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Johnsons höchste Achtung. In stattlicher Anzahl sind die Namen der italienischen, der französischen, der niederländischen und der deutschen Renaissance in seinen Werken vertreten, was auf eine gediegene Kenntnis jener Periode schließen läßt. Daher ist es nur zu bedauern, daß er seinen Plan, die Geschichte des Wiederauflebens der Wissenschaften zu schreiben, nicht zur Ausführung gebracht hat. Daß er ein umfangreiches Werk dieser Art zu schreiben beabsichtigte, ist aus folgender Notiz in einem Katalog geplanter Werke zu ersehen: History of the Revival of Learning in Europe, containing an account of whatever contributed to the restoration of literature; such as controversies, printing, the destruction of the Greek empire, the encouragement of great men, with the lives of the most eminent patrons, and most eminent early professors of all kinds of learning in different countries (Bosw. 551). In diesem Werke hätte die französische Renaissance, nach der Art und Weise wie er ihrer gedachte und der Zahl der gelegentlich erwähnten Namen zu urteilen, eine hervorragende Rolle spielen müssen.

Von den Homerübersetzungen Popes sprechend, faßt Johnson sein Urteil über jene Zeit, in der sich die Franzosen um die Wiederbelebung des Altertums bemühten, folgendermaßen zusammen: „In der Mittagsstunde ihrer Gelehrsamkeit (the meridian hour of their learning) waren die Franzosen in sehr löblicher Weise bestrebt, ihre Sprache mit der Weisheit der Alten zu bereichern, sahen sich aber aus irgend einem Grunde genötigt, die griechische und römische Poesie in Prosa zu übertragen. Wer daher einen Autor zu lesen verstand, konnte ihn auch überfeßen. Vor solchen Nebenbuhlern braucht man keine große Angst zu haben" (Lives, IV 125). Diese Versuche wurden nach Johnsons Meinung von den Engländern bald überflügelt, die auch vor metrischen Übersetzungen nicht zurückschreckten und darin mit Erfolg tätig waren, ein Unternehmen“, so sagt er in der Biographie Drydens, „auf das die Franzosen in Verzweiflung zu verzichten scheinen, nnd daß wir lange unfähig waren, mit Geschick auszuführen" (Lives, II 387).

Bezüglich der einzelnen Vertreter der französischen Renaissance, die sich um das Studium des Altertums verdient gemacht haben, die aber in der französischen Literatur selbst nicht produktiv tätig waren, oder wenigstens bei Johnson in dieser Eigenschaft keine Erwähnung finden, können wir uns mit einer kurzen Aufzählung begnügen.

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Was haben wir für die Literatur getan, was sich mit dem messen könnte, was die Stephani für sie getan haben!" (Bosw. 369). Danach scheint er die Stephani für die verdienstvollsten Männer der Renaissance in Frankreich gehalten zu haben. Er meint damit die zwei bekannten Drucker und Ver= leger des 16. Jahrhunderts, Robert Estienne (1503-1559) und seinen bedeutenderen Sohn Henri Estienne (1528-1598). Dieser hat sich be=

