche die Lichtstrahlen in den Endorganen des Sehnerven in der Nezhaut bewirken, durch die Fasern dieses Nerven zum Gehirn geleitet werden. Was aber zum Gehirn geleitet wird, das ist natürlich nicht das Netzhautbild; weder ist dies Bild ablösbar, noch können die Nervenfasern Bilder transportieren. Und selbst wenn das Bild abgelöst und stückweis durch die einzelnen Fasern des Sehnerven, wie durch Rohrpostleitung, ins Gehirn übertragen und hier wieder zusammengesezt werden könnte, so wäre damit noch nichts gewonnen, denn im Gehirn ist es finster. Und wenn Licht hineingebracht würde, so wäre die Sache noch vergeblich: nun wäre wieder ein Auge notwendig, das Bild aufzufaffen und ein Gehirn, es aufzunehmen. Also das ausgedehnte Bild wird auf jeden Fall, es mag mit der Ausdehnung in der Außenwelt stehen wie es will, nicht aus der Außenwelt aufgenommen, sondern bei Gelegenheit irgend einer Erregung neu hervorgebracht, ganz ebenso wie Ton und Farbe. Und nicht anders steht es mit den Eindrücken des Tastsinnes; auch durch die Tastnerven können nicht

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