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großen Mannes, während sie, selbst wo sie am lautesten gegen den Umfang von Börnes Intelligenz reden, Zeugnis ablegen von der Reinheit seines Charakters. Sie haben nicht vermocht, die Bewunderung für Goethes Genie zu mindern. Es wäre ebenso ungereimt, Goethe mit Börnes falschem politischen Maßstab von 1830, wie Börne selbst mit dem falschen deutschen Maßstab von 1870 zu messen. Das aber geschieht, wenn man ihn heutzutage zu dem schlechten Patrioten stempelt, wofür er Goethe hielt. Es war natürlich, es war notwendig, daß Börne Goethe gering schäßen mußte. Man versteht sein Nichtverstehen, ohne seinen Unwillen zu teilen. Und man kann in vollem Maß das brausende Pathos, die Sprünge und Blize des Wizes in seinen Schriften schäßen, ohne jemals über die siedenden und schimmernden Kaskaden seiner Prosa die Ausdehnung und die Tiefe jenes stillen Ozeans zu vergessen, der Goethe heißt.

IX

Börne fulminiert als Schriftsteller mit seinen Briefen aus Paris, besonders mit dem ersten Bande dieses Werkes. Bücher zu schreiben war er nicht imstande, nicht einmal Abhandlungen oder Untersuchungen; für seine Stimmungs- und Gedanken-Explosionen paßte keine Form besser, als die Briefform. Und es sind wirkliche Briefe, keine Zeitungsartikel, nicht einmal Korrespondenzen, an ein Blatt gerichtet, nein Briefe, an eine Freundin geschrieben, und von Anfang an ohne einen Gedanken an Veröffentlichung, bis die Freundin die Initiative ergriff und sich Börnes Einwilligung dazu erbat, versuchsweise aus den empfangenen Mitteilungen das ausziehen zu dürfen, was für ein größeres Publikum Interesse haben könnte.

Der Name dieser Dame war Frau Jeanette Wohl; sie nimmt in seinem Leben einen großen Plaß ein, wenn vielleicht auch nicht einen so großen Plaß, wie er in ihrem Leben. Aber vom Jahre 1816, in welchem er sie kennen lernte, bis zu seinem Tod 1837, also in vollen zwanzig Jahren, hat er ihr sein Vertrauen geschenkt, und kaum einen Schritt gethan, ohne ihn mit ihr beraten zu haben, während seine schriftstellerische Thätigkeit, der Zustand seiner Gesundheit und sein tägliches Leben gleichzeitig der Mittelpunkt ihrer Existenz war.

Als sie sich zum erstenmal sahen, war er dreißig, sie dreiunddreißig Jahre alt. Sie war mit einem reichen Mann verheiratet gewesen, mit dem sie unglücklich gelebt hatte, und von dem sie, nachdem sie ihn während einer langwierigen Krankheit gepflegt, sich

scheiden ließ, ohne irgend einen Teil seines Vermögens annehmen und ohne seinen Namen behalten zu wollen. Lebte Börne mit ihr am gleichen Ort, so las er ihr alles vor, was er schrieb; lebten sie getrennt, so war sie die strenge Mahnerin, die ihn zur Arbeit anspornte, eifrig dafür besorgt, daß er Ruhm gewinne und sich Unabhängigkeit sichere. Bald wieder, wenn sie fürchtete, daß er zu fleißig sei, und daß seine schwankende Gesundheit darunter leiden könne, war sie die ängstliche Freundin, die ihn anflehte, sich die Verpflichtungen gegen die Verleger doch nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen und sich die nötige Erholung zu gönnen.

Besorgt um seine Ehre, wie sie war, verbrachte sie lange Zeiten in Angst und Aufregung, wenn es ihr schien, daß er sich seinen Pflichten dem Publikum gegenüber entziehe. Als Börne z. B. von den Abonnenten der „Wage" die Pränumerandozahlung für den zweiten Band dieser Zeitschrift empfangen hatte, aber, nachdem er fünf Hefte fertig gestellt, eine längere Pause machte, weil er von der Arbeit ermüdet war und außerdem wegen starker Geldverlegen= heit nach ergiebigeren Ressourcen suchen mußte, da hielt sie ihn in ihren Briefen, die er immer in einer Spannung, die sich bis zum Fieber steigern konnte, erwartete, mit der Erfindungsgabe und Ausdauer eines bekümmerten Weibes in den verschiedensten Wendungen und Formen die „Wage“ vor Augen. Sie bittet und droht, sie ermahnt und neckt, sie sendet ihm vier große Seiten, die nur das eine Wort „Die Wage" enthalten.

