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niedersten Stufe tierischen Lebens ist die Sensibilität für Reize über den ganzen Bestand des Leibes gleichmäßig verbreitet; die Berührung an jedem Punkt ruft eine lokale oder allgemeine Bewegungsreaktion hervor; jeder Vorgang ist begleitet mit irgend einem psychischen Äquivalent, das wir, aus unserem Seelenleben hinein interpretierend, als Gefühl und Strebung deuten. Ebenso sind die innerorganischen Vorgänge mit entsprechenden psychischen Vorgängen begleitet. Eine zusammenhangslose und indifferenzierte Vielheit solcher Augenblicksvorgänge, das ist die Form des niedrigsten Seelenlebens. Mit der aufsteigenden Entwickelung werden die Beziehungen zur Außenwelt immer mannigfaltiger und verwickelter, die Aufgabe der Lebenserhaltung fordert immer mannigfaltigere und feinere Anpassung des Verhaltens an die Zustände und Vorgänge der Außenwelt. Als Organ für diese Leistung wird das Nervensystem ausgebildet; in ihm wird die Sensibilität für Erregungen durch die Außenwelt immer mehr gesteigert und differenziert und in demselben Maße schrumpft sie in den übrigen Teilen der organischen Substanz. Mit der Zentralisation der Sensibilität geht die der Reaktionsbewegungen Hand in Hand; die Zentralorgane des Nervensystems sind regulierende Kontrollapparate, durch welche die ursprünglich allgemeine Reaktionsfähigkeit der organischen Substanz eingeschränkt wird. Diesem Entwickelungsprozeß des organischen Lebens geht der des seelischen zur Seite; durch die Ausbildung der Empfindungen und des Gedächtnisses werden die organischen Gefühle immer mehr herabgedrückt, das Spiel der Vorstellungen beginnt und mit ihm das Bewußtsein im eigentlichen Sinne, das nicht ohne die Beziehung eines psychischen Elements auf ein Ganzes gedacht werden kann.

Ich komme zum Schluß dieser ganzen Betrachtung. Seßt man Seelenleben und bewußtes Denken gleich, dann kommt man dahin, wohin die Cartesianer durch ihre Erklärung der Seele als res cogitans geführt wurden: den Tieren, überhaupt den untermenschlichen Wesen die Seele abzusprechen. Ist dagegen auch im Menschenleben das bewußte Vorstellen und Denken nicht das Ganze, giebt es unter der Oberfläche ein unterbewußtes Seelenleben, so hindert nichts zu denken, daß es auch Seelenleben giebt, in dem es zu einem Bewußtsein in der Weise menschlichen Selbstbewußtseins überhaupt nicht kommt. Selbst

bewußtsein seßt Weltbewußtsein mit ausgedehnter Erinnerung, ja Gattungserinnerung, d. h. geschichtliches Bewußtsein voraus: Selbstbewußtsein im eigentlichen Sinne hat das Ich nur als geschichtliches Wesen. So etwas werden wir den Tieren nicht zuschreiben; auch das flügste Tier könnte seine Lebensgeschichte nicht erzählen. Ihr Seelenleben wird dem ähnlich sein, das wir in uns unterhalb des selbst= bewußten Denkens und Wollens antreffen. Es wird, in allmählicher Abstufung, die Vorstellungsseite mehr und mehr schwinden, die Erinnerung immer kürzer, die Wahrnehmung immer dürftiger werden, damit wird auch der Wille immer mehr die Form vorausschauender Zielseßung, bewußten Verlangens oder Begehrens verlieren, bis schließlich als Inhalt des Seelenlebens nichts als ein momentanes Triebgefühl bleibt, das durch die Berührung mit der Umgebung ausgelöst wird. Innere Vorgänge von solcher Art wären als die Begleiterscheinungen zu den Bewegungsvorgängen auch jenseits der Grenze des organischen Lebens zu konstruieren.

