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Jedermann, dass Lafontaine damit gemeint ist. Zu seinen Freunden zählten allmälig die hervorragendsten Dichter und Gelehrten wie Racine, Boileau, St. Evremond, Chaulieu, Chapelle und vor allem Molière, der ihn rasch erkannte und einst zu Boileau sagte: Nos beaux esprits auront beau se trémousser, ils n'effaceront pas le bonhomme. Ein gemeinsames Denkmaal vereinigt noch heute auf dem Père La Chaise zu Paris die im Leben engverbundenen Freunde, deren Sarcophage gleichzeitig mit dem Grabmaal Abailards und Héloisens hierhergebracht worden sind. Im Umgange mit jenen Freunden wurde er zu ernsthafteren Studien, die sich bis auf Philosophie und Litteraturgeschichte erstreckten, angeregt. Jetzt vertiefte sich sein Geist, jetzt begann er über künstlerische Composition nachzudenken und die reichen Erfahrungen, die er in den mannichfachsten Lebenskreisen gemacht hatte, zu verwerthen, jetzt wurde er reif für seine Fabeldichtung, in der sich bewusste Kunst mit der Unmittelbarkeit genialer Eingebung verschmilzt, in die er eine Fülle von Weisheit, Lebensklugheit und Menschenkenntniss niedergelegt hat und in der überall der Schalk hinter dem naiven Erzähler hervorblickt. Hatte der Umgang mit den Vertretern der Classicität seine Bildung gefördert, so vermochten sie ihn doch nicht in seiner Originalität zu stören, sie haben ihn nicht gehindert, seinen eignen Weg zu gehen. In den Zusammenkünften, die meist auf Molières Landsitz in Auteuil stattfanden, mag Lafontaine eine ähnliche Rolle gespielt haben, wie der ihm geistverwandte Oliver Goldsmith in Johnsons litterarischem Club. Er machte sich durch seine Wunderlichkeiten und Zerstreutheiten daselbst eben so lächerlich wie jener, wurde aber ebenso geliebt und geschätzt.

Eine Anekdote statt vieler möge genügen, um ein Bild dieses anregenden Zusammenseins zu geben. Man stritt sich über die Natürlichkeit des sogenannten Aparté, d. h. des Beiseitesprechens der Spieler auf der Bühne. Lafontaine leugnete sie und rief aus: » Wie, das Parterre soll hören können, was der daneben stehende Schauspieler nicht hört? Das ist ein

von der

Unsinn!<< Während er sich immer mehr ereiferte, rief Molière mehrmals laut aus: Lafontaine est un coquin! Dieser hörte Nichts davon und bekam so einen Beweis ad aures Richtigkeit des Aparté. Lafontaine hat im Eingange zu seinem Roman Psyche, wo er unter symbolischen Namen die Freunde vorführt, ein anziehendes Bild dieses Zusammenlebens entworfen.

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Er hatte jetzt das Schwabenalter erreicht, aber klug war er im vierzigsten Jahre noch nicht geworden und sollte es auch nicht werden. Zum Glück sorgten andere für seine materielle Existenz, die jetzt, nachdem er Capital und Zinsen aufgezehrt und seine bisherige Beschützerin durch den Tod verloren hatte, bedroht genug war. Es kam ihm aber wieder eine wohlthätige Fee zu Hülfe. Die hochherzige Frau von la Sablière nahm ihn in ihrem Hause auf, nachdem er sich, wenn auch ohne gerichtliche Scheidung von seiner Frau getrennt hatte. Sie befreite ihn von aller Sorge für seinen Sohn, indem sie den Präsidenten Harlay veranlasste für die Erziehung und das Fortkommen desselben zu sorgen, sie kam allen seinen Bedürfnissen zuvor und behandelte ihn wie ein Glied ihrer Familie. Er blieb volle zwanzig Jahr in ihrem Hause. Die ausgezeichnetste Gesellschaft versammelte sich bei ihr, hochstehende, geistreiche Männer, nahmhafte Fremde und liebenswürdige Weiber. Hier wie in jenem Freundeskreise verzieh man ihm um seines Geistes und seiner Gutmüthigkeit willen seine Sonderbarkeiten. Seine Dankbarkeit und Anhänglichkeit an diese ausgezeichnete Frau spricht sich oft in seinen Schriften aus. >>Sie hatte, sagt er, ein liebevolles Herz und verband männlichen Geist mit weiblicher Anmuth. Ihre Kunst zu gefallen bestand darin, dass sie nicht zu gefallen strebte.<< Während der hier in voller Musse und Sorglosigkeit verlebten Jahre hat er seine bedeutendsten Werke und vor allem seine Fabeln verfasst. Selbst nachdem sie nach dem Tode ihres Mannes ihr Hotel verlassen und sich gleich anderen vornehmen Damen zur Busse süsser Vergehungen als Krankenpflegerin in ein religiöses

