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oder Größe, von Wahrheitsliebe oder Liebe zum Schönen; wir leiden unter der Unzulänglichkeit an Verstand, Gefühlstiefe, Schönheitssinn oder Charakterfestigkeit bei den Geringeren.

Diese Gruppe von Schriftstellern besigt nun keine dichterische Größe allerersten Ranges, und nur eine von sehr hohem Range: Heine. Viel positiv Großes hat sie nicht hinterlassen. Sie wirkt meist negierend, befreiend, aufräumend, auslüftend. Die Gruppe ist stark durch ihre Zweifel und ihren Haß gegen Knechtschaft, überhaupt durch ihren Individualismus.

Niemals hat ihr Ansehen in Deutschland, besonders in Norddeutschland, so niedrig wie in unsern Tagen gestanden. Die Schriftsteller, die ums Jahr 1830 alle die Formen der Gewaltherrschaft bekämpften, die damals, so weit die deutsche Zunge klang, drückend empfunden wurde, sind in unsern Tagen von einer Unpopularität getroffen, die, wie es scheint, nicht so bald weichen wird. Es ist erklärlich. Denn das jeztlebende jüngere Geschlecht in Deutschland, das die Einheit des Reiches hinter sich sieht — eine Einheit, die damals als eine phantastische Hoffnung vorschwebte — und die Deutschland seine gesammelte Macht in schnell entschlossener, nach allen Seiten hin siegreicher Handlung sich entfalten gesehen hat, interessiert sich wenig für die alten Träumereien darüber, wie die Einheit zuwege gebracht werden sollte, und ist des ewigen Spottens jener Schriftsteller über deutsche Schläfrigkeit und Thatenlosigkeit, deutsche Pedanterie und deutsches Theoretisieren überdrüssig, da der Ausgang gezeigt hat, wie praktisch und beherzt das verspottete Deutschland auftreten konnte, sobald die Gelegenheit dazu ihm gegeben ward.

Besonders sind seit dem deutsch-französischen Kriege die Schriftsteller, welche vor einem halben Jahrhundert Frankreich immer auf Kosten Deutschlands erhoben oder stets betonten, daß die Freiheit Deutschland die Güter bringen werde, welche Bismarck ihm gebracht hat, von einer Art Bann getroffen worden. Man betrachtet sie als schlechte Patrioten und schlechte Weissager. Nur eine geringe

Minderzahl vermag es einzusehen, wie kräftig eben jene Verbitterung und jener Hohn über die damaligen erbärmlichen Zustände zu dem Umschwung und Aufschwung mitgewirkt haben, die gefolgt sind. Noch geringer ist die Zahl derjenigen, welche aus der Litteratur der dreißiger und vierziger Jahre einen lebhaften Vorwurf herauslesen über verlassene oder vergessene Ideale, und die, wenn sie in jenen alten Schriften blättern, mit Wehmut sich fragen, was in dem neuen Zustand der Dinge aus dem Besten, wofür dieselben kämpften, ge= worden ist.

VII

Unter den Schriftstellern, die damals in erster Reihe standen, ist kaum jemand so zur Seite geschoben worden, wie Ludwig Börne. Die Stoffe, die er behandelte, sind veraltet, und nur die, welche sich für die Persönlichkeit des Schriftstellers interessieren, lesen seine kurzen, in Zeitungsartikel- oder Briefform gehaltenen Prosastücke aus Rücksicht auf die Darstellungsweise oder des Geistes wegen, in welchem der Gegenstand behandelt worden ist. Erst in seinen späteren Lebensjahren schlug Börne recht durch, nämlich mit den „Briefen aus Paris“, aber für den abstrakten Fürstenhaß oder den republikanischen Glauben, die hier zu Worte kommen, hat man in dem jungen Kaiserstaat keine Verwendung mehr. Keine Persönlichkeit paßt weniger als die seine in die neuen Verhältnisse hinein; denn wo die Staatsidee nach und nach anfängt allmächtig zu werden, wo sie von oben herab offiziell sozialistisch die private Initiative einzuschränken versucht, so viele Bürger wie möglich in besoldete Beamte, civile oder militäre, verwandelt, und dem befoldeten Beamten Vorrechte vor dem nichtangestellten Bürger einräumt, und wo sie von unten revolutionär-sozialistisch nach Kräften strebt, das individuelle Schalten und Walten einzuschränken, dort verschwinden mit Notwendigkeit die ausgeprägt selbständigen Charaktere, und die eckige, unabhängige Individualität scheint etwas Gesezwidriges, das niemand zum Bildungsmuster oder Vorbild benutzen kann. Aber Börne war eben eine solche scharf eckige Individualität und ein unbedingt selbständiger Charakter.