Damit wäre denn gegenüber der materialistischen eine idealistische oder spiritualistische Ontologie begründet. Sie beruht wesentlich auf der parallelistischen Theorie von dem Verhältnis des Physischen und Psychischen, und auf der voluntaristischen Psychologie. Ihren Abschluß aber findet sie in der monistischen Lösung des kosmologischen Problems, zu dem wir uns nun wenden.

Zweites Kapitel.

Das kosmologisch-theologische Problem.

1. Thatsachen und Hypothesen.

Die Frage nach dem Wesen des Wirklichen macht das ontologische Problem aus. Das kosmologische Problem ist die Frage nach dem Zusammenhang des Wirklichen und seiner Gesamtgestaltung. Ich bezeichne zunächst die Thatsachen, die die Frage aufgeben.

Der gemeinen Vorstellung erscheint die Welt als eine Vielheit selbständiger Dinge, deren jedes sein Dasein unabhängig von allen übrigen hat. Allerdings bleiben sie nicht völlig gleichgültig neben einander, sie stehen in Beziehungen zu einander, sie wirken auf einander. Doch ist dieser Zusammenhang durch Wechselwirkung für das Dasein jedes Elements an sich entbehrlich.

Fassen wir die Sache etwas genauer ins Auge, so ergeben sich ein paar bemerkenswerte weitere Thatsachen. Zuerst, Wirken und Leiden findet nicht bloß gelegentlich und hin und wieder, sondern beständig und allgemein statt. Jeder Teil der Wirklichkeit steht mit jedem andern in unausgeseßter Wechselwirkung. So lehrt die Physik. Ein Ziegelstein fällt vom Dach. Wir sagen, die Erde zieht ihn mit einer der Masse entsprechenden Kraft an; das heißt: seine Bewegung wird in jedem Moment bestimmt durch die Beziehung aller seiner Teile zu allen Teilen, die den Körper der Erde ausmachen. Wäre die Masse der Erde kleiner, oder wäre ein Teil zeitweilig unthätig, so würde die Bewegung des Ziegelsteins eine andere sein; auf dem Monde fiele er mit geringerer, auf dem Jupiter mit größerer Geschwindigkeit. Ebenso wirken alle Teile des Steins auf die Erde, indem sie ihr einen Antrieb zur Bewegung in der Richtung auf den gemeinsamen Schwerpunkt erteilen. Es stellt sich uns also die Bewegung des Steines als ein Teil einer Gesamtbewegung dar, die er mit allen Teilen der Erde gegen einen gemeinsamen Zielpunkt aus

führt, den Schwerpunkt des Systems. Gleichzeitig steht dies System zu einem größeren System in demselben Verhältnis; jede Veränderung, die in ihm sich zuträgt, die kleinste Verlegung des Schwerpunkts wirkt auf die Bewegung des gesamten Planetensystems zurück. Und dieses steht wieder in Wechselwirkung mit einem weiteren Kreis, einem Milchstraßensystem, zu dessen Konstruktion freilich uns die Daten noch fehlen. Also: alle Massenteilchen, die neben einander im Raum sind, bilden ein einheitliches System mit einer einheitlichen Bewegung, in der jede Bewegung eines Teils als Teilbewegung beschlossen und bestimmt ist.

Derselbe Zusammenhang, der alle Bewegungen im Raum, zu einer allumfassenden Einheit zusammenschließt, beschließt sie auch zur Einheit in der Zeit. Der Ziegelstein wurde durch einen Sturm vom Dach geworfen. Der Luftstrom ist die Wirkung der verschiedenen Erwärmung verschiedener Teile der Erdoberfläche; diese Ursache ist selbst wieder die Wirkung früherer Umstände, der Bewölkung, der Niederschläge, der Meeresströmungen, der Gestaltung der Erdoberfläche und ihrer Bewegung, und so fort ins Unendliche. Hätte ein vollkommener Rechner die Massen und ihre Lage und Bewegung gegen einander in irgend einem beliebig fernen Zeitpunkt der Vergangenheit genau in Anschlag zu bringen vermocht, so wäre er auch imstande gewesen das Eintreten dieses Ereignisses zu dieser Zeit an diesem Ort vorauszusehen, wie der Astronom das Eintreten des Mondes in den Erdschatten auf die Sekunde voraus berechnet.

