Page images
PDF
EPUB

XXI

Kommt man von Hegels allumfassendem Blicke, der hohen Kunst Platens, dem geschliffenen Wize Börnes, dem lyrischen und satirischen Genie in Heines Gedichten, der klassischen Inhaltsfülle in Immermanns „Oberhof“ zu den Männern des eigentlich sogenannten jungen Deutschland, so wird man den Übergang unleugbar als einen Sturz in künstlerischer Beziehung empfinden, als einen Sturz von der Überlegenheit und vollendeten Fertigkeit von Meistern zur Anfängerunreife, zu Anfängerflausen herab, und es gab unter den Männern des jungen Deutschland einige, die verurteilt waren, ewig Anfänger zu bleiben. Besonders, wenn man an Heine denkt, wird einem der Übergang von ihm zu seinen Nachahmern als ein Sturz von graziöser, göttlicher Frechheit zu jugendlich plumpen, wider alles anerkannte Herkommen, alle Gewohnheits-Sittlichkeit gerichteten Herausforderungen fühlbar.

Und doch waren die Besten unter ihnen, in ihren besten Augenblicken einer selbstlosen Hingebung fähig, die man bei Heine vergebens suchen würde.

Der traditionellen Gepflogenheit nach schließt man in das „junge Deutschland" weder Heine und Börne ein, die man als dessen Väter betrachtet, noch den Kreis von jungen Gelehrten, für welche Ruges und Echtermayers „Hallische Jahrbücher“ einen Vereinigungspunkt abgaben, noch die Gruppe politischer Dichter, die in den vierziger Jahren den Gefühlen poetischen Ausdruck gaben, die sich 1848 Luft machten.

Traditionell wird die Bezeichnung in weit engerem Sinne als in dieser Schrift genommen.

Ihr Urheber war ein nicht sonderlich begabter, aber allzeit begeisterter, norddeutscher Schriftsteller, namens Ludolph Wienbarg (geboren zu Altona 1803). Er gab im Jahre 1834 unter dem vom Verleger Campe erfundenen kriegerischen Titel „Ästhetische Feldzüge“ eine Reihe von Vorlesungen heraus, die er in Kiel gehalten, und um derentwillen ihm, so unschuldig ihr Inhalt auch war und so wenig sie mit ihrem salbungsvollen Tone jemanden aufzureizen vermochten, das Recht, an der Universität zu lehren, entzogen worden war. Diese Vorlesungen, durch die es einem Jeztlebenden schwer fällt, sich hindurchzuarbeiten, sind mit der Zueignung eingeleitet: Dem jungen Deutschland, nicht dem alten, widme ich dieses Buch.“ Von dem Werke ist heutigentages nur noch diese Zueignung dem Gedächtnis aufbewahrt. Wienbarg verstand unter dem jungen Deutschland alle diejenigen jugendlichen deutschen Gemüter, welche in Kunst, Kirche, Staat und Gesellschaft mit der Überlieferung gebrochen hatten und auf litterarischem Wege ihren Drang nach Reformen zu befriedigen suchten.

[ocr errors]

Sein Programm für die neue Epoche der Litteratur ist von erschreckender Gewöhnlichkeit. Ihre Weltanschauung soll auf einer harmonischen Verbindung von Verstand und Sinnlichkeit beruhen. Er prophezeit einen neuen Hellenismus, bei welchem das Sinnliche mehr vom Geiste durchdrungen sein wird als bei den Griechen, das Geistige mehr von Sinnlichkeit durchseht als bei den Christen. Doch vor der Litteratur müsse erst das Leben selbst seine Wiedergeburt feiern. Das echte Kunstwerk vermöge das junge Geschlecht erst dann zu formen, wenn das Leben um und in ihm frisch und harmonisch geworden.

Wie man sieht, enthielten diese Deklamationen und Verheißungen nichts Neues. Heine hatte in hundert scherzhaften und poetischen Wendungen längst dasselbe gesagt. Sogar Menzel hatte es in seiner ersten

Periode mit all der Beredsamkeit eines verunglückten Poeten und eifrigen Parteimannes ausgesprochen. Hier nun wurde es in jener breiten blumigen Sprache und mit jenem Pathos vorgetragen, die auf unreife Gemüter selten ihre Wirkung verfehlen.

Neu war allein, daß hier zum erstenmal ein Repräsentant der Jugend, die in Heine den großen Schriftsteller des Zeitalters erblickte, sprach, wie daß zum erstenmal die Anschauung zu Worte kam, die Prosa sei die Form der neuen Zeit und von größerem Werte als die Versform. Die Wienbargsche Ästhetik, die auf eine Verherrlichung Heines hinausläuft, feiert ihn daher als den großen, den größten Prosaisten. Erst jezt habe sich die deutsche Prosa, besonders durch die Einwirkung der französischen, geformt. Wienbarg ist Schillers Stil eine Paradesprache, der Goethesche Stil eine Hofsprache. Alle die früheren Größen der Litteratur, sogar Jean Paul nicht ausgenommen, hätten in einem Zauberkreise, fern vom Strome der großen Welt, gelebt. Was die Prosa eines Heine, eines Börne, eines Menzel, eines Laube von derjenigen früherer Schriftsteller unterscheide, sei ihr Mangel an Ruhe und Behaglichkeit, doch eben dieser Mangel sei deren entschiedener Vorzug, der des Lebens. Besonders wird Heine gepriesen, daß er den flüchtigen Ruhm“, ein lyrischer Dichter zu sein, um des größeren willen verschmäht habe, auf dem kolossalen, alle Töne der Welt umfassenden Instrumente, das die deutsche Prosa darbiete, zu spielen.

