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lebens giebt auch der folgende Zug: er, der von allen Männern und Poeten im Ausdruck der Liebe Ausgelassenste, verwandelt sich während seiner Krankheit zum Zärtlichsten und Geistigsten im Ausdruck dafür.

Bekanntlich wurde das lehte Jahr seines Lebens von der Ergebenheit und Bewunderung eines jungen schönen Mädchens versüßt. Es war die Frau, die, obgleich deutsch von Geburt, als Schriftstellerin unter dem Namen Camille Selden in der französischen Litteratur aufgetreten ist.1

Sie war damals ungefähr achtundzwanzig Jahre alt, blauäugig, mit hellbraunem Haar, und so anmutig, anziehend und fein, daß sie beim ersten Kommen Heines Herz gewann. Bald wurde sie ihm unentbehrlich; er litt, wenn nur ein paar Tage vergingen, ohne daß er sie sah, obgleich oft seine Schmerzen so heftig waren, daß er selbst diesen Besuch sich verbitten mußte. Erst in den aufbewahrten Briefen und Gedichten an sie findet man die tiefere erotische Innigkeit, die Fülle im Ausdruck für die Liebe, die man sonst in seinen Liebesliedern vermißt.

Er nennt sie seine Wahlverlobte, deren Wesen der Wille des Schicksals mit dem seinen gepaart habe. Vereint würden sie das Glück kennen gelernt haben, getrennt müssen sie zu Grunde gehen.

Ich weiß es jezt. Bei Gott! Du bist es,

Die ich geliebt. Wie bitter ist es,

Wenn im Momente des Erkennens

Die Stunde schlägt des ew’gen Trennens!
Der Willkomm ist zu gleicher Zeit
Ein Lebewohl!

Lachend und weinend rast er über diesen gezwungenen Platonismus zwischen zwei Liebenden, denen jede Umarmung unmöglich ist:

1 A. Meißner, Erinnerungen an Heinrich Heine; Camille Selden, Les derniers jours de Henri Heine. 1884.

Worte! Worte! keine Thaten!
Niemals Fleisch, geliebte Puppe!

Immer Geist und keinen Braten,
Keine Knödel in der Suppe!

Er vergeht in Ungeduld, wenn sie inzwischen ihn einmal auf ihren Besuch warten läßt:

Laß mich mit glüh'nden Zangen kneipen
Laß grausam schinden mein Gesicht,
Laß mich mit Ruten peitschen, stäupen
Nur warten, warten laß mich nicht!

bis beim Herannahen des Todes alles in dem großen mystischen Vermählungsgedichte zwischen ihm als Sterbenden und der Passionsblume an seinem Sarge versöhnt wird:

Du warst die Blume, Du geliebtes Kind,
An Deinen Küssen mußt ich Dich erkennen,
So zärtlich keine Blumenlippen sind,
So feurig keine Blumenthränen brennen.

Geschlossen war mein Aug', doch angeblickt
Hat meine Seel' beständig Dein Gesichte,
Du siehst mich an, beseeligt und verzückt

Und geisterhaft beglänzt vom Mondenlichte.

Es sind Bilder und Gefühle von einer andern Welt, als der des Lebens, einer Welt, wie die des Blinden, wo es Küsse giebt, aber keine sichtbaren Lippen, und Thränen, die aus nicht gesehenen Augen fallen, und Duft von Blumen, deren Formen unberührt bleiben, und statt der Sonne des Tages ein verzaubertes geisterhaftes Mondlicht. Und so wenig wie es dort Körperliches giebt, so wenig findet sich Hörbares:

Wir sprachen nicht, jedoch mein Herz vernahm
Was Du verschwiegen dachtest im Gemüte
Das ausgesprochne Wort ist ohne Scham,
Das Schweigen ist der Liebe keusche Blüte.

Es war, sagt er, ein lautloses Zwiegespräch, das stattfand, und niemand darf fragen, was dort gesprochen wurde.

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Hier erhebt sich Heines Lyrik zu der Höhe derjenigen von Shelley, das heißt zu der sublimsten in moderner Poesie. Hier ist sein Ton, wie derjenige Shelleys, der Geigenton eines Ariel, rein geistig, voll und zitternd, modern in seiner bezaubernden, halb kranken Weichheit.

