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die Mimik der Grazien der Taglioni haben die drohenden Zeichen der Zeit verdrängt." Das Wort Beschäftigung ist hier besonders bezeichnend. Dergleichen erfreute nicht nur; es beschäftigte. 1

In litterarischer Hinsicht schwelgte das damals lebende Geschlecht, nachdem Goethe sein achtzigstes Jahr erreicht hatte, in einer Goethebewunderung, für welche alles, was der betagte Meister schrieb oder sagte, Weisheit, Schönheit und göttliche Poesie war. Sein ganzes Leben hindurch hatte er gegen Haß und Verkennung kämpfen müssen, jezt wurde die Ehrfurcht vor ihm zur Karikatur. Besonders in Berlin erreichte sie die Grenze der Blödsinnigkeit.2 In Zelters Briefen an Goethe heißt es in Veranlassung seines „Elpenor“: „Die Nachwelt wird es nicht glauben, daß die Sonne unserer Tage ein solches Werk hervorgehen sah.“ Alle diejenigen, welche Hindernisse auf dem Wege Goethes gewesen, so lange sein Name noch der streitenden Litteratur angehörte, wurden seine Verehrer von dem Augenblicke an, wo dieser Name als unbestrittene Autorität betrachtet und als eine Art von konservativem und nationalem Wahrzeichen aufgefaßt werden konnte. Im übrigen lag die Litteratur danieder; das romantische Phantasiespiel der Poesie war im Erlöschen — Raupach und Müllner beherrschten die Bühne, Clauren den Roman. Die Unterhaltungslitteratur sank immer tiefer in Plattheit und Lüsternheit hinab.

1 Preußen und Frankreich zur Zeit der Revolution. Vertraute Briefe des Generals von Rochow, herausgegeben von E. Kelchner und K. Mendelssohn-Bartholdy.

2 In der Berliner Mittwochsgesellschaft verfaßte ein Geheimrat Schulz folgendes Geburtstagsgedicht an Goethe: Ich wollt, ich wär ein Fisch — so wohlig und frisch und ganz ohne Gräten so wär ich für Goethen gebraten am Tisch

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ein köstlicher Fisch.

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II

Die deutsche Wissenschaft, welche, nachdem die Überschwemmungen der Romantik den Erdboden mit ihrem Schlamm befruchtet hatten, mit all ihren Zweigen mächtig in die Höhe geschossen war, wechselte gleichzeitig die Farbe. Sie wurde durch die Ungunst-der Verhältnisse mehr der Wirklichkeit entfernt und fester als je zuvor an das Bestehende geknüpft.

Hegel ist das große Beispiel. Im März 1819 stieß Karl Sand Kozebue nieder, das Jahr vorher, am 22. Oftober 1818, bestieg Hegel zum erstenmal den Katheder an der Universität zu Berlin. Schon in seiner Antrittsrede gab er den Zuhörern sein Programm, und aus dem Programme ging es hervor, daß die Hegelsche Philosophie und der preußische Staat in seiner damaligen Gestalt aufs innigste zusammen gehörten; denn diese Philosophie beruhte auf der Allmacht des Begriffs, dieser Staat auf der Macht der Bildung und der Intelligenz. Daß Preußen gerade damals seinem Wesen und seiner Vorzeit untreu wurde, um am Gängelbande Österreichs der geistigen wie der politischen Reaktion zu dienen, kam nicht zum Ausdruck. Und doch waren die Karlsbader Beschlüsse gefaßt, und doch war es gerade Preußen, das damals die Initiative zu all den kleinlichen tyrannischen Verhaltungsmaßregeln ergriff, die bald ganz Deutschland unter polizeiliche Aufsicht stellten. Hegel aber war die Gefühlspolitik der Burschenschafter ebenso verhaßt, wie die Gefühlsphilosophie; ihm war die Wartburg-Zusammenkunft eine romantische Posse und der Dolchstich

Sands ein Greuel. In der Vorrede zur

Rechtsphilosophie",

seinem ersten und wichtigsten Werk in Berlin, ließ er sich nicht nur zur Verteidigung der Demagogenverfolgungen herab, sondern er erniedrigte sich auch dazu, Polizistendienste zu besorgen, indem er seinen ehemaligen Kollegen Fries den Regierungen angab: „Hoffentlich wird nicht Amt und Titel zum Talisman für Prinzipien werden, aus welchen die Zerstörung ebenso der inneren Sittlichkeit und des rechtschaffenen Gewissens als die Zerstörung der öffentlichen Ordnung und der Staatsgefeße folgt." Hegel stand von nun an als der philosophische Diktator Deutschlands da. Von Berlin aus beherrschte er die ganze deutsche Wissenschaft.

Es lag indessen in dieser Philosophie, ja sogar in eben diesem so konservativ angelegten Werke, der „Rechtsphilosophie", eine Zweideutigkeit, die zukunftsschwanger war. Schon in jener berüchtigten Vorrede steht der Sah, der das klassische Wort des Zeitalters werden sollte, zuerst von dem Konservatismus der Restaurationszeit leidenschaftlich aufgenommen, dann von den jüngeren Schülern Hegels als Sturmbock benut. Mit gesperrter Schrift ist es da in zwei Zeilen zu lesen:

Was vernünftig ist, das ist wirklich,

Und was wirklich ist, das ist vernünftig.

