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und wird gegen seine Neigung zum Kaufmann erzogen; er verdankt jedoch diesem Umstand die Freiheit von klassischen Reminiszenzen, die Bildung durch moderne Litteraturen allein, den Sinn für ferne Gegenden und Klimate, welche der Welthandel in gegenseitige Berührung bringt, und das entschieden moderne Gepräge seines Geistes.

Freiligrath ist nicht, wie sein Vorgänger in der politischen Poesie, Hoffmann von Fallersleben, nur ein fruchtbarer Liederdichter, er ist ein wahrer, inspirierter Poet. Hoffmann, der, selbst eine naive volkstümliche Seele, die alten deutschen Volkslieder studiert hatte, war unerschöpflich in seiner melodieenreichen Polemik gegen Junkerwesen und Büreaukratie, aber er wiederholte sich mit der Einförmigkeit des Volksdichters. Freiligrath hat verhältnismäßig wenig geschrieben, aber jedes seiner Gedichte hat eigene Individualität. Er ist von der neueren französischen und englischen Poesie, aus welcher er so zahlreiche und vorzügliche Übersetzungen geliefert hat, beeinflußt, und er debütiert als erzählender Poet von der Schule Victor Hugos, entwickelt jedoch schnell sein eigenes Gepräge. Er hat in sehr hohem Grade zwei Eigenschaften, die sich selten vereinigt finden: die Fähigkeit, zu malen, und die Innigkeit des Gefühls. Kraft der einen Gabe vermag er Gegenstände aus fremden Weltteilen mit glühendem Kolorit zu schildern, kraft der anderen wurde er der Sänger des Heimatlandes und des häuslichen Lebens. In seiner politisch revolutionären Periode wurde die Innigkeit zum mächtigen Pathos und die Gabe der anschaulichen Ausmalung ging ganz im Dienste des Zorns, der Kampflust und der Entrüstung auf.

In seiner Jugend (1831) empfing er in Amsterdam tiefe Eindrücke vom Meere und von der Schiffahrt. Er folgte in seinen Träumen den vielen Schiffen, welche aus dem Hafen hinausglitten, um nach Afrika, nach Indien, nach der Türkei, nach Amerika zu segeln. Dadurch entstand die Neigung, die Natur dieser Länder, wie sie sich in in seiner Phantasie aufbaute, zu schildern; und Hugos,,Les Orientales" lehrten ihn nicht nur die Farben kennen,

womit solche Stoffe dargestellt werden mußten, sondern gaben ihm auch die metrische Form. Er allein von den modernen deutschen Dichtern versucht es, den Alexandriner der Franzosen, dies in Deutschland so verachtete Versmaß, sich anzueignen und dessen Schönheit zu behaupten. Sonderbarerweise fehlte ihm mit seinem sonst so entwickelten metrischen Sinn in dem Grade das Ohr für die Eigentümlichkeit des Alexandriners, daß er ihn immer durch reine Jamben wiedergiebt, ein Verfahren, das in Deutschland noch heutzutage geübt wird, obgleich es im Norden längst aufgegeben ist.

Sein Gemüt beherrschte die Sehnsucht nach dem Weltmeer und über das Weltmeer hinaus. Im Gegensaße zur damaligen deutschen Dachkammerpoesie gab er von seiner Kammer aus - Bilder aus den Wüsten Afrikas und aus den amerikanischen Urwäldern. Er strebte nach tropischer Lokalfarbe, bisweilen mit Erfolg, mitunter auch geschmacklos, wirkte sprachlich besonders durch neue, eigentümliche Reime, Reime aus prangenden und schallenden Fremdwörtern, wie „Sykomore“, „Trikolore“ u. s. w. Seine Verse glichen lebendigen Kolibris, wenn sie gelangen ausgestopften Kolibris, wenn

ihre Pracht leblos erschien.