sonders einen Namen gemacht durch die Veröffentlichung des ,,Thesaurus græcæ linguæ". Von ihm besaß Johnson die 1560 erschienenen „Poetæ græci principes carminis heroici", wie das aus seinem Testament ersichtlich ist: To Mr. Windham: Poetæ Græci Heroici per Henricum Stephanum (Bosw. 551). Die genauere Kenntnis dieser beiden Humankten kann Johnson aus einem Buch von Maittaire geschöpft haben, das Johnson als ein schwerfälliges (heavy) Buch bezeichnet. Michel Maittaire lebte von 1668-1747. Im Jahre 1709 erschien seine Beschreibung des Lebens und der Werke der Stephani: Stephanorum Historia, vitas ipsorum ac libros complectens, London 1709, von Johnson kurz als Mattaire's [sic] account of the Stephani angeführt (Bosw. 430). Von diesem Manne, den er zwar als gelehrt rühmt, aber als einen unklaren, verworrenen Kopf von sehr wenig Geist bezeichnet, erwähnt Johnson ziemlich mißachtend noch seine lateinische Gedichtsammlung: Senilia", deren vollständiger Titel lautet: „Senilia sive poetica aliquot in argumentis varii generis tentamina, Paris 1742" (Bosw. 430, vgl. Hill's Bosw. IV 2). Am häufigsten begegnen wir dem Namen Scaliger in Johnsons Werken. Seine Erwähnungen, die sich auf Jules César Scaliger (1484-1558) und Joseph Juste Scaliger (1540-1609) beziehen, ver= raten eine große Vertrautheit mit dem Leben und Wirken dieser beiden Gelehrten. Die beiden Bücher, die Johnson nennt, haben den jüngeren zum Verfasser. Zum Studium der Geschichte empfiehlt Johnson für die englische Jugend im Vorwort zum Preceptor (IX 412): „De Emendatione Temporum", dessen vollständiger Titel lautet: „Opus de emendatione temporum accesserunt veterum Græcorum fragmenta selecta, cum notis, Paris 1583. Von Joseph Scaliger stammt auch die die Abstammung seines Geschlechtes behandelnde Schrift: Accurata Burdonum Fabulæ Confutatio, die sich in Prayers and Meditations" vermerkt findet als: Confut. Fab. Burdonum (Misc. I 69).

Über Peter Ramus (Pierre de la Ramée 1515-1572) erfahren wir von Johnson, daß er die Ruhe der Schulen störte" durch seine Bekämpfung der antiken Philosophie (Lives, II 137); dabei dürfte Johnson ? wohl vor allem an die ,,Institutiones dialectica" (1543) gedacht haben, worin Ramus gegen Aristoteles vorgeht, dessen Philosophie er bereits in seiner Doktorthese im Jahre 1536 verworfen hatte. Johnsons Interesse an der modernen lateinischen Dichtkunst kommt zum Ausdruck in der Erwähnung des Gelehrten Passeratius (Jean Passerat 1534-1602), den er als einen guten, aber wenig bekannten Schriftsteller rühmt, und von dem er das lateinische Gedicht ,,Nihil" wiedergibt (Lives, II 202) und seine selbstverfaßte Grabschrift (ibid.), sowie diejenige auf Heinrich IV. erwähnt (IX 442). Passerats lateinische Gedichte erschienen 1597 unter dem Titel: Kalendæ

januariæ et varia quædam poemata, in welcher Sammlung sich auch das 1587 veröffentlichte Gedicht „Nihil“ findet. 1) Außerdem bemerken wir noch eine ganz flüchtige Anspielung auf das 1655 erschienene Gedicht Callipædia" des lateinischen Dichters Quillet (1602-1661) (Lives, III 40).

Hier mögen zum Schluß auch noch die von Johnson erwähnten späteren französischen Gelehrten angeführt werden, die sich ebenfalls um das Altertum verdient gemacht haben.

Nach Boswells Angabe (Bosw. 94) übersetzte Johnson für die englische Übertragung des Brumoy durch Mrs. Lenor eine Abhandlung über das griechische Lustspiel. Diese Angabe betrifft das 1730 veröffentlichte Werk: ,,Le Théâtre des Grecs" des Jesuiten Pierre Brumoy (1688-1742). Es enthält eine Sammlung von teilweisen Überseßungen und zahlreiche Analysen griechischer Dramen mit Anmerkungen und drei Abhandlungen: „Sur le théâtre grec; Sur l'origine de la tragédie; Sur le parallèle du théâtre ancien et du théâtre moderne". Die Übersetzungsliteratur der Franzosen ist bei Johnson vertreten durch die Namen La Valterie und Madame Dacier (Lives, IV 25). Die Homerübersetzung des Jesuitenpaters Abbé de la Valterie erschien 1682; ihr folgte im Jahre 1699 diejenige der Madame Anne Dacier (1651-1720). Von den französischen Interpreten des Horaz ist Le Fèvre (1615–1672) rühmend genannt (IX 34).

