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und Anaxagoras, dann könnte die Entscheidung kaum zweifelhaft sein. Daß Tiere und Pflanzen so ohne weiteres einmal durch ein Zusammenfallen der Teile sollten entstanden sein, ist und bleibt unglaublich. Das fühlten auch so kritische Köpfe wie Voltaire und Hume. So wenig sie im übrigen der theologischen Philosophie der Zeit einzuräumen geneigt waren, so schien ihnen doch die Leugnung der Zwecke in der organischen Welt und die rein mechanische Erklärung eine aussichtslose Sache. Freilich entging ihnen die Schwäche der teleologischen Ansicht ebenso wenig. Und so sahen sie sich hier vor ein unlösbares Dilemma gestellt.

Erst mit der neuen biologischen Anschauung, deren jüngste Entwickelung an Darwins Namen geknüpft ist, scheint sich ein Ausweg wenigstens aus den nächsten und drückendsten Schwierigkeiten zu ergeben. Ehe ich aber hierauf eingehe, möchte ich über die alte teleologische Beweisführung ein paar kritische Bemerkungen machen; die Sache hat doch auch heute noch nicht bloß geschichtliches Interesse.

3. Kritik des teleologischen Beweises.

Eine allgemeine Bemerkung über den Wert des teleologischen Beweises für Religion und Metaphysik mag die kritische Erörterung einleiten.

In manchen Kreisen besteht wohl auch heute noch die Neigung, in dieser Beweisführung, deren eigentliches Demonstrandum also der Saz ist: die Gestaltung der Körperwelt kann nicht ohne die Annahme einer nach Absichten wirkenden Ursache erklärt werden, ein Stück des philosophischen Unterbaus der Theologie oder gar eine unentbehrliche Stüße des Gottesglaubens, und folglich in seiner Kritik einen Angriff auf die Religion zu sehen.

Mir kommt vor, daß die Religion an diesen kosmologischen Spekulationen gar nicht interessiert ist. Sie ruht so wenig auf einer Hypothese über den Ursprung der lebenden Wesen, als auf einer bestimmten Ansicht von der astronomischen Gestalt der Welt. Ist sie an diesen Dingen überhaupt interessiert, so ist es allein an der objektiven Wahrheit und der subjektiven Wahrhaftigkeit unseres Erkennens. Ge= fährlich ist ihr, wie allen menschlichen Dingen, der Bund mit dem

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Irrtum und der Lüge. Die Kirche sollte aus ihrem unglücklichen Kampf gegen die neue Kosmologie im siebzehnten Jahrhundert so viel gelernt haben, daß es für sie unter keinen Umständen ratsam ist, sich mit einem wissenschaftlichen System solidarisch zu verbinden. Als die Kurie die aristotelisch-ptolemäische Kosmologie zum Glaubensartikel erklärte, legte sie die Art an die Wurzeln des Kirchenglaubens; jeder Schlag, der die falsche Theorie traf, traf nun auch die Kirche. Eben dieselbe Wirkung muß eintreten, wenn die Kirche eine gewisse biologische Ansicht zum Bestandteil ihrer Lehre erklärt. Oder vielmehr, diese Wirkung liegt ja sichtbar zu Tage in der Meinung derer, die im Darwinismus das endliche Ende der Religion gekommen sehen: Darwin habe, indem er die mosaische Schöpfungsgeschichte samt Adam und Eva beseitigte, zugleich die „Hypothese eines Gottes“, die die Kosmologie schon längst entbehren gelernt habe, nun auch für die Biologie überflüssig gemacht. Von Jugend auf angeleitet und gewöhnt, das Dasein Gottes als gegründet und gesichert durch die teleologische Beweisführung anzusehen, verwerfen sie jezt, da der alte Beweis ihnen verdächtig geworden ist, auch die Sache selbst. Es giebt für eine gute Sache nichts gefährlicheres als schlechte Beweise.

