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Generation in dem amerikanischen Freiheitskriege geführt hatte, nun von neuem als Nationalheld zu Pferde size. Ihm war, als müsse er selbst nach Paris, um das zu sehen.

Er schreibt in heftigem Pathos, den er jedoch gleich selbst mit einer leichten Selbstironie dämpfen muß: „Lafayette, die dreifarbige Fahne, die Marseillaise . . Ich bin wie berauscht. Kühne Hoffnungen steigen leidenschaftlich empor, wie Bäume mit goldenen Früchten und wilden, wachsenden Zweigen, die ihr Laubwerk weit ausstrecken bis in die Wolken ... Fort ist meine Sehnsucht nach Ruhe. Ich weiß jezt wieder, was ich will, was ich soll, was ich muß... Ich bin der Sohn der Revolution und greife wieder zu den gefeiten Waffen, worüber meine Mutter ihren Zaubersegen ausgesprochen... Blumen, Blumen! Ich will mein Haupt bekränzen zum Todeskampf. Und auch die Leier, reicht mir die Leier, damit ich ein Schlachtlied singe... Worte gleich flammenden Sternen, die aus der Höhe herabschießen und die Paläste verbrennen und die Hütten erleuchten... Worte gleich blanken Wurfspeeren, die bis in den siebenten Himmel hinaufschwirren und die frommen Heuchler treffen, die sich dort eingeschlichen ins Allerheiligste . . Ich bin ganz Freude und Gesang, ganz Schwert und Flamme, vielleicht auch ganz toll.“

Er erzählt unter anderm, daß der Fischer, der ihn einige Tage später hinüber zur Düne, wo man badet, ruderte, freudig lächelnd ihm die Neuigkeit mit den Worten berichtet habe: „Die armen Leute haben gesiegt!" Heine erstaunt über den richtigen Instinkt des Volks. Und doch war es gerade umgekehrt: die reichen Leute waren es, die gesiegt hatten, und die am Ende die Sieger blieben.

Aber schon eine Äußerung wie die zuletzt angeführte zeigt, wie die deutschen Schriftsteller die Julirevolution auffaßten. Sie flößte ihnen die religiösen Gefühle ein, mit welchen vierzig Jahre vorher die leitenden Geister des damaligen Deutschland die große Revolution umfaßt hatten. Sie war ihnen nicht ein Ausdruck der

Stärke der liberalen Bourgeoisie und ihrer Fähigkeit, die niederen Klassen für sich arbeiten und bluten zu lassen, sondern im allgemeinen das Signal zur politischen, ökonomischen und religiösen Befreiung des Menschengeschlechtes. Sie war ihnen die Großthat, die mit einem Schlage das Joch von dem Volfe und den Druck von den Gemütern abschüttelte.

Einer von den vorzüglichsten unter den radikalen Schriftstellern der vierziger Jahre, Robert Pruz (damals erst vierzehn Jahre alt), hat 1847 vortrefflich diesen Eindruck wiedergegeben. Seit fünfzehn Jahren, sagt er, hatte es ausgesehen, als wäre die ewige Zeugungskraft der Weltgeschichte erlahmt. Fünfzehn Jahre hindurch hatte man gebaut und gekittet, Kongresse gehalten, Bündnisse gestiftet, das Nez der Polizeiherrschaft über Europa verbreitet, Ketten ge= schmiedet, Gefängnisse bevölkert, Galgen errichtet und drei Tage hatten hingereicht, um einen Thron zu stürzen und alle Throne zittern zu machen. Es war also nicht wahr, das Ungeheure, womit die Fürsten geprahlt, und das die Hofromantiker besungen hatten.1 Das tausendjährige Reich der heiligen Allianz hatte fünfzehn Jahre gewährt. Es schien daher, als müsse jezt ein neuer Frühling auch in dem politischen und geistigen Leben des deutschen Volkes erstehen.

1 R. Pruz, Vorlesungen über die deutsche Litteratur der Gegenwart. S. 270, 271.

V

Die klassische Litteratur Deutschlands um die Wende des Jahrhunderts war antikisierend in Stoff und Form gewesen; die romantische Litteratur, die ihr folgte, hatte in den Stoffen wie in den Formen das Mittelalter angebaut, beide hatten von der umgebenden Wirklichkeit Abstand genommen, sich von dem Gegenwärtigen, von den politischen und sozialen Verhältnissen der Zeitgenossen fern gehalten; weder die eine noch die andere dieser Litteraturgruppen Hatte direkt eine Umformung derselben erzielt. Das Ideal schwebte entweder im tiefblauen Äther Griechenlands oder in dem katholischen Himmel des Mittelalters.