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3. Johnson und die französische Akademie.

Seiner Mißachtung der französischen Akademie hat Johnson wiederholt in äußerst drastischer Weise Ausdruck verliehen.

Er wurde bekanntlich zu seinem Wörterbuch durch Londoner Verlagsbuchhändler angeregt, die ein Wörterbuch nach dem Muster desjenigen der französischen Akademie herauszugeben gedachten und sich in diesem Vorhaben an Johnson als den geeignetsten Mann wandten (I 170). Hawkins hat ganz Recht, wenn er annimmt, daß Johnson zum großen Teil zur Übernahme dieses Werkes „durch die Erwägung des großen Abstandes in diesem Zweig der Literatur zwischen den Engländern und den benachbarten Völkern bewogen wurde" (ibid.); 2) sagt doch Johnson selbst im Vorwort zum englischen Wörterbuch: „Ich habe dieses Buch, die Arbeit von Jahren, der

1) Über Johnsons Vorliebe für die moderne lateinische Dichtkunst siehe unter Boileau S. 49.

2) Hawkins hat dabei die Wörterbücher der ,,Academia della Crusca" in Italien und der „Académie française" im Auge.

Ehre meines Vaterlandes gewidmet, damit wir die Siegespalme der Philologie nicht länger ohne Kampf den Nationen des Festlandes zu überlassen brauchen" (IX 227).

Aber Johnson verdankt der Arbeit der französischen Akademie nicht nur die Anregung zu seinem Werk, sondern ihr Wörterbuch gewährte ihm auch wesentliche Anhaltspunkte für die Anlage des seinigen und somit eine bedeutende Erleichterung seiner Arbeit, was z. B. zum Ausdruck kommt, wenn er in dem Entwurf (,,Plan of an English Dictionary") hervorhebt, daß er sich bezüglich der Aufnahme wissenschaftlicher Ausdrücke nach den französischen Akademikern richten wolle, die diese ebenfalls zugelassen hätten (IX 169).1) Man sollte denken, daß Johnson im Hinblick auf den Vorrang der Franzosen, die schon ein halbes Jahrhundert vor den Engländern das Wörterbuch der Akademie besaßen, auf dem er nun fußt, den Vorteil, der ihm daraus erwuchs, dankbar anerkannt hätte. Weit gefehlt! Es ist nun allerdings zu bedenken, daß die beiden wegwerfendsten Urteile Johnsons über die französischen Akademiker mündliche Äußerungen sind. Bei diesen kam es ihm gewöhnlich in erster Linie auf eine schnelle, verblüffende und wißige Entgegnung an, in denen er durchaus nicht immer das sagte, was er in Wirklichkeit dachte. Auch ist nicht zu übersehen, daß er in den beiden folgenden Urteilen nicht allein die Akademiker im besondern, sondern auch den Charakter der Franzosen, die er als Volk so geringschäßte, im allge= meinen zu treffen sucht. Als ihn einer seiner Freunde darauf aufmerksam machte, daß er eine Arbeit es war von dem geplanten Wörterbuch die Rede in drei Jahren vollenden wollte, zu der die französische Akademie, die aus vierzig Mitgliedern bestände, vierzig Jahre gebraucht hatte, erwiderte Johnson: So ist es, das ist das Verhältnis. Vierzig mal vierzig ist sechzehnhundert; wie drei zu sechzehnhundert, so ist das Verhältnis eines Engländers zu einem Franzosen" (Bosw. 47). Bei dem ersten Erscheinen des Wörterbuches gratulierte ihm ein Bekannter und erwähnte den geringen Erfolg der Franzosen in dem entsprechenden Unternehmen. Johnson ent= gegnete: „Was kann man auch von Kerlen erwarten, die Frösche essen!" (Misc. I 183).

