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XXV

Dennoch war und blieb Friedrich Wilhelm der Vierte der geistreichste König des damaligen Europas; er legte in seinen Unterhaltungen scharfen Verstand und lebhafte Phantasie an den Tag und ging immer von der Vorstellung aus, daß er königlich empfinden müsse. Seine veröffentlichten Briefe und Billette an Humboldt sind wizig, im lustigen Hofjargon geschrieben; seine Äußerungen verraten immer schnelle Auffassung, leicht erregbares Mitgefühl, schlagenden Wiz.1 Man kann auch nicht sagen, daß er in keinem Verhältnis zur Litteratur und zum Geistesleben der damaligen Zeit gestanden habe; aber seine Bestrebungen gingen ausschließlich darauf hinaus, die „guten“ Kräfte in der Litteratur heranzuziehen und die „schlechten" zu entfernen, und er rechnete gar bald zu den lezteren alle oppositionellen Elemente.

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1 Beispiele der Art und Weise dieses Wizes: Wenn der König im Theater war, warteten die Lakaien vor der Logenthürc. Als der König eincs Abends verdrießlich über die Langweiligkeit eines neuen Stückes vor Schluß der Vorstellung seine Loge verließ, saß einer der Lakaien auf dem Fußboden des Korridors, gegen die Logenwand gestüßt, und schlief. Anstatt zu zürnen, sagte der König: Der hat gehorcht! Der König mußte im Jahre 1848 nach dem Siege der Revolution eine Deputation nach der andern, mitunter anspruchsvolle und anmaßende Deputationen von einfachen Leuten empfangen. Er wendete sich an jedes einzelne Mitglied einer solchen: Was sind Sie? Seiden- und Tuchwarenhändler, Majestät! Interessante Beschäftigung! Und Sie? An= gehender Arzt! Vortreffliche Vorschule zur Regierungswirksamkeit! — u. s. w. immer lächelnd und höflich mit der giftigsten Fronie. (Von einem Anwesenden crzählt.)

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Bei Hofe war von Anfang an Alexander von Humboldt die dominierende litterarische Macht. Er war achtzig Jahre alt, der berühmteste Naturforscher des Zeitalters, über die ganze Erde berühmt; er hielt den König über die geistigen und wissenschaftlichen Bestrebungen der Zeit auf dem Laufenden. Die freisinnigen Staatsideen seines Bruders waren zwar verdrängt, und sein eigener politischer Freisinn konnte sich bei Hofe nicht Luft machen; er, dem Aberglaube und Reaktion in gleich hohem Grade ein Greuel waren, mußte zu vielem schweigen, was ihm zuwider war; bisweilen jedoch erlaubte er sich eine freie Sprache zu führen.1 Aber als Schmuck des Hofes und Stolz des Staates war er in der Umgebung des Königs immer geehrt, und er gebrauchte seinen Einfluß, um in großem Umfange für wissenschaftliche Zwecke zu wirken und manchmal ein gewichtiges Wort für den einen oder den andern verfolgten Schriftsteller einzulegen. Vor dem Jahre 1848 war, wie die Briefe bezeugen, der Ton des Königs ihm gegenüber derjenige einer scherzenden Vertraulichkeit, obgleich keine tiefere Sympathie die beiden Männer verband. Nach dem Jahre 1848, als die Kreuzzeitungspartei am Hofe alleinherrschend wurde, gab Humboldt nicht selten seinem Mißmut über den verlorenen Einfluß Luft in Wendungen wie: „Der König ist nicht mehr amüsabel“ oder „der König verharrt in unfruchtbarer Liebe zu Personen, denen er wohlwill". Leicht umgänglich war er nicht bei Hofe; oft war er spöttisch, heftig, wenn Rankes politische Meinungen mehr als die seinen gelten sollten; bei vielen, darunter der Königin, war er wegen seiner Vorliebe

1 Der König war seiner Zeit von den Mysterien des Tischrückens sehr erfüllt, aber bei Hofe wollte es lange nicht gelingen, einen Tisch zum Tanzen zu bringen, was Humboldt nicht eben wundernahm. Endlich eines Tages empfängt ihn der König mit dem Ausruf: Na, was sagen Sie jezt, gestern Abend saßen wir erst eine halbe Stunde lang am Tisch, ohne daß er sich rührte, dann begann er sich mit immer größerer Geschwindigkeit herumzuschwingen. Wie erklären Sie das? Ei, Majestät, der Klügere giebt nach. (Von Humboldt selbst erzählt.)

für Ludwig Philipp und dessen Familie wenig beliebt. In der Regel las er laut vor, alles Mögliche, nur niemals etwas von sich selbst; am häufigsten las er aus dem Journal des Débats, während der König architektonische oder landschaftliche Skizzen entwarf.

Ein anderer Vorleser der königlichen Familie war der von Dresden nach Berlin berufene Tieck. Obgleich jünger als Humboldt, fühlte er sich infolge körperlicher Schwäche durch den Zwang des Hoflebens stark belästigt. Er trug gerne Shakespeare und Kleist vor. Der König ließ sein altes Märchenschauspiel „Der gestiefelte Kater" in Berlin aufführen. Es wirkte, als sähe man ein Gespenst aus längsst entschwundenen Tagen. Auf des Königs Aufforderung brachte er die „Antigone“ von Sophokles auf die Bühne, und Mendelssohn schrieb die Musik dazu. Doch Tieck war nur einer der Invaliden des Hofes. Speiste der Hof im Garten zu Sanssouci, so fürchtete er sich, selbst an den wärmsten Tagen, vor Zug.

