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Glauben sei, herabzuwürdigen, hinwieder die Schüler und Mitgenossen durch immer und immer wieder lobende Kritik zu Ansehen und Berühmtheit zu bringen.1

Die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Die Karikatur hat hier den doppelten Fehler, nicht ähnlich und nicht amüsant zu sein. Mundt nahm in geistreicher Weise Rache an Tieck, als er einige Jahre später zuerst die Initiative zur Aufführung von Tiecks Märchenkomödieen in Berlin ergriff.

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1 L. Tieck, Gesammelte Novellen. Breslau 1835. Erster Band S. 38, 79.

XXIII

Weder die Darstellung des Verhältnisses zwischen Litteratur und Politik, noch die des Ganges der litterarischen Begebenheiten, noch die Zeichnung der vornehmsten Männercharaktere des jungen Deutschland vermag das seelische Leben jener Zeit völlig zu veranschaulichen.

Was geschaffen wird und was geschieht, ist äußerliches Ergebnis. Was in der Welt der Bücher hervorgebracht wird, zielt naturgemäß auf Wirkung; schon um der Deutlichkeit willen wird hier alles bis zu einem gewissen Grade stilisiert und in Relief dargestellt. Aber um zu erforschen, wie in einem bestimmten Zeitalter geistig gelebt wurde, muß man den fühlenden Persönlichkeiten so nahe als möglich zu kommen trachten, und man darf nicht unterlassen, den Eindruck, den man durch die Beobachtung der leitenden Männer der Zeit empfangen, durch das Studium der typischen Frauengestalten der Periode zu ergänzen.

Wo mehr empfunden und weniger geschaffen wird, wo die Gestaltungsgabe zu schwach ist, um das Geschaffene von der Persönlichkeit gänzlich loszulösen, doch aber große Ursprünglichkeit vorhanden ist, da eröffnet sich dem Forscher am leichtesten der Weg zu den verborgenen Quellen eines Zeitalters. Der Brief einer reichbegabten Frau gestattet zumeist unmittelbarer einen Blick in den lebendigen Menschen, in seine wahre Gefühlsweise zu thun, als eine politische Rede oder ein Trauerspiel.

Keine der wenigen großen Frauen, welche in diesem Zeitraum die Geister beherrschen, hat irgend ein Kunstwerk hervorgebracht,

ja auch nur einen Versuch in dieser Richtung gemacht. Sie haben weder Romane noch Abhandlungen geschrieben. Sie wirkten, auch litterarisch, unmittelbar durch ihre Persönlichkeit und gewannen offenbar nur dadurch eine so große Macht über die Gemüter, weil sich in ihnen etwas von dem innersten Wesen des Zeitalters verkörperte. Ihre Naturen entbehren aller Plastik, aller Greifbarkeit, es ist etwas Undeutliches, Verschwommenes in den Konturen ihres Geisteslebens. Ist es aber aus diesem Grunde schwierig, ihre Individualitäten zu schildern, so bieten deren Äußerungsformen dafür um so günstigere Gelegenheit, der Zeit den Puls zu fühlen.

Durch sie gelangt man zu der Einsicht, daß die dem Leben der Besten in dieser Periode zu Grunde liegende und in der Opposition gegen den Kultus der Regel, den Zwang des Herkommens Ausdruck findende Idee darin besteht, das einzige eines fühlenden, denkenden. Wesens Würdige sei, die menschlichen Verhältnisse in selbständiger, ursprünglicher Weise aufzufassen und sein Thun und Lassen auf diese Auffassung zu gründen. Es war das eine in der deutschen Kultur schon nicht mehr neue Idee. Sie stammte von Herder, sie hatte sich auf alle die Verkünder des Naturevangeliums, darunter auch Heinse, der auf einzelne Männer des jungen Dentschland so mächtig einwirkte, vererbt. Zur unumschränkten Herrschaft, zur Anwendung auf allen Gebieten des Lebens war sie jedoch erst durch Goethe gelangt. Vertieft man sich in die eigenartigsten Frauengestalten jener Zeit, so wird einem klar, daß das, was von 1810-1835 sich innerlich vollzogen hat, was die Zeit als verstohlene Heimlichkeit unterirdisch barg, nichts anderes war, als die Schritt für Schritt erfolgende Verdrängung der kirchlichen Weltanschauung durch die Goethesche, welche sich aller großen Instinkte und aller wirklichen Begabungen der Zeit bemächtigt hatte.

Die unvergleichlich bedeutendste Frau, die in den dreißiger und vierziger Jahren die geistig Interessierten in Deutschland beschäftigt, ist Rahel Varnhagen von Ense. Sie stirbt im März 1833,

und 1835 giebt ihr Mann in drei Bänden jene Auswahl ihrer Briefe und Tagebücher heraus, die der großen Lesewelt, was sie gewesen, offenbarten. Dieser Veröffentlichung folgten allmählich eine große Zahl anderer, die ihre Person zum Mittelpunkt hatten.

