Page images
PDF
EPUB

die sich an ihm vergriffen hatten, eine Selbstbewunderung, die durch das Prahlende ihrer Äußerungen peinlich wirkt, und eine Roheit, die teils Standeshochmut ist, teils der Rücksichtslosigkeit der verlezten Eitelkeit entspringt.

Der Brief Platens aus Rom vom 18. Februar 1828 zeigt, daß er in Wirklichkeit Immermanns „Trauerspiel von Tirol", welches anzugreifen er im voraus fest entschlossen war, gar nicht kannte. „Der romantische Ödipus" war beinahe fertig, als Platen an Fugger schrieb: „Vorzüglich mußt Du mir etwas aus Immermanns »>Andreas Hofer« mitteilen, etwas von der Handlung und einigen pikanten Unsinn. Ich brauche es zum Schlusse des fünften Aftes, wo ich ihn vollkommen überschnappen lasse." Die grenzenlose Verachtung, womit Platen Immermann in seinem Schauspiele behandelt, kann also troh seiner Proteste nur als Äußerung der Rachsucht betrachtet werden. Und was Heine betrifft, so ist es im Grunde genommen in den Briefen wie in dem Schauspiele nur Heines jüdische Herkunft, die Platen ihm zur Last zu legen hat. Im Schauspiele dreht sich alles um diesen Punkt: Heine ist der Petrarca des Lauberhüttenfestes, der Stolz der Synagoge. Ja, so persönlich anzüglich ist der Angriff, daß Nimmermann erklärt, er sei zwar Heines Freund, aber seine Geliebte möchte er nicht sein, denn sein Kuß habe Knoblauchsgestank. Aus den Briefen ersicht man, daß Platen in völligem Irrtum über die Stärke des von ihm derartig herausgeforderten Gegners sich befand. Er ist in seiner eigenen Meinung immer derjenige, der den „Juden Heine zerschmettern“ kann, sobald er nur will. Als die Freunde ihm gegenüber geltend machen, daß ein Angriff auf Heine wegen dessen jüdischer Geburt ohne Gewicht sei, antwortet er unerschüttert: „Daß er ein Jude ist oder war, ist kein moralisches Gebrechen, aber ein komisches Ingrediens. Einsichtige werden beurteilen, ob ich es mit aristophanischer Feinheit benußt habe." Und er fühlt sich so sicher seines Rechtes und seiner Überlegenheit, daß er noch im Dezember 1828,

kurz bevor er von Heines Rückschlag getroffen wird, in ihm nur den „schamlosen Juden, einen armseligen Schmierer und Sansculotte" sieht; freilich war seine sittliche Entrüstung über die ersten Bücher der „Reisebilder“ so groß, daß er den Autor und seinesgleichen als „wahre Satanasse“ bezeichnet.1 Daß er eine verhöhnende Antwort auf eine verhöhnende Anrede erhielt, war nicht unverdient; seine Unterschätzung von Heine wie von Immermann rächte sich hart. Was in Heines Polemik unedel war, strafte sich am schärfsten an ihm selbst durch die Mißbilligung, die es auch bei seinen Freunden und Bewunderern erweckte. Aber daß Immermann und Platen dazu kamen, eine Konstellation des Hasses zu bilden, das beruhte im Grunde nur auf der Ähnlichkeit in dem Wesen der beiden Dichter; auf dem Einsamkeitsgefühl, das im Verein mit einem beständig wachen Selbstgefühl in ihnen die Neigung heraustreten ließ, ihr eigenes Lob ungestüm zu verkünden und andere mit unverständiger Bitterkeit anzugreifen, bevor sie genügend ihre Eigenschaften kennen gelernt hatten. Sie bezeichnen beide, jeder auf seine Weise, den Übergang von dem romantischen Wesen zum modernen. Platen, der ganz in den Spuren der Romantiker sich immer mit fremden Formen, morgenländischen wie die Ghasele, südländischen wie das Sonett, altgriechischen wie diejenigen der aristophanischen Komödie und der pindarschen Ode beschäftigte, erreichte kurz vor seinem frühen Tode in seinen nachgelaffenen Gedichten und Liedern (Politische Poesieen, darunter die Polenlieder) einen Höhepunkt freisinniger moderner Lyrik, und Immermann, der sein lebenlang tragische und phantastische Stoffe mit romantischer Überspanntheit oder Symbolik behandelt hatte, verwob kurz vor seinem Tode ein Stück Wirklichkeit seiner Heimat mit einer gesunden Poesie, die inspirierend auf die ganze ihm folgende Generation ringsherum in Europa wirkte.

1 Platens Werke. Briefe vom 18. Februar, 12. März, 13. Dezember 1828.

XX

Es war die Hegelsche Philosophie, welche im Verein mit der Julirevolution die Geister in das bewegte Leben der Geschichte und der Politik hineinzwang. Nicht daß Hegel selbst mit der Julirevolution sympathisierte, im Gegenteil. Derartige heftige Eingriffe in das, was er als die Vernunft der Verhältnisse ansah, konnten ihm in seinem sechzigsten Jahre nicht mehr zusagen, wie es in seiner Jugend die große Revolution bei ihrem Ausbruch gethan hatte. Längst war er in allem Politischen hochkonservativ geworden.