2.

XVIII

Börne und sehr viele nach ihm haben das Urteil über Heine gefällt, oder Heine durch das Urteil fällen wollen, daß es ihm mit gar nichts Ernst gewesen sei. Sieht man von dem Kleineren und Unwichtigen ab, so beruht Börnes Zorn im Grunde darauf, daß Heine, wie ihm schien, nicht Partei ergreifen wollte. Selbst war er, so gut wie man es in jener unparlamentarischen Zeit sein konnte, Parteimann in der Litteratur bis zum äußersten.

In unsern Tagen ist es ein allgemein angenommener und abgedroschener Saß, daß die Kunst Selbstzweck sei. Zu jener Zeit war man mit dem Gedanken vertraut, daß sie einem Lebenszweck dienen solle, und immer fühlt man in den deutschen Dichtwerken der damaligen Zeit, seien sie nun von größerem oder geringerem Wert, das heraus, was ihrem Verfasser die Feder in die Hand gedrückt hat. Aber selbst so stark tendenziöse Poeten wie Heine waren den Gesinnungstüchtigen unter den Zeitgenossen (wie Börne) nicht tendenziös genug. Man gebrauchte gegen ihn den Ausdruck zwar ein Talent, doch kein Charakter", jene Worte, über die er sich im „Atta Troll" so unbarmherzig lustig machte. Schon in der Vorrede zu diesem Gedicht scherzt er mit dem Trost, der für die Menge in der Lehre liege, daß die braven Leute zwar in der Regel schlechte Musikanten seien, dafür jedoch seien die guten Musikanten gewöhnlich nichts weniger als brave Leute, die Bravheit aber sei in der Welt die Hauptsache und nicht die Musik.

Anderswo macht Heine geltend, daß es in der Regel ein Zeichen

von Beschränktheit sei, wenn man von der beschränkten Menge sogleich als Charakter gestempelt und ausdrücklich als solcher gefeiert wird; es beruhe immer darauf, daß eine beschränkte und oberflächliche Lebensanschauung, die sich immer gleich bleibt, am leichtesten von der Menge ergründet werde.

Daß Heine seiner ganzen Anlage zufolge kein Geist mit stoischer Festigkeit war, das ist einleuchtend. Aber sieht man von dem Umstande ab, ob er in gewissen gegebenen Fällen Charakter gezeigt hat oder nicht, so ist die Frage, auf ihr Prinzip zurückgeführt, im Grunde genommen die, ob der Dichter Partei ergreifen solle oder nicht.

Gerade zu der Zeit, da Heine in „Atta Troll“ über diejenigen spottete, welche in ihrem Eifern für die Lebenszwecke Talent durch Charakter ersehen zu können glaubten, wurde in der deutschen Poesie im Ernste über die Frage gestritten, ob der Dichter Partei ergreifen. oder seinen Standpunkt über den Parteien nehmen solle. Im Herbst des Jahres 1841 entstand „Atta Troll", der so viel Poffen mit Freiligraths Jugendgedichten treibt. Im November desselben Jahres schrieb Freiligrath, der sich bis dahin meistens durch morgenländische Gedichte in dem Stil Victor Hugos bekannt gemacht und kurz zuvor ein Jahresgehalt vom König von Preußen ausgesezt erhalten hatte, in einem Gedichte Aus Spanien" über den erschossenen Diego Leon die folgenden Zeilen von dem Dichter als solchem:

"

Er beugt sein Knie dem Helden Bonaparte,
Und hört mit Zürnen d'Enghiens Todesschrei:
Der Dichter steht auf einer höhern Warte
Als auf den Zinnen der Partei.

Hiergegen richtete Georg Herwegh im Gedichte „Die Partei (an Ferdinand Freiligrath)" eine Antwort, in welcher die schlagendste Strophe die folgende ist:

Partei! Partei! wer sollte sie nicht nehmen,

Die noch die Mutter aller Siege war!

Wie mag ein Dichter solch ein Wort verfehmen,
Ein Wort, das alles Herrliche gebar?

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