Weit weniger genial, aber weit talentvoller als Rahel war Bettina von Arnim, von welcher im Jahre 1835 das Aufsehen erregende Buch „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“, welches mit Begeisterung aufgenommen wurde, erschien.

Während Rahels Name wegen ihres vieljährigen ununterbrochenen, wenn auch rein privaten Wirkens in der Stille unvergessen bleibt, während glänzendes Talent und funkelnder Wiz dem Namen Bettinas Glanz verleihen, ist der Name einer dritten Frau, welche auf die Männer und Frauen der damaligen Zeit einen tiefen Eindruck machte, ausschließlich um einer Handlung, eines Selbstmordes willen, der Nachwelt erhalten geblieben. Es ist Charlotte Stiegliß, die im Dezember 1834 sich entleibte, und deren Lebensgeschichte, Aufzeichnungen und Briefe 1835 der Lesewelt von Theodor Mundt vorgelegt wurden. Sie wurde sofort zum Gegenstande zahlreicher Studien und verherrlichender Schriften seitens der jungen Schule. Besonders schön hat Gustav Kühne sie charakterisiert. Ihr Tod gab überdies, wie erwähnt, den Anstoß zu Guzkows „Wally“.

Rahel Antonie Friederike Varnhagen (geb. Levin, später unter dem Familiennamen Robert bekannt) kam in Berlin 1771 zur Welt. Sie wäre also insofern einer ganz andern Epoche als der der Julirevolution zuzurechnen. Allein erst nach ihrem Tode wurde sie eine der Allgemeinheit angehörige Person, erst dann trat sie durch das gedruckte Wort in Beziehung zum Publikum und zu den Schriftstellern der Zeit. Sie war eines jener seltenen Wesen, die kraft ihrer unvergänglichen Gemütsfrische alles und alle verstehen, mit den verschiedenartigsten Individualitäten und Richtungen Fühlung haben, mit scharfem Blick überall das Wesentliche herausfinden und mittelst ihrer vielseitigen, nie versiegenden Sympathie bis an den Tod ebenso

sehr von den Besten der Jüngeren wie der Älteren bewundert und hochgehalten werden. Rahel wurde von Guzkow gehuldigt, wie ihr von Schelling und Friedrich Schlegel, von Schleiermacher und Wilhelm von Humboldt gehuldigt worden. Ihr, der glühenden Patriotin, welche im Freiheitskriege Spitälern in Berlin und Prag vorstand, zollte noch Heinrich Heine Bewunderung, der Fünfzigjährigen das lyrische Intermezzo im Buch der Lieder" widmend. Sie, die mit den ausgezeichnetsten Männern der Wende des Jahrhunderts, mit dem Fürsten von Ligne, mit Fichte, dem Prinzen Louis Ferdinand, Fouqué und vielen anderen in vertraulichem Verkehr gestanden, begrüßte zum Staunen ihrer Umgebung noch die „Orientales" Victor Hugos, die Schriften der Saint-Simonisten mit lebhafter Freude. Dieses Leben, so undramatisch es ist, hat etwas Großes

Man ahnt die Vielseitigkeit ihres Wesens, wenn man die Schar der so ganz verschiedenartigen Persönlichkeiten überblickt, zu denen sie in nahen Beziehungen stand. Es offenbaren sich Tiefen in ihr, die noch immer überraschen, zugleich aber auch Unklarheiten, die einem modernen Menschen ungenießbar sind. Der Zauber ihres Wesens lag im Mündlichen, Unmittelbaren, in der gelegentlichen Äußerung. Ihn heute zu rekonstruieren, ist daher kein Leichtes. Sie hat stark nach außen gewirkt, immerhin aber war ihr eigentliches Leben gänzlich nach innen gekehrt. Sie war in ihrem Geistesleben entschieden aristokratisch, dabei aber so herzensgut, daß ihre Güte ihr Rücksichten auch für Menschen, die ihr vollkommen ferne standen, eingab.

Als junges Mädchen ohne Schönheit, ohne irgend ein Talent, wächst sie im Hause ihres Vaters, eines reichen, jüdischen Kaufmanns, zu einer Zeit in Berlin auf, wo der jüdische Stamm noch keinerlei Bürgerrechte besaß. Fünfundzwanzig Jahre alt, ist sie bereits ein bedeutsames Mitglied der höheren Gesellschaft der Hauptstadt. Von ihrem dreißigsten Jahre an ist sie bis zu ihrem Tode Mittelpunkt der Intelligenz in Berlin, einer der Mittelpunkte

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