Page images
PDF
EPUB

Herzog Leopold von Braunschweig.

1785.

Dich ergriff mit Gewalt der alte Herrscher des Flusses, Hält dich und theilet mit dir ewig sein strömendes Reich. Ruhig schlummerst du nun beim stilleren Rauschen der Urne, Bis dich stürmende Fluth wieder zu Thaten erweckt; Hülfreich werde dem Volke! so wie du ein Sterblicher wolltest,

Und vollend' als ein Gott, was dir als Menschen mißlang.

Dem Ackermann.

Flach bedecket und leicht den goldenen Samen die Furche, Guter! die tiefere deckt endlich dein ruhend Gebein. Fröhlich gepflügt und gesä't! Hier keimet lebendige Nah

rung,

Und die Hoffnung entfernt selbst von dem Grabe sich

nicht.

Anakreons Grab.

Wo die Rose hier blüht, wo Reben um Lorbeer sich schlingen,

Wo das Turtelchen lockt, wo sich das Grillchen ergött, Welch ein Grab ist hier, das alle Götter mit Leben

Schön gepflanzt und geziert? Es ist Anakreons Ruh. Frühling, Sommer und Herbst genoß der glückliche Dichter; Vor dem Winter hat ihn endlich der Hügel geschüßt.

Die Geschwister.

Schlummer und Schlaf, zwei Brüder, zum Dienste der Götter berufen,

Bat sich Prometheus herab seinem Geschlechte zum Trost; Aber den Göttern so leicht, doch schwer zu ertragen den Menschen,

Ward nun ihr Schlummer uns Schlaf, ward nun ihr Schlaf uns zum Tod.

Beitmaaß.

Eros, wie seh' ich dich hier! In jeglichem Händchen die Sanduhr!

Wie? Leichtsinniger Gott, missest du doppelt die Zeit? „Langsam rinnen aus einer die Stunden entfernter Ge

liebten;

Gegenwärtigen fließt eilig die zweite herab."

Warnung.

Wecke den Amor nicht auf! Noch schläft der liebliche Knabe;

Geh, vollbring' dein Geschäft, wie es der Tag dir ge= beut!

So der Zeit bedienet sich klug die sorgliche Mutter, Wenn ihr Knäbchen entschläft; denn es erwacht nur zu bald.

Süße Sorgen.

Weichet, Sorgen, von mir!

Lässet die Sorge nicht los, Soll es einmal denn seyn,

Doch ach! den sterblichen Menschen

eh' ihn das Leben verläßt. so kommt ihr, Sorgen der Liebe,

Treibt die Geschwister hinaus, nehmt und behauptet mein Herz!

Einsamkeit.

Die ihr Felsen und Bäume bewohnt, o heilsame Nymphen, Gebet Jeglichem gern, was er im Stillen begehrt! Schaffet dem Traurigen Trost, dem Zweifelhaften Beleh

rung,

Und dem Liebenden gönnt, daß ihm begegne sein Glück!

Denn euch gaben die Götter, was sie den Menschen ver

sagten,

Jeglichem, der euch vertraut, tröstlich und hülflich zu seyn.

Erkanntes Glück.

Was bedächtlich Natur sonst unter Viele vertheilet,
Gab sie mit reichlicher Hand alles der Einzigen, ihr.
Und die so herrlich Begabte, von vielen so innig Ver-
ehrte,

Gab ein liebend Geschick freundlich dem Glücklichen, mir.

Ferne.

Königen, sagt man, gab die Natur vor andern Gebornen
Eines längeren Arms weithinaus fassende Kraft.
Doch auch mir dem Geringen verlieh sie das fürstliche Vor-
recht:

Denn ich fasse von fern, halte dich, Lida, mir fest.

Erwählter Fels.

Hier im Stillen gedachte der Liebende seiner Geliebten ; Heiter sprach er zu mir: Werde mir Zeuge, du Stein! Doch erhebe dich nicht, du hast noch viele Gesellen:

Jedem Felsen der Flur, die mich den Glücklichen nährt,

Jedem Baume des Walds, um den ich wandernd mich

schlinge,

Denkmal bleibe des Glücks! ruf' ich ihm weihend und

froh.

Doch die Stimme verleih' ich nur dir, wie unter der

Menge

Einen die Muse sich wählt, freundlich die Lippen ihm

füßt.

Ländliches Glück.

Seyd, o Geister des Hains, o seyd, ihr Nymphen des Flusses,

Eurer Entfernten gedenk, eueren Nahen zur Lust! Weihend feierten jen' im Stillen die ländlichen Feste;

Wir dem gebahnten Pfad folgend beschleichen das Glück. Amor wohne mit uns, es macht der himmlische Knabe Gegenwärtige lieb, und die Entfernten euch nah.

Philomele.

Dich hat Amor gewiß, o Sängerin, fütternd erzogen; Kindisch reichte der Gott dir mit dem Pfeile die Kost. So, durchdrungen von Gift die harmlos athmende Kehle, Trifft mit der Liebe Gewalt nun Philomele das Herz.

Goethe, Gedichte.

24

« PreviousContinue »