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Die heilgen drei König' aus Morgenland,
Sic frugen in jedem Städtchen:

Wo geht der Weg nach Bethlehem,
Ihr lieben Buben und Mädchen ?

Die jungen und alten, sie wußten es nicht,
Die Könige zogen weiter,

Sie folgten einem goldnen Stern,

Der leuchtete licblich und heiter.

Der Stern blieb stehn über Josephs Haus,
Da sind sie hineingegangen,

Das Öchslein brüllte, das Kindlein schrie,
Die heilgen drei Könige sangen.

Es liegt eine gewisse Schalkhaftigkeit hierin. Welches Konzert! Aber auch welche Malerei! Die denkbar wenigsten Worte nicht ein Zug, nicht ein Strich zuviel, und die sicherste, punktuellste Wirkung.

Denkt man nun zum Schluß an eine dieser abstrakten Gestalten, die in aller lyrischen Poesie vorkommen, an diese mehr oder weniger durchgeführten Personifikationen eines Begriffes, wie der Friede, das Glück, das Unglück, und vergleicht man auch auf diesem Felde Heine mit Goethe, so wird es sich hier wieder zeigen, daß Goethe den volleren Ton, Heine den sichereren Riß hat.

Goethe hat folgende Zeilen an den Frieden geschrieben:

Der Du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest!
Ach, ich bin des Treibens müde,
Was soll all der Schmerz und Lust?
Süßer Friede!

Komm, ach komm in meine Brust!

Hier ist, wie man sieht, kein Bild, keine wirkliche Personifikation. Durch die sechs ersten Verse erhebt sich die Strophe bis zum Ausruf „süßer Friede!", dessen Kommen man nicht ganz sicher sein kann.

Man vergleiche die folgenden zwei Personifizierungen vom Glück und Unglück bei Heine:

Das Glück ist eine leichte Dirne

Und weilt nicht gern am selben Ort,
Sie streicht das Haar Dir von der Stirne
Und küßt Dich rasch und flattert fort.

Frau Unglück hat im Gegenteile
Dich liebefest ans Herz gedrückt,

Sie sagt, sie habe keine Eile,

Sezt sich zu Dir ans Bett und strickt.

Mit so wenigen Zügen sind selten zwei Begriffe zu zwei lebenden Figuren verwandelt worden, und die moderne Mythenbildung hat kaum jemals höher hinaufgereicht als in diesen zwei lezten Zeilen, hinter denen eine so tiefe und schreckliche Erfahrung liegt.

Wir sahen Heine in der romantischen Schule emportauchen und von A. W. Schlegel, der ihm seinen sicheren Geschmack mitteilt, sein Handwerk erlernen. Er ist anfangs romantischen Spukgeschichten und romantischen Archaismen in der Lyrik ergeben. Was seine jambischen Versformen betrifft, beginnt er sodann Wilhelm Müller zu studieren und nachzuahmen; in seinen trochäischen Gedichten spürt man Clemens Brentanos Einfluß. Er formt schnell seinen eigenen Stil aus, der sich durch die höchste Verdichtung von Stimmungen, Gedanken und Bildern auszeichnet. Das Merkmal desselben ist stärkste Gedrängtheit. Heine macht alles gegenwärtig, lebendig, führt selbst in ruhige Stoffe eine nervöse, bisweilen dämonische Leidenschaftlichkeit ein, treibt nicht selten das Mimische bis zum Frazenhaften, vertauscht nicht selten das Tageslicht mit der schneidenden Klarheit des elektrischen Lichtes, d. h. mit einer Unnatur, die sich jedoch in der Natur findet. Sein Hauptmittel ist poetische Bündigkeit.

Kraft der Zusammensetzung seines Naturells aus Wig und Phantasie ist er dazu geneigt durch Kontraste zu wirken, sucht das

Schneidende, das Ungleichartige und zeigt eine Vorliebe für die Wirkungen, welche entstehen, wo eine platte alltägliche Wirklichkeit in eine dichterische Vision hinübergleitet, oder wo die Vision verbleicht und verdunstet, um der wohlbekannten Wirklichkeit Platz zu machen.

Seine Schreibweise ist ganz modern: alles ist anschaulich, alles für das Auge. - Was heißt es, ein großer Schriftsteller sein? Was anders, als das Talent zu haben, Gesichte und Stimmungen hervorzurufen, Gesichte durch Stimmungen, oder Stimmungen durch Gesichte. Heine hat ganz besonders das leztere Talent entwickelt, versäumt daher niemals den sicheren Umriß und den malerischen Effekt.

Auf seiner Höhe kann er nicht mehr mit seinen Lehrern und Zeitgenossen verglichen werden. Um die Stärke und Geschmeidigkeit seines Stils zu prüfen, ist es notwendig, denselben an dem Stil des Größten der damaligen Zeit, an Goethes Stil zu messen. Wir sehen Heine bei diesem Vergleich häufig unterliegen, nicht allzuselten sich auf einem fast nebengeordneten Play behaupten. Es ist Ehre genug für ihn, daß es möglich und einige Male notwendig ist, ihn mit Goethe zu vergleichen.

