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Entblösset von sich weg, doch ohne Wort und Stimme.
Indem tritt voller Furcht die Jungemagd herein;
Ihr Angesicht erblasst bey seines Degens Schein ;
Ihr Herz klopft voller Angst vor seinen trotzgen Minen,
Die ihr zum Unglück schnell, zum Tödten willig schienen.
'Geht hin, spricht er zu ihr, hohlt mir von Jena drey;
'Sprecht, dass ein guter Freund hier angekommen sey,
'Der sie zu sehn verlangt; ihr findt sie in der Krone,
'Doch seyd gleich wieder da, sonst geb ich euch zum Lohne.
Sie eilt mit Schrecken fort; die Stimme, die es sprach,
Liess in der Feigen Brust nichts, als Entsetzen, nach;
Die Drohung machte sie, statt ihrer Neigung, fliechtig;
Sie richtet alles aus, zwar voller Furcht, doch richtig.
Diess Kleeblatt, das er schon in Jena wohl gekannt,
Mit welchem er vorlängst sich Brüderchen genannt,
Das ihm die Jungemagd so schleunig rufen sollte,
Und er in seiner Noth am ersten sprechen wollte,
War itzt in Leipzigs Zucht: doch blieb es roh und wild;
Ihr mürrisch Angesicht war der Verzweiflung Bild.
Wer sich nur unterstand, sie kühnlich anzublicken,
Dem drohte schon ihr Zorn von Sterben und Zerstücken.
Ihr Stichblatt, das die Hand an ihrem Degen deckt,
War, wie Medusens Schild, der jede Feinde schreckt.
In Leipzig blieben sie, von Jena treue Glieder;

Bey ihnen fand man nichts, als Bier, Taback und Brüder.
Drey Lasen1 waren stets vom Wurznernasse 2 voll;

Bey ihnen hiess vergnügt so viel, als wild und toll.

Sie tranken nicht aus Durst. Ihr Trinken war ein Saufen,

Ihr Spiel war ein Gezänk und ihre Freude Raufen.

Die Dirne traf sie gleich, nach edler jenscher Art,

Auf einem Zimmer an. Die Thüre war verwahrt.

Sie klopft. Man ruft: herein! man macht ihr auf und fraget,
Und jeder zieht sich an, und thut, was sie gesaget.
Doch daucht es ihnen fremd, und jeder fragt und rieth:
Wer nach dem blauen Hecht sie wohl so spät beschied.

1 'die Lase', ein Trinkgefass.

2 Bier, das in Wurzen bei Leipzig gebraut wird.

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Doch keiner traf den Zweck; sie forschten, doch verdrossen;
Des Schicksals ewigs Buch blieb unerklärt verschlossen.
Sie gehn, und finden bald was erst verborgen war;
Man öffnete die Thür und Raufbold stellt sich dar.