Aber nichtsdestoweniger veränderte die Julirevolution den Charakter der Hegelschen Philosophie. Sie war der historische Wendepunkt, der historische Umschwung, der nötig war, um sie von den Kathedern hinaus ins Leben zu führen. Die Lehre selbst hatte ja die Eigentümlichkeit an sich, auf entgegengesezte Weisen ausgelegt werden zu können. Von nun an wird sie eins der am stärksten eingreifenden Elemente der Umformung des Lebens. Wir haben es schon bei Heine gesehen, bei dem Hegels Übergang zum preußischen Konservatismus nie anders erwähnt wird, als um entschuldigt zu werden; für Heine bleibt Hegel immer der große Philosoph der neuen Zeit, der Inhaber aller Macht im Reiche der Gedanken.

Bevor Hegel nach Berlin berufen wurde, hatte er als Lehrer keinen Erfolg gehabt. An den anderen Universitäten hatte er sich wenig hervorgethan, in seinen jüngeren Tagen sogar lange vor drei bis vier Zuhörern reden müssen. Jezt stand er auf der Höhe

seines Ruhmes. Im Gegensah zu Schelling, der so frühzeitig reifte und so früh unfruchtbar wurde, trat Hegei, die schwerfälligere, langsamere Natur, mit seinem achtundvierzigsten Lebensjahre in die bedeutendste Periode seines Lebens ein.

Die Erwartungen, die man an ihn geknüpft hatte, waren sehr groß, aber sie wurden vollständig erfüllt. Seine Einsicht war so mächtig, er schien so ganz in seiner Zeit wurzelnd dazustehen und doch über der Zeit zu schweben, vertraut mit all ihren Ideen und sie alle mit ruhiger Würde und tiefer Überzeugung beurteilend. Hundert und aber hunderte von Zuhörern strömten ihm zu.

Als Universitätslehrer bot er dem Anfänger, der ihn zum erstenmal sah, einen sonderbaren Anblick. Eine früh gealterte Gestalt trat ein, gebeugt, obgleich ursprünglich kräftig. Der Eindruck, den sie hervorrief, war derjenige altbürgerlicher Biederkeit. Er stieg auf das Katheder hinauf, sezte sich, vertiefte sich in sein Folioheft, blätterte darin herum, suchte irgend etwas bald oben, bald unten an der Seite. Seine Haltung war linkisch und charakterlos, die Züge waren schlaff, das Gesicht war fahl, Stirn, Wangen und Mund wie durchfurcht, nicht von Leidenschaften, sondern von der hartnäckigsten Gedankenarbeit. Aber die Formen des Kopfes waren schön und edel, und wenn das Gesicht mit seinem Gepräge großen Verstandes sich dem Zuhörer zuwandte, so geschah es mit dem Ausdruck des tiefsten, naiv erhabenen Ernstes.

Er begann zu reden, räusperte sich, hustete, stotterte, suchte mit Mühe nach Worten. Er redete mit einem stark schwäbischen Accent, stoßweise, ohne Rhythmus im Vortrage, schiffte sich in langen verwickelten Perioden ein und erreichte selten mit ihnen den Hafen; er suchte lange nach dem bezeichnenden Worte, fand es aber immer zuleht, und es kam den Zuhörern gleich schlagend vor, ob es ein alter bekannter Ausdruck oder ein ungewöhnlicher war. Allmählich schien der Vortrag dem Zuhörer nur die außerordentliche Schwierigkeit der inneren Gedankenarbeit zu veranschaulichen.

Es konnten ermüdende Wiederholungen kommen, wenn aber die Aufmerksamkeit des Zuhörers erschlaffte und er einige Säße überhörte, so konnte es auch geschehen, daß er zur Strafe den Faden völlig verlor. Denn durch anscheinend bedeutungslose Zwischenglieder hatte indessen der eine oder andere Gedanke seine Einseitigkeit, seine Beschränktheit verraten, sich in Widersprüche verwickelt, und nun galt es diese Widersprüche zu überwinden, falls sie nicht schon überwunden waren.

Was am eigentümlichsten bei ihm erschien, das war die Vereinigung zweier Elemente: einmal die Sachlichkeit des Redners, der Umstand, daß alles um der Sache willen von ihm gesagt wurde, sodann sein Streben nach Klarheit, welches den Anschein hervorrief, daß alles dennoch um des Zuhörers willen allein gesagt werde, damit er im stande sei, es vollkommen zu verstehen. 1

[ocr errors]

Ein schlechter Erzähler war dieser Redner, aber ein ungewöhnlicher Denker und Erklärer. Freilich waren die Kunstworte, die er anwendete, diese eigentümliche Terminologie, nach welcher „an sich" der Anlage nach und „an und für sich" die entwickelte Existenz bedeuten sollten, sehr dunkel; aber man gewöhnte sich daran, und es kam einem bald vor, als schwebte man über der Erde in Abstraktionen, so verdünnt und so sinnreich einander ergänzend, daß die Dialektik in Platons Parmenides" unfein im Vergleich mit dieser Dialektik erschien, bald war es umgekehrt, als dringe man immer tiefer in immer konkreter werdende Gegenstände hinein. Die Stimme des Redners wurde kräftiger, der Blick, mit dem er um sich schaute, frei und sicher, wenn er mit bündigen Worten eine Gedankenbewegung, ein Zeitalter, ein Volk oder auch nur ein besonders merkwürdiges Individuum charakterisierte, wie z. B. jenen Neffen Rameaus, der ohne Nennung des Namens in der „Phänomenologie“ geschildert und erklärt ist.

1 Hotho, Vorstudien für Leben und Kunst. S. 383; Haym, Hegel und eine Zeit. S. 392; Scherer, Mélanges d'histoire religieuse. S. 299.

« PreviousContinue »