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bietet und begleitet ihr Gebot durch einen sittlichen (nach Gesetzen der inneren Freiheit möglichen) Zwang; wozu aber, weil er unwiderstehlich seyn soll, Stärke erforderlich ist, deren Grad wir nur durch die Grösse der Hindernisse, die der Mensch durch seine Neigungen sich selber schafft, schätzen können. Die Laster, als die Brut gesetzwidriger Gesinnungen, sind die Ungeheuer, die er nun zu bekämpfen hat: weshalb diese sittliche Stärke auch, als Tapferkeit (fortitudo moralis), die grösste und einzige wahre Kriegsehre des Menschen ausmacht; auch wird sie die eigentliche, nämlich praktische Weisheit genannt: weil sie den Endzweck des Daseyns der 10 Menschen auf Erden zu dem ihrigen macht.—In ihrem Besitz ist der Mensch allein frei, gesund, reich, ein König u. s. w. und kann weder durch Zufall, noch Schicksal einbüssen; weil er sich selbst besitzt, und der Tugendhafte seine Tugend nicht verlieren kann.

Alle Hochpreisungen, die das Ideal der Menschheit in ihrer moralischen Vollkommenheit betreffen, können durch die Beispiele des Widerspiels dessen, was die Menschen jetzt sind, gewesen sind, oder vermuthlich künftig seyn werden, an ihrer praktischen Realität nichts verlieren, und die Anthropologie, welche aus blossen Erfahrungserkenntnissen hervorgeht, kann der Anthroponomie, 20 welche von der unbedingt gesetzgebenden Vernunft aufgestellt wird, keinen Abbruch thun, und wiewohl Tugend (in Beziehung auf Menschen, nicht aufs Gesetz) auch hin und wieder verdienstlich heissen und einer Belohnung würdig seyn kann, so muss sie doch für sich selbst, so wie sie ihr eigener Zweck ist, auch als ihr eigener Lohn betrachtet werden.

Die Tugend in ihrer ganzen Vollkommenheit betrachtet, wird also vorgestellt, nicht wie der Mensch die Tugend, sondern als ob die Tugend den Menschen besitze; weil es im ersteren Falle so aussehen würde, als ob er noch die Wahl gehabt hätte (wozu er 30 alsdann noch einer andern Tugend bedürfen würde, um die Tugend vor jeder andern ihm angebotenen Waare zu erlesen).— Eine Mehrheit der Tugenden sich zu denken (wie es denn unvermeidlich ist), ist nichts Anderes, als sich verschiedne moralische Gegenstände denken, auf die der Wille aus dem einigen Princip der Tugend geleitet wird; eben so ist es mit den entgegenstehenden Lastern bewandt. Der Ausdruck, der beide verpersönlicht, ist

eine ästhetische Maschinerie, die aber doch auf einen moralischen Sinn hinweist.-Daher ist eine Aesthetik der Sitten zwar nicht ein Theil, aber doch eine subjective Darstellung der Metaphysik derselben wo die Gefühle, welche die nöthigende Kraft des moralischen Gesetzes begleiten, jener ihre Wirksamkeit empfindbar machen; z. B. Ekel, Grauen u. s. w., welche den moralischen Widerwillen versinnlichen, um der blos-sinnlichen Anreizung den Vorrang abzugewinnen.

VOM PRINCIP DER ABSONDERUNG DER TUGENDLEHRE VON

DER RECHTSLEHRE.

Diese Absonderung, auf welcher auch die Obereintheilung der Sittenlehre überhaupt beruht, gründet sich darauf: dass der Begriff der Freiheit, der jenen beiden gemein ist, die Eintheilung der Pflichten der äusseren und inneren Freiheit nothwendig macht; von denen die letzteren allein ethisch sind.-Daher muss diese und zwar als Bedingung aller Tugendpflicht (so wie oben die Lehre vom Gewissen als Bedingung aller Pflicht überhaupt) als vorbereitender Theil (discursus praeliminaris) vorangeschickt werden.

