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VIII

Ohne diesen Mangel an poetisch-künstlerischer Empfänglichkeit würde Börnes Teilnahme an der, von mehreren unter den Wortführern der damaligen Zeit in Szene gesezten Reaktion gegen Goethe nicht ganz erklärlich sein. Denn war auch sein Unwille gegen Goethe ursprünglich genug, so war er doch keineswegs Urheber der Reaktion gegen Goethe; er fand sie vielmehr in vollem Gange vor. Fast gleichzeitig damit, daß man in pietistischen Kreisen sich über die falschen „Wanderjahre“ des Pfarrers Pustkuchen mit ihren Angriffen auf die Gottlosigkeit des Heiden Goethe erfreute, begann man in der vorwärtsstrebenden politischen Jugend Untersuchungen über die politische Überzeugung Goethes zu billigen, welche an dieselbe den Maßstab der letzten Tage legten, und Schilderungen von Goethe als einem „Aristokraten“, der ohne Herz fürs Volk und in Wirklichkeit ohne Genie war, treffend zu finden.

Der erste, der in größerem Stil und mit durchgeführter Hartnäckigkeit eine lange Reihe von Jahren hindurch die Verkleinerung Goethes systematisch betrieb, war Wolfgang Menzel (geb. 1798), der noch nicht dreißig Jahre alt durch eine gewisse grobe, litterarische Begabung, ungeheure Selbstsicherheit im Auftreten und strammen Doktrinarismus als Liberaler, Nationalgesinnter und Moralist sich zu einem großen und gefürchteten Einfluß aufgeschwungen hatte. Wie Börne ging er ursprünglich von Jean Paul aus. Aber seine zu jener Zeit angesehenen „Streckverse“ (1823), die unzweideutige Nachahmungen dieses Vorbildes sind, übertreiben die Jean Paulsche Art

des Geistreichseins bis zur Karikatur. Dinge, die nicht in der entferntesten natürlichen Verbindung miteinander stehen, werden zu einem Aphorismus zusammengezwungen, ungefähr wie in einem Kalauer einander gar nichts angehende Vorstellungen zu einem Wortspiel zusammengekoppelt werden. Er schreibt: „Allerheiligen geht vor Allerseelen, die Propheten haben den Himmel eher als das Volk.” — „Die Religion des Altertums war die Kristallmutter vieler glänzender Götter, die christliche ist die Perlmutter eines einzigen aber unschäzbaren Gottes.“ „Das Erdenleben ist eine Bastonade.“ „Jede Kirchenglocke ist eine Taucherglocke, unter welcher man die Perle der Religion findet."

In seinem Litteraturblatt,,Deutsche Litteratur" begann er vom Jahre 1819 an eine mit wahnsinniger Einbildung und felsensestem Glauben an die Berechtigung des Angriffs geführte Polemik gegen Goethe. Zunächst versuchte er bei der Lesewelt die Bewunderung für Goethes Originalität zu untergraben; er bestrebte sich in Goethes Werken die Nachahmung eines Vorbildes oder doch geliehene Gedanken aufzuspüren und überall fremden Einfluß nachzuweisen.

In seinem ersten zusammenhängenden, litterarhistorischen Werke „Die deutsche Litteratur“, das 1828 in zwei Teilen herauskam, wirst Menzel in einem überlegenen Tone Goethe u. a. vor, daß er allen Vorurteilen und Eitelkeiten des Zeitalters geschmeichelt habe. Er beschränkt Goethes Fähigkeiten auf die einfache Darstellungsgabe, „auf das Talent“, welches seinem Wesen nach ohne inneren Halt, eine Hetäre, die sich jedermann preisgiebt“, sei. Goethe habe immer mit dem Strom und wie Kork auf dem Strom geschwommen, er habe jeder Schwäche und Thorheit gedient, wenn sie in der Zeit nur ihr Glück gemacht. Unter der glatten gefälligen Larve seiner Werke verberge sich eine raffinierte Genußsucht und Sinnlichkeit. Seine Dichtungen seien die Blüte des in der modernen Welt herrschenden Materialismus. Goethe besize kein Genie, aber im höchsten Grade „das Talent, den Leser zu

Brandes, Litteraturgesch. des 19. Jahrh. VI.

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seinem Mitschuldigen zu machen“ u. s. w.1 Heine, der unkritisch genug war, in einer Rezension dem Werk und seinem Verfasser ein Lob zu erteilen, das er bald bereuen sollte, schrak doch zurück vor der Menzelschen Lehre, „Goethe sei kein Genie, sondern nur ein Talent". Er spricht die Ansicht aus, daß diese Lehre nur bei wenigen Eingang finden werde, und selbst diese wenigen würden doch zugeben, daß Goethe dann und wann das Talent habe, ein Genie zu sein.2

Sowohl in zahlreichen Artikeln in Zeitschriften, wie in seinem, bis zum doppelten Umfang in neuer Auflage vermehrten Werke über die deutsche Litteratur sezte Menzel die Kanonade fort. Er wies bei Goethe dreierlei Eitelkeiten und sechserlei Wollüsteleien nach. Er ging seine größeren und kleineren Werke eins nach dem andern durch, um sie mit seinem moralisch-patriotischen Maßstabe zu messen und sie erbärmlich zu finden. Clavigo verdammt er, weil bei Goethe Clavigo Marie verläßt. Es nüßt nichts, daß der Dichter ihn durch die Hand ihres Bruders sterben läßt, im Gegenteil, dies empört Menzel noch mehr, weil er weiß, daß Clavigo in Wirklichkeit lustig weiter lebte, was seinen Tod auf der Bühne zu einem bloßen Theatertod macht. Der Kritiker muß, wie man sieht, sein das Drama als solches nichts angehendes Wissen zu Hilfe nehmen, um dasselbe genügend unmoralisch zu finden. „Tasso“ ist ihm Goethes Höflingsbekenntnis, worin er die Eitelkeit des Emporkömmlings verrät, welcher in den Frauen zugleich das Vornehme, das Königliche begehrt. Was Menzel Moralisches vorbringen kann über „die Mitschuldigen“, „die Geschwister“, in welchem Schauspiel

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Menzel, Die deutsche Litteratur. Zweiter Band S. 205–222.

