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Als wie zum Schlaf an ihren lieben Pfühl!

Vermuthlich, dass der Mann dazu sich willig fügte ;
In solchen Fällen mischt das Herz sich gern ins Spiel;
Jedoch gereicht zum Ruhm des wackern Alten,

Dass er wie reines Gold dies Feuer ausgehalten.
Ganz anders war das junge Paar gestimmt,
Das Amor itzt mit seiner Mutter Schwanen

Davonzuführen schien. Ob auf gewohnten Bahnen
Den Lauf ihr Zauberfuhrwerk nimmt,

Ob durch die Luft, ob's rollet oder schwimmt,

Ob langsam oder schnell, mit Pferden oder Schwanen,
Sanft oder hart, mit oder ohne Fahr:

Sie werden nichts von allem dem gewahr.

Ein neuer Wonnetraum, ein seliges Entzücken

Ins Paradies dünkt sie ihr gegenwärt'ger Stand;

Sie können nichts als stumm, mit nimmer satten Blicken,
Sich anschaun, eins des andern warme Hand

Ans volle Herz in süsser Inbrunst drücken

Und, während Himmel und Erd' aus ihren Augen schwand,
Und sie allein noch übrig waren, fragen:

'Ist's? oder träumt uns noch? Sind wir in einem Wagen?'
'So war's kein Traum, als ich im Traum dich sah?'
Rief jedes aus.-'So war es Rezia ?'

'War's Hüon, und ein Gott hat dich mich finden lassen?'
'Du mein?'-'Ich dein?'-'Wer durft' es hoffen, wer?

So wundervoll vereint, uns nimmer nimmermehr

Zu trennen! Kann das Herz so viele Wonne fassen?'
Und dann von neuem stets einander angeblickt,
Von neuem Hand um Hand an Mund und Herz gedrückt.
Vergebens hüllt die Nacht mit dunstbeladnen Flügeln
Den Luftkreis ein; dies hemmt der Liebe Sehkraft nicht:
Aus ihren Augen strahlt ein überirdisch Licht,
Worin die Seelen selbst sich in einander spiegeln.

Nacht ist nicht Nacht für sie; Elysium

Und Himmelreich ist alles um und um;
Ihr Sonnenschein ergiesset sich von innen,
Und jeder Augenblick entfaltet neue Sinnen.

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Allmählich wiegt die Wonnetrunkenheit

Das volle Herz in zauberischen Schlummer;

Die Augen sinken zu, die Sinne werden stummer,

Die Seele dünkt vom Leibe sich befreit,

In ein Gefühl beschränkt, so fest von ihm umschlungen!
So inniglich von ihm durchathmet und durchdrungen !
Beschränkt in Eins, in diesem Einen bloss
Sich fühlend-aber o dies Eins wie grenzenlos !

GOTTHOLD Ephraim lessing.

[Scherer D. 438, E. II. 47.]

Geboren den 22. Januar 1729 zu Camenz in der Oberlausitz. Er erhielt seine erste Erziehung im Hause seines Vaters, eines Predigers, und auf der Schule zu Camenz, kam 1741 auf die Fürstenschule nach Meissen und gieng 1746 nach Leipzig um Theologie zu studieren, wovon er bald durch andere Interessen abgezogen wurde. Schon damals begannen seine eigenen schriftstellerischen Arbeiten, und 1748 kam sein erstes Lustspiel 'Der junge Gelehrte' auf dem Neuberschen Theater in Leipzig zur Aufführung. Sein Vater, dem der Umgang des jungen Theologen mit den Schauspielern in Leipzig misfiel, rief ihn nach Haus; doch der junge Dichter kehrte bald nach Leipzig zurück, gieng dann nach Wittenberg und liess sich 1748 als Student der Medicin immatriculieren. Er entschloss sich jedoch bald seinem schriftstellerischen Berufe zu folgen und gieng zu diesem Zwecke, obgleich von allen Mitteln entblösst, nach Berlin. Hier erhielt er sich durch literarische Thätigkeit und schrieb die gelehrten Beiträge für die Vossische Zeitung. 1751 erschien eine Sammlung seiner Gedichte ('Kleinigkeiten'); 1753 konnte er die Herausgabe seiner Schriften in sechs Bänden beginnen; 1755 schrieb er sein Trauerspiel 'Miss Sara Sampson' und gieng noch in demselben Jahre nach Leipzig zurück. Hier blieb er mit wenigen Unterbrechungen bis 1757 und ernährte sich durch seine Arbeiten über Kunst und Geschichte. Von 1758 bis 1760 war Lessing in Berlin, begann 1759 seine Litteraturbriefe' und gab seine Fabeln und andere Sachen heraus, ward 1760 Mitglied der Academie und gieng dann als Secretär des Generals von Tauenzien nach Breslau. Während seines dortigen Aufenthalts gab er wenig heraus, lebte viel in der Gesellschaft, sammelte aber Material für spätere Arbeiten. 1763 dichtete er 'Minna von Barnhelm' (1767 erschienen). Von Breslau gieng er 1765 nach Berlin; hier arbeitete er am 'Laokoon', der 1766 erschien. 1767 gieng er nach Hamburg, um daselbst ein deutsches Nationaltheater zu gründen und zu leiten. Der Versuch misglückte,

