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ist die königliche Natur... König ist, wer seinen Launen lebt. Ich muß lachen, wenn die Leute sagen, Byron wäre nur einige und dreißig Jahre alt geworden; er hat tausend Jahre gelebt. Und wenn sie ihn bedauern, daß er so melancholisch gewesen! Ist es Gott nicht auch? Melancholie ist die Freudigkeit Gottes. Kann man froh sein, wenn man liebt? Byron haßte die Menschen, weil er die Menschheit, das Leben, weil er die Ewigkeit liebte ... Ich gäbe alle Freuden meines Lebens für ein Jahr von Byrons Schmerzen hin."

Wie man sieht, nimmt Börne nicht nur alles in Byron ernst, er sieht nicht einmal in ihm den Genußmenschen, der ihn Goethe gegenüber in so hohem Grade zurückstieß. Ja, was noch auffallender ist, Börne findet seine eigene Natur mit der Byrons verwandt. Er schreibt: „Vielleicht fragen Sie noch verwundert, wie ich Lump dazu komme, mich mit Byron zusammenzustellen? Darauf muß ich Ihnen erzählen, was Sie noch nicht wissen. Als Byrons Genius auf seiner Reise durch das Firmament auf die Erde kam, eine Nacht dort zu verweilen, stieg er zuerst bei mir ab. Aber das Haus gefiel ihm gar nicht, er eilte schnell wieder fort, und kehrte in das Hotel Byron ein. Viele Jahre hat mich das geschmerzt, lange hat es mich betrübt, daß ich so wenig geworden, gar nichts erreicht. Aber jezt ist es vorüber, ich habe es vergessen und lebe zufrieden in meiner Armut. Mein Unglück ist, daß ich im Mittelstande geboren bin, für den ich nicht passe."

Worte wie diese geben ein starkes Zeugnis von dem Zauber, den Byrons Schatten noch auf die Gemüter der leitenden Persönlichkeiten ausübte.

VI

Unter Verhältnissen und Einflüssen, wie die hier geschilderten, entstand die oppositionelle Litteratur zwischen 1820 und 1848. Wenn man eine so große Gruppe von Geisteserzeugnissen überschaut, so hat man natürlicherweise darin in aller Allgemeinheit eine Menge Aktenstücke darüber, wie die Menschen zu jener Zeit fühlten und dachten, in welche Formen ihre Kultur gekleidet war, welche Formen ihre Hoffnungen und Wünsche, ihre Menschenliebe und Freiheitsliebe, ihr Rechtsgefühl und ihr Staatssinn annahmen, und dann darüber, wie ihr Geschmack beschaffen war, das heißt, wie der schreiben mußte, der die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und lebendiges Interesse erwecken wollte. So wird unser historischer Wissensdrang in diesem Punkte befriedigt.

Demnächst entsteht unwillkürlich die Frage über den Wert dieser Litteratur. Was die philosophischen Schriften betrifft, wird dies zunächst eine Frage danach, ein wie großes Maß von neuen Wahrheiten sie umfassen. Oder betrachtet man sie, wie man nur allzuhäufig muß, als eine Art von Schöpfungen der Phantasie, so entsteht die Frage über die Tragweite und Fruchtbarkeit ihrer Hypothesen. Für die dichterischen und teilweis für die verwandten, historisch schildernden Werke ist die Frage über ihren Wert dieselbe wie die Frage über ihre Schönheit, da wir unter Schönheit nichts anderes als den künstlerischen Wert verstehen.

Von der großen Anzahl der Schriftsteller einer Periode bleiben nun bekanntlich nach Verlauf von ein paar Menschenaltern immer

nur wenige übrig, die noch gelesen werden. Von einer ungeheuren Anzahl von Werken bleiben nur einzelne bestehen, welche man sich noch aneignet. Von den Geistern jener Periode sind nur sehr wenige in unseren Tagen außerhalb Deutschlands gekannt und gelesen. In Deutschland liest man natürlicherweise weit mehr, doch sind es immerhin verhältnismäßig nicht viele Werke der damaligen Zeit, die noch heute die Allgemeinheit beschäftigen.

Die erste, gröbste Kritik wird also von der Zeit ausgeübt: nach Verlauf von so und so vielen Jahren wird von dem oder jenem Schriftsteller nichts mehr verkauft, während von den Werken anderer beständig neue Auflagen erscheinen. Aber dies, daß ein Schriftsteller lange Zeit und in weiten Kreisen gelesen wird, ist noch kein unbedingter Beweis für seinen Wert. Das beweist nicht, daß er zu den besten, nur daß er zu den unterhaltendsten und verbreitetsten gehört. Die Verbreitung kann aber durch hohe Kultur und Seelenadel gehindert werden, obgleich diese Eigenschaften in der Regel die Dauer sichern.

