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pantheistische Weltanschauung ein und kann zu seinem Gott im selben Jahre sagen,,,dass er sich immer mehr in die Welt verschlinge, von der sich Jacobis Gott immer mehr absondere." 5) An Apostelgeschichte 19, 28 anknüpfend, gibt er seinem Fühlen und Denken in dem Gedichte,,Gross ist die Diana der Epheser" (Mai 1812) Ausdruck:

„Als gäbs einen Gott, so im Gehirn

Da, hinter des Menschen alberner Stirn!
Der sei viel herrlicher, als das Wesen,

An dem wir die Breite der Gottheit lesen."

Auf das Gedicht deutend, schreibt er an Jacobi: „Ich bin nun einmal einer der ephesischen Goldschmiede, der sein ganzes Leben im Anstaunen und Verehrung des wunderwürdigen Tempels der Göttin und in Nachbildung ihrer geheimnissvollen Gestalt zugebracht hat, und dem es unmöglich eine angenehme Empfindung erregen kann, wenn irgend ein Apostel seinen Mitbürgern einen andern und noch dazu formlosen Gott aufdrängen will." 6) Und doch ist, wie wir aus einem andern Briefe aus dem Jahre 1813 ersehen, mit dieser pantheistischen Richtung noch nicht Alles gesagt und gegeben, was sein Geistesleben nach der religiösen Seite förderte und erhielt: 7),,Ich für mich kann bei den mannigfaltigen Richtungen meines Wesens, nicht an einer Denkweise genug haben; als Dichter und Künstler bin ich Polytheist, Pantheist hingegen als Naturforscher; eins so entschieden als das andere; bedarf ich eines Gottes für meine Persönlichkeit, als sittlicher Mensch, so ist dafür auch schon gesorgt. Die himmlischen und irdischen Dinge sind ein so weites Reich, dass die Organe aller Wesen zusammen es nur erfassen mögen." Wie schon in früherer Zeit, so nahm eben auch jetzt Goethe nicht ohne individuelle Verarbeitung Spinozas Gedanken in sich auf. 8) Die grössere oder geringere Beseelung der Naturdinge, die er schon früher als Brüder und beseelte modi einer sich selbst geniessenden Natur betrachtet hatte, wird in einer an Wielands Begräbnisstage Falk gegenüber 5) Düntzer, Freundesbilder S. 265.

6) Briefwechsel mit Jacobi S. 264.

7) An Jacobi S. 271.

8) Der Dichter nutzte die Gestalten des Polytheismus (am liebsten hätte man ja eine neue, vielleicht deutsche Mythologie gehabt), den Naturforscher hob der Pantheismus bei seinem Streben; der Gott für die sittliche Persönlichkeit fiel mit dem Christenthum, wie mit dem Pantheismus zusammen.

Jahrbuch XI.

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ausgesprochenen Monadologie bis in die Urbestandtheile der Wesen verfolgt. Vom Untergang solch hoher Seelenkräfte, wie der Wielands könne in der Natur niemals und unter keinen Umständen die Rede sein, so verschwenderisch behandle die Natur ihre Capitalien nie. „Ich nehme," sagt Goethe weiter,,,verschiedene Klassen- und Rangordnungen der letzten Urbestandtheile aller Wesen an, gleichsam der Anfangspunkte aller Erscheinungen in der Natur, die ich Seelen nennen möchte, weil von ihnen die Beseelung des Ganzen ausgeht oder noch lieber Monaden lassen Sie uns immer diesen Leibnitzischen Ausdruck beibehalten! - die Einfachheit des Wesens auszudrücken, möchte es kaum einen bessern geben. Nun sind Einige von diesen Monaden oder Anfangspunkten, wie uns die Erfahrung zeigt, so klein, so geringfügig, dass sie sich höchstens nur zu einem untergeordneten Dienst und Dasein eignen. Andere dagegen sind gar stark und gewaltig. Die Letzten pflegen daher alles, was sich ihnen naht, in ihren Kreis zu reissen und in ein ihnen angehöriges, d. h. in einen Leib und eine Pflanze, in ein Thier oder ein noch Höheres herauf, in einen Stern zu verwandeln. Sie setzen das so lange fort, bis die kleine oder grosse Welt, deren Intention geistig in ihnen liegt, auch nach aussen leiblich zum Vorschein kommt. Nur die Letzten möchte ich eigentlich Seelen nennen. Es folgt hieraus, dass es Weltmonaden, Ameisenseelen gibt und die Beiden in ihrem Ursprunge, wo nicht völlig eins, doch im Urwesen verwandt sind." Dieselben Gesetze, die bei den geringeren Monaden wirksam sind, lässt Goethe aus jener höhern Intention in derselben Weise auch bei Bedeutendern wirken. Die Niedern gehorchen den Höhern widerwillig. Der Tod ist die Befreiung der untergebenen Monas von der höhern und die Scheidung der einzelnen von einander. Jede Monas geht dabei einem geheimen Zuge folgend dahin, wohin sie gehört.,,An eine Vernichtung ist gar nicht zu denken; aber von irgend einer mächtigen und dabei gemeinen Monas unterwegs angehalten und ihr untergeordnet zu werden, diese Gefahr hat allerdings etwas Bedenkliches und die Furcht davor wüsste ich auf dem Wege einer blossen Naturbetrachtung meinestheils nicht ganz zu beseitigen." „Das Werden der Schöpfung ist den Monaden anvertraut. Gerufen oder ungerufen, sie kommen von selbst auf allen Wegen, von allen Bergen, aus allen Meeren, von allen Sternen; wer mag sie aufhalten? Ich bin gewiss, wie Sie mich hier sehen, schon

