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Die nah verwandte Kunst Heines ist die, eine rein moderne Welt der Einbildungskraft und des Traumes in unmerkbaren Übergängen aus dem Leben der Wirklichkeit hervortreten und in dieselbe wieder zurücktreten zu lassen, bald dergestalt, daß die Vision in voller Beleuchtung dasteht, während die Wirklichkeit sich im Zwielicht verliert, bald umgekehrt so, daß die Vision verschwindet und die Wirklichkeit nach und nach in heller Tagesbeleuchtung hervortritt.

XV

Wir haben gesehen, wie Heine als Student in Bonn von dem Begründer der romantischen Schule in hohem Grade hingerissen wurde. A. W. Schlegels Persönlichkeit fesselt ihn ebenso stark wie dessen Lehre. Er bewundert in ihm den Mann, der die deutsche Poesie von der Unnatur zur Wahrheit geführt hat. Hierzu kam, daß die elegante Haltung des vornehmen Lehrers, sein weltmännischer Ton, seine Bekanntschaft mit der guten Gesellschaft und den berühmten Persönlichkeiten des Zeitalters Heine blendeten.

Außerdem wurde er von der Güte gerührt, mit welcher Schlegel sich seiner und seiner ersten dichterischen Versuche annahm. Schlegel ist derjenige, dem Heine seine frühzeitige Einweihung in die Geheimnisse der metrischen Kunst und, was noch wertvoller ist, Vertrauen zu seinem Talent und seiner Zukunft verdankt.

Schon in dem erstem Prosaartikel über die Romantik von 1820 giebt Heine dieser Dankbarkeit mit demselben Atemzuge Ausdruck, mit welchem er sein romantisches Glaubensbekenntnis ablegt. Er protestiert hier gegen die Meinung, die Romantik sei „eine Mixtur von spanischer Emaille, von schottischen Nebeln und italienischem Klingklang“. Nein, die Romantik sei ihrem Wesen nach weder unklar noch unbestimmt, ihre Bilder können mit ebenso plastischen Umrissen gezeichnet sein, wie diejenigen der klassischen Poesie. „Daher kommt es,“ schreibt er, „daß unsere zwei größten Romantifer, Goethe und A. W. Schlegel, gleichzeitig unsre größten Plastiker sind." Er nennt Goethes „Faust" und Schlegels „Rom"

im selben Atemzuge als Muster plastischer Konturen, und bricht schließlich empfindsam aus: „O möchten dies doch endlich diejenigen beherzigen, die sich so gerne Schlegelianer nennen!" Diejenigen, welche Heines Verhältnis zu Schlegel nur aus dem schmußigen Überfall auf des lezteren Privatleben in der „romantischen Schule“ kennen, mögen an diese Stelle erinnert werden. A. W. Schlegel war es auch, an den Heine seine drei ersten Sonette richtete. In dem ältesten dankt er ihm für sein persönliches Wohlwollen und hebt hervor, was er ihm schuldet, in dem zweiten preist er ihn wegen seiner Verdienste um die deutsche Dichtkunst, als den Befreier von der Aftermuse im Reifrockpug mit Schönpflästerchen auf den geschminkten Wangen, in dem dritten verherrlicht er ihn wegen der Einführung englischer, spanischer, altdeutscher, italienischer und indischer Poesie in die moderne deutsche Litteratur. Der Ton ist begeistert:

Der schlimmste Wurm: des Zweifels Dolchgedanken,
Das schlimmste Gift: an eigner Kraft verzagen,
Das wollt mir fast des Lebens Mark zernagen,
Ich war ein Reis, dem seine Stüßen sanken.

Da mochtest Du das arme Reis beklagen,
An Deinem güt'gen Wort läßt Du es ranken,
Und Dir, mein hoher Meister, soll ich's danken,

Wird einst das schwache Reislein Blüten tragen u. s. w.

Unter diesem ersten romantischen Einfluß schreibt Heine seine ältesten, rein romantischen Verse in archaistischem Stil, Verse wie die folgenden:

Die Du bist so schön und rein,

Wunnevolles Magedein.