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Jezt scheint dem Bürgertum Deutschlands in der Regel die einzige, eines Mannes würdige Aufgabe die zu sein, aufzubauen, positiv zu wirken, das Errungene zu befestigen oder umzuformen. Schon das Mauerbrecherartige in Börnes Geistesrichtung schreckt ab. Sein feuriger Sinn, der die Zeitgenossen erwärmte, nimmt sich aus wie die Begeisterung eines Don Quichotte, der mit seiner Lanze gegen Festungs- oder Schloßmauern Sturm läuft. Aber auch zum neuen nationalen Eisenalter in Deutschland mit seiner Eisenarchitektur hat er das Seine beigetragen. Sein Feuer hat das Erz, woraus die neuen Pfeiler der Gesellschaft gegossen worden sind, in Fluß gebracht.

Nichts hat vielleicht in dem Urteile des jezt lebenden Geschlechtes Börne mehr geschadet, als sein hißiges Verdammungsurteil über Goethe. Goethe ist als hervorbringender und verstehender Geist so groß, zugleich als Naturell und Persönlichkeit in seiner Stärke und in seinen Schwächen so eigentümlich, daß jedermann in der neueren Zeit einen wesentlichen Beitrag zu seiner eigenen Charakteristik giebt durch das Urteil, welches er über ihn fällt. Obgleich es dazumal mehrere Schriftsteller, nicht nur in der Pfaffenpartei, sondern auch in der Opposition gab, die Goethe verabscheuten, wird unleugbar Börnes Begrenzung durch die Weise, in welcher er sich über den Greis in Weimar aussprach, scharf bezeichnet. Er malt sich selbst durch die Art und die Beschaffenheit der Einsprüche, die er gegen den Glauben an Goethes Wert als Mensch und als Dichter niederlegte.

Aber um zu verstehen, wie dies zuging, und was es bedeutete, daß ein agitatorischer Moralist auf politischem Gebiete, wie Börne, einen förmlichen Haß und eine stets lebendige Entrüstung gegen die Gestalt hegte, die als die allererste in der schönen Litteratur Deutschlands dasteht, ist es notwendig, den Gegensag zu erfassen, in welchen das Schicksal Börne gleich von seiner Geburt an zu dem großen Dichter stellte, an den einen fremden und daher falschen Maßstab anzulegen er sich getrieben fand.

Goethe und Börne waren Kinder Einer Stadt. Beide sind mit einem Zwischenraum von 37 Jahren in Frankfurt am Main geboren. Frankfurt war eine alte Reichsstadt, eine Festung, in welcher Thore und Türme die Grenzen der Stadt in älteren Zeiten andeuteten; außerhalb derselben befanden sich von neuem Thore, Türme, Mauern, Brücken, Wälle und Graben, welche die neue Stadt umzingelten; es war eine Festung, die andere kleine Festungen enthielt: Klostergebäude und burgartige Höfe, die befestigten Palästen glichen. Die Stadt schien unantastbar zu sein; sie war von einem Schimmer uralter ehrwürdiger Selbständigkeit umgeben. Es war eine Patrizierrepublik, wo der Fremde als rechtlos zu betrachten war. Wehe dem Fremden, der vor einem Frankfurter Gerichtshof einen Streit mit einem Frankfurter Bürger hatte, selbst wenn auf seiner Seite das sonnenklarste Recht war! Die herrschenden Familien hielten zusammen, erzeigten einander Hochachtung unter allen möglichen altmodischen Formen. An irgend eine der hergebrachten politischen oder sozialen Einrichtungen der Stadt zu rühren, galt als undenkbar.

Die Obrigkeit war ohne Unternehmungsluft, die Einwohner ohne das Gefühl, daß irgend etwas hier verändert werden könne. Kein Gedanke an politische Zusammengehörigkeit mit dem übrigen deutschen Reich. Im` damaligen Deutschland war jede Stadt und in der Stadt jedes Stadtviertel eine kleine Welt für sich.

Goethe war ein Patrizierkind. Sein Vater war Kaiserlicher Rat. Als der Jüngling seine Geburtsstadt gründlich kennen gelernt hatte, mußte es ihm vorkommen, als könne das Schicksal unmöglich anderes mit ihm vorhaben, als bürgerliches Glück in Frankfurt. Denn die Stadt fing ihn ein: die Familien bemächtigten sich des schönen, hochbegabten jungen Mannes, die Frauen hegten ihn, die Traditionen banden ihn. Es gab nichts, was ihn nach den größeren Städten wie Wien oder Berlin hätte ziehen können; sie lagen Frankfurt so fern, wie in unseren Tagen Rom und Petersburg. Das Schicksal schien ihm gewiß, nach und nach Rechtsgelehrter, Ehemann,

Brandes, Litteraturgesch. des 19. Jahrh. VI.

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