Ein Stil ist ein Ausdruck der Persönlichkeit, eine Waffe in dem litterarischen Kampf. Der Stil Goethes ist troß all seiner Größe zu wenig zusammengesetzt, um das Moderne zu ergreifen. Aber Heines Stil, diese Waffe, die in seiner besten Zeit wie jene alten spanischen Klingen geschmiedet ist, die sich wie Weiden biegen ließen und doch nicht am Harnisch zersprangen, war vor allem geeignet, mit dem modernen Leben in seiner Härte und Häßlichkeit, seiner Anmut und Unruhe, seinem Reichtum an schneidenden Kontrasten anzubinden. Dieser Stil besaß auch in hohem Grade die Fähigkeit, auf die Nerven moderner Leser, mit ihrem stärkeren Hang zu ge= würzten Speisen und erhizenden Getränken als zu einfacher Kost und reinem Wein, anregend zu wirken.

XVI

Sicherlich hat im allgemeinen Urteil der Nachwelt Heine nichts mehr geschadet, als seine Geschwäßigkeit auf geschlechtlichem Gebiet. Einzelne Gruppen seiner Poesieen haben aus diesem Grunde sogar durchgehends einen üblen Leumund, so z. B. die Gedichte, welche die Sammlung „Verschiedene“ bilden; die meisten von ihnen sind übrigens ungerecht verurteilt worden, während andere freilich recht platt in ihrer Denkweise sind, wie auch ihr Inhalt nichts weniger als erhaben genannt werden kann. Goethe hatte in „Der Gott und die Bajadere“ ein Beispiel gegeben, daß sogar ein sehr kühn gewählter Stoff durch die Größe des Stils geadelt werden kann, und selbst wo er, wie in den venetianischen Epigrammen, Bajaderen behandelt, die durchaus nicht durch die Liebe geläutert werden, und wo er bei dem Verhältnis des Dichters zu ihnen verweilt, da wirkt schon das antike Versmaß entfernend, und es kommt kein anstößiges Wort vor; schließlich ertrinken diese ausgelassenen. Epigramme in der Masse anderer Dichtungen; man fühlt auch beim Lesen derselben, daß Goethe der Mann ist, den die Allnatur erschuf, um durch ihn zu erfahren, wie sie ganz aussehe.

Bei Heine nimmt die Geschwäßigkeit über sein Verhältnis zum andern Geschlecht einen zu großen Plaß ein und ist nicht immer geschmackvoll. Sie schafft ihm zehn Leser für jeden, den sie ihm nimmt, aber der eine, den sie entfremdet, war zuweilen mehr wert als die zehn, die sie verschaffte. Und doch ist diese Offenheit in gewisser Hinsicht zugleich seine Stärke. Sie hätte nicht so persönlich

Brandes, Litteraturgesch. des 19. Jahrh. VI.

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zu sein gebraucht; aber sie ist notwendig für denjenigen, der mit der Halbkugel des Ernstes auch diejenige des Komischen umspannen will. Sie nähert Heine dem vorzüglichsten rein komischen Dichter aller Zeiten. Am Schluß seines Wintermärchens", unmittelbar nach jener ausgelassenen Stelle, wo er sich dadurch zu der Kunde von Deutschlands Zukunft riecht, daß er den Kopf in den Thronsessel Karls des Großen steckt, spricht er es in dreistem Selbstlob aus, daß die edelsten Grazien die Saiten seiner Leier gestimmt haben, und daß diese Leier dieselbe ist, die einstmals sein Vater, der selige Herr Aristophanes, der „Liebling der Kamönen“, in Griechenland ertönen ließ. Er fügt hinzu, daß er in seinem lezten Kapitel versucht habe, „die Vögel", das beste der Dramen des Vaters, nachzuahmen.

Er hat also seine Ehre darein gesezt, seine Kunst von dem größten komischen Dichter des alten Griechenlands abzuleiten. Denn während

Man stugt im ersten Augenblick darüber. mehrere andere deutsche Poeten, wie Platen und Pruz, die Formen der aristophanischen Komödie nachgeahmt haben: die Trimeter, die Chöre und Parabasen, die ganze von der griechischen Komikerschule geschaffene, zugleich freie und feste Kunstform, hat Heine nicht einmal einen Versuch gemacht, sich diese Form der Dichtung, ebensowenig wie irgend eine andere, anzueignen. Es ist eigentümlich für ihn, daß, so hartnäckig strebend und unbedingt gewissenhaft er mit Rücksicht auf die schlagende Sicherheit des einzelnen, metrischen oder ungebundenen Ausdrucks war ich habe nie eine an Verbesserungen so überreiche Handschrift wie die zu „Atta Troll“ in der Königlichen Bibliothek zu Berlin gesehen es ihm dennoch unmöglich war, sich den künstlerischen Zwang der großen Formen aufzuerlegen. Es stimmt damit überein, daß in seinen größeren Dichtungen der Plan ganz lose, jede einzelne Zeile aber wieder und wieder durchgearbeitet ist. Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, daß er niemals als Künstler sich eine Aufgabe gestellt und sie gelöst habe.

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Ein einziges Mal hat er den Versuch gemacht, eine zusammen

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