Eines seiner Lieblingsbücher, das er zu empfehlen pflegte, war, wie Hawkins angibt: „Le Dictionnaire portatif" des Abbé L'Avocat [sic]. Hawkins meint damit Ladvocat (1709–1765), dessen,,Dictionnaire historique portatif de grands hommes" im Jahre 1752 erschien. Wie aus seinem Nachlaß ersichtlich ist, besaß er das französische Wörterbuch von Martinière (1662–1746), dessen Hauptwerk:,,Dictionnaire géographique, historique et critique" in den Jahren 1726-30 erschienen war. — An anderer Stelle empfiehlt er: „Le Dictionnaire de Commerce", dessen Reichhaltigkeit und Genauigkeit er rühmt (IX 419, 423). Auch dieses befand sich in seiner Bibliothek (Bosw. 559). Durch Zeitschriften scheint sich Johnson über die Erzeugnisse der französischen Literatur stets auf dem Laufenden erhalten zu haben. So berichtet Dr. Adams, daß er bei Johnson englische sowohl als auch fremdländische literarische Zeitschriften gesehen habe (Bosw. 75). Boswell bringt diese Studien in Verbindung mit dem scheinbar sehr ernst erwogenen Plane Johnsons, eine „Bibliothèque" nach dem Vorbild Le Clercs, Bayles und Barbeyracs herauszugeben (Bosw. 76). Er hatte vor, sich darin über alle Zweige der fremden und einheimischen Literatur zu äußern. Jean Le Clerc (1657-1736) gab eine Bibliothèque universelle et historique" (1686-1693, in 25 Bden) heraus und darauf die „Bibliothèque ancienne et moderne“ (Amsterdam 1714-1726, 29 Bde). Bei Bayle hatte Johnson wohl neben dem bereits besprochenen „Dictionnaire“ die periodische Zeitschrift „Nouvelles de la république des lettres", gegründet 1684, im Auge. Jean Barbeyrac war einer der Redakteure der „Bibliothèque raisonnée des ouvrages des savants de l'Europe" (1728-1753) und der „Nouvelle Bibliothèque ou Histoire littéraire des principaux écrits" (1738-1744). Johnson scheint auch ein ständiger Leser des „Journal des Savants" gewesen zu sein. Als ihn der König Georg III. im Jahre 1767 fragte, wie er über das ,,Journal des Savans" urteile, entwickelte Johnson kurz die Geschichte dieser Zeitschrift1) und sagte, daß sie früher sehr gut redigiert gewesen sei, was er gegenwärtig nicht sagen könne (Bosw. 151). Von ge= ringer Bedeutung ist die Erwähnung des „Journal de Trévoux".2) Wir erfahren nicht, ob Johnson diese Zeitschrift kannte, und wie er über sie dachte. Er erwähnt nur, daß Atterbury (1662-1732) als Verbannter 1) Das,,Journal des Savants" erschien zum erstenmal am 5. Januar 1665, wurde jedoch schon nach 13 Nummern wegen vielfacher Angriffe aufgehoben, im folgenden Jahre wurde es wieder aufgenommen. In den Jahren 1702-1792 wurde es von einer Kommission von Gelehrten und Schriftstellern redigiert. 2) Diese Zeitschrift wurde von den Jesuiten von Trévoux herausgegeben. in Frankreich darin eine gegen ihn gerichtete Beschuldigung gelesen habe (Lives, II.470). Von Anspielungen Johnsons auf Chrestomatien französischer Dichtungen ist uns nur eine bekannt, die aber von um so größerer Bedeutung ist. Im Vorwort zu den „Lives" sagt er, daß er ursprünglich vorgehabt habe, jedem Dichter eine kurze Einleitung vorauszuschicken, ähnlich denjenigen, die sich in den französischen Miscellanies fänden, die nur wenige Daten und eine allgemeine Darstellung enthielten; jedoch habe er diesen Rahmen überschritten, „von dem Wunsche beseelt, nüßliches Vergnügen zu bieten“ (Lives, II 3). Wenn wir nun die „Lives" auf ihre Einrichtung hin prüfen, finden wir, daß Johnson im großen und ganzen seinem ursprünglichen Vorhaben doch treu geblieben ist. Zuerst gibt er eine knappe, mehr oder weniger eingehende Zusammenstellung der wichtigeren Daten der Dichterleben und dann folgt eine Betrachtung des Wertes und der Bedeutung ihrer Werke und ihres Wirkens im allgemeinen. In Frankreich waren solche Sammelwerke (Recueils) sehr beliebt; besonderer Verbreitung erfreute sich die 1659 unter dem Titel „Poésies choisies" veröffentlichte Sammlung, die Gedichte von Corneille, Benserade, Scudéry usw. enthielt. Welche von diesen „Recueils" Johnson im besonderen im Auge hatte, gibt er nicht an.1) Doch bietet Hawkins dafür einen Anhalt (I 532). Auf einen von einer Dame und von ihm selbst (H.) gemachten Vorschlag hin habe Johnson als Form seiner Lebensskizzen diejenige gewählt, in der die Gräfin d'Annois (d'Aulnoy 1650-1705) das Leben der französischen Dichter geschildert habe in ihrem „Recueil des plus belles pièces des Poètes françois“. 