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Er konnte nach seiner Überzeugung nicht anders, als denselben mit einer Rede eröffnen, in welcher er troß aller wirklichen und anscheinenden Zugeständnisse sich eben dagegen wehrte, das Entscheidende, was das Volk von ihm verlangte, zu bewilligen.

Keiner Macht der Erde, rief er aus, soll es gelingen, das natürliche Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konventionelles, konstitutionelles zu verwandeln, und nun und nimmermehr werde ich es zugeben, daß zwischen unsern Herrgott im Himmel und dieses Land ein geschriebenes Blatt sich eindrängt, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren und die alte heilige Treue zu erseßen.

Die Zeit war um. Man forderte jährliche Parlamente und vollständige Erfüllung der alten Versprechen aus den Jahren 1815 und 1829. Jacoby, Heinrich Simon, Gervinus und andere kritisierten die königlichen Gesezesvorschläge durch und verwarfen sie.

Und dann ging es los. Zuerst in der Schweiz in der bewaffneten Überrumpelung des jesuitisch gesinnten Sonderbundes durch die radikalen Kantone schon im November 1847, dann mit entschiedener Macht in Paris, dann in allen Hauptstädten Deutschlands und in vielen außerhalb Deutschlands. Wie der Donner in einer Gebirgsgegend von Bergwand zu Bergwand zurückgeworfen wird, so erzeugte der Donner der Revolution Echo auf Echo von einer europäischen Hauptstadt zu der andern in dem tollen und heiligen Jahre 1848.

XXIX

Im Hochland fiel der erste Schuß
Im Hochland wider die Pfaffen!
Da kam, die fallen wird und muß,
Ja, die Lawine kam in Schuß
Drei Länder in den Waffen!

Schon kann die Schweiz von Siegen ruhn:
Das Urgebirg und die Nagelfluhn

Zittern vor Lust bis zum Kerne!

Drauf ging der Tanz in Welschland los
Die Scyllen und Charybden,

Vesuv und Ätna brachen los:

Ausbruch auf Ausbruch, Stoß auf Stoß!
- „Schr bedenklich, Euer Liebden!"

Also schallt's von Berlin nach Wien

Und von Wien zurück wieder nach Berlin
Sogar dem Nickel graut es!

Und nun ist denn auch abermals

Das Pflaster aufgerissen,

Auf dem die Freiheit nackten Stahls

Aus der lumpigen Pracht des Königssaals

Zwei Könige schon geschmissen .

So sang Freiligrath im Februar 1848, wenige Tage nach der Revolution in Paris. Er ging ein langes, schmerzliches und doch linderndes Zucken durch die deutschen Lande. Es war, als hätte Europa Luft bekommen, als würde ein Fenster geöffnet. Es war, als ob die einzigste Macht, welche Wunder macht, das Beispiel, das deutsche Volk zur Nachahmung, zur Handlung zwang. Und gleichzeitig wirkte die Angst davor, daß der Absolutismus nun seinen

lezten Schachzug wagen, Deutschland durch die Revolution in Frankreich bedroht erklären und die Völker Preußens und Österreichs gegen die französische Republik führen werde.

In Osterreich hatte die geistige Unterjochung ihren Höhepunkt erreicht. Im Jahre 1846 hatte die Metternichsche Regierung sogar die Herzensergüsse" des Kaisers Joseph des Zweiten, von einem landesverwiesenen Patrioten gesammelt, mit unter die verbotenen Schriften aufgenommen. Und nun brachten die Unruhen in den italienischen Provinzen Österreichs, welche den österreichischen Staatskredit und die ganze österreichische Industrie mit unermeßlichen Verlusten bedrohten, die Erbitterung über das Metternichsche Regiment zum Überfließen. Die entschiedene Niederlage, welche Metternich in der Schweiz durch die Sprengung des von ihm mit aller Macht gegen die Radikalen gestüßten jesuitischen Sonderbundes erlitten, hatte dem Glauben an seine Unüberwindlichkeit den lezten Stoß gegeben. In Preußen hatte gerade die büreaukratische Mißregierung in einer einzelnen Provinz schreckliche Folgen gehabt. Monate hindurch hatte der Hungertyphus in der erbärmlich gestellten Arbeiterbevölkerung Schlesiens gewütet, ohne daß man von oben helfend eingeschritten war. Den Landstraßen entlang lagen Tote und Ster bende zu Hunderten und verwesten. In den Hütten lagen in der Januarkälte verlassene Menschen, den Hungertod sterbend, und nackte Kinder, die über den Leichen der Eltern langsam verschmachteten; denn wurde jemand von der Krankheit ergriffen, so war an Hilfe nicht zu denken, weil es von den völlig unwissenden Kommunalvorständen verboten war, in ein von Ansteckung befallenes Haus einzutreten, damit sich die Ansteckung nicht verbreite. Inzwischen ließen sich die Beamten nur sehen, um mit Härte die Abgaben einzufordern, und als der Oberpräsident daraufhin angegriffen wurde, daß von August 1847 bis Ende Januar 1848 nichts, um die Not zu lindern, geschehen sei, gab er zur Antwort, daß niemand formell um Hilfe nachgesucht habe.