Jezt wurde es resolut zur Erde herunter gezogen. Vor den Augen der Träumenden und Strebenden erschien das moderne Ideal, ein Ideal, das kein mystisches Element mehr hatte. Und mit einer Hast, einer Gewaltsamkeit, die allzuoft die Prosaform journalistisch und die Poesie nur lyrisch oder rein fragmentarisch machte, gingen jezt die oppositionell angelegten Dichter und Schriftsteller darauf aus, das moderne Leben und dessen Inhalt in die Litteratur hineinzuziehen. Aber dadurch, daß dieses Zueignen und Einziehen unter Einnehmung einer Kampfstellung geschah, wurden Wiß und Satire in Deutschland hervorragendere Mächte als je zuvor, während man, was Troz und Sturm gegen das Bestehende betrifft, die Stimmungen und Inspirationen der Sturm- und Drangperiode wieder aufgenommen zu haben schien. Es war ein mächtiger Freiheitsdrang, der zuerst Heine und Börne dahin brachte, der deutschen Litteratur

eine neue Bahn zu brechen, und der später die Schriftsteller entflammte, welche ihnen folgten und mit dem unbestimmten Namen „Das junge Deutschland“ bezeichnet wurden.

Eine einzelne Erscheinung gab es inzwischen, die, obgleich ausländisch, oft genannt, häufiger ungenannt, mehr vorbildlich als irgend welche Gestalt der Vergangenheit im eigenen deutschen Geistesleben wirkte: die Persönlichkeit und das Lebenswerk Lord Byrons. Für seine künstlerischen Schwächen und Mängel gingen erst spät den Deutschen die Augen auf. Nur Guzkow kritisiert ihn verständig ungefähr vom Jahre 1835 an. Byron, den schon Goethe bewundert und geliebt hatte, zwar vorzugsweise wegen der Partieen seiner poetischen Werke, in welchen der alte Meister ihn von seinem Eigenen beeinflußt zu finden glaubte, er, mit seinem ungezügelten Troß und seinem Thatendrang, mit seiner Verachtung der Unfreiheit, die sich in den sogenannten „Freiheitskriegen“ gegen Napoleon verbarg, mit seinem Auftreten für alle unterdrückten Völker, seinem Aufruhr gegen das soziale Herkommen, seiner Sinnlichkeit und seinem Spleen, seiner leidenschaftlichen Freiheitsliebe auf allen Gebieten, wurde nun, durch seinen Tod als Befreier verklärt, eine Personifikation von allem, was man unter modernem Geist und moderner Poesie verstand.

Mit inniger Begeisterung wurde er von Wilhelm Müller, dem Dichter der Griechenlieder" besungen:

Siebenunddreißig Trauerschüsse? Und wen haben sie gemeint?
Sind es siebenunddreißig Siege, die er abgekämpft dem Feind?
Sind es siebenunddreißig Wunden, die der Held trägt auf der Brust?

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Siebenunddreißig Jahre sind es, welche Hellas heut beweint!
Sind's die Jahre, die Du lebtest? Nein, um diese wein' ich nicht:
Ewig leben diese Jahre in des Ruhmes Sonnenlicht.
Auf des Liedes Adlerschwingen, die mit nimmermüdem Schlag
Durch die Bahn der Zeiten rauschen, rauschend große Seelen wach.
Nein, ich wein' um andre Jahre, Jahre, die Du nicht gelebt,
Um die Jahre, die für Hellas Du zu leben hast gestrebt:

Solche Jahre, Monde, Tage kündet mir des Donners Hall,
Welche Lieder, welche Kämpfe, welche Wunden, welchen Fall!
Einen Fall im Siegestaumel auf den Mauern von Byzánz,
Eine Krone Dir zu Füßen, auf dem Haupt der Freiheit Kranz!

Der Stolz Byrons und seine Verachtung politischer Unfreiheit begegnen uns bei Platen; sein aristokratischer Ton, sein Unwille gegen Vorurteile, seine Reiselust, seine Vorliebe für die Tierwelt und die Natur, seine Anmut und seine Ironie kehren bei dem Fürsten Pückler wieder. Wie unermeßlich sein Einfluß auf die Formung des dichterischen Ideals von Heinrich Heine gewesen, bedarf keines Nachweises, so schlagend wird es von jedermann empfunden, der mit dem Gang der neueren europäischen Litteratur vertraut ist. Aber merkwürdig und lehrreich ist es, zu beobachten, in welchem Lichte Byron vor dem ersten bahnbrechenden Geist der neuen deutschen Litteraturrichtung steht. Börne war ja eine von dem englischen Dichter vom Grund aus verschiedene Persönlichkeit. Man könnte also glauben, daß er an den frivolen und koketten Seiten von Byrons Individualität wie an den Schwächen Heines Anstoß genommen hätte. Er war weit davon entfernt. Man lese, in welchen Ausdrücken er nach dem Studium von „Byrons Leben" durch Moore sich über ihn ausspricht. Er nennt das Buch „Glühwein für einen armen deutschen Reisenden, der auf der Reise durchs Leben friert“. Er ist nah daran, vor Neid über diese Lebensführung krank zu werden.

„Wie ein Komet, der sich keiner bürgerlichen Ordnung der Sterne unterwirft, zog Byron wild und frei durch die Welt, kam ohne Willkommen, ging ohne Abschied, und wollte lieber einsamt sein, als ein Knecht der Freundschaft. Nie berührte er die trockne Erde; zwischen Sturm und Schiffbruch steuerte er mutig hin, und der Tod war der erste Hafen, den er sah. Wie wurde er herumgeschleudert; aber welche selige Insel hat er auch entdeckt!... Das 1 Briefe aus Paris. S. 44.

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