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Größeres Gewicht ist seinen schriftlichen Meinungsäußerungen über die französische Akademie und über die Institution einer Akademie überhaupt, wobei ihm die französische vorschwebt, beizumessen.

Mit Entschiedenheit bestreitet er den Nußen einer Akademie für eine Sprache auf Grund folgender Erwägungen: Eine Akademie könne die Veränderung der Sprache nicht verhüten; die französische Sprache habe sich unter

1) Siehe unter Boileau S. 39 (IX 188).

der Aufsicht der Akademie auffällig verändert (IX 223).1) Daher hält er ihre Arbeit, die Abfaffung von Grammatiken und Wörterbüchern für wenig zweckmäßig und verdienstvoll. Wenn in England je eine Akademie errichtet werden sollte, von der er, „der die Abhängigkeit nicht vermehrt sehen möchte“, hofft, daß der Geist der englischen Freiheit sie verhindere oder zerstöre, so solle sie nicht Grammatiken und Wörterbücher ausarbeiten, sondern ihr Augenmerk auf den Stil der Übersetzungen aus dem Französischen richten, die mit ihren französischen Redewendungen die englische Sprache verdürben, und es schließ= lich so weit brächten, daß die Engländer einen Dialekt Frankreichs pappelten (babble) (IX 226).

In einer Akademie sei es unmöglich, ein geschlossenes, einheitliches Vorgehen der Mitglieder zu erreichen. Es gehe viel Zeit und Kraft bei der Streiterei über die zu wählenden Mittel, die zum Ziele führen sollen, verloren (Adv. 15, IX 14 ff.). Persönliche Interessen, Neid, Zwietracht ständen der Ausführung hinderlich im Wege; auch bliebe eine Akademie nie sich selbst gleich (Lives, III 380). Schließlich sei es noch eine Frage, wenn es endlich zu Beschlüssen gekommen sei, ob sie auch Anerkennung fänden (ibid.) Das fürchtet er besonders für England. In einem absolut regierten Staate, wo allen bestehenden Einrichtungen eine allgemeine Ehrerbietung gezollt werde, seien die Verhältnisse andere. „Die Erlasse einer englischen Akademie würden wahrscheinlich von vielen Leuten nur deshalb gelesen werden, damit sie um so sicherer wären, ihnen zu widersprechen" (Lives, II 209).

4. Johnsons Urteil über die dramatische Dichtung und über die Romanund Briefliteratur der Franzosen.

Bezüglich des Dramas stand Johnson ganz auf dem französischen klassizistischen Standpunkt. Wenn er auch die drei Einheiten für nicht unbedingt erforderlich hielt, so entsprach die von Frankreich herübergekommene dramatische Kunst, die nach strenger Regelmäßigkeit strebte, doch mehr seinem Geschmack als das Theater Shakespeares. 2)

1) Hierfür führt er Le Courayers Urteil über Amelots Stil an, der schon etwas veraltet sei (siehe unter Johnsons Übersetzungen aus dem Französischen S. 21). Von dieser Veränderung der französischen Sprache trotz der Arbeiten der Akademie spricht er auch in den,,Lives", II 209 und III 380. überhaupt ist es zu beachten, wie oft Johnson auf diese Unzweckmäßigkeit der französischen Akademie zu sprechen kommt. 2) Vgl. hierüber Johnsons Vorwort zu Shakespeare (IX 267), siehe unter Voltaire. Bezüglich Johnsons Anschauung von den dramatischen Regeln ist auch R. 156 zu vergleichen, wobei nicht zu vergessen ist, daß er hier viel freier denkt als zur Zeit der „Lives". Johnson tritt darin der Anschauung der Alten entgegen, daß sich nie mehr als drei Personen auf einmal auf der Bühne

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