Hospital begeben hatte, blieb er unter der Pflege und Obhut ihrer Dienerschaft in ihrem Hause. Aber er fühlte sich in den öden Sälen bald einsam und verlassen und ging um so lieber auf den Vorschlag seiner Freunde ein, sich als Candidat zur Aufnahme in die Akademie zu stellen. Dagegen erhoben sich Schwierigkeiten. Der König, der alle anderen Dichter protegirte, hatte bis dahin kaum Notiz von ihm genommen, war von seinen contes, die nur allzuwahr die frivolen Sitten, zu denen seine Majestät das Beispiel gegeben hatte, wenig erbaut und fand auch an seinen Fabeln, die statt Fürsten und Herren Affen und Hunde vorführten und manche böse Anspielung enthielten, keinen Geschmack. Hierzu kam, dass die Bigotterie, ärgerlich über seine Verspottung der Pfaffen sich hineinmischte und den unter den Händen der Maintenon immer frommer werdenden König gegen ihn aufhetzte. Die Academie war aber unabhängig genug, den geschmähten Dichter doch zu wählen und Ludwig, da der von ihm gewünschte Boileau auch gewählt wurde, gab endlich nach und bestätigte die Wahl. Der Deputation sagte er: Die Wahl Boileaus ist mir sehr angenehm. Sie können meinetwegen den Lafontaine auch aufnehmen, er hat ja versprochen artig (sage) zu sein.<<

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Der Tag der Aufnahme, der 21. Mai 1684, war ein Tag des Triumphes für ihn und seine Freunde, aber der grösste und beste von ihnen, Molière, war schon dahin. Er schrieb auf ihn das bekannte Epitaph, in dem Molière als den Plautus und Terenz in sich vereinigend dargestellt wird. Als Antrittsrede las er eine Epistel an Mad. de la Sablière vor, sie klingt wie ein pater peccavi, er nennt sich darin einen Schmetterling, einen losen Vogel, der sich bessern wolle; indess es geht ein so ironischer Ton durch das Ganze, dass man seiner Bekehrung nicht recht traut. Nach dem Tode der Madame de la Sablière war er wieder vis-à-vis de rien, fand aber gleich ein Unterkommen bei einer Familie d'Héricart. Als die Dame ihn aufforderte, zu ihr zu ziehen, sagte er ganz naiv: »Ich habe schon daran gedacht. In dieser der früheren entsprechenden

Umgebung war er neuen Zerstreungen und Verlockungen ausgesetzt und schrieb sogar auf den Wunsch einer sehr verführerischen Frau (Mad. Ulrich) neue contes. Die Bekehrung, zu der er sich auf Andringen Racines geneigt hatte, hielt nicht vor. Da überfiel ihn im Jahre 1693 eine schwere Krankheit und nun, nach Ueberwindung derselben, ging er ernstlich in sich und las auf Anrathen eines Geistlichen das neue Testament, von dem er meinte, es sei ein sehr gutes Buch. Aufgefordert, zur Bestätigung seiner Umwandlung möge er den Armen Almosen geben, meinte er, er besitze Nichts, er wolle aber zu mildthätigen Zwecken eine neue Auflage seiner contes (sie waren das eigentliche corpus delicti) veranstalten. Bei einer Erörterung über die ewigen Höllenstrafen, mit denen ihm die Geistlichkeit scharf zusetzte, meinte er: sie wären wohl nicht so schlimm, man gewöhne sich ja auf die Dauer an Alles, und seine alte Wärterin sagte: Quälen Sie doch den guten Mann nicht so, der liebe Gott wird es ja nicht über's Herz bringen, ihn zu verdammen.

