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vergessen, als sich plößlich die Kerkerthüre öffnete und ein verhüllter Mann hereintrat, in welchem der Kaiser seinen treuen Kunz von der Rosen, den Hofnarren, erkannte.

Ich finde es nicht nur geistreich, sondern wahr, wenn Heine sagt: „O deutsches Vaterland, teures deutsches Volk! Ich bin Dein Kunz von der Rosen. Der Mann, dessen eigentliches Amt die Kurzweil ist, und der Dich nur belustigen sollte in guten Tagen, er dringt in Deinen Kerker zur Zeit der Not. Hier unter dem Mantel bringe ich Dir Dein starkes Szepter und die schöne Krone - erkennst Du mich nicht, mein Kaiser? . . . Wenn Du auch in Fesseln danieder liegst, so siegt doch am Ende Dein gutes Recht, es naht der Tag der Befreiung, eine neue Zeit beginnt mein Kaiser, die Nacht ist vorüber, und draußen glüht das Morgenrot.“

Will man sich nicht an Einzelheiten, an rings zerstreute tolle Ausfälle und übermütige Wendungen hängen, so wird man sehen, daß das Gefühl, welches sich hier einen klassischen Ausdruck gegeben hat, in Heine mächtig ist. Weder sein Parteistandpunkt noch die damit verbundene Bewunderung vor der Fremde haben eine aufrichtige und tiefgehende Vaterlandsliebe ausgeschlossen, welche Entbehrungen über Entbehrungen für ihn während des Exils erschuf. Nur besaß er nicht die Art von Patriotismus, welche er irgendwo dem Durchschnittsdeutschen zuschreibt, diejenige, die darin besteht, daß das Herz einschrumpft, sich wie Leder in der Kälte zusammenzieht, sondern die, welche das Herz erwärmt und so erweitert, daß es durch die Liebe zum Vaterlande das ganze Reich der Zivilisation umfaßt.1 Er konnte ja überhaupt nicht anders, als Deutschland lieben! Er hat es so gesagt, wie es ein jeder über sein Land sagen muß: „Das ist es, Deutschland, das sind wir selber." Sein ganzes Wesen war ja durch seine Geburt und Entwickelung in Deutschland bestimmt.

1 Heines Werke. Sechster Band S. 57; vergl. vierzehnter Band S. 45 und dreizehnter Band S. 16.

Brandes, Litteraturgesch. des 19. Jahrh. VI.

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Und als er die lehte Hälfte seines Lebens in freiwillig unfreiwilliger Landflüchtigkeit verbringen mußte, insofern heimatlos, als seine Schriften in den deutschen Bundesstaaten verboten waren, wurde die deutsche Sprache ihm das wahre, höhere, eigentliche Vaterland. Das deutsche Wort hat er selbst das heiligste Gut, den unüberwindlichen Freiheitswecker genannt, und selbst als ein neues Vaterland für den bezeichnet, dem Thorheit und Arglist ein Vaterland verweigert haben.

XIX

Die Kenner von Heines Schriften und Briefen werden die innige Freundschaft und Waffenbrüderschaft bemerkt haben, die ihn in seiner Jugend mit Karl Immermann verband. Er hatte Immermann angeboten, einige Epigramme in seine „Reisebilder“ einzufügen, und wirklich brachte das Werk zwischen den Abschnitten Norderney und dem Buch „Le Grand" einen halben Bogen Xenien von Immermann, die verschiedene litterarische Personen und Zustände damaliger Zeit verspotteten, unter anderem auch den in morgenländischen Formen dichtenden Poeten einen Hieb versezten. Platen fühlte sich davon getroffen und dies rief seine dramatische Satire Der romantische Ödipus", wie diese wieder die Antwort Heines hervor.

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Es war ein sonderbarer Zufall, daß Platen in seiner Ungeschicktheit mit einem Schlage die beiden Männer zu Romantikern stempelte, die, jeder für sich das Ihre, und zwar mehr als Platen selbst, dazu beigetragen haben, einen neuen Geist und eine neue Kunst aus der romantischen Hülle sich entwickeln zu lassen, indem jeder von ihnen auf seine Weise Grundleger der modernen Dichtung wurde.

Karl Immermann (geb. 1796) war drei bis vier Jahre älter als Heine, Sohn eines strengen, regelrechten Beamten in Magdeburg, selbst eine fest und zuverlässig entwickelte Persönlichkeit, zeitig vom altpreußischen Geist, von dem sich in Heine keine Spur fand, geprägt. Sie waren Gegensäge auf fast allen Gebieten.

