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eine geborene Komtesse Attems, Sternkreuzordensdame geworden war und nicht allein zu Hofe gehen konnte. In bewegten Worten rief Herwegh ihn an zurückzukehren.

Darf man den Tempel um ein Weib entweih'n,

Mit einem Weib um goldne Gößen tanzen u. s. w.

Dingelstedt antwortete, indem er in schönen Versen Graf

Auersperg verteidigte:

O, sie will es nicht begreifen, ihre Prosa und Gemeinheit,

Daß ein Geist wie Du, ein Name, bürgt für der Gesinnung Reinheit, Nur das Schlechte glaubt sie willig u. s. w.

Die Antwort umging den Angriff statt ihn zu parieren. Niemand hatte im Ernst geglaubt, daß ein Mann wie Auersperg seine Überzeugung gewechselt habe; was Herwegh angriff war eben, daß er troß seiner Überzeugung aus gesellschaftlichen Rücksichten um einen Hoftitel nachsuchte.

Dingelstedt verteidigte hier die Sache seiner eigenen Zukunft. Denn Dingelstedt wurde der Dichter, gegen den Herwegh sich demnächst wandte, und diesmal war die Satire um so viel fürchterlicher, weil sie stumm war und nur indirekt zu Worte kam.

Herwegh hatte in Paris Dingelstedt getroffen, der, wie er selbst, Deutschland wegen seiner politischen Poesieen hatte verlassen müssen, und die beiden Dichter hatten eines Abends in kollegialem Wettstreit zum Scherz jeder ein humoristisch-wehmütiges Bekehrungslied geschrieben. Herwegh schrieb das Gedicht „Wohlgeboren", dessen Inhalt der folgende ist: Was nüßt es von Freiheit und Vaterland zu reden, genial zu sein, Politik zu treiben; was hat das alles mir eingebracht. Nein, ich will ein braver Bürgersmann werden:

Du sollst, verdammte Freiheit, mir
Die Ruhe fürder nicht gefährden;
Lisette, noch ein Gläschen Bier!

Ich will ein guter Bürger werden.

Und durch alle Strophen hindurch wird dieser Refrain beibehalten. Dann schrieb Dingelstedt, um den Freund zu überbieten, das Gedicht „Hochwohlgeboren“, welches beginnt:

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Auch diese Zeile schließt als Refrain alle Strophen des Gedichtes ab.

Zwei Jahre später war Dingelstedt Geheimer Hofrat, Vorleser und Bibliothekar des Königs von Württemberg. Herwegh begnügte sich damit, die beiden Gedichte Seite an Seite abzudrucken.

Franz Dingelstedt (geboren 1814) ist ein höchst eigentümlicher Typus der damaligen Zeit, ein Freiheitsmann, der besser als vornehmer Mann hätte geboren werden sollen, ein Fürst Pückler in der Gestalt eines armen Gymnasiallehrers, ein Ironiker, der den Schein nicht entbehren konnte, ein ausgezeichneter Kopf ohne ernste Laster und ohne ernsthaftes Pathos, aber mit einem leichten Wiz, mit vielen Funken von Poesie, mit früher Blasiertheit und mit einer gewissen praktischen Lust zu wirken bis an sein Ende. Er wurde in dem schlechtest regierten Lande Deutschlands, in Kurhessen unter dem verhaßten Regimente Hassenpflugs, geboren, wurde Lehrer an einem Gymnasium, erweckte durch seine freien Meinungen, sein freies Leben, seine freisinnigen Verse Mißfallen, wurde versezt, schikaniert, und nahm 1841, siebenundzwanzig Jahre alt, seinen Abschied. Nur ein Jahr später als Herwegh gab er seine erste politische Gedichtsammlung „Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters“ heraus.

Gute Verse, gute Gedichte, ein guter Scherz, eine gute Maske. Das ist der Nachtwächter, der seinen nächtlichen Gang in der Uniform, mit dem Morgensterne und mit dem Horn in der Hand dahinwandert, und der, von seinem Standpunkt draußen vor den Häusern aus, das schildert, was er in ihnen sieht und vermutet.

Er ist ein richtiger Nachtwächter; seiner Alten daheim ist er

gewaltig überdrüssig, sie ist so häßlich und hat so viele Kunzeln im Gesicht; aber Hausfrieden hat er: sie schläft des Nachts und er des Tages. Ein richtiger Nachtwächter ist er, der seine Wächterverse von Feuer und Licht singt; er sieht zu den Gefangenen, den politischen Gefangenen, hinauf, deren Gesicht am Fenstergitter sichtbar wird, wenn sie daran rütteln. Er kommt an der Domkirche mit ihren Reliquien vorbei, wo der Wind in den Orgelpfeifen spielt, daß es ihm schaudert, und daß er selbst über sein Schaudern lachen muß; es ist zwanzig Jahre her, seit er drinnen war: er gehört nicht zu den abonnierten Sonntagsfrommen.