1) Eine Anspielung auf diese ,,Recueils" findet sich in den „Précieuses Ridicules": Madelon. Nous avons une amie particulière qui nous a promis d'amener ici tous ces messieurs du Recueil des pièces choisies (Sc. X). Boswell macht Johnson auf Gombauld's „Recueil des Poètes" aufmerksam, woraus Prior nach Angabe des Lord Hailes Entlehnungen gemacht haben sollte (Bosw. 413). Gombauld war eine hervorragende Persönlichkeit im Hôtel Rambouillet; er starb im Jahre 1666. An diesen Wink denkt Johnson vielleicht, wenn er in Prior's Biographie sagt: I have traced him among the French Epigrammatits, and have been informed that he poached for prey among obscure authors (Lives, III 151). III. Die einzelnen Autoren. Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts. Montaigne. Johnson führt Montaigne nur ein einziges Mal an. Die Erregung, in die er dabei gegen den französischen Essayisten gerät, läßt nicht gerade auf eine große Hochachtung seitens Johnsons schließen, wie ja auch Addison diesem Franzosen ziemlich kühl und kritisch gegenüberstand (vgl. Sander S. 75). - ihre Im R. 13 spricht Johnson über die Tugend der Verschwiegenheit, die nach seiner Erfahrung eine äußerst seltene unter den Menschen ist.1) Er unterscheidet zwei Arten von Geheimnissen: solche, deren Offenbarung niemandem nachteilig ist, und die uns ganz allein betreffen sie zu er= zählen, sei Torheit; solche, die uns von andern anvertraut wurden Enthüllung verurteilt er unter allen Umständen als Verrat. Es hätten sich zwar einige begeisterte, unvernünftige Eiferer für die Freundschaft“ ge= funden, die den Sat verfochten und vielleicht auch geglaubt hätten, daß ein Freund auf alles Anspruch habe, was dem andern gehört, und daß es daher eine Verlegung der Freundschaft sei, ihm irgend ein Geheimnis vorzuenthalten. So habe Montaigne behauptet, daß es kein Treubruch wäre, einem Freunde ein Geheimnis zu erzählen, denn die Zahl der Leute, die es teilten, werde dadurch nicht vermehrt, da zwei Freunde in Wahrheit eins seien (V 84). Solche Anforderungen an echte Freundschaft stellt Montaigne in der Tat. Was der eine besißt, gehöre auch dem andern, 2) bis zu dem Grad, daß bei dem Tode des einen die Pflicht der Erziehung und Versorgung 1) Der gleichen Ansicht war La Bruyère: Il n'y a guère qu'une naissance honnête, ou qu'une bonne éducation, qui rendent les hommes capables de secret (Oeuvres I 244,78). *) Johnson hielt Gemeinsamkeit des Besizes unter Freunden für unmöglich), vgl. Adv. 62: Serenus was one of those exalted minds who thought community of possessions the law of friendship (IX 40). Über Johnsons Anschauung von der Freundschaft siehe sein Verhältnis zu La Bruyère S. 71. seiner Kinder dem andern zufalle; denn zwei Freunde seien zwei Körper mit einer Seele. Solche Freundschaft hebe daher alle andern Verpflichtungen und Versprechen auf: Si l'un commettoit à votre silence chose qui feust utile à l'aultre de sçavoir, comment vous en desmeslierez-vous? L'unique et principale amitié descoust toutes aultres obligations: le secret que j'ay iuré de ne deceler à un aultre, ie puis sans pariure communiquer à celuy qui n'est pas l'aultre, c'est moy (De l'amitié, Oeuvres I 178). Eine solche Auffassung der Freundschaftspflichten verwirft Johnson als einen Trugschluß. Daß sich ein Schriftsteller finden könnte, der eine Behauptung, die soweit von Wahrheit und Vernunft entfernt sei, zu stüßen wagte, hätte er nicht für möglich gehalten, und kann er sich nur so erklären, daß dieser zeigen wollte, wie weit seine Phantasie reiche, und mit welcher Kraft er einen Grundsatz durchzuführen verstehe. Johnson entgegnet ihm: Nur solche Dinge können unter Freunden gemeinsam sein, die jeder als eigen besigt, und die er vernichten oder veräußern kann, ohne einem dritten zu schaden. Ohne diese Einschränkung könne es überhaupt kein Vertrauen und kein Geheimnis unter den Menschen geben; denn der erste Freund könne sich dann berechtigt glauben, dem