Aber dieser afrikanische Freiligrath ist nicht der beste, der nationale und freisinnige Freiligrath ist mehr wert. Als Herweghs politische Herausforderung ihn aufgeweckt hatte, ging er in sich, legte sich naiv und ehrlich Rechenschaft ab von seinen ihm selbst bis dahin nicht ganz bewußten Sympathieen und Tendenzen und fand dann im Innersten seines Wesens einen unbezähmbaren Freiheitsdrang und ein Mitleid mit den Unterdrückten, das in Haß und erschütternde Erbitterung ausschlagen konnte. Sein Genius beschritt die revolutionäre Bahn und ging auf ihr im Sturmschritte vorwärts, bis er seine Flügel entfaltete und flog. Und von den Lippen des Dichters erklangen Marseillaisen. O, diese Hymnen von Freiligrath aus dem Jahre 1848, sie sind die Begeisterung selbst, die begeisternde Begeisterung! Es findet sich eine Wildheit, ein Glaube, eine revo

lutionäre Religiosität, eine flammende Ironie, ein jubelnder Siegesrausch in den ersten von ihnen, die edelste Verzweiflung, sublim in ihrem Ausdruck, in den leßten.

Aber auch die leidenschaftlichen Gedichte, die der Revolution vorangehen, sind wert gelesen zu werden. So z. B. die Sammlung „,Ça ira“ aus dem Jahre 1846. In jedem der verschiedenen Gedichte, aus welchen sie besteht, ist ein einzelnes anschauliches Bild durchgeführt. In dem ersten stößt ein Fahrzeug vom Lande ab, dessen Name Revolution ist; es ist der große Brander, der Raketen in die scheinheilige Jacht der Kirche wirft und dann mit seiner Kanone gegen die silberne Flotte der Reichen zielt. In einem anderen wird mit einem Thomas Moore entliehenen Motiv die Despotie als der Eispalast dargestellt, welcher um die Frühjahrszeit berstet und schmilzt. Im Gedichte „Wie man's macht“ wird mit ansteckender Leidenschaft die Erstürmung des Zeughauses in einer Hauptstadt so dramatisch lebendig geschildert, daß man alles vor sich sieht, als wäre man mit dabei. Wie die Revolution, die er vorausahnt, näher und näher herannaht, wird seine Dichtung immer gegenwärtiger. Er schildert einen Rheindampfer, der den König und die Königin von Preußen an Bord führt. Der Dampfer erinnert an die deutsche Gesellschaft. Oben auf dem Verdeck genießt die feine Welt die frische Luft, den klaren Sonnenschein, die schönen Rheinlandschaften; aber drunten an der Maschine steht der Proletarier als Maschinist und als Heizer, Herr des Vulkans, der das Schiff treibt und im Gange hält. Ein Ruck, ein Schlag von ihm und das ganze Gebäude, an dessen Spiße der König steht, stürzt zusammen, das Verdeck berstet, die Flammen schlagen aus doch du böses Element, noch nicht heute! Aber in einem Gedichte wie „Freie Presse" greift der Dichter dem Gang der Begebenheiten vor: der Aufruhr soll losgehen, noch ein Tag, und es wird in den Straßen gekämpft. Der Besizer der Buchdruckerei sagt zu seinen Leuten: Zum Schießen braucht man Blei, aber dem Volke fehlt

Munition, nun gilt es denn, aus den metallenen Alphabeten Kugeln zu gießen, und bald fließt und zischt die glühende Masse in die Kugelformen. Die Zeiten sind so, daß die Typen jezt nur als Kugeln die Menschheit befreien können.

Die Tage des jungen Deutschland waren vorbei, aber man empfand es, als wäre Deutschland selbst nun jung geworden.

