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ΧΙ

Auch für Heinrich Heine ist, wie schon bemerkt, im neuen Deutschen Reich der Augenblick wenig günstig. Was man ihm vorzuwerfen hat, ist soviel, daß es sich nicht kurz aufzählen läßt. Erstens sein Liebesverhältnis zu Frankreich und seine damit zusammenhängende Frivolität. Dann sein ungermanischer Ursprung und Wig, seine Empfindsamkeit, sein Stußertum, seine Ausgelassenheit; dann die herausfordernde Art, mit der er sein Heidentum herauskehrte. Das neue Deutschland ist in religiöser Hinsicht indifferent, aber es ist es stillschweigend; in moralischer Hinsicht ist es diszipliniert. Während im heutigen Deutschland die höchsten Tugenden, Wahrheitsliebe, Selbständigkeit, die Feinheit und der Stolz der Seele, weniger gelten als Pflichterfüllung, Korrektheit, bürgerliche Zucht, militärischer Schwung, „Schneidigkeit“ wie man sagt, war es zu Heines Zeit umgekehrt. Disziplin stand nicht im Preise. Und wie Religiosität damals mehr galt als Religion, so galt Menschlichkeit mehr als Nationalgefühl. Patriotismus war zu jener Zeit in den Augen der Besten eine Tugend, die nicht für unbedingt angesehen wurde; sie meinten, daß Gerechtigkeit nicht aufhöre, eine Tugend zu sein, auch wenn sie gegen ein fremdes Volk geübt werde.

In Heine gesellte sich zu der abstrakt radikalen Geistesrichtung der Haß gegen Preußen, dessen Zukunft er nicht ahnte und dessen Stärke er nicht verstand, jene Stärke Preußens, die Carlyle in seiner Schilderung vom Vater Friedrichs des Großen am besten veranschaulicht hat: die Fähigkeit, mit nüchterner Strenge das Chaos zu

überwinden, das Geschwäg niederzuschlagen, und zu administrieren. Heines Haß war im Grunde die Todfeindschaft des damaligen Rheinländers gegen Preußen. Man lese die Strophe an den preußischen Adler:

Du häßlicher Vogel! wirst Du einst
Mir in die Hände fallen,

So rupfe ich Dir die Federn aus

Und haue Dir ab die Krallen.

Du sollst mir dann in luftiger Höh'

Auf einer Stange sizen,

Und ich rufe zum lustigen Schießen herbei

Die rheinischen Bogenschüßen.

Auf dem Wiener Kongreß hatte Preußen nach langer Weigerung die Rheinlande übernommen. Es erhielt dadurch statt der Abrundung, die es für sich im Osten erhofft hatte, eine ganz zerrissene Gestalt. Zugleich kam ein von dem Altpreußentum ganz verschiedener Volksstamm unter das preußische Szepter. Das war die Gegend, durch welche einstmals die Scheidelinie zwischen Kelten und Germanen lief. Hier hatte die römische Militärprovinz sich hineingeschoben. Über diesem Lande hatte später die Priesterherrschaft gebrütet, so daß im vorigen Jahrhundert der Geist Friedrichs des Großen hier gar keinen Einfluß gewann. Der alte morsche Klerikalismus stieß gerade hier mit der französischen Revolution zusammen, und man begrüßte die Männer, welche die Ideen derselben verbreiteten, mit Jubel.

Die Altpreußen nährten gegen die Rheinländer das Mißtrauen der Abneigung, und diese vergalten ihnen dies Gefühl mit Zinsen. Die Preußen waren und blieben am Rhein etwas Fremdes, Unheimliches. Vom Sohne, der im Heere diente, hieß es: „Er ist bei den Preußen." Der Berliner als Beamter in Köln oder Düsseldorf betrug sich übermütig, sette alles herab, und der Rheinländer betrachtete eine Anstellung in den alten preußischen Provinzen fast wie eine Verweisung nach Sibirien. Überall hörte man darüber klagen,

daß den Preußen die Fähigkeit mangle, sich die Herzen der Stämme, die neu hinzugekommen waren, zu gewinnen.1

Heine ist am Schluß des Jahrhunderts (1797 oder 1799) in Düsseldorf, der damaligen Hauptstadt des Herzogtums JülichBerg, geboren. Die Stadt war sechs Jahre lang von französischen Revolutionstruppen besezt, bis sie im Jahre 1801 an den Kurfürsten Max Joseph abgetreten wurde. Als dieser 1806 die königliche Würde annahm, wurde an seiner Stelle Joachim Murat Großherzog. Schon 1808 mußte dieser jedoch das Land an den ältesten unmündigen Sohn des Königs von Holland, d. h. an Napoleon als Vormund des Knaben, abtreten. Es wurde nun ganz nach französischem Muster regiert, Leibeigenschaft, Lehnswesen und Frondienst wurden aufgehoben, das Rechtswesen umgestaltet und unbedingte Religionsfreiheit eingeführt. Lezteres war die Ursache, weshalb Napoleon von der jüdischen Bevölkerung der Rheinlande als Erretter aus tausendjähriger Unterdrückung begrüßt wurde.

Ohne Zweifel hat die Berührung mit den kühnen und siegreichen Franzosen der damaligen Zeit viel dazu beigetragen, dem Geist Heines den ersten Schwung zu geben. Der Respekt vor überlieferten Autoritäten erhielt zeitig einen Stoß. Sein angeborener Wit entwickelte sich nach der Seite hin, welche die Franzosen Esprit nennen. Der Keim zu seiner Napoleons-Bewunderung wurde hier gelegt. Heutzutage erscheint diese Bewunderung von Heines Seite fast wie eine isolierte Thatsache in der deutschen Litteratur des Jahrhunderts. Sie war gar weit davon entfernt, das zu sein.