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Von all den Männern jener Zeit werden außerhalb Deutschlands heutzutage von den Denkern nur Feuerbach doch wenig und Schopenhauer stark studiert; aber dieser lettere hat erst in einer weit späteren Periode die Geister beeinflußt, und alle beide Denker werden weniger des Inhalts, als der Originalität und Kühnheit des Stils wegen gelesen. Von den Dichtern jener Periode liest man außerhalb Deutschlands nur Heine stark und fortwährend. In Deutschland wird er wie die Brennnessel im Gemüsegarten der Litteratur beurteilt und betrachtet; die Historiker verbrennen sich ihre Finger an ihm und verwünschen ihn. In Litteraturgeschichten und Zeitungsartikeln wird seine Prosa als veraltet und seine Poesie als verkünstelt bezeichnet, während gleichzeitig seine Werke, jezt wo sie Gemeingut geworden sind, in unzähligen Auflagen neu herausgegeben werden. Aber außerhalb Deutschlands lebt sein Ruhm nicht nur unangefochten, sondern er ist in stetem Wachsen und

Steigen begriffen. Er beschäftigt die Gemüter in Frankreich wie ein Zeitgenosse. Er ist der einzige hervorragende fremde Dichter, den die Franzosen wie einen von den Ihrigen und zwar wie einen von ihren Größten betrachten. Kein fremder Schriftstellername kommt in französischen Büchern heutzutage so häufig vor, wie der seine, und keiner wird mit größerer Bewunderung genannt, nicht einmal die Namen von Shelley oder Poe.

In großen Gemeinwesen wird nicht selten die Frage aufgeworfen, wie man zu verfahren habe, um sich eine ganz auserlesene Sammlung der hundert besten Bücher, die es in der Weltlitteratur gebe, anzulegen. Die Antworten lauten natürlich sehr verschiedenartig. Aber in allen romanischen und slawischen Ländern wird Heines Name einer der ersten auf den Listen sein. In England finden sich auf solchen Listen gewöhnlich neunzig englische Bücher und zehn fremde, aber Heinrich Heine ist unter diesen. Der Glaube, daß es hundert Bücher giebt, die zu lesen für alle Menschen die gleiche und zwar größte Bedeutung habe, ein Glaube, der von der protestantischen Vorstellung herstammt, es gäbe ein Grundbuch dieser Art, ein solcher Glaube ist ein kindlicher, und jene Frage ist nur insofern interessant, als sie beweist, was für ein ganz unpersönliches Bildungsideal dem Frager und denen, die so naiv sind, sich auf die Beantwortung einzulassen, vorschwebt. Lehrreich ist es indessen zu sehen, wie die Antworten in gewissen bestimmten Fällen in betreff Heines gelautet haben. Man erinnert sich vielleicht, wie erstaunt die deutsche Presse vor einigen Jahren war, als eine Menge englischer Listen veröffentlicht wurden und Heine unter allen deutschen Schriftstellern am häufigsten auf ihnen zu finden war; denn es gab Listen darunter, auf denen nicht ein einziges Buch von Goethe sich befand.

Dieser Weltruhm beruht jedoch nicht allein auf den Vorzügen Heines, sondern auch darauf, daß es große Partieen in seinen Werken giebt, zu deren Verständnis nur eine recht niedrige Kulturstufe

erforderlich, und zu deren Genuß auch seelischer Adel nicht notwendig ist, im Gegenteil, wo der seelische Adel den Genuß eher beeinträchtigen könnte. Aber sein Ruhm beruht nichtsdestoweniger reichlich ebensoviel darauf, daß sein poetisches Talent troß alledem in seiner Richtung das größte unter den zeitgenössischen war.

Wenn sich nun der litterarische Wert des Kunstwerkes in seiner Widerstandskraft gegen die Zeit und in der Fähigkeit, sich Leser außerhalb seines Vaterlandes zu gewinnen, verrät, dieser Widerstand und diese Verbreitungskraft jedoch keinen Maßstab für den Wert abgeben, worauf beruht dann dieser? Auf der Ursprünglichfeit wie der Stärke des Seelenlebens und der Gemütsbewegung, deren Ausdruck das Kunstwerk ist, im Verein mit der Fähigkeit des Werkes, gleichsam ansteckend uns diese Gemütsbewegung mitzuteilen. Alle Kunst ist ein Ausdruck einer Gemütsbewegung und hat zum Zweck, Gemütsbewegungen hervorzurufen. Je tiefer ein kostbarer Stein ausgeschnitten ist, desto schärfer, desto deutlicher erscheint das Bild im Wachs, wenn es abgedrückt wird. Je tiefer der Eindruck in der Seele des Künstlers war, desto deutlicher, desto bedeutender wird der künstlerische Ausdruck. Die Gemütsbewegungen eines Künstlers unterscheiden sich von denen anderer Menschen nur dadurch, daß sie in seiner Seele die Erinnerungen auf eine Weise formen, welche bewirkt, daß sie, einmal ausgeformt, den Zuhörer, Zuschauer oder Leser anstecken.

Die Fragen, auf welche ein einzelnes Werk uns Antwort giebt, sind also etwa die folgenden: Wie weit reichte der Blick des Verfassers? Wie tief hat er es vermocht, in seine Epoche hinein zu sehen? Wie eigentümlich hat er Freude, oder Trauer, oder Wehmut, oder Liebe, oder Begeisterung, oder Menschenverachtung gefühlt? Wir sagen: Ein so starkes Entseßen und solchen Abscheu hat Dummheit oder Unrecht ihm eingeflößt. So beißend, so wißig hat er sich und uns an dem durch Dummheit oder Schlechtigkeit Verächtlichen gerächt. Wir empfangen von den Besten einen Eindruck von Hoheit

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