tausendmal dagewesen und hoffe wohl noch tausendmal wiederzukommen." ,,Damit ist aber keineswegs gesagt, dass durch diese Beschränkung unserer Naturbetrachtung auch dem Glauben Schranken gesetzt wären. Im Gegentheil, bei der Unmittelbarkeit göttlicher Gefühle in uns kann der Fall gar leicht eintreten, dass das Wissen als Stückwerk besonders auf einem Planeten erscheinen muss, der aus seinem ganzen Zusammenhang mit der Sonne herausgerissen alle und jede Betrachtung unvollkommen lässt, die eben darum erst durch den Glauben ihre vollständige Ergänzung erhält.

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Sobald man nur von dem Grundsatz ausgeht, dass Wissen und Glauben nicht dazu sind, um einander aufzuheben, sondern um einander zu ergänzen, so wird schon überall das Rechte ausgemittelt werden. 9)

Der Trost, den er bei Wielands Tode in einer so gestalteten Weltanschauung suchte, erleichterte ihm den Busen nicht, als seine Gattin ihn im Jahre 1816 verliess; trauernd bekennt er vielmehr, es bleibe der ganze Gewinn seines Lebens, ihren Verlust zu beweinen. Das in ihrem Todesjahre gedichtete,,Prooemion" seines Cyclus ,,Gott und Welt" führt uns hiervon zurück zur pantheistischen Seite seines Gottesbegriffs in der berühmten Strophe:

9) Falk,,Goethe aus näherem persönlichem Umgange dargestellt," Leipzig, Brockhaus, 1836. IV. Cap. Was Goethe hier Monaden nennt, nennt er auch Entelechie, so bei Eckermann und im zweiten Theil des Faust. Bei Eckermann sagt er 1830 noch „Die Hartnäckigkeit des Individuums und dass der Mensch abschüttelt, was ihm nicht gemäss ist, ist mir ein Beweis, dass so etwas existire. Leibnitz hat ähnliche Gedanken über solche selbstständige Wesen gehabt und zwar, was wir mit dem Ausdruck Entelechie bezeichnen, nennt er Monaden." Der Ansatz dieser Weltanschauung ist schon zu finden in Goethes Tagebuch vom Jahre 1780 (Keil,,,vor hundert Jahren" 1. Bd. S. 217). „Ich muss den Zirkel, der sich in mir umdreht, von guten und bösen Tagen näher bemerken, Leidenschaften, Anhänglichkeit, Trieb, dieses oder jenes zu thun, Erfindung, Ausführung, Ordnung, alles wechselt und hält einen regelmässigen Kreis. Heiterkeit, Trübe, Stärke, Elasticität, Schwäche, Gelassenheit, Begier ebenso. Da ich sehr diät lebe, wird der Gang nicht gestört, ich muss noch herauskriegen, in welcher Zeit und Ordnung ich mich um mich selbst bewege." In den „Sprüchen in Prosa" bei Soeper 1828:,,Das Höchste, was wir von Gott und der Natur erhalten haben, ist das Leben, die rotirende Bewegung der Monas um sich selbst, welche I weder Rast noch Ruhe kennt." Aehnliches noch an vielen andern Orten. Der Pantheismus ist dadurch nicht negirt, denn die Monaden sind gleichsam Urmodi der unendlichen Substanz. Consequent ist das freilich nicht, doch hat Goethe das System nie gesucht.

,,Was wär' ein Gott, der nur von aussen stiesse,
Im Kreis das All am Finger laufen liesse!
Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in sich, sich in Natur zu hegen,
So dass, was in ihm lebt und webt und ist,
Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermisst."