Wir werden also auf die Formel geführt: alle Bewegungen in der unendlichen Zeit und dem unendlichen Raum bilden in Wahrheit eine einzige Bewegung; die Körperwelt ist ein einheitliches System mit einer einzigen großen Bewegung, zu der sich alle Einzelbewegungen als mit dem Ganzen gesezte Teile verhalten. Oder mit Leibniz: „jeder Körper spürt alles, was sich in der ganzen Welt ereignet, so daß jemand, der alles sieht, in jedem einzelnen lesen könnte, was sich überall begiebt und dazu alles, was sich begeben hat und begeben wird, indem er in dem Gegenwärtigen das in Zeit und Raum Ferne wahrnimmt." (Monadologie, § 61.)

Eine zweite Thatsache, die in der Konstitution der Welt bedeutsam hervortritt, ist die Herrschaft allgemeiner Geseze. So groß

ist die Gleichartigkeit der Elemente, daß das Verhalten aller, wenigstens nach gewissen Seiten, durch einfache Formeln ausgedrückt werden kann. Die Geseße der Mechanik, oder das Gravitationsgeseß sind, so nehmen wenigstens Physik und Astronomie an, der genaue Ausdruck für das Verhalten jedes Massenteilchens, das irgendwo im unendlichen Raum fich findet, irgendwann in der unendlichen Zeit thätig ist; jedes könnte an die Stelle jedes der Masse nach gleichen substituiert werden, ohne daß eine Veränderung im Weltlauf einträte. Diese Homogeneität aller Teile der Wirklichkeit ist offenbar für unser Denken nicht eine notwendige; es wäre durchaus denkbar und bei der Vorausseßung, daß die Welt aus vielen absolut selbständigen Elementen besteht, eigentlich eine nahe liegende Erwartung, daß dieselben alle möglichen Verschieden= heiten des Verhaltens zeigen. Dann wäre Naturwissenschaft in dem jeßigen Sinne nicht möglich, vielleicht überhaupt nicht möglich. Daß es der Fall ist, ist für unser Denken ein glücklicher Zufall.

Hierzu kommt endlich eine dritte bedeutsame Thatsache: die kosmische Gliederung der Wirklichkeit. Das große einheitliche System, das wir die Welt nennen, zeigt eine Neigung zu einer eigentümlichen Anordnung seiner Teile, die Neigung nämlich, sich in kleinere, relativ in sich geschlossene Systeme, mit einer ebenso relativ geschlossenen Bewegungseinheit zu gliedern. Das umfassendste System, das uns übersehbar ist, ist unser Planetensystem; selbst ein relativ in sich geschlossenes Teilsystem eines Systems höherer Ordnung, gliedert es sich wieder in kleinere Einheiten, die Himmelskörper, die sich zum Teil selbst wieder als vielgliedrige kosmische Systeme, Planeten mit Trabanten und Ringen, darstellen. Jeder dieser Teile zeigt, wie das ganze Sonnensystem, zyklische Bewegung und einheitliche Entwickelung: jeder Himmelskörper bewegt sich in periodischen Umläufen um die eigene Achse und um den Zentralkörper; zugleich durchläuft er eine Reihe von Entwickelungsstufen, die sich zu einer einheitlichen Geschichte zusammenschließen. Für die Erde sind wir imstande, ihre Entwickelungsgeschichte wenigstens im Umriß zu skizzieren. Auf der Erde, dem einzigen uns näher bekannten Himmelskörper, treten uns wieder verkleinerte Abbildungen gleichsam jener kosmischen Einheiten entgegen, die Organismen. Wie Mikrokosmen wiederholen fie das Bildungsgesetz der Makrokosmen, sie stellen kleine einheitliche,

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