Auf der anderen Seite ist sie wiederum ebenso oft nur von dem Wunsche erfüllt, ihn zu zerstreuen und zu unterhalten, ihn vor Überanstrengung zu bewahren und seine gute Laune gegen Anfechtungen zu schüßen. Erkrankt er ernstlich in der Ferne, so trauert sie darüber, ihn nicht pflegen zu können; ja sie ist einmal fest entschlossen es zu thun und ihren guten Namen dabei aufs Spiel zu sezen; sie weiß ja recht wohl, daß die Umgebung dann nicht daran glauben wird, daß nur Freundschaft sie verbinde.

Es war in Wirklichkeit ein Mischgefühl von Freundschaft und Liebe, für welches in der Sprache ein Ausdruck fehlt. In dem Nachlaß von Jeanette Wohl fand man ein gewöhnliches Gesindebüchlein der freien Stadt Frankfurt, auf dessen Titelblatt Börne im November 1818 seinen Namen und sein Signalement geschrieben hat. Das erste Blatt enthält:

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Man kann nicht lakonischer eine lebenslange Ergebenheit außerhalb aller legitimen Bande ausdrücken. Und die leßten Worte gingen buchstäblich in Erfüllung; denn Jeanette war das Wesen, auf dem der lezte Blick des Sterbenden ruhte, und an sie richtete er seine legten Worte: „Sie haben mir viel Freude gemacht.“

Das nach Börnes eigener Aussage wohlgetroffene Bild Jeanette Wohls zeigt eine Frau mit länglichem Gesicht, regelmäßigen, angenehmen Zügen, hoher Stirn, seelenvollem, schön geschnittenem Mund und etwas funkelnd Innerlichem in dem Blicke; das starke Kinn deutet auf Energie. Ihre Stimme soll ungewöhnlich wohlklingend gewesen sein. Sie war keine ausgeprägt originelle, viel weniger eine produktive Natur, aber sie ist eine der Frauen gewesen, die ganz in Ergebenheit für einen Mann aufgehen können. Sie hat gegenüber Börne als Schriftsteller die dem Weibe so natürliche Eigenschaft besessen, dem Manne Selbstvertrauen einzuflößen, sie hat eine herabseßende Äußerung von ihm über die eigenen Fähigkeiten. und Verdienste so übel aufgenommen, als sei sie von einem anderen gesagt. Sie ist sein Trost in Menschengestalt gewesen. Er besaß in ihr das Wesen, auf welches er sich unbedingt verlassen und dem er alles anvertrauen konnte, ohne Gefahr zu laufen, jemals mißverstanden, geschweige verraten oder ausgeliefert zu werden, und

an das er seine ganze schriftstellerische Wirksamkeit richten konnte. Sie war ihm eine Abbreviatur des idealen Publikums, für welches er schrieb. In einem seiner vertrauten Briefe erklärt Börne einmal, er habe seine Gefühle für Jeanette an einer Stelle der Neuen Heloise charakterisiert gefunden. Sie lautet: Es ist jene rührende Vereinigung so lebhafter Empfänglichkeit und unversiegbarer Sanftmut, es ist jenes zarte Mitgefühl für alle Leiden anderer, es ist jener gerade Verstand und jener auserlesene Geschmack, welche ihre Reinheit aus derjenigen der Seele schöpfen, mit einem Wort, es sind die Reize der Empfindungen, die ich in Ihnen verehre. Und daß er keine ge= ringere Anziehungskraft ausübte als diejenige, deren Gegenstand er war, das erfährt man, wenn man liest, wie Jeanette im Jahre 1833 (siebzehn Jahre, nachdem sie einander kennen gelernt hatten) als eine fixe Idee, eine chronische Krankheit die Gemütsbewegung bezeichnet, in welcher sie sich um die Zeit der Ankunft der Post befinde. An dem Tage hat sie ihre Arbeit unterbrechen und sich aufs Kanapee legen müssen, und da der Brief kommt, weint sie vor Freude.

Sie ordnet die Geldangelegenheiten für ihn, berechnet seine Honorare, fassiert seine Polizeipension ein, und als einmal heftig der Wunsch einer Reise nach Italien in ihm erwacht, wozu ihm aber die Mittel fehlen, kauft sie ein Lotterielos in der Hoffnung, das Reisegeld für ihn zu gewinnen; als diese Hoffnung vereitelt wird, will sie ihr Klavier verkaufen, kann aber die erforderliche Summe nicht dafür erhalten. Und all dieses ohne eigentliche Erotik. Ja noch mehr hielten ihre Freunde sie fähig für ihn zu thun. Als in ihr die Idee erwachte, Börne solle seine Briefe an sie in den Druck geben, richtete sie an eine ihrer Kousinen die naive Frage, ob man Briefe, deren Adressat nicht tot sei, heraus

1 Börne schrieb, als er davon erfuhr: „Schon viele Menschen sind aus Liebe wahnsinnig geworden, aber aus Menschenliebe ist es noch keiner. Nur Sie waren dazu fähig . . . Es ist ein Glück, daß Sie nie den Mann ihres Herzens gefunden Sie können den Wein nicht einmal unter Wasser vertragen.“

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