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Stoff zum Lob und zum Tadel geben; über den Idealisten hingegen wird es immer Parthey ergreifen, und zwischen Verwerfung und Bewunderung sich theilen, weil in dem einzelnen sein Mangel und seine Stärke liegt.

Es ist nicht zu vermeiden, dass bey einer so grossen Abweichung in den Principien beyde Partheyen in ihren Urtheilen einander nicht oft gerade entgegengesetzt seyn, und, wenn sie selbst in den Objekten und Resultaten übereinträfen, nicht in den Gründen auseinander seyn sollten. Der Realist wird fragen, wozu eine Sache gut sey? und die Dinge nach dem, was sie werth sind, zu taxiren wissen: 10 der Idealist wird fragen, ob sie gut sey? und die Dinge nach dem taxiren, was sie würdig sind. Von dem was seinen Werth und Zweck in sich selbst hat (das Ganze jedoch immer ausgenommen) weiss und hält der Realist nicht viel; in Sachen des Geschmacks wird er dem Vergnügen, in Sachen der Moral wird er der Glückseligkeit das Wort reden, wenn er diese gleich nicht zur Bedingung des sittlichen Handelns macht; auch in seiner Religion vergisst er seinen Vortheil nicht gern, nur dass er denselben in dem Ideale des höchsten Guts veredelt und heiligt. Was er liebt wird er zu beglücken, der Idealist wird es zu veredeln suchen. Wenn 20 daher der Realist in seinen politischen Tendenzen den Wohlstand bezweckt, gesetzt dass es auch von der moralischen Selbstständigkeit des Volks etwas kosten sollte, so wird der Idealist, selbst auf Gefahr des Wohlstandes, die Freyheit zu seinem Augenmerk machen. Unabhängigkeit des Zustandes ist jenem, Unabhängigkeit von dem Zustand ist diesem das höchste Ziel, und dieser charakteristische Unterschied lässt sich durch ihr beyderseitiges Denken und Handeln verfolgen. Daher wird der Realist seine Zuneigung immer dadurch beweisen, dass er giebt, der Idealist dadurch, dass er empfängt; durch das, was er in seiner Grossmuth aufopfert, 30 verräth jeder, was er am höchsten schätzt. Der Idealist wird die Mängel seines Systems mit seinem Individuum und seinem zeitlichen Zustand bezahlen, aber er achtet dieses Opfer nicht; der Realist büsst die Mängel des seinigen mit seiner persönlichen Würde, aber er erfährt nichts von diesem Opfer. Sein System bewährt sich an allem, wovon er Kundschaft hat, und wornach er ein Bedürfniss empfindet-was bekümmern ihn Güter, von

denen er keine Ahnung und an die er keinen Glauben hat? Genug für ihn, er ist im Besitze, die Erde ist sein, und es ist Licht in seinem Verstande, und Zufriedenheit wohnt in seiner Brust. Der Idealist hat lange kein so gutes Schicksal. Nicht genug, dass er oft mit dem Glücke zerfällt, weil er versäumte, den Moment zu seinem Freunde zu machen, er zerfällt auch mit sich selbst, weder sein Wissen, noch sein Handeln kann ihm Genüge thun. Was er von sich fodert, ist ein Unendliches, aber beschränkt ist alles, was er leistet. Diese Strenge, die er gegen sich selbst beweisst, verläugnet er auch nicht in seinem Betragen 10 gegen andre. Er ist zwar grossmüthig, weil er sich Andern gegenüber seines Individuums weniger erinnert, aber er ist öfters unbillig, weil er das Individuum eben so leicht in andern übersieht. Der Realist hingegen ist weniger grossmüthig, aber er ist billiger, da er alle Dinge mehr in ihrer Begrenzung beurtheilt. Das Gemeine, ja selbst das Niedrige im Denken und Handeln kann er verzeyhen, nur das Willkührliche, das Eccentrische nicht; der Idealist hingegen ist ein geschworner Feind alles Kleinlichen und Platten, und wird sich selbst mit dem Extravaganten und Ungeheuren versöhnen, wenn es nur von einem 20 grossen Vermögen zeugt. Jener beweisst sich als Menschenfreund, ohne eben einen sehr hohen Begriff von den Menschen und der Menschheit zu haben; dieser denkt von der Menschheit so gross, dass er darüber in Gefahr kommt, die Menschen zu verachten.

Der Realist für sich allein würde den Kreis der Menschheit nie über die Grenzen der Sinnenwelt hinaus erweitert, nie den menschlichen Geist mit seiner selbstständigen Grösse und Freyheit bekannt gemacht haben; alles Absolute in der Menschheit ist ihm nur eine schöne Schimäre und der Glaube daran nicht viel besser als Schwärmerey, weil er den Menschen niemals in seinem reinen 30 Vermögen, immer nur in einem bestimmten und eben darum begrenzten Wirken erblickt. Aber der Idealist für sich allein würde eben so wenig die sinnlichen Kräfte cultiviert und den Menschen als Naturwesen ausgebildet haben, welcher doch ein gleich wesentlicher Theil seiner Bestimmung, und die Bedingung aller moralischen Veredlung ist. Das Streben des Idealisten geht viel zu sehr über das sinnliche Leben und über die Gegenwart hinaus ; für das Ganze

nur,

für die Ewigkeit will er säen und pflanzen; und vergisst darüber, dass das Ganze nur der vollendete Kreis des Individuellen, dass die Ewigkeit nur eine Summe von Augenblicken ist. Die Welt wie der Realist sie um sich herum bilden möchte, und wirklich bildet, ist ein wohlangelegter Garten, worinn alles nützt, alles seine Stelle verdient, und was nicht Früchte trägt verbannt ist; die Welt unter den Händen des Idealisten ist eine weniger benutzte aber in einem grösseren Charakter ausgeführte Natur. Jenem fällt es nicht ein, dass der Mensch noch zu etwas anderm da seyn könne, als wohl und zufrieden zu leben; und dass er nur desswegen 10 Wurzeln schlagen soll, um seinen Stamm in die Höhe zu treiben. Dieser denkt nicht daran, dass er vor allen Dingen wohl leben muss, um gleichförmig gut und edel zu denken, und dass es auch um den Stamm gethan ist, wenn die Wurzeln fehlen.

