Page images
PDF
EPUB

schenpaares empfängt dasselbe ,,mit Dank das schönste Leben vom All ins All zurück;" in ihrem seligen Wechselbilde erlischt der stetige Wechsel in der Natur, der unendliche Fortschritt, indem sie sich als verwandte Wesen empfinden, als Ausfluss desselben Urquells alles Lebens in der Natur. Was hier unbewusst in einer Einheit sich fühlt und findet, was hier vom Dichter mit dem grossen Ganzen zusammengefasst und als dessen Blüthe hingestellt wird, das fordert als Resultat sittlichen Strebens das Gedicht,,Dauer im Wechsel." Bei dem Vorüberfliessen der Gegenstände und dem Wechsel in der uns umgebenden Welt erheben wir uns dadurch zum Weltgeist, dass wir bewusst mit dem Sinne des Forschers das Treiben um uns und in uns selbst betrachten, um dadurch das unvergängliche, letzte Ziel des Strebens zu gewinnen, den sittlichen Gehalt in unserer Brust:

,,Lasst den Anfang mit dem Ende

Sich in eins zusammenzieh'n!
Schneller als die Gegenstände
Selber dich vorüberflieh'n.
Denke, dass die Gunst der Musen
Unvergängliches verheisst,

Den Gehalt in deinem Busen

Und die Form in deinem Geist."

In dem eigenen thätigen Schaffen finden wir den Trost für allen scheinbaren Unbestand und Wechsel der Dinge. Nur zu bald sollte Goethe die Macht dieses Trostes an sich zu erproben haben der traurigsten Erscheinungsform des Wechsels gegenüber, dem Tode eines geliebten Freundes. Schiller starb. Den tiefen, unauslöschlichen Schmerz um ihn konnte nur die sittliche Freude darüber mildern, dass auch Goethe und auch er vor allen noch die letzten Jahre seines Lebens dem Freunde erleichtert und verschönt:

,,Mit guter Kunst und ausgesuchtem Spiel

Den neu belebten, edlen Sinn erquickt

Und noch am Abend vor der letzten Sonnen
Ein holdes Lächeln glücklich abgewonnen."50)

Wie Humboldt nach diesem Todesfall überall, wohin er dachte, abgerissene Fäden sah, die nichts wieder anknüpfen könne," 51) so auch Goethe. Der ,,neue Frühling war dahin," Allein, verlassen stand er auf seiner einsamen Höhe da und blickte umsonst nach einem Gefährten, der für diesen Verlust hätte Ersatz bieten können. Er war nicht zu finden.

50) Epilog zur Glocke.
51) Beatranek No. 46.

Eklektisch-universelle Periode.

Und wenn mich am Tag die Ferne
Blauer Berge sehnlich zieht,
Nachts das Uebermass der Sterne
Prächtig mir zu Häupten glüht,

Alle Tag' und alle Nächte

Rühm' ich so des Menschen Loos;
Denkt er ewig sich in's Rechte,
Ist er ewig schön und gross!

,,Schwebender Genius über der Erdkugel." 1826.

Während all' die innern Umwälzungen im Seelenleben des Dichters sich vollzogen, in deren Fortgang wir Goethes religiöse Anschauungen verfolgt haben, war ein gewaltiger Umschwung im politischen und Geistesleben der deutschen Nation vor sich gegangen. Die politischen Kämpfe und Krystallisationen in dem französischen Nachbarland hatten das bis ins innerste Mark politisch erkrankte alte deutsche Reich seinem verdienten Ende immer mehr entgegengeführt. Ihnen gegenüber hatte die Literatur bei der Schwäche des deutschen Nationalgefühls sich in einem einseitigen Cosmopolitismus verloren. Die Kant'sche kritische Philosophie hatte eine Revolution im Reiche des Gedankens hervorgerufen und von ihm, nicht wenig aber auch von der Dichtung der Zeit beeinflusst, erstanden die Systeme eines Fichte, Schelling und Hegel. 1) Befruchtend hatte Kant auf die Ausbildung des