Und doch ist er kein richtiger Nachtwächter. Weder seine Gefühle, noch seine Meinungen passen recht für seinen Stand. Droben in einem Hause ist Ball; er horcht auf die Musik, schildert den Tanz und die Manieren der feinen Gesellschaft. Welches Aufsehen es erwecken würde, wenn er in seinem Rockelor, mit Laterne und Spieß, Schneeflocken auf dem Hut, den Bart voll Reif und mit brennend heißen, braunroten Wangen hinein träte zwischen alle jene Schatten! Vor einem anderen Hause hält der Wagen des allmächtigen Ministers. Der Kutscher ist in Pelz gehüllt; aber die armen unbedeckten Pferde zittern vor Kälte, während ihr Herr in dem warmen Zimmer Karten spielt als könnten sie sich nicht rächen, wenn er kommt!

Ich rate Dir, laß die Karten ruhn,
Und hüte Dich sein, Ministerlein!
Du hast es mit vier Hengsten zu thun,
Bedenk, daß das keine Bürger sein!

Es finden sich in diesen beißenden Gedichten nicht selten Ausbrüche eines innigeren Gefühls. Der Nachtwächter steht vor einem Hause in der Vorstadt still, wo ein Unglücklicher mit dem Tode ringend liegt; er geht an der Irrenanstalt vorbei und die Angst vor dem Wahnsinn, die ihn immer an dieser Stelle ergreift, vermischt sich mit einer geheimnisvollen Anziehung; er wandert am

Kirchhofe vorbei, wo sie abseits vom Wege an einem verachteten Plaz seinen armen Vater, der sich selbst aus dieser Welt hinaushalf, begruben, und auf dem Heimwege steht er am Schlosse still, wo der Fürst sich schlaflos auf seinem Lager wälzt, während die Schildwache da draußen in ihrem Schilderhause stehend besser schläft, als er auf seinem weichen Lager.

Das eine oder das andere könnte wohl ein Nachtwächter empfinden, aber nichts davon vermöchte er so auszudrücken jeden Augenblick fällt die Maske. Mitunter kommen zwar — in vollendet plastischer Form - Ausdrücke einer volkstümlichen Erbitterung vor. Man lese z. B. die folgenden Verse gegen einen Hofschranzen, der das Land ausgesogen hat, und dessen Fenster jeht während seiner Krankheit beleuchtet sind:

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Dann kommen aber auch solche Ausdrücke des Hasses und der Erbitterung vor, welche dem gewöhnlichen Volke fremd sind, z. B. ein höchst frivoler Rat an eine junge bezaubernde Dame, die mit einem alten Sünder verheiratet worden ist, wie sie sich an ihrem Gemahl rächen solle. Mitunter nehmen auch die Gedanken und Träumereien des Nachtwächters einen höheren Flug. Er stüßt sich auf eine alte Kanone, welche blank und zahm auf dem Walle liegt. Einstmals flogen ihre Räder auf erobertem Grunde über Leichen und über Lebendige; einstmals gab sie den Takt zu dem Waffentanz; denn es steht ein gekröntes N an dem Zündloch. Jezt ertönt sie nur noch, wenn ein armer Gefangener aus seinem Gefängnis entsprungen ist, oder am Namenstage Seiner Majestät,

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oder so oft eine Prinzessin geboren wird. Aber Geduld! ruft der Nachtwächter der Kanone zu: Bald kannst du vielleicht wiederum deine Kugeln in die Feinde hageln lassen; sei nur so lange stumm, mein Veteran, damit sie nicht dir das Maul vernageln, wie sie uns andere fnebeln. Hier ist, wie man sieht, die Maske ganz abgeworfen. Nachdem Dingelstedt von Hessen fortgezogen war, erschien die Gedichtsammlung „Nachtwächters Weltgang", worin der Dichter nicht mehr in der Nachtwächtermontur auftritt, sondern als eleganter Revolutionär. Es zieht hier über die schlechten Fürsten, über die Verhältnisse in Hessen, Preußen, Hannover und über den falschen deutschen Patriotismus los:

Was ist, Ihr Herrn, ein deutscher Patriot?

An alle Fakultäten diese Frage!

„Ein Mann, der Sonntags dient dem lieben Gott
Und seinem König alle Werkeltage."

Was will, Ihr Herrn, ein deutscher Patriot? -
„Für sich ein Ämtchen, Titelchen und Bändchen,

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Hinaus zum Tempel, deutscher Patriot,
Eh' Du Dich in's Sanktissimum geheuchelt,
Und eh' Dein Kuß, Judas Ischarioth,

Die Freiheit, den Messias, rücklings meuchelt!

Nur wenige Monate später war Dingelstedt Hofrat und Legationsrat, hatte Amt, Titel und Band. Daß er ein anderer geworden sei, konnte selbstverständlich niemand glauben. Daß man seine Handlungsweise mit Strenge, mitunter sogar auf eine gehässige Weise beurteilte, ist nicht zu verwundern. Die zahlreichen Aktenstücke, welche in der letzten Zeit über seinen Charakter und sein Leben erschienen sind, besonders die Publikationen Julius Rodenbergs in der Deutschen Rundschau" 1889-90, stellen seine Handlungsweise in ein milderes Licht, als das, worin sie den Zeitgenossen erschien. Sein Betragen war unschön und unfein, aber

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