DER WIRTHIN TÖCHTERLEIN. Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein, 'Frau Wirthin, hat Sie gut Bier und Wein? 'Mein Bier und Wein ist frisch und klar. Und als sie traten zur Kammer hinein, 30 Der erste der schlug den Schleier zurück 'Ach, lebtest du noch, du schöne Maid! Der zweite deckte den Schleier zu 'Ach, dass du liegst auf der Todtenbahr! 'Dich liebt' ich immer, dich lieb' ich noch heut 4. TAILLEFER. Normannenherzog Wilhelm sprach einmal : 'Wer singet in meinem Hof und in meinem Saal? 'Das ist der Taillefer, der so gerne singt, Der Herzog sprach: 'Ich hab' einen guten Knecht, Da sprach der Taillefer: Und wär' ich frei, Wie wollt' ich singen und klingen mit Schild und mit Schwert!' 10 20 Nicht lange, so ritt der Taillefer ins Gefild Auf einem hohen Pferde mit Schwert und mit Schild. Und als er ritt vorüber an Fräuleins Thurm, Da sang er bald wie ein Lüftlein, bald wie ein Sturm. Sie sprach: 'Der singet, das ist eine herrliche Lust; Es zittert der Thurm, und es zittert mein Herz in der Brust.' Der Herzog Wilhelm fuhr wohl über das Meer, Als nun das Normannenheer zum Sturme schritt, 'Manch Jährlein hab' ich gesungen und Feuer geschürt, 'Und hab' ich euch gedient und gesungen zu Dank, Der Taillefer ritt vor allem Normannenheer Und als das Rolandslied wie ein Sturm erscholl, 10 20 Dann sprengt er hinein und führte den ersten Stoss, Davon ein englischer Ritter zur Erde schoss; 30 Dann schwang er das Schwert und führte den ersten Schlag, Normannen sahens, die harrten nicht allzu lang, Sie brachen herein mit Geschrei und mit Schilderklang. Bis Harald fiel und sein trotziges Heer erlag! Herr Wilhelm steckte sein Banner aufs blutige Feld; Da sass er am Mahle, den goldnen Pokal in der Hand, 'Mein tapfrer Taillefer, komm! trink mir Bescheid! 10 ADELBERT VON CHAMISSO. [Scherer D. 654, E. II. 271.] Aus einer alten französischen Familie. Geboren 1781 auf dem Schlosse Boncourt in der Champagne, kam als neunjähriger Knabe zur Zeit der Auswanderungen des französischen Adels zuerst nach den Niederlanden und von da nach Deutschland, 1797 nach Berlin, wo er Page der Königin wurde. 1798 trat er in den preussischen Militärdienst, widmete sich aber daneben der Poesie und wissenschaftlichen, namentlich naturwissenschaft- 20 lichen Studien. 1807 nahm er Abschied als Offizier, darauf mehrfach in Frankreich, 1815-18 machte er als Naturforscher die Romanzowsche Entdeckungsreise in die Südsee und um die Erde mit; nach der Rückkehr Kustos des botanischen Gartens in Berlin. Er starb 1838. Sein berühmtestes Werk Peter Schlemihls wunderbare Geschichte' erschien 1814, die erste Sammlung seiner Gedichte' 1831; die erste Gesammtausgabe seiner Werke kam in 6 Bänden (Leipzig 1836 ff.) heraus. Seine Gedichte gab neuerdings Hesekiel heraus (Berlin, ohne Jahr). I. DAS SCHLOSS BONCOURT. Ich träum' als Kind mich zurücke Und schüttle mein greises Haupt; Die lang' ich vergessen geglaubt ! 339 30 |