Es scheint, daß Darwin selber etwas derartiges begegnet ist: mit dem Vertrauen zu Paley's Evidences ging ihm auch die Religion verloren. So sagt er einmal: Der alte Beweisgrund vom Zweck in der Natur, wie ihn Paley aufstellt und wie er mir früher so entscheidend schien, schlägt jezt fehl; wir können z. B. jezt nicht mehr folgern, daß das wunderschöne Schloß einer zweischaligen Muschel von einem intelligenten Wesen gebildet sein muß, wie die Angel einer Thür von einem Menschen."*) Heutigen Tages" heißt es weiter, wird der Beweisgrund für die Existenz eines intelligenten Gottes aus der tief innerlichen Überzeugung und den Gefühlen hergenommen, welche die meisten Personen an sich erfahren." Früher habe er auch diese Empfindungen gehabt und sei dadurch zum Glauben an Gott und Unsterblichkeit geführt worden; so habe der brasilianische Urwald ihn religiös gestimmt. Jeßt aber würde die großartigste Scenerie keine derartigen Überzeugungen und Empfindungen in meiner Seele ent

*) Ch. Darwins Leben von s. Sohn Fr. Darwin, Deutsche Ausgabe I, 284 ff.

stehen lassen. Man könnte ganz zutreffend sagen, daß ich wie ein Mensch bin, der farbenblind geworden ist." Ein andermal erwähnt er, daß ihm auch der Sinn für Poesie allmählich geschwunden sei, ein Beweis für die ausdörrende Wirkung, welche anhaltende wissenschaftliche Forschung auf die Seele auszuüben vermag. Die Sache ist aber offenbar durch die ursprüngliche intellektualistische Richtung seiner religiösen Überzeugungen, wie sie der Jugendunterricht begründet hatte, vorbereitet worden; er hat das Gefühl, mit falschen Theorien und Beweisen betrogen worden zu sein und darum steht er nun dem ganzen kirchlichen Wesen mit Mißtrauen gegenüber. Offenbar ein Begegnis, das sich tausendfältig um uns wiederholt. Und darum ist es eine Lebensfrage für die Kirche, daß sie zur Wissenschaft in ein richtiges Verhältnis kommt, fie geht an dem Mißtrauen zu Grunde, das sie gegen die Wissenschaft hegt und wiederum von ihr erfährt. Das richtige Verhältnis besteht aber nicht etwa darin, daß sie jederzeit die neuesten Theorien annimmt, sondern daß sie von wissenschaftlich-philosophischen Theorien sich völlig unabhängig macht. Was ich bringe, muß fie sagen, gilt, ob nun Copernicus oder Ptolemäus, ob Darwin oder Agassiz Recht hat; das Evangelium ist und hat kein System der Kosmologie und Biologie, es ist die Predigt vom Reich Gottes, das im Gemüt und Leben der Menschen wirklich werden will. Es stüßt sich nicht auf unerklärliche Naturbegebenheiten und Mirakel, sondern auf die Erfahrungen des Herzens, das in ihm Frieden und Seligkeit findet.

In der That, ich bin überzeugt, daß dem Glauben an Gott und sein Reich zu unserer Zeit, wenigstens in den Kreisen der wissenschaftlich Gebildeten, kaum etwas so gefährlich ist, als der Versuch, dem Verstande den anthropomorphischen Theismus als wissenschaftlich notwendige Welttheorie in welchem Sinne der Anthropomorphismus möglich ist und immer bleiben wird, das wird sich später ergeben durch veraltete und der naturwissenschaftlichen Forschung in den Weg tretende Beweisführung aufzunötigen. Das Nichtwissen ist immer eine schlechte Stüße; sich daran festklammern, erscheint als Neigung zum Obskurantismus, der die Unwissenheit zur Unterlage der Pfaffenherrschaft macht: nam sciunt, quod sublata ignorantia stupor, h. e. unicum argumentandi tuendaeque autoritatis medium, quod habent, tollitur (Spinoza, Eth. I, Appendix).

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Und ebenso wenig, als jene teleologische Beweisführung, welche Lücken in der Naturerklärung aus physischen Ursachen annimmt und aufsucht, um dadurch die Notwendigkeit der Annahme nichtphysischer Ursachen darzuthun, zur Unterstüßung der Religion geeignet ist, taugt sie auch zur Unterstüßung einer idealistischen Philosophie, einer teleologischen Weltanschauung. Sie führt lediglich zur Leugnung der Zwecke in der Wirklichkeit überhaupt. Eine Naturphilosophie, die heutzutage an der Undurchführbarkeit der physischen Erklärung festhält, erscheint lediglich als eine Verbündete der „faulen Vernunft“, deren Austreibung das erste Interesse der wissenschaftlichen Forschung ist. Das ist der berechtigte Triumph des Darwinismus, daß er der ignava ratio das Gebiet, das sie am meisten als ihr eigenes ansah, das Gebiet der Lebenserscheinungen, entrissen und der Forschung auf einem neuen Wege eröffnet hat. Über die Vernichtung des Zweckgedankens in der Welt könnte ja niemand Genugthuung empfinden; aber über die Niederlage der ignava ratio wird jeder, der theoretisches Interesse hat, Freude empfinden.