So gleich sprang jeder zu: Herr Bruder! schrie ein jeder ; Und jeder schlug den Arm um seines Freundes Glieder. 'Welch Schicksal führt dich her? rief endlich einer aus; 'Wie bleich, wie blass bist du? kömmst du von einem Schmaus ? 'Du kömmst von Jena? Ja! was machen die Scharmanten? 'Bringst du auch einen Gruss von jeglichen Bekannten? 'Was Teufel, wie verwirrt liegt alles um dich her! 'Warum das Schwerdt entblösst? Was soll diess Mordgewehr? Doch Raufbold nöthigt sie: lasst euch zusammen nieder. Sie thatens und er sprach: 'Ihr wisst es, werthen Brüder, 'Ihr wisst, wie oft mein Stal für Jena sich gewagt; 'Wie oft ich ganz allein der Schnurren Heer gejagt; 'Ihr wisst, wie sorgsam ich für eure Freyheit wachte, 'Wenn sie ein neu Edict uns zu entreissen dachte. 'Dafür hab ich den Lohn. Wisst, ich bin relegirt. 'Warum? weil ich mein Amt mit Ehr und Ruhm geführt. 'Dreymal hatt ich mich nun auf offnem Markt geschlagen. 'Und dreymal hatt ich auch den Ruhm davon getragen; 'Ich war bereits berühmt, in Stoss und Hiebe schnell; 'So störte meine Lust Prorector und Pedell, 'Man forderte mich vor; wie, Brüder, musst ich schwitzen! 'Ich both zwölf Thaler an; nichts konnte mich beschützen. 'Ich sollt, ich musste fort; ein Zettel an der Thür 'Und der am schwarzen Brett, die beyde riethens mir. 'Nun bin ich, wie ihr seht, in dieses Nest gekommen ; 'Jedoch recht mit Verdruss hab ich den Weg genommen. 'Was ist nunmehr zu thun? Ihr Brüder, rathet mir, 'Verlass ich diesen Ort, wie? oder bleib ich hier?' Wie, wenn ein grosses Volk von Rednern wird beweget, Sich der zu der Partey, der zu der andern schläget ; Ein murmelndes Getöss die stille Luft durcheilt. Die Zwietracht drauf das Volk in zwo Parteyen theilt, Davon die eine will, was jener Mann verneint,

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Bis sich zuletzt das Heer der Streitenden vereint :

So war auch hier der Streit in Raufbolds Gegenwart.
Der eine sprach, zie fort, dem andern schien diess hart.
Und Raufbold war auch selbst doch insgeheim entschlossen,
Von Leipzig nicht zu gehn, bis er es recht genossen.

CHRISTIAN FELIX WEISSE.

[Scherer D. 408, E. II. 16.]

Geboren 1726 zu Annaberg, studierte in Leipzig, Steuerbeamter daselbst, starb 1804. Lyriker, Theaterdichter, Kinderschriftsteller und Journalist. Mit dem Singspiel 'Der Teufel ist los' brach er auf der Leipziger Bühne der Oper wieder Bahn, die durch Gottscheds Einfluss verbannt war. Seit 1759 redigierte er die 'Bibliothek der schönen Wissenschaften' und deren Fortsetzung die 'Neue Bibliothek'. Von 1775-1782 gab er seinen 'Kinderfreund' heraus.

LIEBE UND Wein.

Ohne Lieb und ohne Wein,

Was wär' unser Leben?

Alles, was uns kann erfreun,
Müssen diese geben.

Wann die Grossen sich erfreun,

Was ist ihre Freude?

Hübsche Mädchen, guter Wein
Einzig diese beyde.

Helden, die des Siegs sich freun,
Fragen nichts nach Kränzen,
Sie erholen sich beym Wein

Und bey schlauen Tänzen.

Uns drückt oft des Lebens Pein,

Doch nur, wann wir dürsten :

Aber gebt uns Lieb' und Wein:

O! so sind wir Fürsten!

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JOHANN JACOB BODMER.

[Scherer, D. 413, E. II. 22.]

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Geboren 1698 zu Greifensee bei Zürich, seit 1725 Professor der helvetischen Geschichte in Zürich, 1735 Mitglied des grossen Rathes, starb 1783. Er gab die ästhetisch kritische Zeitschrift Die Discourse der Maler' heraus (1721-23). Im Jahre 1732 erschien seine prosaische Verdeutschung von Miltons verlorenem Paradiese', durch die sein Streit mit Bodmer ausbrach. In diesem Streit schrieb er 'Kritische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie und dessen Verbindung mit dem Wahrscheinlichen, in einer Vertheidigung des Gedichts Joh. Miltons von dem verlorenen Paradiese' 1740 und Kritische Betrachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter, mit einer Vorrede von Breitinger' 1741. Er veröffentlichte 1748 Proben der Minnesänger, 1757 einen Theil des Nibelungenliedes, 1758 und 1759 eine vollständigere Sammlung der Minnesänger und verfertigte Bearbeitungen verschiedener mittelhochdentscher Gedichte. Von seinen eigenen Dichtungen seien die von Bächtold (Heilbronn, 1883) herausgegebenen "Vier kritischen Gedichte' erwähnt.