aber wir verdanken demselben Lessings 'Dramaturgie' (1767-1769). 176. erschienen die Briefe antiquarischen Inhalts', 1769 die Abhandlung ‘Wie die Alten den Tod gebildet'. Noch in demselben Jahre erhielt er die Stelle als Bibliothekar zu Wolfenbüttel, wo er bis zu seinem Tod (15. Februar 1781), mit Ausnahme einiger Reisen nach Wien und Italien, blieb. 1772 erschien 'Emilia Galotti'. Die Herausgabe der 'Fragmente des Wolfinbüttelschen Ungenannten' (H. S. Reimarus) verwickelte ihn in den letzten Jahren seines Lebens in theologische Streitigkeiten, die sein Leben verbitterten, denen aber die deutsche Literatur seine letzten Werke verdankt : den 'Anti-Goeze' 1778; 'Nathan der Weise' 1779; 'die Erziehung des Menschengeschlechts', 1780. Seine Werke wurden herausgegeben von Lachmann 13 Bde (Berlin 1838-40). Die 'Hempelsche' Ausgabe erschien Berlin O. F., 20 Bde.

I.

DER TOD.

Gestern, Brüder, könnt ihrs glauben?
Gestern bey dem Saft der Trauben,
(Bildet euch mein Schrecken ein!)
Kam der Tod zu mir herein.

Drohend schwang er seine Hippe,
Drohend sprach das Furchtgerippe :
Fort, du theurer Bacchusknecht !
Fort, du hast genug gezecht!

Lieber Tod, sprach ich mit Thränen,
Solltest du nach mir dich sehnen?
Sieh, da stehet Wein für dich!
Lieber Tod, verschone mich!

Lächelnd greift er nach dem Glase;
Lächelnd macht ers auf der Baase,
Auf der Pest, Gesundheit leer;
Lächelnd setzt ers wieder her.

Fröhlich glaub' ich mich befreyet,
Als er schnell sein Drohn erneuet.
Narre, für dein Gläschen Wein

Denkst du, spricht er, los zu seyn?

IO

20

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Nenne mir ein so geschicktes Thier, dem ich nicht nachahmen könnte! so prahlte der Affe gegen den Fuchs. Der Fuchs aber 20 erwiederte: Und du, nenne mir ein so geringschätziges Thier, dem es einfallen könnte, dir nachzuahmen.

Schriftsteller meiner Nation!--- Muss ich mich noch deutlicher erklären?

2. Der Strauss.

Itzt will ich fliegen; rief der gigantische Strauss, und das ganze Volk der Vögel stand in ernster Erwartung um ihn versammelt. Itzt will ich fliegen, rief er nochmals; breitete die gewaltigen Fittige weit aus, und schoss, gleich einem Schiffe mit aufgespannten Segeln, auf dem Boden dahin, ohne ihn mit einem Tritte zu 30 verlieren.

Sehet da, ein poetisches Bild jener unpoetischen Köpfe, die in

den ersten Zeilen ihrer ungeheuren Oden mit stolzen Schwingen prahlen, sich über Wolken und Sterne zu erheben drohen, und dem Staube doch immer getreu bleiben!

3. Der Sperling und der Strauss.

Sey auf deine Grösse, auf deine Stärke so stolz als du willst : sprach der Sperling zu dem Strausse. Ich bin doch mehr ein Vogel als du. Denn du kannst nicht fliegen; ich aber fliege, obgleich nicht hoch, obgleich nur Ruckweise.

Der leichte Dichter eines fröhlichen Trinkliedes, eines kleinen verliebten Gesanges, ist mehr ein Genie, als der schwunglose 10 Schreiber einer langen Hermaniade.

4. Die blinde Henne.

Eine blind gewordene Henne, die des Scharrens gewohnt war, hörte auch blind noch nicht auf, fleissig zu scharren. Was half es der arbeitsamen Närrin? Eine andre sehende Henne, welche ihre zarten Füsse schonte, wich nie von ihrer Seite, und genoss, ohne zu scharren, die Frucht des Scharrens. Denn so oft die blinde Henne ein Korn aufgescharret hatte, frass es die sehende weg.

Der fleissige Deutsche macht die Collectanea, die der witzige 20 Franzose nutzt.

5. Der Rangstreit der Thiere, in vier Fabeln.

I.

Es entstand ein hitziger Rangstreit unter den Thieren. Ihn zu schlichten, sprach das Pferd, lasset uns den Menschen zu Rathe ziehen; er ist keiner von den streitenden Theilen, und kann desto unpartheyischer seyn.

Aber hat er auch den Verstand dazu? liess sich ein Maulwurf hören. Er braucht wirklich den allerfeinsten, unsere oft tief versteckte Vollkommenheiten zu erkennen.

Das war sehr weislich erinnert! sprach der Hamster.

Ja wohl! rief auch der Igel. Ich glaube es nimmermehr, dass der Mensch Scharfsichtigkeit genug besitzet.

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