Darüber täusche man sich nicht: die Naturwissenschaft kann und wird sich von ihrem Weg nicht wieder abbringen lassen, eine rein physikalische Erklärung aller Naturerscheinungen zu suchen. Es mag tausend Dinge geben, die sie gegenwärtig nicht erklären kann, aber das prinzipielle Ariom, daß es auch für sie eine natürliche Urfache und also eine naturwissenschaftliche Erklärung gebe, wird sie nicht wieder fahren lassen. Daher wird eine Philosophie, die darauf besteht, gewiffe Naturvorgänge könnten nicht ohne Rest physikalisch erklärt werden, sondern machten die Annahme der Wirkung eines metaphysischen Prinzips oder eines supranaturalen Agens notwendig, die Naturwissenschaft zur unversöhnlichen Gegnerin haben. In Frieden kann sie mit ihr nur leben, wenn sie sich der Einmischung in die kausale Erklärung der Naturerscheinungen grundsäßlich enthält und hier die Naturwissenschaft ruhig ihren Weg bis zu Ende gehen läßt. Oder bliebe dann für Philosophie kein Raum übrig? Wäre für eine Metaphysik nichts mehr zu thun, wäre mit der Vollendung der naturwissenschaftlichen Erklärung unser theoretisches Interesse an der Wirklichkeit erschöpft? Ich denke, auf keine Weise. Sondern nun erhebt sich eine neue Frage: was bedeutet dies Alles? Wenn die

Astronomie die kosmischen Vorgänge vollständig aus physikalischen Geseßen erklärt hätte, wenn die Biologie uns ebensc den Ursprung und den Mechanismus der organischen Lebensprozesse ohne Rest enthüllt hätte, dann bliebe die Frage: was ist der Sinn dieses ganzen Spiels von Kräften, was ist das, was in jenen tausend Gestaltungen und Bewegungen der Körperwelt uns entgegentritt? Oder ist dabei von nichts weiterem überhaupt zu reden, ist die Körperwelt die ganze Wirklichkeit und mit der physikalischen Erklärung alles erledigt? Nun, hierüber haben wir uns schon in dem vorausgehenden Kapitel über das ontologische Problem verständigt. Vielleicht darf man sagen: es hat nie einen Menschen gegeben und wird nie einen geben, der wirklich hierbei sich beruhigt hätte. Was das naturwissenschaftliche Denken im Materialismus eigentlich ablehnen will, das ist nicht das Dasein eines weiteren, eines ideellen Inhalts der Wirklichkeit, außer dem physikalischen Bestand, sondern die Verwendung jenes ideellen Inhalte zur physikalischen Erklärung. An sich findet zwischen mechanistischer Erklärung und idealistischer Interpretation gar kein Gegensah statt. Der Widerstreit entsteht erst, wenn die idealistische Interpretation die kausale Erklärung erseßen und überflüssig machen will.

Mit einem Bilde: es handle sich um ein Blatt mit Zeichen bedruckten Papiers. Zwei Fragen giebt es auf: wie sind die Zeichen auf dem Papier zustande gekommen? und: was bedeuten fie? Auf die erste Frage wird mit der Beschreibung der Geräte und Hantierungen in einer Druckerei geantwortet; auf die andere Frage mit der Darlegung der Gedanken, die durch die Zeichen bedeutet werden. Ganz wie hier die beiden Antworten neben einander Raum haben und nicht eine an die Stelle der andern treten können, so auch in der Erkenntnis der Natur. Die physikalische Erklärung ist notwendig, aber sie erledigt nicht alle Fragen, es bleibt die Frage nach dem Sinne. Andererseits kann der Versuch der Interpretation des Sinnes nicht an die Stelle der kausalen Erklärung treten. Versucht er es, so wird der Naturforscher das ablehnen und sagen: das sei es gar nicht, wonach er ge= fragt habe; was er als Naturforscher wissen wolle, sei nicht der Sinn, sondern der Hergang bei der Bildung der Zeichen, gleichsam der Mechanismus der Druckerei. Es wäre ein thörichtes Mißverständnis, wenn der Metaphysiker meinte, hierauf mit dem Hinweis auf die Ge=

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