2 Heine, Sämtliche Werke. Dreizehnter Band S. 285.

3 „Der Dichter... fühlt zwar, daß das Schicksal ins Mittel treten müsse, und läßt den Verräter durch eine rächende Bruderhand fallen; wieviel mehr myß uns aber dieser Theaterstreich indignieren, wenn wir wissen, daß der berühṁie Liebhaber in der Wirklichkeit lustig fortgelebt, um das Unglück zu beschreiben, welches er angerichtet."

„die Wollust nach der schönen Schwester schielt“, über „Stella“, wo „der Raffiniertheit nach dem Reiz der Bigamie gelüstet“, und über den „Mann von fünfzig Jahren", der der besondere Gegenstand seines Hasses ist, kann sich der Leser mit Leichtigkeit vorstellen. Aber sogar „Wilhelm Meister" ist ihm nur eine Umschreibung von Goethes unwürdiger Geringschäßung der inneren Würde der Tugend und von Goethes Streben nach den äußeren Verhältnissen des Adelstandes. Endlich sind Menzel die Wahlverwandtschaften" der Typus eines „Ehebruchsromanes“"; dieser Roman behandelt „die Wollüstelei, die das Fremde begehrt". Ja, „die Braut von Korinth" ist nur der Ausdruck jener Wollust, die sogar noch in den Schauern des Grabes, in der Buhlerei mit schönen Gespenstern einen haut goût des Genusses sucht.

Wo es unmöglich ist, die Beschuldigung der Unsittlichkeit anzubringen, kehrt Menzel zu der Beschuldigung des Mangels an Originalität zurück. Hermann und Dorothea" ist nicht nur eine untergeordnete Arbeit, eine der Spießbürgerlichkeit dargebrachte Huldigung, sondern eine direkte Nachahmung der Vossischen „Luise.“ In Wahrheit original, meint Menzel, sei Goethe nur im „Faust“ und im „Wilhelm Meister“ gewesen, weil er in diesen Werken sich selbst kopiert habe. Übrigens habe er in seiner Jugend von Molière und Beaumarchais, von Shakespeare und von Lessing geborgt, während seine späteren Jambentragödieen die Frucht seiner Rivalität mit Schiller seien. Außerdem war er, wie Gott und alle Welt weiß, fein Patriot.

Vergleicht man Börnes Angriffe auf Goethe mit denjenigen von Menzel, so entdeckt man, troß der auch bei ihm vorhandenen Unbändigkeit des Ausdruckes, den großen Unterschied, daß Börne sich nicht darauf einläßt, Goethes Dichtwerke zu beurteilen oder gar

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Geadelt zu werden, im Reichtum zugleich den haut goût der Vornehmlichkeit in behaglicher Sicherheit zu genießen, war ihm für dieses Leben das Höchste."

zu verdammen, ebensowenig wie er sich zu den Beschuldigungen geschlechtlicher Unsittlichkeit herabläßt, sondern daß er sich immer auf den Sturmlauf gegen Goethe als politische Persönlichkeit beschränkt. Saint René Taillandier hat richtig bemerkt, daß Börne allem, was er gegen Goethe auf dem Herzen hatte, Ausdruck gegeben hat, als er über seine Besprechung von Bettinas „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" als Motto jene Worte aus Goethes „Prometheus" sette:

Ich Dich ehren? Wofür?

Hast Du die Schmerzen gelindert

Je des Beladenen?

Hast Du die Thränen gestillet
Je des Geängsteten?

Von Goethes Werken verstand er zwar nur die zu schäßen, worin er das Feuer der Jugend fand, aber seine Angriffe beruhen nicht auf Geringschäßung der übrigen Werke, sondern auf dem Umstand, daß Goethe, der durch seine Gaben und sein Ansehen so hoch gestellt war, niemals seine Persönlichkeit und seine Stellung für eine Verbesserung der wirklichen Lebensverhältnisse in Deutschland einsehte. Es ist leicht genug aus Börnes Schriften thörichte Effektstellen herauszupflücken, wo er in die Menzelsche Tonart einstimmt, z. B. wenn er in seinem Tagebuch von 1830 von Goethes beispiellosem Glück redet, daß er mit seltenem Talent sechzig Jahre lang die Handschrift des Genies nachahmen und unentdeckt bleiben konnte, oder wenn er Goethe den gereimten Knecht nennt, wie Hegel den ungereimten. Aber um diese wilden und bedauerlichen Ausbrüche zu verstehen, muß man sich die Anschauungen Börnes vergegenwärtigen, aus denen seine Anklagen gegen Goethe wie gegen Schiller entsprangen.

Er ging von der (wahrscheinlich völlig falschen) Grundvorstellung aus, daß Goethe durch rechtzeitigen und beherzten Protest die Karlsbader Beschlüsse verhindern, die Preßfreiheit und die andern

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