CHARAKTER DER DEUTSCHEN GEDICHTE.

I.

Mit Conradinens Blut1 zerrann die kurze Pracht,
Und Teutschland fiel zurück in die barbarsche Nacht.
Kein Dantes kam hernach, wie im Ausonschen Lande,
Der den versengten Grund an Stygis schwartzen Strande
Mit frechem Fuss betrat, sich durch das Chaos drang,
Und wiederum heraus mit mächtgen Flügeln schwang;
Durch abentheurliche fantastisch-wilde Welten,
Bis sich die müden Füss im Sternen-Estrich stellten,
Da er den heisern Thon, der erst so hart erklang,
Verkehrt in lieblichen süss-schallenden Gesang.

Die Sonne lief indess den Thierkreiss auf und nieder,
Und bracht in langer Reyh die Jahr und Zeiten wieder,
Als Brand Gewähr-Mann ward dass auch ein teutsches Haupt
Zum dencken aufgelegt, des Geistes nicht beraubt.

Der Narr war sein Gesang, (Materie zu verschwenden)
Den er mit Fleiss und Müh gesucht in allen Ständen,

1 1268.

2 Sebastian Brant.

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Und wie sie sich verkappt, als Weise auszusehn,
Und wie sie sich bemüht die Nahmen zu verdrehn,
Und ihm ihr thöricht Thun vor Weisheit aufzubinden,
So hat er doch gewusst den Gauch im Nest zu finden.
Sein Geist war aufgeweckt und heiter seine Brust;
Wann er die Narren zehlt', erweckten sie ihm Lust.
Wie er denn glücklich war mit Kurzweil-vollen Bildern,
Wovon die Aehnlichkeit ins Auge fällt, zu schildern.
Allein soll auch der Vers die Red' und Schreibens-Art
Ein Sächsisch Ohr erfreun, so muss es nicht zu zart
Nicht schwach und leckern seyn. Ich muss fürwahr die Alten
Vor glücklicher als uns, wo nicht vor weiser halten,
Dass sie diess kleine Glied' gewöhnt zur Strengigkeit.
Ihr wohl gehärtet Ohr blieb Stich-und Schlag-befreyt,
Wann gleich der rauhe Vers gleich einem Wald-Strom brüllte,
Und heisrer Wörter Zorn die Lufft mit knarren füllte.
Ein Missthon in dem Reim, ein Wort das nicht mehr ganz,
Von seinem vörder-Theil gestümmelt bis zum Schwanz,
Kan heut zu Tage noch dem Engelsmanne2 schmecken,
Der so, wie Brand gethan die Sylben pflegt zu recken,
Und sich bey dem Geschmack doch wohl-gesittet glaubt.
Gewiss der zärtliche 3 lebt vieler Lust beraubt.

Nach Branden kam ein Kopf von Rabelais verwandten
Dess Nahme Fischart war, der Liebling der Bachanten,
Ein Geist der aufgelegt zur Possenreisserey,
Als ob er mit dem Leib von einer Erden sey.
Wiewohl, dass wir ihn nicht an seinem Lobe kräncken,
Er konte wann er wolt, natürlich-scherzhaft dencken.
So hat sein glücklich Schiff' zwar einen lust'gen Grund,
Und giebt doch die Natur in starcken Proben kund.
Durchsichten, Wasserfäll', als so verschiedne Bühnen,
Character, Neigungen, auch Reden und Machinen ;
Dies alles fehlt hier nicht. Der Rhein und Lindmag schauten,
Bestürzt und voller Lust, die neuen Argonauten.

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1 das Ohr.

2 Englishman.
das Glückhafte Schiff.

3 der Verwöhnte.

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