1) Die Stellung Goethes zu diesen Systemen, seine Urtheile darüber und seine Sympathie für einzelne Züge derselben gehört in eine noch zu erwartende gründliche Betrachtung der Stellung Goethes zur Philosophie. Schütz's,,Goethes Philosophie" hat nur Material zusammengebracht und auch dies unvollständig. Die neuen Briefwechsel-Ausgaben und Gespräche Goethes mit den Männern seiner Umgebung in seinen letzten Lebensjahren bieten hierin unendlich viel, ganz abgesehen von den Werken selbst, unter denen hier namentlich auf die „Sprüche in Prosa" hingewiesen sei. Den philosophischen Systemen gegenüber verhielt er sich wie ein Organismus zu den Nahrungssäften, die ihm zugeführt werden. Er nahm das Allerverschiedenartigste in sich auf, bearbeitete es aber immer in der Weise und mit der Kraft seiner Individualität und setzte es so in seine eigenthümliche Natur um. Dabei ging sein ganzes Streben nach Einheit in der Natur und der Erkenntniss dessen, wovon ich mir eine adäquate Idee bilden kann." Das Gegebene zu begreifen und einheitlich zu erfassen war sein Ziel. Metaphysische Hirngespinste waren nie seine Sache, nichts war ihm verhasster als die gedankenzerstörende Speculation." Ich finde, dass es der moderne empirisch-inductive Realismus ist, der hierin am meisten dem grossen Meister folgt. S. Dr. H. Wolff,,Speculation und Philosophie." Berlin, Denicke 1878. 2 Bde.

theologischen Rationalismus gewirkt. Paulus und seine Nachfolger, Wegscheider, Röhr und Bretschneider sind seine hervorragendsten Vertreter. Neu und bedeutsam für die fernere geistige Entwickelung unserer Nation hatte sich als eine Reaction gegen die von Goethe und Schiller verfolgte und erstrebte Verpflanzung des griechischen Kunst- und Humanitäts-Ideals auf deutschen Boden in der Schule der Romantiker eine Richtung ausgebildet, die nach dem treffenden Ausdruck Hettners,,die Doctrin und Praxis der subjectiv auf sich gestellten gegenstandslosen phantastischen Phantasie darstellt." Sie suchte die Grundlage ihrer Bestrebungen hauptsächlich auf christlich mittelalterlichem Gebiete, die Phantasie loslösend von jeder Schranke der Wirklichkeit, selbst der der Sitte und Sittlichkeit, und gerieth in religiöser Beziehung in das Dämmerlicht des katholischen Domes, in politischer in den Dienst der Reaction. Mit ihr konnte wohl Goethe während seiner Vereinsamung nach dem Tode Schillers in Bezug auf die Universalität ihres Strebens, durch die sie sich für die deutsche Literatur ein bleibendes Verdienst erwarb, übereinstimmen, nicht aber in jenen Emancipationskampf der Phantasie mit eintreten, den er unter anderer Form und Gestalt in dem Ringen und Stürmen seiner genial-naturalistischen Jugendperiode selbst bereits überwunden hatte. Wir werden sehen, dass in religiöser Beziehung der durchgreifendste Unterschied zwischen Goethe und der neuen Richtung offenbar darin lag, dass Goethe durchaus das Sittliche und Sittigende und in ,,Sinn und Gemüth zu erfassende Moment der Religion in den Vordergrund stellte, während das dichterische Phantasiespiel der Romantiker innerhalb der katholischen Symbolik hauptsächlich an den Resultaten der reflectirtesten Speculation ungezügelt sich erging und den tief innerlichen ethischen Gehalt der Religion des Kreuzes, die Goethe immer mehr würdigen lernte, nicht wie er, mit den Rosen der Schönheit umwand, 2) sondern mit dem aufwuchernden Epheu eines phantasievollen mystischen Spielens mit religiösen Gedanken und Gefühlen mehr verhüllte als schmückte.

Auf diesem Hintergrunde wird sich uns das Bild unseres Dichters in seiner letzten Lebensperiode, der seines Alters, darbieten und während wir die ewige Jugendfrische seines dichterischen Schaffens mit staunender Bewunderung

2) S. die Geheimnisse S. 33 dieser Abhandlung.

verfolgen, wird uns innerhalb desselben als hauptsächlicher, neuer Zug jene weise, nicht kalte, aber ruhige Welt- und Lebensauffassung entgegentreten, verbunden mit einem universellen Wissen und verständigen Scheiden und Wählen inmitten des allmählich erworbenen weitern und breiten Kreises von Kenntnissen, wie sie selten ein Menschengeist umspannt hat, Züge, die dieser Periode den Namen des eklektisch-universellen geben. Mehr als bisher können wir uns in diesem Zeitraum bezüglich der Quellen an die eigenen Worte des Dichters in Briefen und Gesprächen halten, um in den Wirken den Abglanz der daselbst ausgesprochenen Ansichten in künstlerischer Form wieder zu finden.

