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zu wollen, so wie uns der Tactschlag des Dreschers den Gedanken erweckt, dass in der abgesichelten Ähre soviel Nährendes und Lebendiges verborgen liegt.'

'So wiederholt sich denn abermals das Jahresmährchen von vorn. Wir sind nun wieder, Gott sey Dank! an seinem artigsten Capitel. Veilchen und Mayblumen sind wie Überschriften oder Vignetten dazu. Es macht uns immer einen angenehmen Eindruck, wenn wir sie in dem Buche des Lebens wieder aufschlagen.'

'Alles Vollkommene in seiner Art muss über seine Art hinausgehen, es muss etwas anderes unvergleichbares werden. In manchen 10 Tönen ist die Nachtigall noch Vogel; dann steigt sie über ihre Classe hinüber und scheint jedem Gefiederten andeuten zu wollen, was eigentlich singen heisse.'

Ottiliens Begräbniss.

Man kleidete den holden Körper in jenen Schmuck den sie sich selbst vorbereitet hatte; man setzte ihr einen Kranz von Asterblumen auf das Haupt, die wie traurige Gestirne ahnungsvoll glänzten. Die Bahre, die Kirche, die Capelle zu schmücken, wurden alle Gärten ihres Schmucks beraubt. Sie lagen verödet als wenn bereits der Winter alle Freude aus den Beeten weggetilgt hätte. Beim frühsten Morgen wurde sie im offnen Sarge aus dem Schloss 20 getragen, und die aufgehende Sonne röthete nochmals das himmlische Gesicht. Die Begleitenden drängten sich um die Träger, niemand wollte vorausgehn, niemand folgen, jederman sie umgeben, jederman noch zum letztenmale ihre Gegenwart geniessen. Knaben, Männer und Frauen, keins blieb ungerührt. Untröstlich waren die Mädchen, die ihren Verlust am unmittelbarsten empfanden.

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40.

AUS DEM HISTORISCHEN THEILE DER FARBENLEHRE.

Betrachtet man die einzelne frühere Ausbildung der Zeiten, Gegenden, Ortschaften, so kommen uns aus der dunkeln Vergangenheit überall tüchtige und vortreffliche Menschen, tapfere, schöne, gute 30 in herrlicher Gestalt entgegen. Der Lobgesang der Menschheit, dem die Gottheit so gerne zuhören mag, ist niemals verstummt, und wir selbst fühlen ein göttliches Glück, wenn wir die durch alle

Zeiten und Gegenden vertheilten harmonischen Ausströmungen, bald in einzelnen Stimmen, in einzelnen Chören, bald fugenweise, bald in einem herrlichen Vollgesang vernehmen.

ÜBERLIEFERTES.

Weniges gelangt aus der Vorzeit herüber als vollständiges Denkmal, vieles in Trümmern; manches als Technik, als praktischer Handgriff; einiges, weil es dem Menschen nahe verwandt ist, wie Mathematik; anderes, weil es immer wieder gefordert und angeregt wird, wie Himmel- und Erd-Kunde; einiges, weil man dessen bedürftig bleibt, wie die Heilkunst; anderes zuletzt, weil es der Mensch, ohne zu wollen, immer wieder selbst hervorbringt, 10 wie Musik und die übrigen Künste.

Doch von alle diesem ist im wissenschaftlichen Falle nicht sowohl die Rede als von schriftlicher Überlieferung. Auch hier übergehen wir vieles. Soll jedoch für uns ein Faden aus der alten Welt in die neue herüberreichen, so müssen wir dreyer Hauptmassen gedenken, welche die grösste, entschiedenste, ja oft eine ausschliessende Wirkung hervorgebracht haben, der Bibel, der Werke Plato's und Aristoteles.

Jene grosse Verehrung, welche der Bibel von vielen Völkern und Geschlechtern der Erde gewidmet worden, verdankt sie ihrem 20 innern Werth. Sie ist nicht etwa nur ein Volksbuch, sondern das Buch der Völker, weil sie die Schicksale eines Volks zum Symbol aller übrigen aufstellt, die Geschichte desselben an die Entstehung der Welt anknüpft und durch eine Stufenreihe irdischer und geistiger Entwickelungen, nothwendiger und zufälliger Ereignisse, bis in die entferntesten Regionen der äussersten Ewigkeiten hinausführt. . . .