Ein anderer vormals berühmter Dichter aus der romantischen Zeit, den der König nach Berlin, wo er bald darauf verschied, berief, war La Motte Fouqué. Er war damals Mitte der Sechziger, hatte sich aber bereits vollständig überlebt. Seine Heldenromane kamen dem jüngeren Geschlechte vor, als gehörten sie einer früheren Erdperiode an. Man war des Ritterwesens und des Minnedienstes in findlich konventionellen Formen müde; das Unhistorische in seiner Anschauungsweise vergangener Zeiten und das Duckmäuserartige seiner Frömmigkeit rief den Spott hervor. Ohne den Beistand des Königs wäre er nicht nur schon bei Lebzeiten vergessen gewesen, sondern auch in Armut gestorben.

Einen großen Dichter, der nicht der romantischen Zeit entstammte, rief der König im Jahre 1841, besonders auf Varnhagens Empfehlung hin, nach Berlin. Das war Friedrich Rückert (1789-1865). Er war nur etwas über fünfzig Jahre alt, gehörte aber gleichwohl dem Zeitalter nicht an. Er stand in der Litteratur

der damaligen Zeit da als ein Ausdruck der unter allen Verhältnissen unveränderten deutschen Universalität, dieser Fähigkeit der allseitigen Aneignung, des Einsaugens und Nachahmens der Eigentümlichkeiten aller Völker. Er schüttelte sein lebenlang mit einer Virtuosität, die in Erstaunen verseßt, Gedichte aus dem Ärmel. In seiner Jugend wurde er von Joseph von Hammer-Purgstall in die arabische, persische und türkische Litteratur eingeführt; ums Jahr 1826 wurde er als Dozent der morgenländischen Sprachen in Erlangen angestellt, aber seiner Pflicht, Vorlesungen zu halten, suchte er soviel als möglich sich zu entziehen.

Es liegt in seinem Wesen etwas, das an den Stil Goethes in der Diwanperiode erinnert, und etwas, das von den Brüdern Schlegel mit ihrem rastlosen Forschen und Überseßen zu stammen scheint. Schon in seiner Disputation vom Jahre 1811 „Über das Wesen der Philologie" merkt man den Einfluß von dem Werke Fr. Schlegels über die Weisheit der alten Inder, indem er hier von dem Begriffe einer „Universalpoesie“, für welche er die deutsche Sprache als das ansprechendste Gewand betrachtet, ausgeht. Und es ist eben Universalpoesie, was dieser große Stilvirtuose gegeben hat. Er debütiert mit „Geharnischte Sonette" in geschliffenen aber gesuchten Formen als deutscher Patriot. Dann folgen in einer Sammlung nach der andern vielleicht fünf- bis sechshundert Liebesgedichte an verschiedene junge Mädchen; am reichhaltigsten ist die lezte Sammlung „Liebesfrühling", an seine Verlobte Luise Witthaus gerichtet. Diese Gruppe ist in Rückerts Werken die einzige, in welcher das Gefühl vorherrschend ist. Sonst ist er ein in lyrischen Formen lehrender Dichter, hier ist er Sänger. Aber selbst hier hindert die feste schematische Form wie in den Kanzonen des Südens den naiven Ausbruch des Gefühls, und hier schon offenbart sich die Neigung Rückerts, seine Herrschaft über die Sprache zu entfalten in der Erneuerung des Wortmateriales und in einem zwanglosen Verschlingen der Worte ganze Strophen hindurch, wie es noch nicht dagewesen war:

Welche Heldenfreudigkeit der Liebe,
Welche Stärke mutigen Entsagens,
Welche himmlisch erdentschwungne Triebe,
Welche Gottbegeistrung des Ertragens!
Welche Sicherhebung, Sicherniedrung,
Sichentäußrung, völl'ge Hinsichgebung,
Seelenaustausch, Jneinanderlebung!

So etwas hat mehr sprachliches und technisches als rein poetisches Interesse. Aber Rückert ist eben auch als Dichter der Philologe. Seine herrschende Fähigkeit ist die rein sprachliche in ihrem Doppelwesen: die Fähigkeit, die Sprachen zu erlernen und in ihren Geist einzudringen, und die Fähigkeit, kraft des tiefsten Eindringens in die Geheimnisse der eignen Sprache, die vorzüglichsten Poesieen der fremden Sprachen durch Neudichtung ins Deutsche zu übertragen. Es war seine Lust, sich sprachliche Schwierigkeiten zu erschaffen, um sie zu überwinden. Deshalb sehen wir ihn bald in altdeutschem Stil mit langen Albrecht Dürerschen Locken, bald als jungen Offizier aus der Zeit der napoleonischen Kriege auftreten, hören ihn bald als Araber mit wunderbarer Kunst uns Hariris Makamen erzählen, bald als Perser seine Reime in die Formen der Ghasele schmiegen oder sehen ihn das Heldengedicht von Rostem und Suhrah neu erschaffen. Bald schreitet er als Türke in Kaftan und Turban, bald als Chinese in Filzschuhen und mit dem Zopfe einher, bald und am liebsten sehen wir ihn an den Ufern des heiligen Ganges als Brahmane sizen und hören ihn eine sprudelnde Lebensweisheit verkünden, welche tausend goldene Regeln in klingenden Versen giebt. Was von Théophile Gautier oft gesagt worden, daß er als Geist in dem alten Ägypten wie im modernen Rußland, in Konstantinopel wie in Sevilla zu Hause war, daran ist nur wahr, daß er die Klimate und die Denkmäler der fremden Gegenden kannte; es gilt aber in weit tieferem Sinne von Rückert, der die Menschen in den verschiedenen Litteraturen begriff, ihre Sprache verstand und in ihrem Geiste fühlte. Er hat die fremden Länder nicht mit Augen

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