Im Innern ist ein Universum auch;
Daher der Völker löblicher Gebrauch,
Dass Jeglicher das Beste, was er kennt,
Er Gott, ja seinen Gott benennt,
Ihm Himmel und Erde übergibt,

Ihn fürchtet und womöglich liebt."

Aus diesen allgemeinen religiösen Anschauungen führt uns das Jahr 1817 in das Verhältniss Goethes zu Christenthum und lutherischer Kirche. Zum Reformationsfeste gedachte Goethe eine Cantate auf Luther zu dichten. Es sollte darin gesagt werden, ,,das Gesetz strebe nach Liebe, die Liebe erfülle das Gesetz, aber nicht aus eigener Macht, sondern durch den Glauben an den Alles beglückenden Messias. Mit dem Donner auf Sinai, mit dem ..du sollst" sollte das Gedicht beginnen und mit der Auferstehung Christi, mit dem ,,du wirst" abschliessen." Es erinnert dies an jenen Brief Schillers bei Gelegenheit der Dichtung der Bekenntnisse der schönen Seele, indem auch hier die freie Neigung, die im Christenthum an Stelle des kategorischen Imperativs tritt, der Sieg nicht über das Herz, sondern durch das Herz 10) den Schluss des Ganzen zu bilden hatte. Die Hochachtung, die Goethe für Luther und das Lutherthum fühlte, von dem er sagt, dass es ,,der reinen Vernunft nicht widerstrebe, sobald er die Bibel als Weltspiegel betrachte, dehnte sich auch auf die Diener dieser Kirche immer mehr aus. Gerechter als früher erkennt er einen Unterschied zwischen einem Pfaffen und einem Prediger, indem er am 31. Oct. 1817 sagt

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Die Beschäftigung mit Gedanken über die menschliche Unsterblichkeit, die schon in dem Gespräch mit Falk hervortrat und die Aeusserung der daselbst niedergelegten Weltanschauung verursachte, tritt in dieser Periode immer häufiger

10) Wenn auch diesmal mit deutlicher Bezugnahme auf einen dieser Neigung zu Grunde liegenden Glauben.

und intensiver auf. Die schönste Bürgschaft eines übersinnlichen Ursprungs und einer übersinnlichen Fortdauer findet Goethe in dem Vermögen des Menschen, jedes Sinnliche zu veredeln und auch den todtesten Stoff durch Vermählung mit der Idee zu beleben. Im Anschlusse hieran sagt er 1818 zum Kanzler von Müller: 12),,Der Mensch, wie sehr ihn auch die Erde anzieht mit ihren tausend und aber tausend Erscheinungen, hebt doch den Blick sehnend und forschend zum Himmel auf, der sich in unermessenen Räumen über ihn wölbt, weil er tief und klar in sich fühlt, dass er ein Bürger jenes geistigen Reiches sei, woran wir den Glauben nicht abzulehnen, noch aufzugeben vermögen." Diese Ahnung war auch für Goethen,,das Geheimniss des ewigen Fortstrebens nach einem unbekannten Ziele; es ist gleichsam der Hebel unseres Forschens und Sinnens, das zarte Band zwischen Poesie und Wirklichkeit.",,Zuversicht und Ergebung" erkennt er denn in einer Aeusserung des Jahres 1819 als die echten Grundlagen jeder bessern Religion und die Unterordnung unter den höhern, die Ereignisse ordnenden Willen, den wir nicht begreifen, eben weil er höher als unsere Vernunft und unser Verstand ist."

In den Jahren 1814-1819 hatte der universelle Geist des Dichters, der von spanischen bis zu chinesischen Schöpfungen der Dichtkunst inmitten der Kämpfe der Zeit, um diesen gegenüber sich innerlich ungetrübt zu erhalten, sich hatte anregen lassen, in orientalischen Gedankenkreisen sich ergangen.

Nord und West und Süd zersplittern,
Throne bersten, Reiche zittern,
Flüchte Du, im reinen Osten
Patriarchenluft zu kosten.

Als schöne Frucht dieser Beschäftigung ward uns mit dem Jahre 1819 der ,,westöstliche Divan" geschenkt. Von der Seite des Gemüthes hauptsächlich finden wir die religiöspantheistischen Anschauungsweisen des Orients, mit denen die Eignen des Dichters verwandt waren, ergriffen und dargestellt. Es hat aber von Oosterzee 13) Unrecht, wenn er

12) Burkhardt, Goethes Unterhaltungen mit dem Kanzler von Müller. Stuttgart, Cotta, 1870. S. 23.

13) a. a. O. S. 34 unten. S. 36 bezweifelt v. Oosterzee die Aechtheit der Monadologie bei Falk. Eine subjective Färbung könnte Falks Bericht erhalten haben. Das Wesentliche ist durch Parallelstellen gesichert.

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