Es ist kein Zufall, dass nach dem Tode Schillers in den Jahren 1805 und 1806 Goethes Leier verstummte. In der Naturwissenschaft fand er Trost und innere Beruhigung und naturwissenschaftliche Werke waren es, die ihn vorwiegend beschäftigten. Schwere Kriegsbedrängniss rauschte mit dem Jahre 1806 über das Weimar'sche Land. Unter dem Donner der Kanonen von Jena wurde die natürliche Ehe mit Christiane zur kirchlich eingesegneten. Fester sollte bei der allgemeinen Erschütterung das eheliche Band die Gatten umschlingen und inmitten dieser ,,Nacht," wie Goethe die Zeit bis zu den Befreiungskämpfen des deutschen Volkes nannte, des Sohnes Zukunft gesichert werden. Die Empfindung des Schreckens vor dem Stahl des französischen Caesars, dem kein Sterblicher Widerstand leisten zu können schien, hat auch in Goethes Brust gelebt und ihren Ausdruck gefunden im Gebet der Flüchtenden in dem 1807 zur Eröffnung des Weimar'schen Theaters gedichteten Vorspiel:

,,Ist über dieser Wolkendecke düstrer Nacht
Kein Stern, der in der Finsterniss uns leuchtete?
Kein Auge, das heruntersäh auf uns're Noth?
O Du, dem ich von Jugend auf hinangefleht,
Du, dessen heiligen Tempel ich mit Kindesschritt
Und Kindersinn erst, dann mit warmer, jugendlich
Bewegter Brust hinanstieg, im vertrauenden
Andächt'gen Chor der Aeltern und Aeltesten;
Mit heit'rem festtagssonnenhaftem Freudeblick
Ein Danklied, ein Triumpflied Deiner Vaterkraft
Und Vatergüte tausendstimmig dargebracht:
Warum verbirgst Du hinter düstern Teppichen
Dein Antlitz, Deiner Sterne strahl'nde Heiterkeit?
Ist es Dein ew'ger Wille? sind es der Natur
Unbänd'ge taube Kräfte, die im Widerstreit?

In den Jahren 1808 und 1809, wohl beeinflusst durch Goethes Verhältniss zu Minna Herzlieb, entstanden die Wahlverwandtschaften. Es tritt daraus jener vorwiegend sittliche Gehalt hervor, der in dieser Periode immer mehr in Reflexion und weise Lebensbetrachtung eingehüllt ist, während in früherer Zeit dieser Kern mehr in der Schale sinnlicher Heiterkeit überraschte. Den Vorwurf, dass der Dichter in diesem Romane die Heiligkeit der Ehe angegriffen habe oder darüber hinausgehende Leidenschaften habe beschönigen wol-s len, können nur oberflächliche Leser aussprechen. Er hat die Bedeutung des sechsten Gebotes niemals erschüttern wollen. Was er mit dem Roman gewollt, ist 3), die innig wahre Katharsis (die Reinigung und Veredlung der Leidenschaft) so rein und vollkommen als möglich abzuschliessen." Das tragische Ende Ottiliens und Eduards, die nicht im Stande sind, ihre Leidenschaft zu unterdrücken, mildert wohl das ethische Urtheil, vernichtet aber nirgends ihre Schuld. In welch' schönem Gegensatze erscheint Mittlers Gestalt vor allem zu der in den Tischgesprächen geäusserten Laxheit in den Auffassungen der Zeit über Ehe und Eheleben.

Haben wir durch den Blick in die Wahlverwandtschaften einen solchen in die sittliche Vorstellungswelt unseres Dichters gethan, sind wir dabei zur Erkenntniss gelangt, dass er in keiner Umgebung das Gefühl des Göttlichen in sich stören lässt, das uns überall hin begleiten und jede Stätte zu einem Tempel einweihen soll und kann, so giebt uns seine Stellung zu der gegen Schelling gerichteten Schrift Jacobis ,,von den göttlichen Dingen" Gelegenheit, seinen Gottesbegriff wieder näher zu betrachten. Die Schrift that ihm nicht wohl, weil die These darin durchgeführt ist, die Natur verberge Gott. Seine,,reine, tiefe, angeborene und ausgeübte Anschauungsweise, die ihn Gott in der Natur, die Natur in Gott zu sehen lehrte und diese Vorstellungsart zum Grunde seiner Existenz gemacht hatte," empörte sich gegen diesen einseitig beschränkten Ausspruch."4) Goethe flüchtete sich zu Spinoza zurück und fand in der Lectüre der Ethik seine Ruhe wieder, zu seiner Verwunderung gewahr werdend, wie bei seiner vorgeschrittenen Bildung so manches neu und frisch auf ihn wirkte. Er lebte sich aufs neue und tiefer in die

3) An Zelter im Jan. 1830.

4) Tag- und Jahreshefte vom Jahre 1811.

« PreviousContinue »