Deinem Dienste ganz allein

Möcht ich wohl mein Leben weihn.

Deine füßen Augelein

Glänzen mild wie Mondenschein,

Helle Rosenlichter streun

Deine roten Wängelein.

Dies erinnert lebhaft an die ältesten, in Tiecks Märchen eingelegten Verse. In dem Gedichte allein, dem diese Strophen entnommen sind, kommt Wunne, Magedein, Äugelein, Wängelein, Mündchen, weiland, ein ganzer Stab von Diminutiven und Archaismen vor.

Heines nächstes Vorbild als Dichter war ein liebenswürdiger und feiner deutscher Poet, der 1827, nur 31 Jahr alt, stirbt, Wilhelm Müller, Verfasser der besonders durch Schuberts Musik so bekannten Müllerlieder" und der zu ihrer Zeit nicht weniger angesehenen „Griechenlieder“. Er ist der Vater des berühmten deutsch-englischen Philologen Max Müller, dessen Novelle „Deutsche Liebe", die das zarte Liebesverhältnis eines deutschen Gelehrten zu einer kranken und bettlägerigen Prinzessin behandelt, angeblich auf Erlebnissen des Vaters beruht.

An Müller schreibt Heine in einem Brief vom 7. Juni 1826: "Ich bin groß genug, Ihnen offen zu bekennen, daß mein kleines »Intermezzo«-Metrum nicht bloß zufällige Ähnlichkeit mit Ihrem gewöhnlichen Metrum hat, sondern daß es wahrscheinlich seinen geheimsten Tonfall Ihren Liedern verdankt ... ich habe sehr früh schon das deutsche Volkslied auf mich einwirken lassen; späterhin, als ich in Bonn studierte, hat mir August Schlegel viel metrische Geheimnisse aufgeschlossen, aber ich glaube erst in Ihren Liedern den reinen Klang und die wahre Einfachheit, wonach ich immer strebte, gefunden zu haben. Wie rein, wie klar sind Ihre Lieder, und sämtlich sind es Volkslieder. In meinen Gedichten hingegen ist nur die Form einigermaßen volkstümlich, der Inhalt gehört der konventionellen Gesellschaft."

Erst von Müller hat Heine gelernt, wie man aus den Formen der alten Volkslieder neue bilden könne. Man braucht, um gleichsam mit den Augen Heines Stil geboren werden und sich formen zu sehen, nur gewisse Verse von Müller mit gewissen Versen von Heine zusammenzuhalten.

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Und wie nahe steht nicht diese lezte Strophe wieder einer Strophe wie der folgenden bei Müller:

Die Abendnebel sinken
Hernieder kalt und schwer;
Und Todesengel schweben
In ihrem Dampf umher. '

Diese Zeilen leiten ein großes, schönes Gedicht ein, „Hirtenbiwak in der römischen Campagna", dessen wesentlicher Inhalt das Sehnsuchtslied des Hirten nach seinem Mädchen ist. Wieviel hat Heine nicht von einer solchen Strophe gelernt, wie der folgenden, worin das junge Mädchen geschildert wird:

Darunter sist ein Mädchen,

Die Spindel in der Hand,

Und sinnt und spinnt und schauet

Hinab ins eb'ne Land.

Zwar wird die Idylle bei Wilhelm Müller durch kein Umschlagen der Stimmung gestört; der Dichter hat nicht den Teufel im Leibe, und das Tempo des sanften Andante hält bis zum Schluß des Gedichtes vor. Aber doch liegt der Hauptunterschied zwischen diesem Stil und dem von Heine nicht hierin; auch Heine kann bisweilen eine sanftmütige Stimmung ein Gedicht hindurch bewahren. Das Entscheidende ist die ungeheure Verdichtung in

1 Wilhelm Müller, Gedichte. Erster Band S. 26: „Thränenregen“ und S. 194:,,Dasselbe noch einmal."

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