Unter solchen Verhältnissen wurde es den politischen Führern des Bürgerstandes leicht, ihre Standesgenossen mit sich fortzureißen, und in der Hoffnung auf bessere Zustände und in Haß gegen die herrschende Polizeiwillkür traten die Arbeiter überall in die Spuren des Bürgerstandes.

Das jezt lebende Geschlecht versteht nicht mehr die Stimmung des Jahres 1848. Sie war freilich in einigen Ländern nur ein Gemütszustand nationalen Selbsterhaltungstriebes und Selbstge= fühls. Aber in den meisten europäischen Staaten erhoben sich die Völker gegen die legitime Fürstenmacht und gegen das Zwangsrecht. Nur in Dänemark unterdrückte man einen Aufstand kraft der legitimen Fürstenmacht und des Zwangsrechts eines gekränkten Nationalgefühls. Die Dänen schlugen sich für das alte Recht, nicht um neuer Gedanken willen. Über ganz Europa empörten sich die unterdrückten Völker. Sie wußten, wie lange sie nichts als Schlimmes erlebt, nichts anderes als das Triumphieren des Unrechts, der Gewohnheit und der Lüge gesehen hatten. Das Wirkliche und das Abscheuliche waren ihnen einigermaßen gleichbedeutende Begriffe geworden; aber sie hatten den Glauben, der Berge versehen kann, und Hoffnungen, welche die Erdkugel zum Erbeben bringen konnten. Die Vorstellungen von Freiheit, Parlament, nationaler Einheit, Preßfreiheit, Republik waren ihnen magische Mächte; nannte man nur diese Namen, so klopften ihre Herzen wie das des Jünglings beim unerwarteten Anblick der Angebeteten.

Die Vorwärtsstrebenden der jeßigen Generation fühlen anders. Sie wissen, daß die Dummheit ein reißendes Thier ist und das zählebigste von allen, daß die Feigheit, der willfährige Sklave der Macht, der auf jeden Wink springt, stark wie der Mut selber ist, wenn es gilt, verjährte Vorteile zu verteidigen; sie denken, daß das, was man Fortschritt nennt, eine kranke Schnecke sei. Der naive Mann der Fabel kauft sich einen Raben, um zu sehen, ob es wahr sei, daß dieser zweihundert Jahre alt werden könne. Die Vorwärts

Brandes, Litteraturgesch. des 19. Jahrh. VI.

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strebenden unserer Tage wissen im voraus, daß die ganze schwarze Rabenherrlichkeit, alle rabenschwarzen Lügen in allen großen und kleinen Krähwinkeln sie überleben werden wie viele hundert

Jahre, ist ihnen ziemlich gleichgültig. Sie haben zwar ein seltenes mal das Gute siegen sehen, aber es nie anerkannt werden gehört, daß die in ihrem Sinne gute Macht die siegende war. Sie haben immer die Wahrheit zuerst geschmäht, dann, wenn möglich, getötet, oder wenn das nicht gelang, kastriert und anerkannt gesehen. Sie hoffen deshalb nicht viel. Manche unter ihnen haben die Hoffnung in sich getötet, wie man einen Nerv, der allzuviel Schmerz bereiten kann, exstirpiert. Sie sind zu oft enttäuscht worden.

Jenes Geschlecht von 1848 hatte niemals seine Zukunftshoffnungen aufgegeben. Zwar war es durch den Druck und die Qual langer Zeiten daran gewöhnt worden, die Brutalität und die Scheinheiligkeit frohlocken zu sehen und selbst geistig im Halbdunkel zu leben, aber es glaubte an das kommende Licht. Und nun erblickte es dies Geschlecht auf einmal: zuerst nur einen Schimmer, dann einen Strahl, dann eine Flamme, dann den ganzen Horizont, so weit das Auge reichte, ein Lichtmeer. Zum erstenmale hörte das Geschlecht laute.schallende Stimmen ohne Widerrede die Freiheit das Recht der Völker nennen, und zum erstenmale sah es mit verwunderten Augen die Macht, diese bisher so unbewegliche Masse, den ungeheuren Träger der Unterdrückung und der Unwahrheit, sich wie ein Riesenelefant in Bewegung sehen, sich drehen, sich schütteln, sich rollen, die von ihm Getragenen abwerfen und seine Riesenfüße nach der Richtung bewegen, wo die freiheitsbegeisterten und kampfesfrohen Männer der neuen Zeit bereit standen, auf seinen Rücken zu springen und ihn vorwärts zu treiben, um doch endlich einmal das verjährte Unrecht zu zertrümmern.

Es war besonders für die jüngeren Generationen ein Augenblick ohnegleichen. Es war ein Anblick, der berauschend wirkte;

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