Plato verhält sich zu der Welt, wie ein seliger Geist, dem es beliebt, einige Zeit auf ihr zu herbergen. Es ist ihm nicht sowohl darum zu thun, sie kennen zu lernen, weil er sie schon voraussetzt, als ihr dasjenige, was er mitbringt und was ihr so noth thut, freund- 30 lich mitzutheilen. Er dringt in die Tiefen, mehr um sie mit seinem Wesen auszufüllen, als um sie zu erforschen. Er bewegt sich nach der Höhe, mit Sehnsucht, seines Ursprungs wieder theilhaft zu werden. Alles was er äussert, bezieht sich auf ein ewig Ganzes, Gutes, Wahres, Schönes, dessen Forderung er in jedem Busen auf

zuregen strebt. Was er sich im Einzelnen von irdischem Wissen zueignet, schmilzt, ja man kann sagen, verdampft in seiner Methode,

in seinem Vortrag.

Aristoteles hingegen steht zu der Welt wie ein Mann, ein baumeisterlicher. Er ist nun einmal hier und soll hier wirken und schaffen. Er erkundigt sich nach dem Boden, aber nicht weiter als bis er Grund findet. Von da bis zum Mittelpunkt der Erde ist ihm das Übrige gleichgültig. Er umzieht einen ungeheuren Grundkreis für sein Gebäude, schafft Materialien von allen Seiten her, ordnet sie, schichtet sie auf und steigt so in regelmässiger Form pyrami- 10 denartig in die Höhe, wenn Plato, einem Obelisken, ja einer spitzen Flamme gleich, den Himmel sucht.

Wenn ein Paar solcher Männer, die sich gewissermassen in die Menschheit theilten, als getrennte Repräsentanten herrlicher nicht leicht zu vereinender Eigenschaften auftraten; wenn sie das Glück hatten, sich vollkommen auszubilden, das an ihnen Ausgebildete vollkommen auszusprechen, und nicht etwa in kurzen lakonischen Sätzen gleich Orakelsprüchen, sondern in ausführlichen, ausgeführten, mannichfaltigen Werken; wenn diese Werke zum Besten der Menschheit übrig blieben, und immerfort mehr oder weniger 20 studirt und betrachtet wurden: so folgt natürlich, dass die Welt, insofern sie als empfindend und denkend anzusehen ist, genöthigt war, sich Einem oder dem Andern hinzugeben, Einen oder den Andern, als Meister, Lehrer, Führer anzuerkennen.

Diese Nothwendigkeit zeigte sich am deutlichsten bei Auslegung der heiligen Schrift. Diese, bei der Selbständigkeit, wunderbaren Originalität, Vielseitigkeit, Totalität, ja Unermesslichkeit ihres Inhalts, brachte keinen Massstab mit, wonach sie gemessen werden konnte; er musste von aussen gesucht und an sie angelegt werden, und das ganze Chor derer, die sich desshalb versammelten, Juden 30 und Christen, Heiden und Heilige, Kirchenväter und Ketzer, Concilien und Päbste, Reformatoren und Widersacher, sämmtlich, indem sie auslegen und erklären, verknüpfen oder suppliren, zurechtlegen oder anwenden wollten, thaten es auf Platonische oder Aristotelische Weise, bewusst oder unbewusst, wie uns, um nur der jüdischen Schule zu erwähnen, schon die talmudistische und cabbalistische Behandlung der Bibel überzeugt.

An Tiefe sowie an Fleiss hat es dem Deutschen nie gefehlt. Nähert er sich andern Nationen an Bequemlichkeit der Behandlung und übertrifft sie an Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit; so wird man ihm früher oder später die erste Stelle in Wissenschaft und Kunst nicht streitig machen.

41.

AUS MEINEM LEBEN. DICHTUNG UND WAHRHEIT.

Aus dem siebenten Buche.

