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gorieen herkömmlichen Regeln trozt. Nur daß die Welt Michel Angelos tragisch, wildfeierlich, während die Welt des Aristophanes dithyrambisch, eine Welt der Karikatur in dem Rahmen griechischer Lebensverhältnisse ist.

Mit Aristophanes verglichen ist Heine ein Privatmann, der für sich zu Hause lebt. Aristophanes bewegt sich in dem vollen Tageslicht des Theaters mit Tausenden von Zuhörern um sich herum; Heine teilt sich von seinem Zimmer aus dem Publikum mit. Aber die Gesichte, die sich nur auf der Nezhaut seines Auges malen, haben ein glühenderes, heftigeres Leben als diejenigen, welche Aristophanes auf einer Bühne verkörperte. Seine Bestrebungen hatten nicht das rein lokale Gepräge, wie jene des griechischen Dichters. Er wendet sich da, wo er am höchsten steigt, an Millionen in seinem Volk und außerhalb desselben, ja an die Elite aller derer, die lesen können. Seine Lyrik ist persönlicher, innerlicher und nervöser als die irgend eines Griechen, wie seine Satire allgemeinen Ideen gewidmet ist, die für Aristophanes nicht existierten. Er ist nicht weniger wißig als sein griechischer Vorgänger, und er hat immer für politische Entwicklung und persönliche Freiheit gekämpft, während der Gegner von Euripides und Sokrates am häufigsten für eine Vorzeit focht, die unwiderruflich vorbei war und zu der er selbst am allerwenigsten gehörte.

XVII

Heines Prosa steht nicht auf gleicher Höhe mit seinen Versen. In seinem berühmtesten Prosabuch „Reisebilder“ zeigt er sich als ein Schüler von Sterne, später, da er zu größerer Selbständigkeit gelangt, ist er zwar immer geistvoll und lebhaft, aber selten den Stoffen gewachsen, die er behandelt. Ob er für die Franzosen über deutsche Philosophie oder für die Deutschen über französische Malerkunst schreibt, er ist gleich dilettantisch. Er ist zwar immer als Journalist betrachtet ein ausgezeichneter Journalist, aber er ist zu groß, als daß diese Bezeichnung der Stärke seines Wesens entspräche.

Freilich haben die Pedanten unter seinen Gegnern ein unerlaubtes Wesen aus seiner sogenannten Oberflächlichkeit gemacht; er war kein rechter Arbeiter, aber er war keineswegs ohne Fleiß und hatte sich zahlreiche Kenntnisse gründlich angeeignet. Doch nur als Poet ist er groß; die meisten seiner Prosaschriften sind im Dienste des Tages verfaßt, und was seine Briefe betrifft, so hat man durch Herausgabe derselben sein Andenken nur geschädigt; denn sie zeigen ihn in der Regel von einer wenig vorteilhaften Seite. Man sieht ihn in diesen Briefen am häufigsten nur von seinen eigenen Interessen erfüllt, und Geldverlegenheit ist immer ein unerquicklicher Gegenstand, selbst wenn es sich um die Geldverlegenheit eines großen Talentes handelt.

Heine erreichte es bekanntlich nicht, ein ganzes Menschenleben durchzuleben. In seiner vollen geistigen Kraft wurde er von einer

schrecklichen Krankheit erfaßt. Er war immer zart und kränklich gewesen; in seiner Jugend wurde er von hartnäckigen Kopfschmerzen geplagt; er war zu einer solchen Mäßigkeit im Genusse geistiger Getränke gezwungen, daß er nach der scherzhaften Aussage seiner Freunde sich damit begnügte, an einer Flasche Rheinwein, die er in seiner Kammer verwahrte, zu riechen. Frühzeitig war sein Nervensystem erschüttert, sicherlich in weit geringerem Grade durch Ausschweifung, als meist geglaubt wird denn er ist in hohem Grade fanfaron de vices und rühmt sich in seinen Schriften unaufhörlich seiner Laster er wurde von jener Krankheit getroffen, die so häufig das Los derjenigen ist, deren Leben ein ununterbrochenes geistiges Schaffen war. Eine Rückenmarksaffektion mit Lähmung, zuerst der Augenlider, nach und nach fast des ganzen Körpers befiel ihn. Ungefähr acht Jahre lang lag er in Paris in seiner „Matraßengruft“ ausgestreckt.

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Sein Leben, das weder als ein großes noch als ein glückliches bezeichnet werden kann, zerfällt in zwei bestimmt begrenzte Hälften, den Aufenthalt in Deutschland bis zur Zeit der Julirevolution, und den Aufenthalt in Paris vom Jahre 1831 an bis zu seinem Tode im Jahre 1856. Es war ein Leben ohne Berechnung ge= führt, aber nicht ohne Instinkt dafür, wo die Entwicklungsmöglichkeiten für das Talent sich befanden. Es ist kaum wahrscheinlich, daß Heine seine weltbürgerliche Höhe in der Litteratur erreicht oder auch nur so Hervorragendes als satirischer Dichter geleistet hätte, wäre er zeitlebens in seinem Vaterlande geblieben.

