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Dichter bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts und noch in den ersten Decennien des neunzehnten eifrig cultivirten, wird jetzt von uns ganz vernachlässigt. Es scheint, als glaube man in derselben kein eigentlicher Dichter sein zu können, als meine man, es diene die Fabel nur noch zu pädagogischen Zwecken als Lernstoff für Kinder und für die Volksschule.

Lafontaine beweist, dass man in ihr ein grosser Dichter sein kann, dass die Fabel, wie er sie behandelt, den höchsten ästhetischen Ansprüchen genügt und jedem Lebensalter und jedem Stande Freude und Befriedigung gewährt.

Um seine originelle Poesie zu verstehen, muss man seinen Charakter und sein Leben kennen, denn beide decken einander und sind nur in ihrer Wechselwirkung zu erklären, deshalb sende ich ein kurz skizzirtes Lebens- und Charakterbild von ihm voraus.

Jean de Lafontaine wurde am 8. Juli 1621 in Château Thierry geboren, sein Geburtshaus stand vor dem Kriege von 1870 noch unverändert da. Ihm gegenüber, an einem Hügel liegen die Ruinen des Schlosses von Bouillon, des zeitweiligen Wohnsitzes seiner Beschützerin Anna Maria Mancini, der Nichte des Cardinal Mazarin. Sein Vater war ein Königlicher Forstmeister, der seinen träumerischen, wenig versprechenden Knaben durch einen Schulmeister unterrichten liess. Im zwanzigsten Jahre trat er ins Predigerseminar (Oratoire) zu Rheims, wo ihm ein besserer Unterricht zu Theil wurde, und sich sein Geschmack an den alten Classikern entwickelte (die griechischen hat er nur durch Uebersetzungen kennen gelernt). Nach Verlauf eines Jahres war er jedoch der Theologie schon überdrüssig und kehrte in seine Heimath zurück, wo er in allerlei Zerstreuungen und Umherstreifereien ein lustiges Jugendleben führte. Im zwei und zwanzigsten Jahre soll beim Vorlesen einer Ode Malherbes zuerst der Sinn für Poesie und der Trieb zu eignen Schöpfungen in ihm erwacht sein. Dagegen aber spricht die Thatsache, dass sich eine schon früher von ihm verfasste poetische Erzählung vorgefunden hat. Wenn er, be

stochen von der Eleganz des correcten, nüchternen Oden-Dichters demselben einige Zeit ein eifriges Studium gewidmet hat, SO war dies doch keineswegs im Stande, seinen Genius zu wecken. Zwei Freunde wiesen ihm den rechten Weg und führten ihn auf das Studium der Alten, dem er sein Lebelang treu geblieben ist. Daran knüpfte sich jedoch die Lectüre des Boccaz, Ariost und Machiavelli, auch las er viel im Rabelais, Marot und d'Urfé, die seinem Geschmack zusagten und sein Talent in sprachlicher Hinsicht befruchtet haben. Seine Bewunderung der Alten spricht überall aus seinen Schriften. Er erkennt bei ihnen das Geheimniss

»Der Kunst, die keiner andern gleicht,

Die sich verbirgt und die dem Zufall gleicht.<

Der einzige Ruhm, den sie uns gelassen, meint er in einer Note zu einer seiner Fabeln, ist der, ihren Spuren zu folgen, dies aber versteht er wie André Chénier, sein Nachfolger in Bewunderung der Alten, der da sagt:

»Lasst neuen Honig uns aus ihren Blüthen ziehn,
Mit Farben malen, die uns ihre Kunst geliehn,
Mag unsre Fackel sich an ihrer Gluth entzünden.
Und der antike Vers den neuen Geist verkünden.<

Hätte er nicht in diesem Sinne gedichtet, wäre er ein mechanischer Nachahmer der Alten gewesen, so wäre er nicht Lafontaine, der grösste Fabeldichter der Weltlitteratur geworden.

Im sechs und zwanzigsten Jahre verheirathete er sich, oder vielmehr verheirathete man ihn mit einer Landsmännin Marie Héricart, sie war hübsch und hatte Geist, entbehrte aber gerade der Eigenschaften, die nöthig gewesen wären, um ihren practisch sorglosen Mann zu leiten und zu discipliniren. Während sie, Romane lesend, den Haushalt versäumte, verfiel er von einer Zerstreuung in die andere, las, dichtete und trieb sich umher. Geldverlegenheit und Schulden waren die Folge. Die Sache wurde nicht besser, als ihm sein Vater, um ihm eine bestimmte Thätigkeit zu verschaffen, sein eigenes Am

überliess. Jean wurde Forstmeister, machte sich aber keine grosse Sorge um sein Geschäft und verstand so wenig davon, dass er die technischen Ausdrücke der Försterei im Wörterbuch nachschlagen musste. Er wandelte meist träumend unter den Bäumen seines Reviers umher und legte sich gelegentlich unter einem derselben zum Schlafen nieder. Er war nicht bloss ein Träumer mit offnen Augen, sondern auch ein gewaltiger Schläfer mit geschlossenen. Dem Gott des Schlafes hat er manches Loblied geweiht. Er nannte sich selbst ein Kind des Schlafes und der Trägheit und sagt in seiner Psyche:

»Ich habe stets geglaubt und glaube auch noch, dass der Schlaf etwas Unüberwindliches ist, Prozesse, Kummer und Liebe vermögen Nichts dagegen. In der Grabschrift, die er für sich

selbst gedichtet hat, heisst es:

Jean ging, wie er gekommen war,

An Fonds und Renten bloss und baar,
Geld hatte für ihn keinen Werth,
D'rum hat er Alles aufgezehrt.
Doch gut vertheil' er seine Zeit,
Sie war dem Schlummer halb geweiht,
Und halb, er that's um auszuruhn,

War er beschäftigt, Nichts zu thun.