Immermann nahm als Freiwilliger an der Schlacht bei Waterloo teil, zog mit dem Heere in Paris ein, wurde als Offizier verabschiedet und nahm darauf das unterbrochene Studium der Jurisprudenz in Halle wieder auf, wo er sich durch sein strenges Rechtsgefühl mit der mächtigen Studentenverbindung Teutonia überwarf, die eine Art moralischer Oberhoheit über all die Studierenden sich angemaßt hatte und die Reinheit der Sitten durch Roheit heben wollte, sich dabei aber ebenso herrschsüchtig wie brutal erwies. Gegen dieselbe führte er einen mehrjährigen Kampf. Wiederholentlich mußte er die Hilfe der Regierung gegen die Kränkungen und Verfolgungen, die ihm zugefügt wurden, anrufen. Die Folge war, daß er von der herrschenden Partei als Angeber dem allgemeinen Haß preisgegeben wurde und zwar um so mehr, weil die politische Reaktion ohne sein Verschulden aus dieser Opposition gegen vererbte Unsitten in den Studentenverbindungen, Veranlassung nahm, dieselben zu placken und zu unterdrücken. Immermann war von da ab eine isolierte Gestalt. Vieles in seinem Wesen, zumeist das Trockene und Eigenartige, wurzelt in diesem Verhältnis. Für Stolz und Selbstgefühl war die Isoliertheit der günstigste Boden.

Im Jahre 1819 wurde Immermann zu Münster in Westfalen, dieser alten, streng katholischen Provinzialstadt, als Justizbeamter (Divisionsauditeur) angestellt. Er fühlte sich von Anfang an hier uneinig mit allen, und allem ungleichartig. Hier lernte er nach Verlauf kurzer Zeit die Frau kennen, die das Schicksal in seinem Leben wurde.

Elisa von Lüßow stammte aus Dänemark. Sie war eine geborene Komtesse Ahlefeldt-Laurvig aus Tranekjär auf Langeland und mit dem Brigadekommandeur Adolf von Lüzow, dem berühmten Führer der von Körner besungenen Freischar, verheiratet. Damals neunundzwanzig Jahre alt, war sie nach dem Zeugnisse der Zeitgenossen eine durch Anmut, Anstand, Seele bei aller Vornehmheit Herzgewinnende und bezaubernde Persönlichkeit. Von frühester

Jugend an hatte sie einen tiefen Eindruck auf alle Männer, die in ihren Zauberkreis geführt wurden, gemacht.

Sie war als vermeintliche Erbin großer Reichtümer, aber in unglücklichen Familienverhältnissen aufgewachsen. Der Vater und die Mutter hatten sich einander entfremdet und trennten sich, als Elisa vierzehn Jahre alt war. Graf Ahlefeldt, ein Liebling des Königs Friedrich VI. von Dänemark, war eine vergnügungssüchtige Paschanatur mit einem wechselnden Harem, ein Musik- und Theaterfreund, der eine eigene Kapelle unterhielt, und der deutsche und französische Schauspielertruppen auf Tranefjär auftreten ließ. Dabei war er so gastfrei und gedankenlos verschwenderisch, daß selbst sein ungewöhnliches Vermögen nicht zu dieser Lebensführung ausreichte. Die Veranlassung zu Elisas Bekanntschaft mit Immermann war die, daß sie eines rechtskundigen Beistandes bedurfte, weil der Vater nicht nur ihr Erbteil mütterlicherseits zurückhielt die Mutter war 1812 gestorben sondern ihr nicht einmal die ihr

zugesicherte jährliche Rente auszahlen wollte.

Lange hatte Graf Ahlefeldt seine Einwilligung zur Verbindung seiner Tochter mit dem vermögenslosen und noch unbekannten fremden Offizier verweigert. Er gab sie endlich im Jahre 1810. Als im Jahre 1813 auf Friedrich Wilhelm des Dritten Aufruf die preußische Jugend begeisterungsvoll zu den Waffen griff und Lützow das berühmte Freikorps der schwarzen Husaren bildete, folgte sie ihrem Mann in das Feld, und die Lühower, „die wilde verwegene Jagd", fanden ihre Walküre in der so auffallend schönen Gemahlin ihres Anführers; sie wurde von der ganzen Schar als ein höheres Wesen angebetet.

Elisa, die von Kindheit an, wie es scheint, Deutsch ge= sprochen hatte, fühlte sich auf deutschem Grunde ganz als Tochter des neuen Vaterlandes und ging in dessen Schicksal vollkommen auf. Sie begeisterte die Tapferen, pflegte mit heldenmütiger Ausdauer die Verwundeten, war die Vertraute der vorzüglichsten unter

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