Die Umstimmung seines Gemüthes war diesmal eine durchgreifende, er dachte jetzt nur noch daran, wie er das Publicum durch erbauliche Gedichte erfreuen könne. Er begann christliche Hymnen zu schreiben, übersetzte das Dies irae, dies illa, verfasste eine Legende über die Gefangenschaft des heiligen Malcus und scheint auch den Plan zur Uebersetzung der heiligen Schrift gefasst zu haben. Dass seine Bekehrung eine ernstliche war, daran ist bei der Wahrheit und Offenheit seines Characters nicht zu zweifeln. >>Sterben ist Nichts, aber denkst Du auch daran, dass ich bald vor Gott erscheinen werde? Du weisst ja, wie ich gelebt habe. Ehe Du diese Zeilen empfängst, sind die Pforten der Ewigkeit vielleicht schon für mich erschlossen.<< So schreibt er an seinen Freund de Maucroix.

Er schlief nach einem mehrmonatlichen Schwächezustand sanft und ruhig ein, es war am 13. April 1695 im vier und siebzigsten Jahre seines Lebens. Bei der Leichenbeschauung fand man an ihm ein härenes Busshemd.

Seine irdischen

Ueberreste wurden in dem Friedhofe St. Joseph neben denjenigen Molières beigesetzt und 1817 auf Ludwigs XVIII. Befehl zum Père la Chaise gebracht. Racine beweinte des Freundes Tod schmerzlich, der fromme Bischof Fénélon hielt ihm einen Nachruf, in dem er ihm die Unsterblichkeit verheisst und ihn neben Anacreon, Horaz, Terenz und Virgil stellt. Die Anerkennung, die ihm schon in vollem Maasse während seines Lebens zu Theil wurde, ist ihm in der Nachwelt treu geblieben, selbst die Romantiker, die Zertrümmerer des classischen Parnass haben seinen Kranz wie den Molières unzerpflückt gelassen, seine Popularität ist trotz der Angriffe Rousseaus und der Ausstellungen Lamartines eine unerschütterte und allgemeine geblieben.

Wer mit l'inimitable gemeint ist, weiss Jedermann in Frankreich. Seine Sentenzen sind Sprichwörter geworden. Motand giebt ein vierzig Seiten langes Verzeichniss seiner Vers maximes und der passages les plus usuellement cités, seine Thiergestalten sind Charactertypen geworden, in deren Illustration sich die grössten Zeichner Frankreichs bis auf den heutigen Doré versucht haben. Die Revolution verschonte des Dichters Haus, und sein Name rettete die Gräfin von Marsan, deren Mann ein Urenkel Lafontaines von mütterlicher Seite war, in den Schreckenstagen vom Schaffot.

In obiger Skizze wurden mit Beiseitelassung anderer biographischen Details besonders die Züge hervorgehoben, die ein Licht auf seine poetische Eigenthümlichkeit werfen und seinen Character kennzeichnen. Derselbe würde erst ganz und voll hervortreten, wenn der Raum gestattete, ein Bild seiner Zeit zu entwerfen. Auf dem Untergrunde der Alles beherrschenden Convenienz in Gesellschaft, Sitte und Litteratur zeigt sich seine ungenirte Naivetät und unerschütterliche Natürlichkeit erst in vollem Lichte. Es giebt keinen grösseren Gegensatz, als zwischen diesem Naturkinde und den gezierten Herren und

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