Ueber den Zustand der deutschen Literatur jener Zeit ist so vieles und ausreichendes geschrieben worden, dass wohl jedermann, der einigen Antheil hieran nimmt, vollkommen unterrichtet seyn kann; wie denn auch das Urtheil darüber wohl ziemlich übereinstimmen dürfte; und was ich gegenwärtig stück- und 10 sprungweise davon zu sagen gedenke, ist nicht sowohl wie sie an und für sich beschaffen seyn mochte, als vielmehr wie sie sich zu mir verhielt. Ich will desshalb zuerst von solchen Dingen sprechen, durch welche das Publicum besonders aufgeregt wird, von den beiden Erbfeinden alles behaglichen Lebens und aller heiteren selbstgenügsamen, lebendigen Dichtkunst: von der Satyre und der

Kritik.

In ruhigen Zeiten will jeder nach seiner Weise leben, der Bürger sein Gewerb, sein Geschäft treiben und sich nachher vergnügen : so mag auch der Schriftsteller gern etwas verfassen, seine Arbeiten 20 bekannt machen, und wo nicht Lohn doch Lob dafür hoffen, weil er glaubt, etwas Gutes und Nützliches gethan zu haben. In dieser Ruhe wird der Bürger durch den Satyriker, der Autor durch den Kritiker gestört, und so die friedliche Gesellschaft in eine unangenehme Bewegung gesetzt.

Die literarische Epoche, in der ich geboren bin, entwickelte sich aus der vorhergehenden durch Widerspruch. Deutschland, so lange von auswärtigen Völkern überschwemmt, von andern Nationen durchdrungen, in gelehrten und diplomatischen Verhandlungen an fremde Sprachen gewiesen, konnte seine eigene unmög- 30 lich ausbilden. Es drangen sich ihr, zu so manchen neuen Begriffen auch unzählige fremde Worte nöthiger und unnöthiger Weise mit auf, und auch für schon bekannte Gegenstände ward man veran

lasst, sich ausländischer Ausdrücke und Wendungen zu bedienen. Der Deutsche, seit beinahe zwey Jahrhunderten in einem unglücklichen, tumultuarischen Zustande verwildert, begab sich bei den Franzosen in die Schule, um lebensartig zu werden, und bei den Römern, um sich würdig auszudrücken. Diess sollte aber auch in der Muttersprache geschehen; da denn die unmittelbare Anwendung jener Idiome und deren Halbverdeutschung sowohl den Welt- als Geschäfts-Styl lächerlich machte. Ueberdiess fasste man die Gleichnissreden der südlichen Sprachen unmässig auf und bediente sich derselben höchst übertrieben. Eben so zog man den 10 vornehmen Anstand der fürstengleichen römischen Bürger auf deutsche kleinstädtische Gelehrten-Verhältnisse herüber, und war eben nirgends, am wenigsten bei sich zu Hause.

Wie aber schon in dieser Epoche genialische Werke entsprangen so regte sich auch hier der deutsche Frei- und Frohsinn. Dieser, begleitet von einem aufrichtigen Ernste, drang darauf, dass rein und natürlich, ohne Einmischung fremder Worte, und wie es der gemeine, verständliche Sinn gab, geschrieben würde. Durch diese löblichen Bemühungen ward jedoch der vaterländischen breiten Plattheit Thür und Thor geöffnet, ja der Damm durchstochen, 20 durch welchen das grosse Gewässer zunächst eindringen sollte. Indessen hielt ein steifer Pedantismus in allen vier Facultäten lange Stand, bis er sich endlich viel später aus einer in die andere flüchtete.

Gute Köpfe, freiaufblickende Naturkinder hatten daher zwey Gegenstände, an denen sie sich üben, gegen die sie wirken und, da die Sache von keiner grossen Bedeutung war, ihren Muthwillen auslassen konnten; diese waren eine durch fremde Worte, Wortbildungen und Wendungen verunzierte Sprache, und sodann die Werthlosigkeit solcher Schriften, die sich von jenem Fehler frei 30 zu erhalten besorgt waren; wobei niemanden einfiel, dass, indem man ein Übel bekämpfte, das andere zu Hülfe gerufen ward.

Liscow, ein junger kühner Mensch, wagte zuerst einen seichten, albernen Schriftsteller persönlich anzufallen; dessen ungeschicktes Benehmen ihm bald Gelegenheit gab heftiger zu verfahren. Er griff sodann weiter um sich und richtete seinen Spott immer gegen bestimmte Personen und Gegenstände, die er verachtete und verVOL II.

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