ANMERKUNG. VON DER TUGENDLEHRE NACH DEM PRINCIP

DER INNEREN FREIHEIT.

IO

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Fertigkeit (habitus) ist eine Leichtigkeit zu handeln und eine subjective Vollkommenheit der Willkühr.-Nicht jede solche Leichtigkeit aber ist eine freie Fertigkeit (habitus libertatis; denn wenn sie Angewohnheit (assuetudo), d.i. durch öfters wiederholte Handlung zur Nothwendigkeit gewordene Gleichförmigkeit derselben ist, so ist sie keine aus der Freiheit hervorgehende, mithin auch nicht moralische Fertigkeit. Die Tugend kann man also nicht durch die Fertigkeit in freien gesetzmässigen Handlungen definiren; wohl aber, wenn hinzugesetzt würde, 'sich durch die Vorstellung des Gesetzes im Handeln zu bestimmen', und da ist diese Fertigkeit eine Beschaffen- 30 heit nicht der Willkühr, sondern des Willens, der ein mit der Regel, die er annimmt, zugleich allgemein-gesetzgebendes Begehrungsvermögen ist, und eine solche allein kann zur Tugend gezählt werden.

Zur innern Freiheit aber werden zwei Stücke erfordert: seiner

selbst in einem gegebenen Fall Meister (animus sui compos) und über sich selbst Herr zu seyn (imperium in semetipsum), d. i. seine Affecten zu zähmen und seine Leidenschaften zu beherrschen.Die Gemüthsart (indoles) in diesen beiden Zuständen ist edel (erecta), im entgegengesetzten Fall aber unedel (indoles abjecta, serva).

VON DEM ERSTEN GEBOT, ALLER PFLICHTEN GEGEN SICH
SELBST.

Dieses ist: Erkenne (erforsche, ergründe) Dich selbst, nicht nach Deiner physischen Vollkommenheit (der Tauglichkeit oder Untaug- 10 lichkeit zu allerlei Dir beliebigen oder auch gebotenen Zwecken), sondern nach der moralischen, in Beziehung auf Deine Pflicht-prüfe Dein Herz-ob es gut oder böse sey, ob die Quelle Deiner Handlungen lauter oder unlauter, und was, entweder als ursprünglich zur Substanz des Menschen gehörend, oder, als abgeleitet (erworben oder zugezogen), ihm selbst zugerechnet werden könne und zum moralischen Zustande gehören möge.

Diese Selbstprüfung, die in die schwerer zu ergründenden Tiefern oder den Abgrund des Herzens zu dringen verlangt, und die dadurch zu erhaltende Selbsterkenntniss ist aller menschlichen Weisheit 20 Anfang. Denn die letzte, welche in der Zusammenstimmung des Willens eines Wesens zum Endzweck besteht, bedarf beim Menschen zu allererst der Wegräumung der innern Hindernisse (eines bösen in ihm genistelten Willens), und dann der Bestrebung, die nie verlierbare ursprüngliche Anlage eines guten Willens in sich zu entwickeln. Nur die Höllenfahrt der Selbsterkenntniss bahnt den Weg zur Vergötterung.

ROMANTIK.

JOHANN GOTTLIEB FICHTE.

[Scherer D. 618, E. II. 233.]

Geboren 1762 zu Rammenau bei Kamenz in der Oberlausitz, Sohn eines armen Webers, besuchte die Schule zu Pforte, die Universitäten Jena, Leipzig und Wittenberg; 1793 Professor der Philosophie in Jena, seit 1799 lebte er mit Unterbrechungen in Berlin, hielt hier 1808 die berühmten 'Reden an die deutsche Nation' und wurde 1810 Professor an der Universität. Er starb 1814. Seine Sämmtlichen Werke' wurden von seinem Sohn herausgegeben, 8 Bde. (Berlin 1845–46).

AUS DEN REDEN AN DIE DEUTSCHE NATION.
WAS EIN VOLK SEI, IN DER HÖHERN BEDEUTUNG DES
WORTS UND WAS VATERLANDSLIEBE.