Was heißt dies? Hegel entwickelt, daß, wenn das Gefühl das Gegenwärtige für eitel und nichtig erkläre, so sei das Gefühl selbst falsch, und wenn umgekehrt die Idee als bloße Vorstellung gelte, so müsse geltend gemacht werden, daß nichts als die Idee allein wirklich sei; es käme darauf an, das Ewige in dem Gegenwärtigen, Zeitlichen, Vorübergehenden zu entdecken, mit anderen Worten, in diesem Fall nicht einen Staat zu konstruieren, sondern den Staat zu begreifen, wie er sei.

Mit Recht hat Haym, der Biograph Hegels, es ausgesprochen, daß die Gottesgnadentumtheorie nicht so gefährlich sei wie diese, welche alles Bestehende als Bestehendes heilig spricht. Aber anderer

Brandes, Litteraturgesch. des 19. Jahrh. VI.

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seits kann mit ebenso gutem Rechte hervorgehoben werden, daß nicht der Umsturztrieb der revolutionären Jugend so weit ging, wie diese Lehre, die nur dem Vernünftigen Wirklichkeit zuspricht und all dem übrigen also nur eine Scheinexistenz beilegt, der man deshalb trogen, ja die man zur Seite sehen, durchbrechen, sprengen dürfe und solle. Daher konnte Robert Prug von diesem selben Say sagen, mit ihm sei aller Zweifel gehoben, der alte Gott der Finsternis in den Abgrund gestürzt und ein neuer, ewig herrschender Zeus, die Idee, die sich selbst begreift, der Mensch als denkendes Wesen auf den Thron gesezt.1

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In den zwan

So verschiedentlich die Hegelsche Philosophie nun auch bald ausgelegt wurde, die Verwandtschaft zwischen dieser Lehre und der Poesie Goethes ward von allen Eingeweihten empfunden. Dem kleinen Kreise von Goethe-Verehrern in Berlin wurde Hegel der kräftigste Bundesgenosse, und sie verbanden in Einer Ehrfurcht die beiden Männer, die man den absoluten Dichter und den absoluten Philosophen nannte. Der rechtgläubige Hegelianer erblickte sogar ein bedeutungsvolles Zusammentreffen in dem Umstande, daß Hegel am 27. August, Goethe am 28. August geboren war. ziger Jahren saßen am Abend des 27. August die Treuen bei der festlichen Abendmahlzeit, tranken auf das Wohl des Meisters im Reiche der Gedanken und erinnerten sich der Worte in der Vorrede zur Rechtsphilosophie von Minervas Eule, die bei einbrechender Abenddämmerung ihren Flug beginnt. Aber sobald die Mitternachtsstunde geschlagen hatte, erhob sich ein Redner und verkündete die frohe Botschaft, daß Apollo, der Gott des Tages und des Gesanges, nun den herrlichen Tag, den 28., mit seinem Sonnenwagen am Himmel heraufführe. 2

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1 Haym, Hegel und seine Zeit. die deutsche Litteratur der Gegenwart. 2 Treitschke, Deutsche Geschichte.

S. 365 flg.; R. Pruß, Vorlesungen über
S. 259 flg.
Dritter Band S. 686.

Das Nationalgefühl, das im Jahre 1813 den Feind aus dem Lande vertrieben hatte, enthielt zwei grundverschiedene Elemente, eine historische, zurückblickende Richtung, die sich bald als Romantik ausschied, und eine freisinnige, fortschrittsgläubige Richtung, die zum Liberalismus wurde. Als die Reaktion fam, stüßte sie sich auf viele Grundsäge der Romantik und nahm sie zulezt ganz in ihren Sold. Männer wie Görres, wie Friedrich Schlegel u. a. gingen vom Lager der Romantik hinüber in das Lager der Reaktion.

Die freiheitsliebende Gruppe hatte während des Kampfes mit Napoleon natürlich den Haß der Romantiker gegen Frankreich geteilt. Aber in dem Maße wie nach und nach aus ihren Sympathieen Wünsche und Ansprüche (auf Preßfreiheit, konstitutionelles Königstum, Wahlrecht u. s. w.) wurden, verdampfte notwendigerweise der Haß gegen Frankreich. Und je kräftiger die Reaktion wurde, desto stärker wurden die Blicke nach dem Nachbarlande hinübergezogen, das eine parlamentarische Verfassung besaß; bald gewannen die Helden des französischen Liberalismus auch für die deutschen Liberalen eine große Bedeutung, ja in der Entfernung nahmen sie sich bedeutender aus, als im Lande selbst. In Deutschland war nach dem Siege über Napoleon, wie vorher nach der Besiegung durch ihn, Ruhe stets die erste Bürgerpflicht. Hier war alles Gehorsam und Schweigen. Und es ging dann wie in der Regel, wenn ein hochbegabtes und im Handeln schwaches Volk nicht imstande ist, ein Joch abzuschütteln: der Druck gebar Selbstverachtung, die Selbstverachtung eine Art von verzweifeltem Wiß, einen stehenden Galgenhumor, und es entwickelte sich unter den Besseren eine wahre Leidenschaft, im Spott Linderung über die eigene Armseligkeit zu suchen. Die Betrachtung der heimatlichen Zustände gab einen beständig wiederkehrenden Anlaß zur Selbstironie. Verspottet wurden die romantischen Schwärmereien, die Geduld und der Unterthänigkeitsgeist auf dem politischen, die Orthodoxie und der Pietismus auf

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