Man kann bis auf Wieland zurückgehen und bei ihm eine ebenso lebhafte Bewunderung für Napoleon finden, noch bevor der Gang der Geschichte sie gutgeheißen hatte. Schon 1798 erklärt er, daß Frankreich eines Diktators bedürfe, und daß sich keiner besser dazu eigne, als der General Bonaparte, der damals in Ägypten

1 K. Mendelssohn-Bartholdy, Preußen und Frankreich zur Zeit der Julirevolution. S. XXV flg.

war. Im Jahre 1800 weissagt er, daß Bonaparte sich zum König machen will und muß, und er verteidigt ihn gegen die Angriffe der englischen Zeitungen. Napoleon, der von diesen Weissagungen unterrichtet worden, unterhielt sich aus diesem Grunde lange mit Wieland in Erfurt 1808.

Keiner von den großen Deutschen an der Wende des Jahrhunderts hatte Nationalhaß gekannt. Ohne einen Funken davon hat Goethe im Jahre 1793 den Feldzug in Frankreich als Zuschauer mitgemacht. Schiller hatte sich seines französischen Bürgerbriefes gefreut und gedacht, er könne vielleicht einmal seinen Kindern zugute kommen. Knebel, Goethes Freund, hatte gewünscht, die Siege Bonapartes besingen zu dürfen. Goethe sah denn auch mit großem Gleichmut, wie Napoleon das Reich Friedrichs II. in Trümmer zerschlug; der preußische Staat mußte sich in seinen Augen wie eine vorübergehende Erscheinung in der Geschichte Deutschlands ausnehmen. Er war Zeuge des Emporkommens und des Siegeslaufs Napoleons gewesen, hatte gesehen, wie er die ihm selbst, dem Aristokraten und Evolutionisten, so verhaßte Anarchie bezwang. Dann lernte er ihn in dem Kreise seiner Marschälle kennen, umgeben von Frische, Liebenswürdigkeit, Genialität, Unwiderstehlichkeit. Der Eindruck, den Napoleon persönlich auf ihn machte, war so stark, daß er die im voraus gehegte Bewunderung nur vermehrte. Daher wiederholte er, sogar nach dem russischen Feldzuge, sogar während der Erhebung Deutschlands, sein „Das nüßt ihnen nichts, der Mann ist ihnen zu groß“. Erst als alles aus war, leistete er durch das Festspiel zur Feier des Friedens eine Art notgedrungener Abbitte.

Weniger bekannt als Goethes so oft behandeltes Verhältnis zu Napoleon ist dasjenige Hegels, der als der Lehrer Heines und als der Denker, der ihm immer als der vorzüglichste erschien, einen ebenso unzweifelhaften Einfluß auf ihn ausgeübt hat. Hegel, der in dem kleinen, despotisch regierten Württemberg geboren war, und es nie

gekannt hatte, was es heißt, ein Vaterland zu besigen, wie mächtig er sich auch danach sehnte, war zu Beginn des Jahrhunderts so erfüllt von Bitterkeit über die deutschen Zustände, so voll von Ärger und Sarkasmen über die politische Schlaffheit seiner Landsleute, daß er, genau so wie Goethe, Napoleon mit der überströmenden Bewunderung eines Kosmopoliten entgegenkam. Er, der immer in einer gedachten, phantastischen Versöhnung des Idealen mit dem Wirklichen geschwelgt, hatte seine ganze Jugendzeit hindurch den Eindruck wirklicher Macht entbehrt, bis Napoleons Gestalt ihm entgegentrat und ihn begeisterte. Wie man von Goethe gesagt hat, daß er den Kanonendonner der Schlacht bei Jena benuzt habe, um in aller Stille Christiane Vulpius zu heiraten, ebenso heißt es von Hegel, daß er in Jena selbst seine „Phänomenologie des Geistes“ während des Donners der Geschüße vollendete. Wahr ist, daß er gerade in jenen Tagen die lehten Bogen dieses Werkes an Niemeyer sandte, und der Kontrast ist schlagend zwischen seiner unendlichen Gleichgültigkeit für Preußens Untergang und seiner leidenschaftlichen Angst davor, daß eine der kostbaren Manuskriptsendungen in der unruhigen Zeit mit der Post verloren gehen könne. Einer von den Briefen, die die Sendungen begleiteten, trägt das Datum der Schlacht.

Das Werk, an das er unter diesen Verhältnissen die lezte Hand legte, stellte den Entwickelungsgang des Menschengeistes mit einer eigentümlichen Vermischung der psychologischen und der historischen Anschauungsweise dar. Hier sollte der Geist als selbstbewußter Geist seine Vollendung erreicht haben, indem er alle Wirklichkeit als Geisteswirklichkeit verstanden hatte. Die Menschheit stand nach dieser Philosophie jezt am Ziele; die einzelnen sterblichen Menschen, die nun das höchste Prinzip der Erkenntnis erreicht hatten, waren in Einsicht den Göttern gleich geworden, und ihr wirksames Leben war nun auch nur die schöne Entfaltung eines Daseins wie desjenigen, welches die Griechen den Göttern zulegten: vollkommen zufrieden und vollkommen versöhnt. Als Hegel seine Schlußworte

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