Dieser Verherrlichung der Prosaform auf Kosten der metrischen schlossen sich zuerst Mundt, dann Laube, die beide nicht im stande waren, einen wohlklingenden Vers zu schreiben, mit Eifer an, besonders weil sie damit gegen die schwäbische Dichterschule, den Spätling der Uhlandschen Romantik, Protest einlegten. Von Mundt wurde dieser Profakultus förmlich als das Evangelium der neuesten Zeit verkündet. - Wie wenig tieferer Gehalt sich bei Wienbarg fand, verrät besonders seine zweite Schrift „Zur neuesten Litteratur“ (1835), eine Sammlung von Essais ohne Kraft und Mark,

an denen nur das eine verdienstvoll ist, die mutige Treue des Autors Heine gegenüber zu einer Zeit, da sich die von Neidern und Moralisten beeinflußte öffentliche Meinung wider diesen gekehrt hatte.

Wienbarg hatte dem jungen Deutschland den Namen gegeben, einen Namen jedoch, der, wie man sieht, keine bestimmte Gruppe genannter Männer umfaßte. Auf bestimmte Persönlichkeiten wurde der Name sonderbarerweise erst infolge einer Angeberei und einer brutalen Regierungsverfügung angewendet.

Das ging folgendermaßen zu: Eine Reihe junger Schriftsteller, die zwar in keiner näheren Verbindung miteinander standen, jedoch geistige Emanzipation zu ihrer Losung gemacht hatten, war nach und nach aufgetreten. Sie standen alle dem Christentum fern und träumten von einer neuen pantheistischen Religion für die neue Zeit. Mehrere von ihnen strebten unter dem Namen einer „Emanzipation des Fleisches“, oder „Rehabilitation des Fleisches“, wie sie es nannten, eine Auflösung des Herkommens in der Moral und freiere Formen für die Vereinigung und Trennung der beiden Geschlechter an, doch trat dies Verlangen bei einigen, wie Laube, schal chimärisch, bei andern, wie Guzkow, geschmacklos trozig und seltsam hypochondrisch auf, bei dritten wieder, wie Mundt, gestaltete es sich zu einer Verfechtung dessen, was er in vager Weise Frauenemanzipation nannte, worunter er nichts anderes als eine freiere Stellung des Weibes im väterlichen Hause und in der Ehe verstand.

Alle schäßten in hohem Grade gewisse hervorragende Frauen, so in Frankreich George Sand, die einen starken Einfluß auf sie übte, in Deutschland Rahel, Bettina, Charlotte Stiegliß.

Alle sprachen gern und laut von dem Rechte der Jugend, alle hatten von Hegel einen gewissen Freiheitsglauben und von der Julirevolution ihre allgemeine politische Tendenz. Wie Hegel Idee und Wirklichkeit versöhnt hatte, so wollten sie ihrerseits die Litteratur mit dem Leben verschmelzen. Sie hegten keine tiefere Sympathie für

einander und trennten sich rasch; zwischen ihnen herrschte keine andere Gemeinschaft, als die in der Regel unter Männern derselben Gruppe und Altersklasse stattfindet, so daß sie weit weniger eine politische Partei, als eine geistige Genossenschaft waren. Gleichwohl war nicht die Litteratur ihr eigentlicher Zweck; sie wollten sich den bewegenden Mächten der Zeit dienend anschließen.

Hierin lag auch der Grund, warum sie sich nicht mit den reinen Kunstformen abgaben, weder mit epischer, noch mit lyrischer und nur spärlich mit dramatischer Poesie.

Sie vergötterten alle den „Zeitgeist“ und huldigten ihm in journalistischen und novellistischen Arbeiten, in kritischen Versuchen und Räsonnements, oder in der Form von Reisebeschreibungen, Reisenovellen, mitunter auch in lang ausgesponnenen Romanen.

Der ohne Vergleich kräftigste Geist unter ihnen war der 1811 in Berlin geborene Karl Guzkow, ein arbeitender, energisch forschender und strebender Geist, der Mann der tausend modernen Probleme, ewig ruhelos, der Zwitter eines analysierenden Kritikers und eines Poeten, aber ein Geist, dem nichts von selbst zufiel, der nichts mit Leichtigkeit erreichte. Sein Wesen war ohne Anmut, seine Jugend ohne Frische, seine Prosa ohne Rhythmus. Aber er besaß Kühnheit, Erfindungsgabe, Verstand und Unternehmungsgeist. Er hatte Pathos, doch keine Lyrik, Pointen im Stile, doch keine Melodie. Das, wofür er Sinn hatte, waren Ideen, all die Gedanken und geistigen Strömungen, welche die Zeit hervorgefördert.

Von Natur gehörte er zu den Schwerfälligen; doch seine litterarische Begeisterung war so echt, sein Ehrgeiz so groß und sein Wille so kräftig, daß er allmählich ein geistiger Mittelpunkt wurde und seinen Einfluß nach vielen Seiten hin ausstrahlen ließ. Um 1840 war ein Zeitpunkt, wo die Richtung eines großen Teils der besseren deutschen Presse von ihm und seinen Anhängern bestimmt

wurde.

Wir haben gesehen, wie die Julirevolution den Schriftsteller

« PreviousContinue »