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DER WIRTHIN TÖCHTERLEIN.

Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein,
Bei einer Frau Wirthin da kehrten sie ein:

'Frau Wirthin, hat Sie gut Bier und Wein?
Wo hat Sie Ihr schönes Töchterlein?'

'Mein Bier und Wein ist frisch und klar.
Mein Töchterlein liegt auf der Todtenbahr.'

Und als sie traten zur Kammer hinein,
Da lag sie in einem schwarzen Schrein.

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Der erste der schlug den Schleier zurück
Und schaute sie an mit traurigem Blick:

'Ach, lebtest du noch, du schöne Maid!
Ich würde dich lieben von dieser Zeit.'

Der zweite deckte den Schleier zu
Und kehrte sich ab und weinte dazu:

'Ach, dass du liegst auf der Todtenbahr!
Ich hab' dich geliebet so manches Jahr.'

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'Dich liebt' ich immer, dich lieb' ich noch heut
Und werde dich lieben in Ewigkeit.'

4.

TAILLEFER.

Normannenherzog Wilhelm sprach einmal :

'Wer singet in meinem Hof und in meinem Saal?
Wer singet vom Morgen bis in die späte Nacht
So lieblich, dass mir das Herz im Leibe lacht?'

'Das ist der Taillefer, der so gerne singt,
Im Hofe, wann er das Rad am Brunnen schwingt,
Im Saale, wann er das Feuer schüret und facht,
Wann er abends sich legt und wann er morgens erwacht.'

Der Herzog sprach: 'Ich hab' einen guten Knecht,
Den Taillefer; der dienet mir fromm und recht,
Er treibt mein Rad und schüret mein Feuer gut
Und singet so hell; das höhet mir den Muth.'

Da sprach der Taillefer: Und wär' ich frei,
Viel besser wollt' ich dienen und singen dabei.
Wie wollt' ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd !

Wie wollt' ich singen und klingen mit Schild und mit Schwert!'

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Nicht lange, so ritt der Taillefer ins Gefild

Auf einem hohen Pferde mit Schwert und mit Schild.
Des Herzogs Schwester schaute vom Thurm ins Feld;
Sie sprach: 'Dort reitet, bei Gott! ein stattlicher Held.'

Und als er ritt vorüber an Fräuleins Thurm,

Da sang er bald wie ein Lüftlein, bald wie ein Sturm.

Sie sprach: 'Der singet, das ist eine herrliche Lust;

Es zittert der Thurm, und es zittert mein Herz in der Brust.'

Der Herzog Wilhelm fuhr wohl über das Meer,
Er fuhr nach Engelland mit gewaltigem Heer.
Er sprang vom Schiffe, da fiel er auf die Hand;
'Hei!' rief er, 'ich fass' und ergreife dich, Engelland !'

Als nun das Normannenheer zum Sturme schritt,
Der edle Taillefer vor den Herzog ritt:

'Manch Jährlein hab' ich gesungen und Feuer geschürt,
Manch Jährlein gesungen und Schwert und Lanze gerührt.

'Und hab' ich euch gedient und gesungen zu Dank,
Zuerst als ein Knecht und dann als ein Ritter frank,
So lasst mich das entgelten am heutigen Tag!
Vergönnet mir auf die Feinde den ersten Schlag!'

Der Taillefer ritt vor allem Normannenheer
Auf einem hohen Pferde mit Schwert und mit Speer;
Er sang so herrlich; das klang über Hastingsfeld;
Von Roland sang er und manchem frommen Held.

Und als das Rolandslied wie ein Sturm erscholl,
Da wallete manch Panier, manch Herze schwoll,
Da brannten Ritter und Mannen von hohem Muth;
Der Taillefer sang und schürte das Feuer gut.

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Dann sprengt er hinein und führte den ersten Stoss,

Davon ein englischer Ritter zur Erde schoss;

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Dann schwang er das Schwert und führte den ersten Schlag,
Davon ein englischer Ritter am Boden lag.

Normannen sahens, die harrten nicht allzu lang,

Sie brachen herein mit Geschrei und mit Schilderklang.
Hei, sausende Pfeile, klirrender Schwerterschlag,

Bis Harald fiel und sein trotziges Heer erlag!

Herr Wilhelm steckte sein Banner aufs blutige Feld;
Immitten der Todten spannt' er sein Gezelt;

Da sass er am Mahle, den goldnen Pokal in der Hand,
Auf dem Haupte die Königskrone von Engelland.

'Mein tapfrer Taillefer, komm! trink mir Bescheid!
Du hast mir viel gesungen in Lieb' und in Leid;
Doch heut im Hastingsfelde dein Sang und dein Klang
Der tönet mir in den Ohren mein Leben lang.'

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ADELBERT VON CHAMISSO.

[Scherer D. 654, E. II. 271.]

Aus einer alten französischen Familie. Geboren 1781 auf dem Schlosse Boncourt in der Champagne, kam als neunjähriger Knabe zur Zeit der Auswanderungen des französischen Adels zuerst nach den Niederlanden und von da nach Deutschland, 1797 nach Berlin, wo er Page der Königin wurde. 1798 trat er in den preussischen Militärdienst, widmete sich aber daneben der Poesie und wissenschaftlichen, namentlich naturwissenschaft- 20 lichen Studien. 1807 nahm er Abschied als Offizier, darauf mehrfach in Frankreich, 1815-18 machte er als Naturforscher die Romanzowsche Entdeckungsreise in die Südsee und um die Erde mit; nach der Rückkehr Kustos des botanischen Gartens in Berlin. Er starb 1838. Sein berühmtestes Werk Peter Schlemihls wunderbare Geschichte' erschien 1814, die erste Sammlung seiner Gedichte' 1831; die erste Gesammtausgabe seiner Werke kam in 6 Bänden (Leipzig 1836 ff.) heraus. Seine Gedichte gab neuerdings Hesekiel heraus (Berlin, ohne Jahr).

I.

DAS SCHLOSS BONCOURT.

Ich träum' als Kind mich zurücke

Und schüttle mein greises Haupt;
Wie sucht Ihr mich heim, Ihr Bilder,

Die lang' ich vergessen geglaubt !

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