......

ΤΟ

Volk und Vaterland... als Träger und Unterpfand der irdischen Ewigkeit, und als dasjenige, was hienieden ewig sein kann, liegt weit hinaus über den Staat, im gewöhnlichen Sinne des Worts,—— über die gesellschaftliche Ordnung, wie dieselbe im blossen klaren Begriffe erfasst, und nach Anleitung dieses Begriffs errichtet und erhalten wird. Dieser will gewisses Recht, innerlichen Frieden, und dass jeder durch Fleiss seinen Unterhalt und die Fristung 20 seines sinnlichen Daseins finde, so lange Gott sie ihm gewähren will. Dieses alles ist nur Mittel, Bedingung und Gerüst dessen, was die Vaterlandsliebe eigentlich will, des Aufblühens des ewigen und göttlichen in der Welt, immer reiner, vollkommener und getroffener im unendlichen Fortgange. Eben darum muss diese Vaterlandsliebe den Staat selbst regieren, als durchaus oberste, letzte und unabhängige Behörde, zuvörderst, indem sie ihn beschränkt in der Wahl der Mittel für seinen nächsten Zweck, den innerlichen Frieden. Für diesen Zweck muss freilich die natür

liche Freiheit des Einzelnen auf mancherlei Weise beschränkt werden, und wenn man gar keine andere Rücksicht und Absicht mit ihnen hätte, denn diese, so würde man wohl thun, dieselbe so eng, als immer möglich, zu beschränken, alle ihre Regungen unter eine einförmige Regel zu bringen, und sie unter immerwährender Aufsicht zu erhalten. Gesetzt diese Strenge wäre nicht nöthig, so könnte sie wenigstens für diesen alleinigen Zweck nicht schaden. Nur die höhere Ansicht des Menschengeschlechts und der Völker erweitert diese beschränkte Berechnung. Freiheit, auch in den Regungen des äusserlichen Lebens, ist der Boden, in welchem die 10 höhere Bildung keimt; eine Gesetzgebung, welche diese letztere im Auge behält, wird der ersteren einen möglichst ausgebreiteten Kreis lassen, selber auf die Gefahr hin, dass ein geringerer Grad der einförmigen Ruhe und Stille erfolge, und dass das Regieren ein wenig schwerer und mühsamer werde.

Um dies an einem Beispiele zu erläutern: man hat erlebt, dass Nationen ins Angesicht gesagt worden, sie bedürften nicht so vieler Freiheit, als etwa manche andere Nation. Diese Rede kann sogar eine Schonung und Milderung enthalten, indem man eigentlich sagen wollte, sie könnte so viele Freiheit gar nicht ertragen, und 20 nur eine hohe Strenge könne verhindern, dass sie sich nicht unter einander selber aufrieben. Wenn aber die Worte also genommen werden, wie sie gesagt sind, so sind sie wahr unter der Voraussetzung, dass eine solche Nation des ursprünglichen Lebens, und des Triebes nach solchem, durchaus unfähig sei. Eine solche Nation, falls eine solche, in der auch nicht wenige edlere eine Ausnahme von der allgemeinen Regel machten, möglich sein sollte, bedürfte in der That gar keiner Freiheit, denn diese ist nur für die höhern, über den Staat hinausliegenden Zwecke; sie bedarf bloss der Bezähmung und Abrichtung, damit die Einzelnen friedlich neben 30 einander bestehen, und damit das Ganze zu einem tüchtigen Mittel für willkürlich zu setzende ausser ihr liegende Zwecke zubereitet werde. Wir können unentschieden lassen, ob man von irgend einer Nation dies mit Wahrheit sagen könne; so viel ist klar, dass ein ursprüngliches Volk der Freiheit bedarf, dass dieses das Unterpfand ist seines Beharrens als ursprünglich, und dass es in seiner Fortdauer einen immer höher steigenden Grad derselben ohne alle

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