Bei alle dem war er doch productiv, wenn auch zuvörderst in einer Gattung, die seinem Genius nicht entsprach. Er verfasste im Geschmack der Zeit allerlei Gelegenheitsgedichte, die ihm in der kleinen Stadt grossen Ruhm einbrachten und verstieg sich sogar bis zur Nachbildung eines Terenzischen Lustspiels, des Eunuchen, den er, der künftige Verfasser der leichtfertigen contes, decenter machen wollte. Das Lustspiel. kam nicht auf die Bühne, machte ihn aber in weiteren Kreisen bekannt, es war mittelmässig, jedoch gut versificirt. Um diese Zeit führte ihn ein Verwandter Jannart bei dem damals noch allmächtigen Oberintendanten Fouquet ein, der ein Freund und Beschützer der Schöngeister war. Derselbe fand solchen Geschmack an Lafontaine, dass er ihn zu seinem Leibpoeten

machte und ihm ein Jahresgehalt von 1000 francs aussetzte, für das er nichts Anderes zu thun hatte, als vierteljährlich eine versificirte Quittung einzureichen. Als Gast seines Gönners auf dem schönen, von den Dichtern, auch von Lafontaine im Songe de Vaux verherrlichten Landschlosse desselben führte der bisher an Einfachheit gewöhnte Dichter ein buntbewegtes Gesellschaftsleben unter vornehmen Herren und schönen Damen und wohnte prachtvollen Festen und üppigen Gastereien bei. Seine Augen waren geblendet, sein Herz erregt, sein Geist geweckt, er verfasste daselbst einen Theil seiner der poésie légère angehörigen Gedichte, die dem Zeitgeschmack entsprachen und sich nur durch natürlicheren Fluss und grössere Geistesfülle vor den Erzeugnissen eines Voiture und Sarrassin auszeichneten. Sein Adonis, einige seiner Lustspiele, seine Episteln, Madrigals und Balladen sind hier entstanden.

War der Aufenthalt in Vaux geeignet, den Sinn für Eleganz und Feinheit in ihm auszubilden, so lag andrerseits die Gefahr der Verflachung in dieser weichlich-bequemen Lage, in diesen frivolen Verhältnissen doch nahe genug. Zu seinen lustigen Erzählungen hätte er sich hier inspiriren können, zu seinen Fabeln aber nicht. Der plötzliche Sturz des Intendanten machte der Herrlichkeit ein Ende. Lafontaine, von der wirklichen Schuld desselben Nichts ahnend, schrieb seine Verbannung einer Intrigue zu und widmete ihm eine der schönsten Elegieen, die die Poesie der Zeit hervorgebracht hat: Die Nymphen von Vaux. Er wagte es sogar, auf dieses tiefgefühlte Gedicht, ein Zeugniss seines dankbaren Herzens, eine Ode an den König folgen zu lassen, in der er dem stolzen Monarchen Vorstellungen machte, wie dieser sie selten zu hören bekam: Das Ausland mag o Herr dich fürchten,

Dich lieben will dein Unterthan,

Die Liebe ist der Milde Sohn,

Die Milde ist der Gottheit Tochter,

Und ohne sie wär' alle Macht

Nicht mehr, als ein gehässig Wort.

Die Katastrophe führte ihn zu seiner Heimath zurück, indess lange hielt er es daselbst nicht aus. Er begleitete jenen Verwandten, der, in die Angelegenheit Fouquets verwickelt, demselben nach Limoges folgte, und schrieb über die Reise eine Reihe launiger Briefe, die von seiner scharfen Beobachtung zeugend, im leichten, eleganten Style der Zeit mit scherzhaften Versen untermischt waren. Von Limoges zurückgekehrt, theilte er seinen Aufenthalt zwischen Château Thierry und Paris, lebte bald bei seiner Frau und trieb sich bald als freier Junggesell umher. Auf den Beschützer folgte eine Beschützerin. Anna Maria Mancini, die Gemahlin des Herzogs von Bouillon, bezog das Schloss seiner Vaterstadt. Sie war eine geistreiche, lebenslustige Dame, die Gefallen an frivoler witziger Lectüre fand und ihn aufforderte, nach dem Muster des Boccaz und Machiavelli leichtfertige Erzählungen zu schreiben. So entstanden seine ersten contes, bei deren Ausarbeitung er sich zuerst seines ausserordentlichen Talentes zu schalkhaften Darstellungen bewusst wurde. Doch auch zu etwas Besserem erhielt er hier die erste Anregung. Im Schloss befand sich eine kleine Menagerie, und in ihr konnte er die Thierstudien machen, auf denen seine spätere Fabelpoesie beruht. Eine andere vornehme Beschützerin fand er, dessen Leben von nun an von den Feenhänden theilnehmender Frauen getragen wurde, in der verwittweten Herzogin von Orleans, die ihm den Titel eines dienstthuenden Kammerherrn verlieh und sich gern und oft mit ihm unterhielt. Er muss trotz seines zerstreuten, zerfahrenen Wesens, von dem La Bruyère und Louis Racine eine haarsträubende Beschreibung machen, für gebildete Frauen viel Anziehendes gehabt haben, sonst hätten sie ihn nicht an sich gezogen und ihn sein Lebelang nicht wie ein Kind verhätschelt. Die Erklärung dafür liegt in seiner reizenden Naivetät, die ihm bis zur Todesstunde treugeblieben ist, aber auch auf bedeutende Männer übte er eine gewinnende Wirkung aus, seine Freunde nannten ihn le bonhomme, eine Bezeichnung, die ihm bis heute geblieben ist. Liest oder hört man in Frankreich vom bonhomme, so weiss

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