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Das junge Deutschland.

Brandes, Litteraturgesch. des 19. Jahrh. V1.

1

I

Über den deutschen Ländern brütete seit den Tagen der heiligen Allianz die große systematische Reaktion, die, von dem Wiener Kongreß ausgegangen, ihren Mittelpunkt in Österreich hatte, und deren vollgiltigster Vertreter Metternich, ein Schüler Talleyrands, ohne die Geschmeidigkeit des Meisters zwar, aber weit schädlicher als dieser, ganz Europa zu umspannen hoffte. Es war sein Ziel, daß alles, was die Revolution und Napoleon erschüttert, in Schwanken gebracht oder umgestürzt hatten, ergänzt oder wieder hergestellt sich aufs neue erhebe. Man war zulezt gezwungen gewesen, den großen Feind durch Mittel jeglicher Art zu bekämpfen; man hatte an das Volk appellieren müssen anstatt einfach zu kommandieren, man war gezwungen gewesen, sich an die Sentimentalität statt an die Unterthanentreue zu wenden, ja man hatte etwas, aller Kabinettspolitik so durchaus Fremdes, etwas so studentenhaft Revolutionäres wie die Wiedergeburt Deutschlands versprechen müssen. Allerdings stellte sich ein erkennbarer Unterschied zwischen der Parole, die von Österreich ausging und derjenigen, die von Preußen gegeben wurde, heraus. Gerechtigkeit und Ordnung!" „Ordnung und Friede!“ das waren die Stichwörter in den österreichischen Proklamationen. „Das Volk!" Freiheit und Ehre!" „Deutschtum!" waren die preußischen Schlagwörter. Damit waren jedoch die beiden großen deutschen Staaten der Stimmung des Zeitalters viel weiter entgegen gegangen, als es mit den Sympathieen der leitenden Staatsmänner übereinstimmte. Kaum war der Feind verjagt, der Erbe der Revolution

vernichtet und der Freiheitskrieg beendet, als es für sie galt, der Freiheit wie dem Krieg ein Ende zu bereiten.

Die Jugend, die während des Krieges mit Frankreich aufgewachsen war, hatte erwartet, ein einheitliches Deutschland als Folge des Sieges entstehen zu sehen. Stein hatte schon im Jahre 1812 einen Plan zur Wiedervereinigung der zerstreuten Bestandteile des vormaligen deutschen Reiches entworfen, Arndt und Görres hatten in demselben Geiste geschrieben. Im Pariser Frieden 1814 wurde jedoch bestimmt: „die deutschen Staaten sollen unabhängig und durch ein föderatives Band vereinigt sein“, und dadurch wurden alle Hoffnungen auf den Einheitsstaat mit einem Schlage vernichtet. Fast ein Menschenalter ging darüber hin, bevor der Gedanke an denselben von neuem das Volk erfüllte. Statt des einheitlichen Staates erstand der deutsche Bund, der deutsche „Bunt“, wie Jahn ihn nannte, eine bunte Harlekinstracht für die Nation, und die Enttäuschung war bitter.

Es ging mit dem Traume von Freiheit wie mit dem Traume von Einheit. Um die Völker zum Kampfe gegen Napoleon aufzustacheln, hatten mehrere Fürsten ihnen freie Verfassungen versprochen. Von den größeren Staaten hielten nur Bayern, Baden und Württemberg, die früheren Mitglieder des Rheinbundes, diese Versprechungen, indem sie ihren Ländern Konstitutionen gaben, Bayern und Baden im Jahre 1818, Württemberg, wo ausnahmsweise der König freisinniger war als die Stände, im Jahre 1819, während Karl August im kleinen Sachsen-Weimar als Bahnbrecher der politischen Freiheit in Deutschland schon im Jahre 1816 eine freie Verfassung gegeben und ein parlamentarisches Idyll geschaffen hatte.

Dies bedeutete jedoch nur wenig, da Österreich nach dem Frieden, wie zuvor, ein reaktionäres Prinzip bezeichnete, und Preußen, in dessen Bevölkerung der politische Trieb am lebhaftesten war, sich völlig der Metternichschen Grundanschauung anschloß.

Das preußische Volk hatte indessen nicht nur den Wunsch, eine repräsentative Verfassung zu erreichen, es besaß darauf auch ein altes

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