zweiten und dieser dem dritten und sofort ein Geheimnis mitzuteilen, bis es schließlich den wieder erreiche, von dem es ausging, und der es geheim gehalten wissen wollte. Malherbe. Die Kenntnis, die Johnson in seinen Schriften von Malherbe (1555-1628) verrät, machen die Annahme, daß er die Werke dieses Dichters gekannt hat, nicht notwendig. Was er über ihn berichtet, kann er in der Biographie, die Malherbes Schüler Racap (1589–1670) uns ge- • liefert hat, gelesen haben. Daß diese Biographie tatsächlich die Quelle ist, aus der er schöpfte, wird durch die Kritik, die er an ihr in einem RamblerAuffag (Nr. 60) übte, unzweideutig bewiesen. In dieser Abhandlung spricht Johnson über die Bedeutung und den Wert der Biographie. Von einer guten Lebensbeschreibung, die dem Leser auch Vorteile in moralischer Hinsicht zu bieten vermag, verlangt Johnson, daß sie uns weniger von den äußeren Ereignissen und den Taten und Erfolgen des Menschen erzähle, als vielmehr von seinen häuslichen Tugenden und Gepflogenheiten. Es gäbe jedoch viele Verfasser von Lebensbeschreibungen, die diese Aufgabe nicht erfüllten, die selten einen andern Aufschluß geben, als aus öffentlichen Dokumenten gewonnen werden könnte, die eine Lebensgeschichte zu schreiben glauben, wenn sie eine chronologische Reihenfolge von Handlungen und Beförderungen bieten", ohne daß wir etwas über die Eigenart des Menschen selbst erfahren. Wenn sie dann und wann sich herbei= ließen, die Welt über besondere Tatsachen (particular facts) zu unterrichten, so seien sie in ihrer Auswahl nicht immer glücklich. Als Beispiel für eine solche Biographie, wie sie nicht sein soll, führt er die Schilderung des Lebens Malherbes an.) Es könne ihn unmöglich befriedigen, wenn er von dem gelehrten Biographen" erfahre, daß Malherbe 2) zwei vorherrschende Ansichten gehabt habe: one, that the looseness of a single woman might destroy all her boast of ancient descent; the other, that the French beggars made use very improperly and barbarously of the phrase,,noble Gentleman", because either word included the sense of both (V 385). Mit dem gelehrten Biographen" meint Johnson Racan, dessen Lebensbeschreibung Malherbes diese beiden Mitteilungen bietet. Doch ist Johnsons Wiedergabe, was die Art der Erwähnung und Aufzählung betrifft, ungenau, insofern als sie dazu angetan ist, einen ungünstigeren Eindruck von Racans „Mémoires sur la vie de Mr. de Malherbe" zu geben, als sie verdienen. Racan hat was zu seiner Verteidigung gesagt sein mag feine Lebensbeschreibung im strengen Sinne des Wortes, sondern nur eine Zusammenstellung von Gedanken und Aussprüchen Malherbes bieten wollen, deren Auswahl allerdings meist eine wenig glückliche ist. Aber er hat die beiden Äußerungen, die Johnson aus vielen andern willkürlich herausgegriffen hat, mit keinem Wort als „zwei vorherrschende Ansichten" (two predominant opinions) Malherbes bezeichnet. Ohne jedes eigene Urteil und ohne auf Vorausgehendes Bezug zu nehmen, erzählt er, einen neuen Absatz beginnend : Il [Malherbe] ne pouvoit souffrir que les pauvres, en demandant l'aumône, dissent: „Noble gentilhomme"; et disait que cela était superflu, et que s'il étoit gentilhomme il étoit noble (Oeuvres I, LXXII). Vier Seiten später begegnen wir der andern Äußerung. Racan_erwähnt sie als Beispiel dafür, wie sehr Malherbe die Dinge verachtete, die sonst von den Menschen gewöhnlich am höchsten geschätzt würden: Tout son contentement étoit d'entretenir ses amis particuliers....... du mépris qu'il faisoit de toutes les choses que l'on estime le plus dans le monde. En voici un exemple: il disoit souvent à Racan que c'étoit folie de se vanter d'être d'une ancienne noblesse, et que plus elle étoit ancienne, plus elle étoit douteuse, et qu'il ne fallait qu'une 1) Ganz entsprechend lautet übrigens das Urteil, das Lalanne über diese Biographie gefällt hat: Les mémoires que Racan a rédigés...... sont une précieuse source de renseignements sur la vie de Malherbe; mais..... il faut convenir qu'ils ne font guère honneur à son tact et à son discernement (Oeuvres de Malherbe I, XLIV). 2) Johnson schreibt Malherb, in den Lives richtig Malherbe. 1 |