Seine Jugendjahre in Deutschland verfließen unter dem Druck der Reaktion, seine „Reisebilder“ erlangen Popularität als Ausdruck der politischen Unzufriedenheit, aber bald giebt er in seinem stillen Sinn alles Politisieren als unmöglich auf. Dann verschafft die Julirevolution Luft, Heine bricht auf, läßt sich in Paris nieder, und wird gar bald durch das Verbot seiner Schriften seitens des deutschen Bundes hier dauernd gebunden. Das Ministerium Guizot giebt ihm Heimlich das kleine Jahrgehalt, das ihn in den Stand fezt, ein ver

hältnismäßig sorgloses Leben zu führen, und um dessentwillen er zum Gegenstande von Angriffen gemacht worden ist, die nicht ganz grundlos sind, ihm aber doch großes Unrecht gethan haben. Man darf nicht vergessen, daß Heine sich schlecht auf die Kunst, Geld zu verdienen, verstand; es würde ihm auch nur wenig genügt haben, wenn er sich besser darauf verstanden hätte. Er, an dessen Werken Millionen verdient worden sind, verkaufte das „Buch der Lieder“ für alle AufLagen an Campe gegen Quittierung einer alten Schuld von 50 Louisdor; er war sein lebenlang gezwungen, an den ungern geleisteten Beistand des reichen Onkels zu appellieren. Wäre er und vor allem die kleine Pariser Grisette, mit der er sich verheiratete, etwas haushälterischer gewesen, so hätte er vielleicht die Regierungsunterstüßung entbehren können. Nun hat dieselbe ihn zwar aller Wahrscheinlichkeit nach daran verhindert, dies und jenes über das französische Ministerium, was er sonst leicht geschrieben hätte, in deutsche Blätter zu bringen; aber anderes Unglück hat sie gewiß nicht angerichtet, und noch weniger hat sie ihn dazu bewogen, irgend etwas gegen seine Überzeugung zu schreiben.

Von Frankreich aus hat er als Schriftsteller den nie unterbrochenen oder nur geschwächten Kampf gegen die europäische Reaktion geführt. Man kann sagen, daß er in dieser Hinsicht Byrons großer Erbe ist. Wenige Jahre, nachdem das Schwert des Spottes, im Dienste der Freiheit geschwungen, aus der Hand des sterbenden Byron gefallen, wird es von Heine ergriffen, und ein ganzes Menschenalter hindurch mit gleicher Geschicktheit und Kraft gehandhabt. Aber in den lezten acht Jahren wird diese Waffe von einem tödlich Verwundeten geführt.

Niemals hatte er Verse geschrieben, die wahrer, echter, beißender und strahlender waren als die, welche er auf dem niedrigen breiten Bette in Paris dichtete, während er an sein Martyrium fest-1 genagelt dalag. Und wohl niemals hat ein schaffender Geist größeren Mut, größere Ausdauer und Unanfechtbarkeit in übermenschlichen

Qualen gezeigt. Selten hat sich die Macht der Seele über den Körper so unzweifelhaft bewiesen. Stumm mit aufeinandergebissenen Zähnen unter Qualen wie die seinen zu leiden, wäre schon viel gewesen. Aber zu schaffen, zu spotten und sprudelnd launisch oder phantastisch zu scherzen, den Geist in anmutigen und tiefen Träumereien um den Erdball schweifen zu lassen, während man gelähmt und fast leblos auf dem Lager liegt, das ist groß.

Eingeschrumpft zum Skelett, die edlen Gesichtszüge abgemagert, lag er dort mit geschlossenen Augen und fast ganz gelähmten Händen. Die weißen, vollendet schönen Hände waren wie durchsichtig in ihrer Feinheit geworden. Wenn er sprach, glitt ab und an ein mephistophelisches Lächeln über seine leidende Christus-Physiognomie. Zulet war im Grunde nur noch die Stimme von dem Manne übrig wie von dem Tithon des Altertums - aber diese Stimme war überreich an Tönen, Einfällen und Scherzen.

Er fuhr fort geistig wirksam zu sein, es war, als drehten die Triebräder des Geistes sich unausgefeßt, selbst ohne Dampf; es war, als brenne die Lampe fortwährend selbst ohne Öl.

Es ist unwahr, daß er zu irgend einer Kirche zurückgekehrt war, aber an eine Religiosität, die gleichsam von neuem aus seiner Jugendzeit emportauchte, und an eine Art von Gottesglauben klammerte sich der Leidende jezt an. Und sogar über diese Gläubigkeit erhob er sich bisweilen mit einem Lächeln. Ein solches Lächeln sind seine beruhigenden Worte an einen erregten Bekannten an dem leßten Tag seines Lebens: „Dieu me pardonnera, c'est son métier."

Ein rührendes Zeugnis seiner geistigen Kraft und seiner kindlichen Liebe ist es, daß er während des ganzen Verlaufs seiner Krankheit sorgsam darüber wachte, daß seine Leiden seiner alten Mutter in Hamburg verborgen blieben, er schrieb ihr bis zulezt heitere, scherzende Briefe, und ließ aus den Exemplaren seiner Schriften, die er ihr sandte, die Stellen entfernen, welche sie auf die Spur bringen konnten. Einen ansprechenden Eindruck seines Seelen

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