CHRISTIAN FriedricH DANIEL SCHUBART.

[Scherer D. 503, E. II. 116.]

Geboren 1739 in Schwaben, wurde namentlich durch seine persönlichen Schicksale bekannt. Er war Theolog, begann aber bald ein ausschweifendes Künstler-und Dichterleben und machte sich durch seine gegen die Fürsten und Minister gerichtete Sache viele Feinde. Nachdem er sich von 20 einer Stadt zur andern geflüchtet, wurde er 1777 vom Herzog Karl von Würtemberg verhaftet und ohne Verhör bis 1787 gefangen gehalten. Er starb 1791. Seine Gesammelten Schriften' erschienen in 8 Bänden (Stuttgart 1839 f.); Schubarts Leben in seinen Briefen' gab D. F. Strauss heraus, 2 Bde. (Berlin, 1849).

I.

DER EWIGE Jude.

Aus einem finstern Geklüfte Karmels
Kroch Ahasver. Bald sind's zweitausend Jahre,
Seit Unruh' ihn durch alle Länder peitschte.
Als Jesus einst die Last des Kreuzes trug,
Und rasten wollt' vor Ahasveros Thür';
Ach! da versagt' ihm Ahasver die Rast,
Und stiess den Mittler trotzig von der Thür':

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Und Jesus schwankt', und sank mit seiner Last.
Doch er verstummt. Ein Todesengel trat
Vor Ahasveros hin, und sprach im Grimme:
'Die Ruh' hast du dem Menschensohn versagt;
Auch dir sey sie, Unmenschlicher, versagt,
Bis dass er kömmt!'

Ein schwarzer höllentflohner

Dämon geisselt nun dich, Ahasver,

Von Land zu Land. Des Sterbens süsser Trost,
Der Grabesruhe Trost ist dir versagt!

Aus einem finsteren Geklüfte Karmels
Trat Ahasver. Er schüttelte den Staub
Aus seinem Barte; nahm der aufgethürmten
Todtenschädel einen, schleudert' ihn

Hinab vom Karmel, dass er hüpft' und scholl
Und splitterte. Der war mein Vater!' brüllte
Ahasveros. Noch ein Schädel! Ha,

Noch sieben Schädel polterten hinab

Von Fels zu Fels! Und die-und die,' mit stierem
Vorgequollnem Auge ras'ts der Jude:

"Und die-und die-sind meine Weiber-Ha!'

Noch immer rollten Schädel. 'Die und die,'

Brüllt Ahasver, 'sind meine Kinder, ha!

Sie konnten sterben!-Aber ich Verworfner,

Ich kann nicht sterben! Ach, das furchtbarste Gericht
Hängt schreckenbrüllend ewig über mir.

Jerusalem sank. Ich knirschte den Säugling,

Ich rannt' in die Flamme. Ich fluchte dem Römer;

Doch, ach doch, ach! der rastlose Fluch
Hielt mich am Haar, und ich starb nicht.

Roma, die Riesin, stürzte in Trümmer, Ich stellte mich unter die stürzende Riesin, Doch, sie fiel und zermalmte mich nicht. Nationen entstanden und sanken vor mir ; Ich aber blieb, und starb nicht!

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20

30

Von wolkengegürteten Klippen stürzt' ich
Hinunter ins Meer; doch strudelnde Wellen
Wälzten mich ans Ufer, und des Seyns
Flammenpfeil durchstach mich wieder.
Hinab sah ich in Aetnas grausen Schlund,
Und wüthete hinab in seinen Schlund:

Da brüllt ich mit den Riesen zehn Monden lang
Mein Angstgeheul, und geisselte mit Seufzern
Die Schwefelmündung. Ha! zehn Monden lang!
Doch Aetna gohr, und spie in einem Lavastrom
Mich wieder aus. Ich zuckt in Asch', und lebte noch !

Es brannt' ein Wald. Ich Rasender lief

In brennenden Wald. Vom Haare der Bäume
Trof Feuer auf mich-

Doch sengte nur die Flamme mein Gebein,

Und verzehrte mich nicht.

Da mischt' ich mich unter die Schlächter der Menschheit,

Stürzte mich dicht ins Wetter der Schlacht,

Brüllte Hohn dem Gallier,

Hohn dem unbesiegten Deutschen :

Doch Pfeil und Wurfspiess brachen an mir.
An meinem Schädel splitterte

Des Sarazenen hochgeschwungnes Schwert.
Kugelsaat regnete herab an mir,

Wie Erbsen auf eiserne Panzer geschleudert.
Die Blitze der Schlacht schlängelten sich
Kraftlos um meine Lenden,

Wie um des Zackenfelsen Hüften,
Der in Wolken sich birgt.

Vergebens stampfte mich der Elephant;
Vergebens schlug mich der eiserne Huf

Des zornfunkelnden Streitrosses.

Mit mir borst die pulverschwangre Mine,
Schleuderte mich hoch in die Luft,

Betäubt stürzt' ich herab und fand mich geröstet
Unter Blut und Hirn und Mark,

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