Einen Gegensatz zu Freiligrath bildet durch die Solidität seiner Bildung Robert Pruz (geboren zu Stettin 1816). Er ist ein kritisch, historisch, philosophisch gebildeter Geist, der sich nach vielen Richtungen hin versucht hat, aber doch nur als politischer Dichter von bleibender Bedeutung ist. Von Anfang an war er ein feuriger Mitarbeiter an Ruges Halleschen Jahrbüchern, und zeitig wurde er mit Landesverweisung bestraft. Er ist der Feuerbachianer unter den Dichtern. Er kann zwar in seiner politischen Lyrik ein wenig trocken und phantasielos werden, weil er sich gern so nah wie möglich an die Wirklichkeit hält, aber seine zugleich nüchterne und begeisterte Freiheitsliebe spricht an. Wer ihn einmal lieb gewonnen hat, wird ihn immer lieb behalten, wird sogar seine spätere, als sensualistisch dumm verkezerte Gedichtsammlung „Aus der Heimat" in hohem Grade schäßen; nur sollte er nicht die unglaubliche Geschmacklosigkeit begangen haben, in diese Sammlung ein Widmungsgedicht an seine Frau aufzunehmen.

Das Wertvollste, was er hervorgebracht hat, ist „Die politische Wochenstube“ (Zürich 1845), ein kleines aristophanisches Meisterwerk, in welchem es Pruß, dem wärmsten Bewunderer, welchen der Däne Holberg in Deutschland gefunden, geglückt ist, den Wig und den Spott der jüngeren Generation, ihr ganzes Streben und all ihre Hoffnungen, zusammenzudrängen.

Diesem klassisch gebildeten Dichter stand es natürlich an, die. aristophanische Form aufzunehmen; leider hat er sich zu streng an sie gehalten. Das Stück ist dadurch ein Kleinod für einen ausge= suchten Leserkreis geworden, anstatt Nahrung fürs Volk abzugeben.

Es ist das Werk eines hoffnungsvollen Träumers: sein Glaube an eine strahlende Zukunft Deutschlands war gerade so lebhaft und mächtig, wie seine Freude am ironischen Niederreißen des Hinfälligen und Morschen; wenn die burlesken Figuren und Einfälle hier wie auf einem idealistischen Goldgrunde hervortreten, so geschieht es, weil der Dichter die Sonne der Zukunft hinter ihnen aufgehen und scheinen sah.

Aber

Das Drama beginnt vor dem Hause eines Arztes, der einer Art privater Entbindungsanstalt vorsteht, zu welcher junge Damen aus den höheren Ständen bisweilen ihre Zuflucht nehmen. in der lezten Zeit geht es schlecht mit dem Geschäfte. Er hatte gute Tage, als das Muckertum noch in Königsberg florierte; denn Gottes Segen erwies sich mächtig an den Frommen und „die Busenkreuzbetastelei“, die vielen schwärmerischen Umarmungen, trugen Frucht; seit aber die Staatskirche feindlich gegen den Pietismus aufgetreten ist, stehen seine Kammern leer. Es bleibt ihm bald nichts anderes übrig, als Mitarbeiter an der preußischen Staatszeitung zu werden, denn wer nirgends sonst zu gebrauchen ist, findet bei diesem Institut noch sein Brot. Sein Diener Kilian ist hungrig, ihn verlangt nach Essen. Der Doktor rät ihm, seinen Magen exstirpieren zu lassen und zieht schon das Messer hervor: dann wird er niemals mehr hungern, und welche Verdienste würde er er sich nicht um die Menschheit erwerben, wenn er den lebendigen Beweis dafür lieferte, daß sich eine solche Operation ausführen läßt! Denn an welcher Klippe scheitert heutzutage die Tugend? Warum nahm Freiligrath die königliche Pension an? Weshalb läßt sich Dingelstedt brandmarken? Der Magen ist es, alles geschah um des Magens willen.

Das Gespräch wird unterbrochen, denn als Bettler verkleidet nähert sich Schlaukopf. Er deklamiert im Stil des Nibelungenliedes etwas Patriotisches über den Cherusker Hermann, sammelt zu einem Denkmal für den Nationalhelden, und als der Doktor

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